Football Manager 201228.10.2011, Mathias Oertel
Football Manager 2012

Im Test:

Der englische Football Manager von Sports Interactive ist hierzulande kein Unbekannter – obwohl lizenzrechtliche Probleme dafür sorgen, dass die Trainersimulation nur als Import erhältlich ist. Doch wie der deutsche Kollege kämpft er nicht nur mit der Konkurrenz, sondern auch mit seinen Vorgängern. Kann die Ausgabe dieses Jahres den bereits sehr guten Vorläufer übertrumpfen?

Fußball ist Emotion

Man sollte sich nicht täuschen lassen: Hinter den ausufernden Statistiken stecken haufenweise Fußball-Emotionen...
Man sollte sich nicht täuschen lassen: Hinter den ausufernden Statistiken stecken haufenweise Fußball-Emotionen...
Fußball lebt von Duellen, von Emotionen- und nicht zuletzt auch von einer gehörigen Portion Schadenfreude. Nicht umsonst schaut halb Fußball-Deutschland bei DFB-Pokal-Duellen von so genannten „Kleinen“ gegen arrivierte Vereine gespannt zu. Vielleicht gelingt es dem Underdog ja, den Millionären ein Bein zu stellen?

Auch der virtuelle Fußball wird von packenden Duellen geprägt. Im aktiven Bereich kämpfen die FIFA- bzw. Pro Evolution Soccer-Serien seit Jahren um die Vorherrschaft, wobei EA in den letzten Jahren die Nase vorn hatte. Bei den Manager-Spielen rund um der Deutschen liebsten Freizeitbeschäftigung  sieht das anders aus.

Fußball ist Kopfsache

Dass man bei Fußball Managern oft eine lebendige Fantasie benötigt, um hinter all den Zahlen, Tabellen und Statistiken die Sportler bzw. die Mannschaft zu sehen, ist kein Geheimnis. Um so mehr beim Football Manager (FM) von Sports Interactive. Denn wo die deutsche Konkurrenz mit bunten Menüs usw. punktet, hängt man in Großbritannien immer noch an den Tabellen und Strukturen, die man seit annodazumal mit diesem Genre assoziiert - typisch britisch mit kühlem Understatement.

Doch dies ist nicht der einzige Unterschied. Auch inhaltlich setzt der Manager von Sega andere Schwerpunkte. Hier geht es nur um das Führen einer Mannschaft, das Training sowie die Fähigkeiten als Taktiker bzw. einfühlsamer Coach. Finanzen sind nur eingeschränkt von Bedeutung und liegen nicht im Einzugsbereich, da der Aufsichtsrat ggf. bei vorgesehenen Transfers dazwischen grätscht und ein Veto einlegt. Diesen Fokus setzt die Serie seit Jahren erfolgreich als Kontrapunkt zu dem Allround-Management, das den FM aus deutschen Landen kenn- und auszeichnet.

Alles wie gehabt?

Doch auch wenn die Grundkonzepte letztlich auseinandergehen, haben die beiden Manager seit den letzten Ausgaben einiges gemeinsam: Veränderungen finden meist nur im Detail oder in den tieferen Ebenen statt. Und für die aktuelle Ausgabe setzen beide auf eine verbesserte Matchdarstellung. Wobei der britische Vertreter hier seit Jahren die Nase vorn hat - wenngleich erst auf den zweiten Blick.

Denn auch wenn man dieses Jahr im Stadionumfeld (Zuschauer), bei den Animationen auf dem Platz sowie hinsichtlich des Detailgrades zugelegt hat, wirken die in zahlreichen Ansichten (bis hin zur klassischen 2D-Vogelperspektive) abrufbaren Matches im Vergleich zur Konkurrenz sehr spröde.

Im Vergleich zum deutschen FM sieht die Kulisse nicht so schick aus, wirkt aber hinsichtlich der Matchlogik authentisch.
Im Vergleich zum deutschen FM sieht die Kulisse nicht so schick aus, wirkt aber hinsichtlich der Matchlogik authentisch.
Aber: Die Dramatik und Spannung auf dem Platz sind ungleich höher. Wie kann das sein? Manche Bewegung mag vielleicht nicht so filigran sein, doch das Gefühl, einem realistisch berechneten Spiel beizuwohnen, bei dem ich durch meine Taktik und meine Anweisungen eingreifen kann, ist unerreicht. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich mit den virtuellen Männchen mitfiebere, mich ärgere, wenn ein Ball nur an das Aluminium geht oder meine Mannschaft durch eine falsche Schiedsrichter-Entscheidung wie ein gegebenes Abseits-Tor ins Hintertreffen gerät.

Zumal man hier auch nur eine einzige Matchberechnung für alle Darstellungsformen vorfindet. Sprich: Ergebnisse sind zwar von Tagesform und Zufall beeinflusst, doch man hat hier keine Chance, über eine andere Spieldarstellung ein anderes, besseres Ergebnis zu erzielen. Die Berechnung ist für alle und alles gleich.

Der tägliche Gesprächs-Trott

Der Tagesablauf eines virtuellen Trainers ist abwechslungsreich: Man kann Mails checken, deren Filter man selbstständig verändern kann, wenn man z.B. Informationen zu Scoutberichten nicht mehr lesen oder keine Infos zur U23-Mannschaft bekommen möchte.

Man kann (und sollte) immer wieder Gespräche mit der Mannschaft führen, wobei zwar (wie auch bei den Ansprachen vor, während und nach den Spielen) emotionale Nuancen in Form von Grundtönen (z.B. aggressiv, euphorisch, beruhigend, vorsichtig) die Aussage und Reaktion der Mannschaft bzw. des Spielers beeinflussen. Doch leider bleiben die

Die Team- und Spielergespräche bieten erweiterte Möglichkeiten, führen aber nach wie vor mitunter zu unerwünschten Nebenwirkungen.
Die Team- und Spielergespräche bieten erweiterte Möglichkeiten, führen aber nach wie vor mitunter zu unerwünschten Nebenwirkungen.
Gespräche immer noch zu sehr an der Oberfläche oder gleiten durch eine unachtsame Äußerung in Bereiche, in denen man schnell Aussagen tätigt, die man nicht so schnell zurücknehmen kann. So ist es mir dieses Jahr (wie auch schon in der letzten Ausgabe) immer wieder passiert, dass ich mich mit einem Führungsspieler überworfen habe, weil ich die Verbindung von Emotion und Aussage unterschätzt habe, aber noch viel mehr, weil mir nicht genügend Optionen zur erfolgreichen Gesprächsführung zur Verfügung gestellt werden. Das ist insofern schade, da Gespräche hier einen deutlich höheren Stellenwert haben wie im deutschen Gegenstück.

Die vier "T"

Doch natürlich stehen neben den Gesprächen bei einem Trainer die vier T's im Mittelpunkt: Training, Taktik, Team, Transfers. Und hier spielen die Briten bekannten Stärken aus. Unter Zuhilfenahme von Assistenten sowie Scout-Berichten kann man sowohl kurz- als auch mittel- und langfristig seine Taktik einstellen, wobei man sogar drei Systeme einstudieren und sie zum schnellen Wechsel nutzen kann. Dabei ist es sogar möglich Multipositions-Spieler entsprechend der Systemeinstellung zu verschieben und abzuspeichern. Dadurch wird der Aufwand beim Umschalten von z.B. 4-1-4-1 auf 4-4-2 oder 4-3-3 minimiert und man kann sich weiter auf das Wesentliche konzentrieren.

Über Schieberegler lassen sich sowohl für die Mannschaft als auch für einzelne Spieler detaillierte Einstellungen treffen. So z.B., wie weit vorgezogen die Abwehrkette agieren soll, welche Spieler sich in welcher Form (lange, kurze, schnelle, schleppende Pässe) am Offensivspiel beteiligen soll usw. Und das Schöne: Die Auswirkungen werden in der Matchdarstellung adäquat und glaubwürdig auf den Platz gebracht.

Ähnliche Möglichkeiten hat man beim Training: Intensität, Inhalte und individuelle Anweisungen lassen sich einfach einstellen und von Zeit zu Zeit geben einem die Assistenten auch Feedback, wenn etwa ein Spieler besondere Fortschritte gemacht hat. Und selbstverständlich kann man auch versuchen, einen Spieler an eine neue Position zu gewöhnen, muss sich aber nicht wundern, wenn er dort anfangs vollkommen versagt und im schlimmsten Fall sogar ein persönliches Gespräch einfordert, dessen Ausgang zu willkürlich scheint.

Im Vergleich zum Vorgänger deutlich reduziert, aber immer noch leicht negativ spürbar ist ein Hang zur Verletzungsanfälligkeit - vor allem bei den Spielern der eigenen Mannschaft. Es kann natürlich auch an meinen Trainingsmethoden liegen oder einfach an "normalem" Pech (ich habe die Seuchensaison des HSV noch gut in Erinnerung, als die Hinrunde fast jede Woche ein neuer Verletzter zu beklagen war). Doch da dieses Problem auch letztes Jahr schon Bestand hatte, weigere ich mich, mir die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben...

Das neue "T"

Als Anhänger von Manager-Spielen stolperte man bislang über mehrere Hürden. Das beginnt bei dem Import, geht weiter bei der Sprachbarriere (nativ unterstützt der FM keine deutschen Texte, die können nur über Modifizierungen integriert werden) und hört erst bei den umfangreichen und mitunter gut versteckten Möglichkeiten auf, die hier angeboten werden.

Um zumindest den letzten Punkt aus dem Weg zu räumen, hat sich Sports Interactive endlich zu einem Tutorial hinreißen lassen. Das ist zwar ebenso trocken und spröde wie die allgemeine Menüdarstellung, aber mit den interaktiven Elementen werden nahezu alle Optionen beleuchtet, die einem als Manager/Trainer zur Verfügung stehen und die selbst Veteranen noch zu einem "Ach, das geht auch?" hinreißen können.

Herrlich: Statistiken, wohin man schaut...
Herrlich: Statistiken, wohin man schaut...
Aber wer sich in die zugegeben nicht ganz so zugängige Materie einarbeitet, wird mit einem enormen Tiefgang belohnt. Und einem Wust an offiziellen (und inoffiziellen Lizenzen). Denn auch wenn im Gegensatz zur englischen Premiere League kein offizielles Logo der Bundesliga auf dem Intro-Bildschirm prangt, muss man nicht auf die deutschen Mannschaften verzichten.

Alle Vereine sind komplett mit Trainern und Funktionären bis hin zu den Präsidenten und Vorstandsvorsitzenden integriert, womit man hier gegenüber der deutschen Konkurrenz einen weiteren Vorteil ausspielt. Denn dort ist zwar alles voll lizenziert und größtenteils mit Fotos und Original-Wappen versehen, doch Funktionäre und gegnerische Coaches haben Fantasienamen. Aber es macht einen großen Atmosphäre-Unterschied, wenn man gegen das Team von Jürgen Klopp oder Jupp Heynckes antritt, anstatt gegen einen von Hein Mück oder Michael Michaelsen trainierten Bundesligaverein. Zumal man auch wie gehabt die lokale Presse nutzen kann um im Vorfeld einer Partie gegen den  Gegner, einzelne Spieler oder deren Trainer zu sticheln.

Fazit

Auch in diesem Jahr geht der Sieg im Kampf der Fußball Manager an den britischen Titelverteidiger von Sports Interactive. Ähnlich wie der deutsche Kollege legte man den Fokus auf eine verbesserte Matchdarstellung. Doch wo bei EA der Fortschritt auch einige negative Punkte mit sich brachte, punkten die Briten auf ganzer Linie. Was auch daran liegt, dass die für alle Matches und Darstellungsformen einheitliche Berechnung ohnehin in einer anderen Liga spielt: Nach wie vor ist dieses Spiel unerreicht, wenn es um Authentizität, Dramatik, Spannung und Emotionen auf dem Spielfeld geht - inklusive Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. Abseits des Platzes hat sich auch einiges getan: Mit kann die wichtigen Spieler- und Teamgespräche emotional angehen, auch wenn die Dialoge häufig sehr allgemein gehalten sind. Auf taktischer Ebene, hinsichtlich der Trainingsgestaltung sowie beim Umgang mit Transfers spielt der FM ebenfalls seine Stärken aus, liegt hier aber mitunter nur ganz knapp vor der deutschen Konkurrenz. Letztlich geben Nuancen den Ausschlag, doch wenn ich als Fußballverrückter mit der berühmten Frage konfrontiert würde, welchen der beiden ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde, würde ich mich ohne zu zögern für diesen Manager entscheiden, der in diesem Jahr zur Hochform aufläuft.

Pro

aufgeräumte Menüstruktur
umfangreiches interaktives Tutorial
optimierte 3D-Matchdarstellung
bewährte, überzeugende Matchberechnung
Verhandlungsbudgets beim Transfer vom Aufsichtsrat reglementiert
Spannung & Dramatik
Fehlentscheidungen der Schiedsrichter
diverse Assistenten mit guten Hinweisen
harte Transferverhandlungen
umfangreiche, glaubwürdige Statistiken
Live-Match-Analysetool
zahlreiche Möglichkeiten, während des Matches einzugreifen
logische Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung
eigene Taktiken erstellbar
gutes Trainingssystem
umfangreicher Editor
teils lizenziert
original Schiedsrichter, Spieler, Vereine
zahlreiche einblendbare Infoboxen im "TV-Modus"
Ligenanzahl jederzeit skalierbar

Kontra

spröde Präsentation
schwache Soundkulisse
Pressekonferenzen nutzen sich ab
Texte zu den Matchszenen schwach
neue Gesprächsoptionen führen mitunter zu unerwünschten Ergebnissen
mitunter verwirrende Menüführung

Wertung

PC

Emotionen, taktischer Tiefgang, logische Zusammenhänge und endlich ein Tutorial: Der englische "Trainer-Simulator" ist so gut wie schon lange nicht mehr.

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