Antichamber07.02.2013, Jan Wöbbeking
Antichamber

Im Test:

Alexander Bruce zwingt Freunde kniffliger Puzzles dazu, einen Schritt zurückzutreten. Sein Steam-Titel Antichamber spielt mit den Gewohnheiten und Erwartungen des Spielers. Nur wer Experimente wagt und die Regeln des surrealen Irrgartens immer wieder in Frage stellt, öffnet den Weg in neue Räume. Mal versperren optische Täuschungen den Weg, später werden Schlösser mit Hilfe der rätselhaften Klötzchen-Kanone geöffnet.

Geometrie und optische Täuschungen

Es begann als geometrisches Experiment: Als Bruce im Jahr 2009 an einem Klon des Spiele-Klassikers Snake bastelte, verformte ein Programmierfehler die eigentlich zweidimensionale Fläche zu einem abstrakten Gebilde. Das brachte den Entwickler auf eine Idee . Wie würde eine Welt aussehen, in der sich die Gesetze der Physik ständig ändern? Ein Puzzlespiel, in dem die reale Geometrie mit der von optischen Täuschungen zusammenspielt – wie auf den Bildern von MC Escher. Nach zahlreichen Experimenten bekam das Projekt im Jahr 2012 Unterstützung vom Indie Fund, mittlerweile ist das fertige Spiel auf Steam erhältlich.

Das Ergebnis spielt sich so ungewöhnlich wie es klingt. Zu Beginn lande ich in einer dunklen Zentrale und erschließe mir von dort aus neue Räume. Per Escape-Knopf kann ich jederzeit zur Basis zurückkehren. An der Wand sorgt eine vereinfachte Karte für etwas mehr Übersicht, außerdem füllt sich die Tafel daneben mit immer mehr Comic-Panels, welche ich in der Welt finde. Eine einleitende Rahmenhandlung gibt es nicht – stattdessen lege ich direkt los und erkunde meine Umgebung. Gestört hat mich das nicht: Der schnörkellose Einstieg passt prima zum schlichten Design.

Scheue Türen

Manche Zonen besitzen ganz eigentümliche Gesetzmäßigkeiten.
Manche Zonen besitzen ganz eigentümliche Gesetzmäßigkeiten.
Die Steuerung ist einfach: Wie in einem Shooter laufe ich in der Ego-Perspektive vorwärts, hüpfe über Hindernisse oder gehe per Tastendruck besonders langsam. Dazu kommt eine Kanone, welche bunte Würfel verschießt, die beim Öffnen von Schaltern und Türen wichtig werden.

Oft handelt es sich aber auch um Rätsel, welche ganz einfach mit meinen Gewohnheiten spielen. Ich laufe zu einer Tür - sie schließt sich. Entferne ich mich von ihr, öffnet sie sich wieder. Als ich stehen bleibe, um die Lage zu sondieren, bemerke ich, dass sie sich ähnlich wie der Geist Boo aus Super Mario verhält. Sie schließt sich nur, wenn ich sie anschaue. Also drehe ich mich um, laufe rückwärts durch die Tür und schon bin ich durch. Bingo!

Unterstützung aus dem Nichts

Mit Hilfe der Kanone löst man clevere Schalterrätsel - oder trickst sie einfach aus.
Mit Hilfe der Kanone löst man clevere Schalterrätsel - oder trickst sie einfach aus.
Ähnlich verhält es sich mit den kleinen pixeligen Plattformen, welche sich an manchen Orten automatisch unter den Füßen materialisieren. Um euch nicht den Spaß zu verderben, verrate ich nicht, wie sie funktionieren. Wenn man ihre Regeln ergründet, kann man sie aber z.B. als Untergrund benutzen.

Es gibt noch unzählige weitere solcher Objekte in der Welt zu entdecken. Dazu gehören Gänge, welche endlos im Kreis führen - oder Räume, welche plötzlich ihre komplette Gestalt verändern, nachdem ich den Blick abgewendet habe. Nachdem ich einige Kniffe erlernt habe, muss ich z.B. die geschwungene Kanone geschickt einsetzen. Wenn ich es schaffe, mir genügend Würfel unter den Nagel zu reißen, kann ich Türen öffnen. Dazu muss ich die Rätsel hinter den futuristischen Schlossmechanismen lösen - oder sie auf andere Weise mit der Knarre überlisten.

Nicht schwindelfrei

Bitte knacken Sie mit den Synapsen!
Die schlichte aber farbenfrohe Kulisse wird von der Unreal Engine 3 berechnet.
Besonders gut hat mir auch folgende Aufgabe gefallen: Ich schreite aus einem schmalen Korridor in einen beinahe komplett leeren Raum. An der Decke hängt ein Schild mit der Aufschrift „Don’t look down!“ Mein erster Impuls ist natürlich der Blick nach unten. Als ich das dort erscheinende Auge anschaue, stürze ich zur Strafe sekundenlang in eine tiefe Grube. Ich versuche es noch einmal – mit dem gleichen Ergebnis. Außer dem Schild, dem Ausgang und dem erscheinenden Auge befindet sich nichts, aber auch gar nichts im Raum. Im Korridor davor mahnt mich nur eine andere Tafel dazu, dem nächsten Hinweis zu gehorchen. Nach ein paar ratlosen Minuten bin ich doch noch auf die Lösung gekommen. Wie sie lautet, verrate ich nicht, aber im Nachhinein ist sie erstaunlich einfach und logisch.

Die kleinen Hinweis-Tafeln hängen meist kurz vor einem neuen Rätsel. Statt einer Anleitung oder einem klassischen Tipp steht aber stets nur eine Lebensweisheit darauf, welches mit einem Comic-Panel visualisiert wird: „It‘s harder to progress if you leave things behind“ oder „Raw persistence may be the only option other than giving up entirely.“ Diese Sätze sind so geschickt formuliert, dass sie meist nur ganz behutsam auf die Logik hinter dem kommenden Puzzle hinweisen.

Tick-tack, Wind und Grillenzirpen

Wie wahr, wie wahr...
Wie wahr, wie wahr...
Grundlegende Englisch-Kenntnisse sind also erforderlich, denn eine deutsche Übersetzung gibt es nicht. Manchmal gibt auch der ruhige aber sehr stimmungsvolle Ambient-Soundtrack kleine Hinweise: Wenn z.B. ein Ticken immer lauter wird, nähert man sich einem altbekannten Raum mit einem großen Pendel.

Gelegentlich öffnen sich in bereits besuchten Räumen auch neue Tore, weil man eine neue Fähigkeit erlernt hat. Die bizarren Verbindungen zwischen den Zimmern sorgen aber leider oft für Verwirrung. Vielleicht hätte Bruce seinen Irrgarten nicht ganz so komplex miteinander vernetzen sollen. Kleinere, in sich abgeschlossene Bereiche hätten für etwas mehr Übersicht beim Entdecken gesorgt. Auch einige Rätsel sind übertrieben knifflig gestaltet – zum Beispiel wenn man fast ohne Hinweise mit der Waffe auf eine Tafel malen muss.

Fazit

Antichamber erinnert mich daran, warum ich Computerspiele liebe: Weil sie mich auch heute noch überraschen. Weil sie mir Möglichkeiten eröffnen, welche ich mir in der realen Welt nicht einmal erträumen würde. Der surreale Irrgarten von Alex Bruce ist das Musterbeispiel für solch ein Spiel, welches sich nicht von Konventionen einzwängen lässt, sondern sie in Frage stellt. Welches die Entdeckung in den Mittelpunkt stellt und mich trotzdem richtig stark fordert. Die unwirklichen Rätsel sprühen geradezu vor Ideen und Abwechslung. Oft steckt eine verblüffend simple Lösung hinter den optischen Täuschungen. Man erkennt sie, indem man einen Schritt zurücktritt, sich Zeit nimmt und sich die vagen aber clever formulierten Hinweise durch den Kopf gehen lässt. Auch Experimentierfreude wird belohnt - z.B. wenn man die Möglichkeiten der vielseitigen Klötzchen-Kanone auslotet. Die große Freiheit erweist sich aber auch als größter Knackpunkt: Jeder Mensch geht Probleme anders an, daher benötigen derart experimentelle Puzzles besonders viel Feintuning. Obwohl Bruce sich viel Zeit für das Testen ließ, erreicht er nicht den Feinschliff von Portal 2. An manchen Aufgaben wäre ich fast verzweifelt. Außerdem sind die bizarren Räume zu exzessiv miteinander verbunden, so dass ich recht häufig  planlos durch die Welt irrte und mir manche Orte gleich dutzendfach begegneten. Rätsel-Fans sollten sich davon aber nicht abschrecken lassen: Wenn man hartnäckig bleibt, wird man mit herrlich ungewöhnlichen und inspirierenden Puzzles belohnt.

Pro

ideenreiche Rätsel
sehr abwechslungsreich
interessante surreale Welt
clevere Nutzung des minimalistischen Designs
geschickt formulierte Lebensweisheiten als Tipps
stimmungsvolle beruhigende Sound-Untermalung

Kontra

manche Rätsel schwer durchschaubar
über einige Wege läuft man gleich dutzendfach

Wertung

PC

Wunderbar rätselhafter Irrgarten voller frischer Ideen und optischer Täuschungen.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.