4P: Herr Poe, in Zeiten von PISA und Küblböck steht die klassische Literatur hierzulande etwas im Abseits. Könnten Sie sich daher kurz vorstellen?
E.A. Poe: Selbstverständlich. Mein Name ist Poe, Edgar Allan Poe. 1809 in Boston geboren, in England zur Schule gegangen, in Virginia studiert - leider ohne Abschluss. Danach habe ich einige Jahre in West Point beim Militär gedient und meine ...
hüstel... Cousine geheiratet. Der elende Rest ist bekannt: Als Journalist und Erzähler habe ich mir bis 1849 vollkommen verarmt die Seele vom Leib geschrieben.
4P: Aber die Nachwelt haben Sie reich beschenkt: Man denke an Ihr grandioses Gedicht "Der Rabe" oder die Novelle "Der Untergang des Hauses Usher"! Sie gelten als Erfinder der Detektivgeschichte und Meister der Schauerliteratur!
Das Schloss Black Mirror zeigt sich in altenglischer Spukidylle. Die 2D-Statik wird durch bewegte Zweige, Regen und animiertes Wasser aufgelockert.
E.A. Poe: Alles schön und gut, aber ihre Schmeichelei kommt zu spät. Zu Lebzeiten hat mir mein Schrieb keinen Penny eingebracht! Der Tod meiner Frau hat mich in einen Abgrund voller Grüner Feen [Herr Poe sprach dem hochprozentigen Absinth zu, der aufgrund seiner Farbe auch "Grüne Fee" genannt wurde; Anm. d. Red.] und Suizidgedanken gestürzt. Wie ein Bettler bin ich in Baltimore vor die Hunde gegangen…
4P: Wieso haben Sie sich bereiterklärt, für uns ein neumodisches Computerspiel wie Black Mirror zu testen?
E.A. Poe: Eine dumme Frage. Erstens vegetiere ich seit mehr als 150 Jahren im Reich der Toten und vertreibe mir die Zeit am liebsten mit Adventures und Rätseln. Zweitens hat mich dieses Spiel magisch angezogen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Alleine der Untertitel "Der dunkle Spiegel der Seele" weckt bittersüße Erinnerungen. Meine Neigungen und Triebe, die
prima mobilia meiner körperlosen Menschenseele, haben mich an den Zauberschirm gefesselt.
4P: Interessant, aber zurück zum Thema: Was unterscheidet Black Mirror denn von anderen Adventures? Es ist doch auf den ersten Blick ein typisches Point&Click alter Schule.
E.A. Poe: Unsinn! Es ist nicht so albern wie
Tony Tough . Es ist nicht so langweilig und bunt wie
The Westerner . Es ist nicht so ekelhaft charmant und neumodisch wie
Baphomets Fluch . Nein, dieses Schmuckstück aus Tschechien ist ernst, morbide und humorlos. Es ist voller verräterischer Herzen. Genau das hat meine konservativen Knochen an die Maus gelockt.
4P: Sie haben in letzter Zeit fleißig gespielt – Respekt! Aber technisch angestaubt ist es schon, oder? Keine pompöse 3D-Grafik, träge Animationen…
Auch ein kleines Dorf gehört zu den zahlreichen Örtlichkeiten, die im Laufe des Abenteuers zugänglich sind. In der Taverne darf Samuel Gerüchten lauschen.
E.A. Poe: Ja, die Herren bewegen sich lethargisch, fast schon wie die Scheintoten. Aber die Künstler haben liebevolle Zeichen- und Kolorisierungsarbeit geleistet und entführen mich an malerische Schauplätze, die mich an meine Kindheit in Schottland und England erinnern - egal ob kaltes Irrenhaus, überwucherte Friedhöfe, schauriger Druidenhain oder verschlungene Gewölbe. Und dann diese Urgewalten: Blitze zucken, Donner grollt und Regen prasselt – wunderbar!
4P: Gut, die Kulisse ist tatsächlich edel und stimmungsvoll. Und ab und zu sorgen Wettereffekte für Abwechslung. Gibt es denn gar nichts an der Optik auszusetzen?
E.A. Poe: Zugegeben, es gibt kleine stilistische Inkonsequenzen wie z.B. das Gemälde von Ludwig II. (was soll ein schwärmerischer Bayer in einem englischen Herrenhaus?) oder das anachronistische Porträt des Ahnherren, das eher an einen Zauberer als an einen mittelalterlichen Lord erinnert. Aber das sind nur kleine Ungereimtheiten, die mit der Zeit im stilvollen Gesamtbild untergehen. Diese Stille, die gedämpfte Atmosphäre, die bedächtigen Dialoge, das Ticken der Uhr…als wäre die Zeit stehen geblieben. Und man darf nicht vergessen: Die Schauplätze verändern sich mit der Zeit, alles wird beklemmender, Figuren verschwinden im Strudel…