Im Test: Rollenspiel-Anarchie und Analsonden
Diskussionswürdige Schnitte
Man sollte eigentlich froh darüber sein, dass Cartman und seine Freunde nach dem Ende von THQ letztendlich über Ubisoft das Licht der Spielewelt erblicken. Doch in den letzten Tagen vor dem eigentlich vorgesehenen Release von South Park: Der Stab der Wahrheit (ab 7,50€ bei kaufen) (SP) drehte sich die Diskussion hauptsächlich um die Schnitte. Sieben gibt es, sie betreffen alle Minispiele, die sich entweder um aktive Abtreibung oder um Interaktion mit Analsonden drehen. Eigentlich Themen, die South Park in der TV-Serie auch schonungslos behandelt und die dort geduldet werden, weswegen die Schnitte unverständlich - zumal sie in Europa einheitlich durchgesetzt wurden. Anstatt aber z.B. die betreffenden Szenen mit einem schwarzen Balken abzudecken und den Spielern so doch noch die Gelegenheit zu geben, die interaktiven Missionselemente kennenzulernen, gibt es eine Einblendung: Eine denkende Statue vor den Sternen der Europäischen Union, während im unteren Drittel ein Text mit einer halbherzigen Entschuldigung beginnt und dann beschreibt, was in der Szene eigentlich passiert wäre - schwach! Macht es von mir aus nicht-interaktiv, sprich: spielt eine Cutscene ein. Alles wäre besser als das. Zumal sich mir auch nicht die Gründe erschließen. Man darf als Gnom durch das Schlafzimmer der koitalen Eltern huschen, man darf auf dem Klo seinen Darm entleeren und das Ergebnis in sein Inventar aufnehmen, damit man es später auf Gegner werfen kann, man darf sogar durch den Darm von Mr. Slave spazieren und dort über allerlei absonderliches Sex-Spielzeug stolpern – aber bei den angesprochenen Schnitten fühlt sich ein Bürokrat oder religiöser Würdenträger auf den Schlips getreten?
Wie im TV
Doch worum geht es? Man schlüpft in die Rolle eines neu zugezogenen Knirpses, der offensichtlich und sehr zur Freude seiner Eltern an Amnesie leidet und der sich zudem entschieden hat, stumm zu bleiben. Frisch in das neue Haus eingezogen, wird er aufgefordert, nach draußen zu gehen und sich ein paar Freunde zu suchen.
Rundenbasiertes Action-Rollenspiel
Und bevor man sich versieht, läuft in bester South-Park-Manier alles aus dem Ruder: Außerirdische tauchen auf, man muss nicht nur gegen Elfen, sondern auch gegen Zombie-Nazis, Gnome, das US-Militär oder wilde Tiere kämpfen. Die Geschichte überrascht dabei immer wieder mit Wendungen, die im Rahmen des absurden Humors nicht nur Sinn ergeben, sondern nahezu perfekt ausgebaut bzw. erklärt werden und auf einen Showdown hinauslaufen, der den Namen wahrlich verdient. Die Auseinandersetzungen laufen dabei rundenbasiert ab, auf der einen Seite der namenlose Held und ein frei wählbarer Helfer (ich habe mich meist für Butters als heilenden Paladin entschieden), auf der anderen Seite bis zu sechs Gegner. Allerdings sollte man vorher schauen, ob man die Umgebung in irgendeiner Weise beeinflussen und durch Interaktion wie Stromschläge etc. Feinde im Vorfeld ausschalten kann, um die Feindesgruppe zu klein wie möglich zu halten.
Doch anstatt den Spieler ganz klassisch seine Auswahl treffen zu lassen und ihn ab diesem Moment zum passiven Zuschauer zu machen, während im Hintergrund Ergebnisse ausgewürfelt werden, hat sich Obsidian für einen aktiven Weg entschieden: Inspiriert von Handheld-Titeln wie der Mario-und-Luigi-Serie werden ausnahmslos jede Angriffsaktion sowie alle Verteidigungen von einem Reaktionstest begleitet. Je nach Situation im richtigen Moment geklickt, gedreht oder auf Knöpfe gehämmert, setzt nicht nur ggf. Bonuselementarattacken (im Idealfall mit Schaden-über-Zeit) frei, sondern vergrößert generell den erzielten Schaden. In der Verteidigung wird durch gutes Timing der Abzug der Lebensenergie minimiert, wobei das Zeitfenster von Angreifer zu Angreifer variieren kann. So kann man sich nie zurücklehnen. Man ist nicht nur ein aktiver Bestandteil der Auseinandersetzungen, sondern ein starker Einflussfaktor, so dass die Immersion in den Kämpfen deutlich höher liegt wie bei ähnlich gelagerten Titeln à la Lords of Magic oder zahlreichen Taktik-Rollenspiele aus dem japanischen Raum. Einzig die Benutzung von Heilgegenständen läuft ohne zusätzliche Aktion ab. Bedingt durch das überschaubare Angriffsspektrum sowohl der eigenen Figuren als auch der Gegner erreicht man zwar irgendwann eine bestimmte Routine, doch auf die faule Haut legen kann man sich nie.
Entwicklung: eingeschränkt, aber umfangreich
Die findet über die angelegte Ausrüstung statt. Es gibt dutzende Waffen und Outfits, die man finden oder kaufen kann und deren Einzelteile die Statistikwerte massiv beeinflussen können. Mehr noch: Manche Aufgaben lassen sich nur in bestimmten Kostümen lösen. Zwar entstehen dadurch keine all zu komplizierten Kopfnüsse, da zumeist klar kommuniziert wird, was man nun benötigt, doch für Abwechslung ist dadurch dennoch gesorgt. Zusätzlich kann man an vielen Waffen und Klamotten ein oder zwei (jederzeit austauschbare) Modifikatoren anbringen, die das Angriffs- oder Verteidigungsverhalten beeinflussen. Nur kosmetisch wirken sich die Perücken, Brillen und "Gesichtsmodifikationen" aus, die von Augenringen bis Tätowierungen reichen. Der enormen Auswahl, die man letztlich zur Verfügung hat, um sein southparkisches Alter Ego zu individualisieren, wird die Benutzerführung im Inventar allerdings nicht gerecht. Wenn man die Kommode in seinem Zimmer nicht in regelmäßigen Abständen nutzt, um nicht (mehr) benötigte Beute oder Ausrüstung abzulegen oder diese nicht verkauft, muss man mitunter lange durch das Inventar tigern, bis man das gefunden hat, was man sucht. Das hätte eleganter gelöst werden können, ist aber nur ein kleines Störfeuer, das gelöscht wird, sobald Der Stab der Wahrheit seinen Humor und die durch das perfekt umgesetzte Artdesign gebildete Atmosphäre ausspielt.
Methanisierung
Auch wenn für mich South Park als Serie erst dann zur Hochform aufläuft, wenn man die Pfade von Pennäler- oder Fäkal-Humor verlässt und sich Richtung Gesellschaftskritik bewegt, sind die "schmutzigen" Witze natürlich ein großer Bestandteil des Erfolges. Und dem wird hier auch Rechnung getragen. Nicht nur in Momenten wie folgendem: Man jagt in Gnom-Größe einer Gruppe anderer Gnome durch das Schlafzimmer der Eltern hinterher, die gerade in verschiedenen Positionen ihrem Paarungsritual nachgehen und muss dabei sogar aufpassen, nicht von dem hin und her schwingenden Gemächt des Vaters erschlagen zu werden. Auch mit der Magie kehrt man zu den Furz-Wurzeln (Furzeln?) der Serie zurück: In diesem Rollenspiel besteht Magie aus den bei der Verdauung entstehenden Methan-Gasen, die kanalisiert und auf die Gegner gerichtet werden - natürlich mit ähnlichen Timing-Anforderungen wie die Standard- oder Sonderangriffe.
Eventuell hat man auch dann erst die Gelegenheit, eine der zahlreichen Nebenmissionen zu Ende zu führen, die häufig nicht nur einen neuen Ausrüstungs-Aufsatz mit sich bringt. Denn es kann auch passieren, dass man eine "Beschwörung" als Belohnung bekommt. Das bedeutet, dass man die jeweiligen Charaktere einmal pro Tag rufen kann, um einen im Kampf zu unterstützen - wobei sie bei Bossen klein beigeben. Doch wenn einen ein Zombienazi-Trupp bis kurz vor den Tod geführt hat und der Paladin neben einem schon bewusstlos am Boden liegt, ist die Beschwörung ein probates Mittel. Und wenn z.B. Jesus mit einem schweren MG die Gegner niedermäht, wird auch hier der Geist von South Park perfekt erfasst.
Nichts ist heilig
South Park nimmt kein Blatt vor den Mund - so weit ist das keine Überraschung. Doch was Obsidian zusammen mit Parker & Stone an direkten Anspielungen, versteckten Andeutungen und Easter Eggs auch abseits der Serieninhalte auffährt, ist enorm. Im Fotoshop sind Bilder mit Ereignissen aus TV-Folgen zu sehen. Man trifft Al Gore, der weiterhin auf der Jagd nach dem Mannbärschwein ist.
Auch die 16-Bit-Erforschung Kanadas mit klassischer Zelda-ähnlicher Draufsicht und Midi-Sounds darf als satirische Verbeugung verstanden werden. Selbstverständlich wurden die Kanadier der Serie entsprechend nachgebildet und man kann im Hintergrund immer wieder „Blame Canada“ aus dem Film „South Park: Bigger, Longer and Uncut“ vernehmen - sehr schön und für Fans ein nettes Erlebnis! Ein weiteres Beispiel für die Anspielungen: Die Nazis sprechen nicht nur Deutsch (manche mit österreichischem Dialekt), sondern lassen beim Tod auch ab und an mal ein "Mein Leben" von sich, das natürlich eine direkte Anspielung auf einen Shooter von id Soft ist.
Update 28.03.: Der PC als Maß aller Dinge
Die fehlerhaften Master-Versionen wurden ausgetauscht, die neue Produktions-Charge ist im Handel und damit ist auch die PC-Fassung von Der Stab der Wahrheit endlich über Steam spielbar. Zwei Sachen fallen auf. Erstens: Obwohl ich auf Konsolen South Park bereits gerettet hatte, nahmen mich der unnachahmliche Humor, die Story sowie die darauf abgestimmten Mechaniken sehr schnell wieder gefangen. Die Steuerung ist auch am Rechner akkurat, die Kulisse wirkt dank höherer Auflösung noch authentischer als auf PS3 oder 360. Zwar gab es in seltenen Momenten beim Wandern durch die Stadt leichte Bildratenprobleme. Doch für eine mögliche Abwertung waren diese letztlich zu irrevelant.
Fazit
Ein wesentliches Merkmal, das für mich die Qualität eines Lizenzspiels ausmacht, ist das Funktionieren der Mechaniken auch ohne den großen Namen. Und das ist beim Stab der Wahrheit zweifellos der Fall: Das semiaktive Rundenkampfsystem mit seinen Anleihen bei Mario & Luigi funktioniert ebenso gut wie die Personalisierung der Figur über die Ausrüstung. Noch besser wäre es allerdings, wenn man die mit einem kämpfenden Kameraden ebenfalls nach seinen Wünschen gestalten oder man mehr Auswahl bei den Fähigkeiten hätte. Oder wenn die Technik nicht immer wieder zicken würde. Dennoch geht der merkwürdige Widerspruch "Action-Rollenspiel mit Rundenkämpfen" vollkommen auf. Wenn man nun auf ein funktionierendes System wie dieses eine Lizenz wie South Park stülpt, ist das Ergebnis schlichtweg grandios: Dank tatkräftiger Unterstützung der Serienmacher sieht dieses Abenteuer so aus und klingt auch wie eine überlange Folge der Kultserie. Der Humor mit all seinen Provokationen, seiner Satire, seinen Fäkalwitzen, aber vor allem auch seinen gesellschaftskritischen Ansätzen wurde punktgenau erfasst. Immer wieder ertappt man sich beim Lachen, um kurz darauf festzustellen, dass es einem angesichts der Aktionen oder Dialoge auf dem Bildschirm im Halse stecken bleibt. Dass die europäische Version von abstrusen Schnitten getriezt wird, ist ärgerlich und lässt alle Fans zur PC-Fassung greifen, die alle Szenen beinhaltet und nur auf verfassungsfeindliche Symbole verzichtet. Doch egal ob auf Konsole oder am Rechner: South Park - Der Stab der Wahrheit ist für mich eine der besten Lizenz-Umsetzungen der letzten Jahre.
Pro
Kontra
Wertung
360
Auch wenn technische Mankos und absurde Schnitte den Gesamteindruck trüben: Die Suche nach dem Stab der Wahrheit ist ein provokantes Erlebnis, das von Anfang bis Ende zu unterhalten versteht.
PC
Dank weitgehend ungeschnittener Inhalte kann sich die ansonsten inhaltsgleiche PC-Version vor den Konsolenfassungen platzieren.
PlayStation3
Auch wenn technische Mankos und absurde Schnitte den Gesamteindruck trüben: Die Suche nach dem Stab der Wahrheit ist ein provokantes Erlebnis, das von Anfang bis Ende zu unterhalten versteht.
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