Im Test:
"YOU'RE DEAD! R TO RESTART!"
Einen Killer zu verkörpern ist im Spielebereich keine Seltenheit - Hitman, Modern Warfare 2 oder Postal stecken einen gerne mal in den falsch gepolten Körper eines Serienmörders. In Hotline Miami hat der Mörder kein Gesicht, oder zumindest keines, das man erkennen könnte. Man sieht alles von oben, in grober Pixel-Optik, alle Einsätze werden unter der Anonymität einer Tiermaske geführt: Tiger, Hahn, Frosch, Einhorn oder Affe verleihen spezielle Eigenschaften; mal startet man mit dem Schrotgewehr, mal werden die Schüsse leiser, mal gehen die Exekutionen schneller von der Hand. Am Anfang ist auch alles noch einfach und übersichtlich: Feind hier, Baseballschläger da, die Kombination aus beidem färbt den Quasi-VGA-Boden blutrot.
Eine simple, blöde Gewaltorgie? Ja. Aber nur, wenn man das möchte. Man kann sie so spielen, man kann jeden Raum mit dem MG voran stürmen, und in manchen Fällen wird man mit dieser Methode auch Erfolg haben. In den meisten aber nicht. Denn jeder Treffer ist ein Kill - das gilt sowohl für den Mörder als auch seine Gegner.
Nein, ernsthaft: Interessant wird Hotline Miami dadurch, dass man es wie einen Schleich-Shooter spielen kann und auch sollte. Durch die weite Vogelperspektive hat man einen guten Überblick über das aktuelle Stockwerk, man kann ein Stück weit in alle Richtungen scrollen und somit die Zahl und aktuelle Bewegung der Feinde analysieren. "Aktuelle" deswegen, weil die Gegner nicht festgelegten Routen folgen, sondern frei durch die Räume laufen, ein bisschen wie Ratten im Labyrinth. Man bleibt hinter einer Tür stehen, wartet darauf, dass das erste Opfer vorbei kommt, schmettert ihm das Holz ins Gesicht, springt auf seinen leblosen Körper und drischt seinen Kopf zu Matsch. Wie geht’s weiter? Schnappe ich mir seine Shotgun? Die hat eine gute Reichweite, macht aber einen Höllenlärm - das bedeutet das Risiko, dass man es auf einmal mit einer Übermacht zu tun bekommt. Wird man entdeckt, wird man gnadenlos bis zum Ende verfolgt, es gibt keine "Aus den Augen, aus dem Sinn"-Blödheit der anderen. Also doch lieber das Messer, den Baseballschläger oder die Brechstange?
"YOU'RE DEAD! R TO RESTART!"
Macht man einen Fehler, ist es vorbei. Die Taste "R" wird in Kürze so blankgewienert wie ein Fabergé-Ei sein. Wie bei Super Meat Boy oder Trials HD geht es nach dem Fehlversuch direkt weiter, ein Druck auf "R" befördert einen zum Start des aktuellen Stockwerkes zurück. Zack, zack, zack, keine Pausen, keine Gelegenheit, das Adrenalin runterblubbern zu lassen. Beim Neustart bleiben die Räumlichkeiten zwar gleich, aber alles andere ändert sich leicht: Die Feinde bewegen sich etwas anders, haben andere Knarren. Nie ist alles gleich, man kann sich keinen Plan zurechtlegen, den man sklavisch abarbeitet. Man kämpft sich von Widersacher zu Widersacher vor, ist über jeden kleinen Erfolg glücklich und schreit den Monitor an, wenn man vor dem letzten Drecksack auf der Etage steht und die schallgedämpfte Pistole nur noch leise klickt - Scheiße, wie konnte ich das übersehen?
35 Waffen. Kombo-Kills. Dicke, neonfarbene Punktezähler, auf die Jeff Minter stolz wäre, schweben über den Kopfresten der Feinde. Der Elektro-Soundtrack pumpt und pumpt. Außer wenn das Stockwerk sauber ist. Dann gibt es nur Ruhe und die eigenen Schritte auf dem Boden, während man zurück zu seinem DeLorean läuft, um die Mission abzuschließen. Danach der Besuch in einem Supermarkt. Ein kurzes, nettes, belangloses Gespräch mit dem Verkäufer. Eine Pizza für das Abendmahl. Ruhe. Dann die nächste Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Hotline Miami ist schnell. Verdammt schnell. Eine Rasanz, an die man sich erst gewöhnen muss. Sehr praktisch ist, dass man einen einzelnen Gegner markieren kann, woraufhin der Killer sich automatisch auf ihn ausrichtet. Die Steuerung ist einfach und präzise, leider gibt es (noch) keine Gamepad-Unterstützung. Und ich bin kein Fan der Markierung per Klick auf das Mausrad. Der Soundtrack geht ab. "YOU'RE DEAD! R TO RESTART!"
Fazit
Der erste Blick auf Hotline Miami bewirkte bei mir große Freude darüber, dass meine Zeitmaschine endlich funktioniert und ich exklusiv einen Blick auf die Alpha-Version des ersten Grand Theft Auto werfen durfte. Die grobe Pixel-Präsentation ist... gewöhnungsbedürftig. Und das aus dem Keyboard einen nachweislichen Retro-Liebhabers. Aber hier ist die krude Kulisse Mittel zum Zweck, sie passt hervorragend in das absurde Design und ergibt in Kombination mit dem minimalistisch, aber doch nachhaltig pumpenden Soundtrack eine ebenso ungewöhnliche wie unheimliche Atmosphäre. Das Spiel könnte man zunächst als plumpe Schlachtplatte abtun, ein Alien Breed ohne Aliens. Und genau so kann man es auch spielen. Aber seine eigentliche Wirkung entfaltet es nur, wenn man nach den Regeln spielt, wenn man Türen in Gesichter stößt, am Boden liegende Köpfe zerschmettert und ein Stockwerk Schrittchen für Schrittchen von den namen- und gesichtslosen Feinden säubert. Es hat etwas von Postal, ist dabei aber deutlich taktischer - wenn man es möchte. Und es ist fies, das "One Hit, One Kill"-Spielprinzip ist ähnlich garstig wie bei Super Meat Boy: Versuch, Scheitern, Versuch, Scheitern, Versuch, Scheitern, Versuch, Scheitern... bis irgendwann endlich alles so funktioniert, wie man es eigentlich geplant hat. Und dann doch noch einer um die Ecke kommt, der ein gut geöltes Schrotgewehr hat. Okay, dann eben noch mal. Hat man den Level dann nach einer halben Stunde mal geschafft, fühlt man sich frei. Oder bereit für einen echten Mord, nämlich den an den vollkommen durchgeknallten Entwicklern! Man kann dieses Spiel abgöttisch lieben. Man kann es in verschiedene Höllen verdammen. Aber eines kann man nicht: Mit den Schultern zucken und es einfach abhaken.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Wahnwitz und Anarchie, drastische Gewalt und Stealth-Taktik - alles verpackt in absurden Mengen Pixelblut und Psychedelic-Electro. Ein ungewöhnliches, aber auch frustrierendes Erlebnis.
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