Die einsame Ungewissheit
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Dear Esther inszeniert eine ebenso poetische wie rätselhafte Reise. Dabei verzichtet das Spiel auf klassische Interaktion: Man spaziert ohne Akrobatik, Action oder Rätsel umher.
Was geht hier bloß vor sich? Bin ich ein Schiffbrüchiger? Ich stehe jedenfalls an dieser trostlosen Küste, direkt vor einem verwitterten Leuchtturm. Kaum schaue ich mich um, spricht jemand:
„Liebe Esther, manchmal habe ich das Gefühl, diese Insel geboren zu haben.“
Wie, was? Sind das meine Gedanken? Oder bin ich etwa Esther? Das kann nicht sein, denn ich weiß ja von nichts – schon gar nichts von Poesie oder dieser Frau. Ich sehe auch keine Menschenseele. Bis auf die düsteren Wolken und die sanfte Brandung bewegt sich nichts. Doch, etwas blinkt in der Ferne zwischen Nebelschwaden: Ein Funkturm mit einem rot pulsierenden Licht am trüben Himmel. Alles um mich herum sieht so verdammt real aus, aber es erscheint gleichzeitig so unwirklich wie ein Traum.
Gestrandet auf den Hebriden
Zu Beginn des Spiels meldet sich eine Stimme - bei jedem Neustart wechseln Texte und Ereignisse. Warum ist man auf dieser Insel unterwegs? Und wer ist Esther?
Das Haus vor mir versprüht den Charme einer gespenstischen Ruine: offene Tür, bröckelnder Putz, zersplittertes Glas. Als ich es betrete, geht automatisch meine Taschenlampe an. Ich pirsche an einem versifften Klo vorbei, der Boden ist überall voller Schnipsel und heraus gerissener Seiten. Sind das da unten Notenblätter? Woher? In einer Kiste liegen Farbeimer, ich finde das vergilbte Foto eines Mannes und auf einem Tisch ein fleckiges Buch: Die Geschichte der Hebriden. Okay, jetzt weiß ich wenigstens, wo ich bin. Aber wann bin ich?
Ich kann mit der linken Maustaste näher an ein anderes Buch zoomen: Food & Goods Convention, Wolverhampton, 1973. Oder ist das eine Acht am Ende? Jedenfalls befinde ich mich in der näheren Gegenwart – das beruhigt. Aber als ich den hinteren Raum betrete, beunruhigt nicht nur der abgebrochene Treppenaufgang zur Turmspitze, sondern auch die Wand neben mir. Jemand hat mit blau leuchtender Farbe eine chemische Formel daran gepinselt. Ein Verrückter? Ich will das Haus verlassen, aber kurz davor gehe ich
Dear Esther: Vom Mod zum RemakeWas als
Modifikation für Half-Life 2 im Jahr 2008 begann, entwickelte sich bald zum Geheimtipp. Dear Esther ist ein kommerzielles Remake dieser Premiere, das zusammen mit Leveldesigner Robert Briscoe (Mirrors Edge) entstanden ist.
Die Entwickler von
thechineseroom haben noch zwei Projekte in der Pipeline Ein Spiel in offener Welt namens „Everybody’s Gone to the Rapture“ für PC und PS3 sowie ein Projekt namens „gameB“.
automatisch in die Knie und höre Möwen kreischen.
Ich schaue mich um, aber sehe keine Vögel. Dabei müssen sie doch direkt über mich hinweg geflogen sein? Moment mal: Ich will wissen, was hier los ist! Ich werde hier jeden Stein umdrehen und Hinweise suchen, um das Geheimnis dieser Insel zu lüften. Und zwar wissenschaftlich fundiert, natürlich kombinatorisch organisiert - so wie in jedem guten Adventure.
Aber schnell finde ich heraus, dass diese seltsame Reise anders verläuft, dass Interaktion hier deutlich hinter dem Erleben steht und dass die Grenzen des klassischen Spiels überschritten werden: Es gibt kein Inventar, keine Gegenstände, keine Rätsel, kein Klettern. Wie bitte? Nein, auch keine Bosskämpfe.