Lone Survivor13.04.2012, Benjamin Schmädig
Lone Survivor

Im Test:

Ich gehe völlig auf dem Zahnfleisch. Mein Herz schlägt bis zum Hals, ich habe Hunger und meine müden Augen nehmen ihre Umwelt nur noch verschwommen wahr. Ich habe nichts zu essen und kaum noch Leuchtkörper, um die entstellten Kreaturen von mir fernzuhalten. Trotzdem: Mit letzter Kraft strecke ich das kreischende Untier nieder, das eine versteckte Ecke bewacht. Wofür? Für eine Munitionsschachtel mit erbärmlichen zehn Patronen. Bin ich denn wirklich der einzige Überlebende, der Lone Survivor?

Ein Mädchen steht vor mir - als ich sie berühre, verschwindet sie. Später sitze ich plötzlich neben ihr. Unsere Blicke schweifen von der Spitze eines 

Silent Hill in 2D? Vieles erinnert an den Klassiker - hinter der Fassade findet man aber neue Fragen.
Silent Hill in 2D? Vieles erinnert an den Klassiker - hinter der Fassade findet man aber neue Fragen.

grünen Hügels in die Ferne. Sie erzählt davon, wie wir uns wiederfinden, falls wir uns verlieren.

Silent Hill 2. Es ist unmöglich, nicht an den Horrortrip ins menschliche Unterbewusstsein zu denken, wenn Lone Survivor läuft - egal, ob es um die verstörend wackelnden Köpfe der hautlosen Gestalten, ihre kreischenden Schreie oder die Musik geht. Mal kratzen nervöse Bässe, mal fließt das Klavier in ein beunruhigend friedliches Meer der Entspannung. Im Titelsong wird eine melancholische Gitarre über rockige Elektronik getragen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Jasper Byrne den Klassiker zitiert: Vor vier Jahren schrieb er Silent Hill 2 zum zweidimensionalen Pixelspiel um. Stundenlang studierte er Erzählweise, Spannungsaufbau und Klanggestaltung und entwickelte aus den zentralen Elementen seine eigene Version des Psychothrillers. Den Musiker und Spielemacher faszinierten vor allem die Inhalte - dass jedes Element einen Bezug zur Gedankenwelt der Hauptfigur hatte. Diese Faszination hat ihn nicht mehr losgelassen.

Ein Mann mit einem Karton auf dem Kopf. Ich frage ihn nach seinem Namen. Warum will er ihn mir nicht sagen? Ich kann ihn doch nicht weiter "Mann, der einen Karton auf dem Kopf trägt" nennen. Das stimmt, sagt er.

Im einfachsten Fall ist Lone Survivor, genau wie Silent Hill, ein Horrorspiel. Ich weiß nicht,

Demo

Einen Download der Demo gibt es nicht - die Demo ist im Browser exklusiv auf Kongregate spielbar.

Das komplette Spiel läuft hingegen ganz normal als eigenständiges Programm. wie lange die Monster schon ihr Unwesen treiben. Meine Name? Was spielt das noch für eine Rolle. Ich weiß nur: Ich will nicht einsam sterben. Meine Vorräte neigen sich dem Ende - und ich will nicht alleine sein, wenn der Abschied kommt. Also stelle ich mich dem Grauen vor der Tür...

Schritt für Schritt: Wie in einem langsamen Super Mario ziehen zweidimensionale Wände an mir vorbei. Die Kreaturen sehen mich nicht, so lange ich die Taschenlampe nicht einschalte; bis auf ein paar Schritte komme ich im Dunkel an die hautfarbenen Unwesen heran. Doch in der Finsternis kann ich nicht alle Gegenstände erkennen. Soll ich das Licht einschalten? Das verbraucht Batterien und zieht Monster an. Zwar würden drei Schüsse in den Kopf reichen - aber bin ich schnell genug? Leuchtkörper blenden die Wesen, so dass ich vorbei schleichen kann. Allerdings sind Munition und Fackeln knapp, verdammt knapp.

An wenigen Stellen kann ich in den Schatten einer vertieften Wand treten, um ein Monster auf Zehenspitzen zu umgehen. Vergammeltes Fleisch lockt die Untiere an - manchmal locke ich sie auf diesem Weg in eine Ecke, während ich mich in der Wand verstecke. So streiche ich durch drei Etagen eines Wohnhauses und schließlich durch die Stadt. Ich suche

Der Soundtrack

Jasper Byrne entwickelte übrigens nicht nur das Spiel - er schrieb auch die Musik. Gelingt es ihm, die Angst und die Verzweiflung stimmungsvoll einzufangen? Hier geht's zur Soundtrack-Kritik. Schlüssel für verschlossene Türen, setze einen Generator in Gang. Was man aus Silent Hill so kennt. Selbst die grobe Übersichtskarte erinnert daran. Schön, wie ich die Karte unter einer Glühbirne besser lesen kann als in dunklen Ecken.

Ich sitze auf einer Bühne, neben mir ein unbekannter Mann. Wir schauen ins Publikum, er fragt mich nach der Bedeutung der Szene, warum ich immer wieder zu ihm komme, fragt mich nach seinem Namen. Er sagt, dass ich ihn längst kenne. Und dass ich ihm immer ähnlicher werde.

Weit komme ich nie. Immer wieder muss ich in meine Wohnung zurück, um zu schlafen, essen zu kochen und den Spielstand zu speichern. Ständig sitzt mir die Zeit im Nacken. Selbst nach einer vollen Dose Fertignahrung, habe ich bald wieder Hunger. Egal, ob ich zur

Fies: Im Waffenladen zitiert Lone Survivor auf gemeine Art ein Klischee des Survival-Horrors.
Fies: Im Waffenladen zitiert Lone Survivor auf gemeine Art ein Klischee des Survival-Horrors.
Sicherheit speichern oder zum Durchatmen lieber nach Hause möchte: Wenn ich nicht ständig Essen und Munition aufspüre, werde ich nicht überleben. Kein Spiel hat mich je so gezwungen, mich den buchstäblichen Dämonen zu stellen!

Dabei erklärt es nicht einmal, wie viel Gesundheit so eine Dose eigentlich wiederherstellt. Ich kann Käse und Keks kombinieren, aber zu welchem Zweck? Ich erhalte zwar Hinweise und natürlich ist eine große Dose Erbsen nahrhafter als ein Cracker. Dass ein kleiner Snack Verletzungen heilt, hat mir allerdings der Zufall gezeigt. Es ist ein Gefühl zwischen Vertrautheit und Unsicherheit - ich fühle mich allein, aber nicht alleingelassen.

Der Dorn der Verzweiflung sind die fiesen Lichtblicke am Horizont, die scheinbar nahe und doch so ferne Erlösung. Es sind Selbstverständlichkeiten wie der Herd in meiner Küche: Schon seit Stunden trage ich rohes Essen mit mir herum, ich müsste es nur kochen - aber stundenlang fehlte mir erst das Gas, dann die Pfanne. Auch Kaffee und Espresso könnte ich in rauen Mengen kochen - wenn es nur Wasser gäbe.

Angeblich sollen mir Pillen helfen, wenn "alles andere fehlt". Eine vage Notiz, mal wieder. Ich schlucke eine der blauen Pillen, dann eine der grünen, aber nichts geschieht. Erst als ich

Lone Survivor spielt mit den Emotionen - aber was geschieht hier eigentlich?
Lone Survivor spielt mit den Emotionen - aber welche Geschichte erzählt es eigentlich?
mich schlafen lege, träume ich plötzlich von einer Bühne und einem Mann, der einen Pappkarton über dem Kopf trägt. Anschließend erhalte ich Munition oder etwas Essen. Weil ich am selben Fleck stets Nachschub finde, entdecke ich die Medizin als letzten Ausweg vor dem unumkehrbaren Tod - wäre da nur nicht die drohende Sucht...

In einer langen Gasse, die auf der Karte als normales Zimmer eingezeichnet ist, treffe ich einen seltsamen Herren. Er nennt sich selbst Der Regisseur und redet, als wisse er, was hier geschieht. Greift er deshalb ins Spiel ein, wenn ich seine Hilfe benötige? "Er beobachtet dich", sagt er.

Die Spannung von Kampf oder Schleichen steht für Jasper Byrne gar nicht im Vordergrund. Sein Spiel ist stimmungsvoll, aber nicht Angst einflößend. Tatsächlich bin ich irgendwann so schnell zum wiederholten Mal an bekannten Kreaturen vorbei gestürmt, dass die interaktive Herausforderung verloren ging.

Byrne geht es um etwas anderes: Er sucht noch immer einen Weg zu den Gedanken der

Und was haben die Träume zu bedeuten? Welche Rolle spielen die scheinbar merkwürdigen Figuren? Lone Survivor stellt ungewöhnliche Fragen.
Und was haben die Träume zu bedeuten? Welche Rolle spielen die scheinbar merkwürdigen Figuren? Lone Survivor stellt ungewöhnliche Fragen.
Hauptfigur - und über die in den Kopf des Spielers. Und er öffnet zwei Türen, um dieses Ziel zu erreichen: Er drängt mich im verzweifelten Überlebenskampf in die Ecke und fragt: Was tust du, wenn dein Ende naht? Immerhin kann ich mir die Zeit bei aller Hast sogar mit alltäglichen Dingen wie einer Art Gameboy vertreiben. Kapitulation oder heilsamer Status Quo?

Die zweite Tür öffnet sich hinter den verqueren Figuren. Mit wem reden sie? Mit meinem Alter Ego oder mit mir als Spieler? Der "Regisseur", die auf einer Bühne sitzende Hauptfigur: Hier kommt eine Welt hinter den Kulissen zu Wort. Byrne weiß, wie Horrorspiele und -spieler ticken und nutzt dieses Wissen, um mir Fragen zu stellen, deren Antworten jenseits der digitalen Bilder liegen. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich Wirklichkeit und Spiel zu entwirren versuche: Welche Frage führt die Geschichte fort und welche richtet sich an meinen Kopf? Wo hört die Realität auf, wo beginnt das Spiel?

Oder stecke ich längst mittendrin?

Fazit

Jasper Byrne lässt viele Fragen offen. Ich gebe zu, ich weiß noch nicht einmal, ob er dem Verwischen der Grenze zwischen Spiel und Spieler einen tiefen Sinn verleiht. Will er mich nur zum Selbstzweck verunsichern? Falls ja, gelingt ihm das jedenfalls hervorragend! In der ständigen Suche nach Nahrung und Schlaf oder einem Ersatz für beides, entsteht eine verständliche Extremsituation - durch den verzerrten Horror wird sie drastisch überhöht, mit der Ansprache des Spielers entsteht eine ungemütliche Unruhe. So kommen Spiel und Angst zusammen, ohne dass der Kampf gegen die vielen Monster eine zentrale Rolle spielt. Byrne vernachlässigt Handlung und Spannung zwar eine Idee zu sehr, um mich auf der spielerischen Ebene mit Haut und Haaren zu packen. Trotzdem ist sein einzigartiger Überlebenskampf eindringlicher als jener Horror, dem seine Unwesen wichtiger sind als seine Charaktere.

Wertung

PC

Was spielt sich hinter dem Grauen auf dem Bildschirm ab? Lone Survivor ist ein einzigartiger Horrortrip in die Psyche des Menschen.

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