Alte Fantasy, moderne Physik
Denn was dieses Divinity an erwachsener Fantasy, filigraner Erzählung und leider auch einem mitreißenden Soundtrack fehlt, macht es durch seine Liebe zum klassischen Pen&Paper-Rollenspiel wett – eine Art Rollenspiel, das durch viele Handlungsmöglichkeiten das verspielte Alter Ego weckt. Ein Alter Ego, das sich Kisten einfach schnappt und durch die Gegend schmeißt. Das einen Kürbis als Kopfschutz missbraucht. Und das Wasserpfützen herbei zaubert, sie durch Hitze zum Dampfen bringt, mit einem elektrisch geladenen Pfeil drauf schießt und sie so zu statischen Fallen macht. Hossa!
Ich kann kochen, muss Waffen reparieren, Ausrüstung herstellen: Das erklärte Vorbild von Swen Vincke, dem Gründer des Entwicklerstudios Larian, ist Ultima 7 und dessen spielerisch offene Welt. Angestaubt wirkt Original Sin deshalb lange nicht, denn zum einen sind die damals etablierten Werte aktueller denn je – herrlich, wie ich Wegpunkte durch Lesen des Tagebuchs aufspüren muss, anstatt einem Dauerpfeil zu folgen – und zum anderen verleiht ihm die Physik einen modernen Anstrich. Das gilt für Rätsel, in denen Feuer oder Wasser Wege öffnen.
Stellungstaktik
Das gilt vor allem aber für taktische Kämpfe, in denen die Elemente mächtigen Schaden anrichten können. Mit Öl oder Gift gefüllte Fässer sind z.B. eine große Gefahrenquelle. Und falls kein Öl vorhanden ist, zaubere ich eben eine Pfütze herbei. Jeweils einen Begleiter dürfen beide Helden zudem anheuern, der sie so lange begleitet, bis er das Zeitliche segnet oder aus der Gruppe entlassen wird.
Die Anzahl der Kämpfer ist wichtig, weil ihre Stellung zum Feind die Höhe des angerichteten Schadens beeinflusst. Flinke Attentäter können ihre Gegner sogar umlaufen, um ihnen mit Messerstichen in den Rücken zu fallen. Ganz allgemein hilft schon das Umklammern eines Gegners
Außerhalb eines Kampfes kann man schleichen: Sichtkegel zeigen an, wohin Gegner blicken.
mit mindestens zwei Figuren.
Auf dem kürzesten Weg...
Wer wann eine Aktion ausführt, entscheidet die Schnelligkeit. Angriff, Bewegung und Zauber darf ich dann beliebig kombinieren – je mehr Aktionspunkte einem Kämpfer zur Verfügung stehen, desto mehr kann er tun. Nicht verbrauchte Punkte spart er für die nächste Runde. Der interessanteste Kniff ist aber: Das Spiel läuft für Roderick oder Scarlett in Echtzeit weiter, falls nur ihr Partner in einen Kampf gezogen wird. Unheimlich gerne lasse ich deshalb einen von beiden Gegner auf sich ziehen und umlaufe mit dem anderen das Areal. Erst wenn sie nah genug ist, wird auch die zweite Figur ins Gefecht gezogen, könnte aber auch jederzeit fliehen.
Sichtlinien beeinflussen die Erreichbarkeit von Zielen, unglückliche Charaktere "fangen" schlecht gezielte Zauber ab, Anführer stärken die Moral der Truppe: Taktisch ist das Abenteuer ebenso abwechslungsreich wie fordernd und besonders durch die vielseitige Physik motivierend. Verärgert habe ich allerdings Verbündete beobachtet – keine Mitglieder meiner Gruppe – die auf dem kürzesten Weg zum Feind wie Lemminge durch ein Feuer laufen. Mit Brandherden, Wasserdampf oder giftigen Nebeln haben Gegner zudem Schwierigkeiten. Gelegentlich wollen sie die Gefahrenquellen umgehen, laufen kurz darauf aber wieder drauf zu. Meist stellen sich die Widersacher taktisch sinnvoll auf, Glanzleistungen vollbringen aber weder Freund noch Feind.