Endless Space30.07.2012, Benjamin Schmädig
Endless Space

Im Test:

Der Weltraum, unendliche Weiten. Stimmt schon, diese Einleitung müffelt nach Shatneritis im Endstadium. Aber wenn ein Spiel schon mal "Unendliches Weltall" heißt... Genauer gesagt ist das größte Spielfeld etwas mehr als 100 Planeten groß - genug Platz, damit acht Völker entstehen, zu Hochkulturen reifen und um die Vorherrschaft ringen können!

4X

Das unscheinbare Kürzel steht für eXplore, eXpand, eXploit, eXterminate, oder zu Deutsch: entdecken, ausbreiten, ausbeuten, auslöschen. Es sind Spiele in der Tradition von Master of Orion - zuletzt durch Sins of a Solar Empire vertreten. Anders als der in Echtzeit laufende Krieg, folgt Endless Space (ab 29,99€ bei kaufen) allerdings der klassischen Formel und erobert ähnliche wie Galactic Civilizations das All im Rundentakt. So entwickelt man den Heimatplaneten, besiedelt weitere Sonnensysteme, forscht und nutzt die Erkenntnisse zum Ausbau von Wirtschaft oder Militär. Irgendwann entdeckt man andere Völker und geht diplomatische Beziehungen ein - es sei denn, man trachtet nach dem Blut der Kontrahenten...

Aber kann man sich den Krieg überhaupt leisten? Dreh- und Angelpunkt jeder Expansionspolitik ist die Balance zwischen stetem Geldfluss und gleichzeitigem Zuspruch der Bevölkerung sowie das Gleichgewicht zwischen dem Erforschen stärkerer Technologien und dem Aufbau von Infrastruktur oder Militär. Schon allein, weil es vier Ressourcen gibt, deren Ein- und Ausgang aneinander gekoppelt sind, fordert Endless Space viel Übersicht und sinnvolle Planung.

Luftig-leichtes Schwergewicht?

Mit jedem Klick fällt dabei vor allem eins ins Auge: die ausgezeichnete Benutzerführung. Ich kenne kein ähnlich umfangreiches Strategiespiel, das jederzeit den vollen Überblick über alle wichtigen Aspekte bietet, während jede Aktion so leicht zu erreichen ist. Nur

Dank der hervorragenden Benutzerführung behält man selbst in großen Imperien stets den Überblick.
Dank der hervorragenden Benutzerführung behält man selbst in großen Imperien stets den Überblick.
Kleinigkeiten fallen auf; u.a. sehe ich nicht, welchen Wert die Güter eines mir angebotenen Handelsvertrags haben. Aufgrund sehr kleiner Symbole ist es außerdem schwierig, große Flottenbewegungen zu koordinieren - es fehlt die Möglichkeit, direkt auf der Galaxiekarte zum nächsten verfügbaren Schiff zu springen. Abgesehen davon legt das Menü aber eine wundervoll transparente Folie selbst über komplexe Vorgänge!

Fairerweise muss man dabei in Betracht ziehen, dass es sich Endless Space vergleichsweise einfach macht: Immerhin verzichtet es auf das Verwalten von Kleinigkeiten. Zum Schutz eines Sonnensystems errichte ich z.B. keine Geschütztürme, Flakstellungen, Schildgeneratoren oder andere Anlagen auf einzelnen Planeten, sondern erhöhe einfach den systemweiten Verteidigungswert. Endless Space spiegelt die Dynamik des politischen und wirtschaftlichen Wechsels sehr überzeugend wider - die Weltraumeroberung mit den meisten Bauteilen ist es eindeutig nicht.

Ein kleiner Schritt für die Hissho...

Alles beginnt in einem Sonnensystem mit nur einem bevölkerten Planeten... nein, eigentlich beginnt es schon vorher, wenn ich aus acht Völkern meine Herkunft wähle oder mir meine ganz eigene DNS erstelle. Vorzüge und Nachteile wie flinke Flottenbewegungen, ein schneller Geldfluss oder höhere Kosten beim Bau neuer Schiffe kann ich nach Belieben gegeneinander abwägen. Unterm Strich darf nur die vom Spiel errechnete Stärke des neuen Volkes nicht zu hoch sein. Für meine aktuelle 4X-Expansion hatte ich mich allerdings für die vorhandenen Hissho entschieden, deren Vorzüge im Aufbau einer mächtigen Streitmacht

Unendliche Weiten... und selbst manche Raumschiffe wirken seltsam vertraut.
Unendliche Weiten... und selbst manche Raumschiffe wirken seltsam vertraut.
liegen. Wissenschaftlich dümpeln die Herren Kampfmeister dafür vor sich hin - hier würde ich gegensteuern müssen, wenn ihr Technologiestand nicht ins Hintertreffen geraten soll. Nicht zuletzt könnte ich mit wenigen Handgriffen einer Mehrspieler-Partie beitreten oder selbst ein Spiel eröffnen.

Ich bewohne also einen Planeten, kann bereits Siedlerschiffe aussenden und müsste forschen, um unwirtliche Planeten meines und anderer Sonnensysteme bewohnbar zu machen. Mehr Bewohner bedeutet immerhin mehr Geld, mehr Industrie, mehr Wissenschaft und mehr Nahrungsmittel. Von ihnen und ihrer Verfassung hängt das Schicksal des gesamten Reiches ab: Mit genug Nahrungsmitteln wächst die Bevölkerungszahl, Wissenschaft benötige ich für die Forschung und Industrie zum Bau von Einheiten sowie planetaren Verbesserungen. Auch hier muss ich keine Einrichtungen bauen lassen, denn die Ressourcen vermehren sich von selbst. Per Hand kann ich lediglich einen Teil der Arbeitskraft in Wissenschaft oder Geld umlenken.

Geld, Dust genannt, spielt eine ungewöhnliche Rolle, weil es nicht für Produktionsprozesse aufgewendet wird. Durch die Zahlung hoher Beträge kann ich das Ende einer Herstellung oder den Abschluss einer Forschung zwar auf den Beginn der kommenden Runde verkürzen und jedes Schiff, jeder Held, sogar jede planetare Verbesserung kostet Unterhalt. Abseits davon dient Dust aber nur für spezielle Ausgaben wie das Aktivieren der Spezialfähigkeiten der Helden oder das Überholen technisch veralteter Raumschiffe. Die Aufteilung ist

Mit Dust wird nicht nur das finanzielle Fundament bezahlt - die Währung beschleunigt auch Forschungs- und Produktionsprozesse.
Mit Dust wird nicht nur das finanzielle Fundament bezahlt - die Währung beschleunigt auch Forschungs- und Produktionsprozesse.
ungewöhnlich, die Wirkung dafür umso spürbarer. Immerhin sichert Dust nicht nur das finanzielle Fundament, sondern gleicht im Notfall fast im Handumdrehen schwache Produktionskreisläufe oder militärische Schwächen aus.

Heroes of Might and Money

Ein weiteres Zünglein an der Waage sind Helden, deren Unterhalt ich ebenfalls bezahlen muss. Diesen Preis sind die Figuren allerdings allemal wert, weil sie als Administratoren sowohl die Produktionsleistung als auch die Zufriedenheit eines Sternensystems deutlich steigern können, während sie als Admiräle ihren Flotten mehr Stärke verleihen. Nicht zuletzt setzen sie im Kampf defensive oder offensive Fähigkeiten ein, die ebenfalls Dust kosten. Ganz wichtig ist die Entwicklung der Helden, denn immer wenn sie eine höhere Stufe erreichen, darf ich eine ihrer Fähigkeiten stärken. Das können Angriffs- oder Verteidigungswerte ihrer Schiffe sowie Boni für Wirtschaft oder Industrie sein. Gerade im Kampf lernen die Helden schnell dazu - so werden früh einberufene Flottenführer bald zu wichtigen Drahtziehern im galaktischen Konflikt.

Und tatsächlich ist es meist der Kampf, über den das Spiel entscheiden wird. Ich darf zu Beginn zwar viele unterschiedliche Siegbedingungen an- und abwählen, so dass mich auch oder alleine der Aufbau einer mächtigen Allianz zum mächtigen Herrscher machen kann. Doch selbst Diplomaten müssen eine starke Flotte aufbauen! Die nicht vorhandenen aktiven Verteidigungsanlagen sorgen nämlich dafür, dass feindliche Schiffe jederzeit in mein Reich eindringen können, um jedes beliebige System zu attackieren. Und weil schwache Kriegsschiffe selbst auf eigenem Boden praktisch keine Chance gegen starke Angreifer haben, ist der Verlust ganzer Sonnensysteme meist nur eine Frage der Zeit. Wenn ich wenigstens Alliierte um Hilfe bitten könnte! Aber selbst langjährige Verbündete kommen einem Partner nicht zu Hilfe.

Gekaufte Zufriedenheit

Nein, die Diplomatie ist nicht das Glanzlicht dieser unendlichen Weiten. Vielmehr ist es profanes Werteverschieben, wenn ich Dust gegen Mineralien tausche oder einen Nichtangriffspakt mit der Herausgabe wissenschaftlicher Erkenntnisse bezahle. Mir fehlt das Feilschen, wenn ich die angezeigte "Waage" lediglich mittig einpegeln muss oder zugunsten meines Partners ausschlagen lasse. Der zahlt noch dazu absurd hohe Beträge,

Der Diplomatie fehlt die Dynamik glaubwürdiger politischer und wirtschaftlicher Verwicklungen.
Der Diplomatie fehlt die Dynamik glaubwürdiger politischer und wirtschaftlicher Verwicklungen.
solange sie seine Dust-Reserven nicht übersteigen. Eine Persönlichkeit, die etwa partout nicht mit sich handeln lässt, dafür aber loyal bis in den Tod bleibt, entdeckt man in keiner der Fraktionen. Bestechung oder Intrigen gibt es nicht. Jede Partei hegt zwar Vorlieben und Abneigungen gegenüber anderen Teilnehmern, am grünen Tisch werden aber nur absolute Werte gegengerechnet.

Ich vermisse außerdem ein Eigenleben meiner Bevölkerung. Obwohl die nämlich mit Streik auf eine unzumutbare Situation reagiert - etwa bei hohen Steuern, der Besiedelung unwirtlicher Planeten oder fehlenden Nahrungsmitteln - so vermisse ich Bürgerkrieg und Rebellion. Noch dazu kann ich fast jeden Missstand mit einer großen Menge Dust fast umgehend beseitigen, indem ich die Entwicklung des betroffenen Systems binnen einer Runde um Jahrzehnte nach vorne katapultiere. Das ist natürlich praktisch, inhaltlich in diesem Ausmaß aber unsinnig.

Nichts wie weg!

Schwächen offenbart auch der taktische Kampf beim Aufeinandertreffen feindlicher Verbände, denn auf spannendes Einheiten-Verschieben verzichtet Endless Space. Stattdessen wird das Gefecht automatisch abgespult, wobei es drei Phasen durchläuft: In der ersten richten Raketen den größten Schaden an, in der zweiten die Strahlungswaffen und im "Nahkampf" schließlich die Kurzstreckengeschosse. Die richtige Zusammenstellung von Verbänden kann daher eine entscheidende Rolle spielen; Schwächen darf man ähnlich wie in Magic: The Gathering durch das Ausspielen von Karten kompensieren. So wähle ich in jeder Runde, welche Fähigkeit gestärkt werden soll, wobei jede Karte gleichzeitig einen anderen

Die selbstlaufenden Gefechte bieten viel zu wenige taktische Freiräume.
Die selbstlaufenden Gefechte bieten viel zu wenige taktische Freiräume.
Aspekt schwächt. Manche Karten blockieren gar die vom Gegner getätigte Wahl. Die Idee ist nett - Inszenierung und vor allem Möglichkeiten zum Eingreifen sind mir allerdings zu bieder. Tatsächlich lasse ich fast jedes Gefecht einfach berechnen. Nur eine Flucht muss ich manuell im Kampf auslösen: Denn bevor ich ein Siedlerschiff an einen aussichtslos überlegenen Angreifer verliere, lasse ich es besser die Schubdüsen in die Hand nehmen.

Richtig gut ist hingegen die Vorbereitung auf den Kampf, sprich die taktische Ausrichtung meiner Flotte. Immerhin darf ich ganze Baupläne von vorn bis hinten in Eigenregie erstellen, indem ich die benötigte Anzahl der gewünschten offensiven und defensiven Module per Hand festlege. Entwickle ich die verbauten Technologien später weiter, kann ich die Blaupausen automatisch aktualisieren, während ich bestehende Flotten gegen eine deftige Summe Dust auf den neuesten Stand bringe - ein ungemein komfortabler Eigenbau! So ist es umso zufriedenstellender, wenn selbst gebaute Schiffe an Erfahrung gewinnen und strategisch wichtige Systeme erobern. Schließlich lagern auf manchen Planeten seltene Mineralien, die ich sowohl zum Bau hoch entwickelter Flotten als auch als wertvolles Handelsgut nutzen kann.

Fazit

Es gibt einen Punkt, an dem sich das unterhaltsame Kleinklein der Planetenverwaltung in ein gleichförmiges Grenzverschieben wandelt: Runde um Runde zieht man dann riesige Flotten über die Grenze, während man eroberten Systemen wie nebenbei wichtige Verbesserungen verpasst. In diesen Momenten offenbart Endless Space seine größten Stärken und Schwächen: Mit wenigen Klicks verwalte ich ein ganzes Imperium, verschiebe meine Untertanen wie ein gewiefter Stratege seine Schachfiguren - so könnte im besten Sinne die vermutlich übersichtlichste Tabellenkalkulation auf diesem Planeten aussehen! Sie führt eng verwobene Zusammenhänge zwischen Ressourcen, Verwaltung und Expansion übersichtlich zusammen und lässt mich spielend Einfluss nehmen. Der Nachteil: Es fehlen interessante Kleinigkeiten, wenn man lediglich globale Verbesserungen entwickelt oder allgemeine Module verbaut - in der Tiefe fehlt die Vielfalt eines Galactic Civilizations. Die starre Diplomatie sowie die taktisch oberflächlichen Gefechte schränken die kriegerische Expansion zusätzlich ein. Gewieften Strategen fehlt hinter der überraschend guten Oberfläche deshalb das entscheidende Bisschen Handlungsspielraum.

Pro

umfassende Simulation strategischer Expansion
hervorragende, ausgesprochen übersichtliche Benutzerführung
ausführliches Tutorial
wenige, starke Helden können entscheidenden Einfluss nehmen
Erstellen eigener Flotten
umfangreiche Forschung
vielseitig anpassbare Siegbedinungen
freies Kreieren neuer Völker
automatisches Speichern der fünf letzten Züge
unkompliziertes Erstellen von Mehrspieler-Partien

Kontra

taktisch uninteressante Kämpfe
Innen
und Außenpolitik durch reines Werteverschieben
militärische Entwicklung steht übermäßig im Vordergrund
eintönige Musik und Geräusche, keine Sprachausgabe

Wertung

PC

Umfassende, im Detail aber zu oberflächliche Galaxieeroberung mit hervorragender Benutzerführung.

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