Dyad25.04.2013, Jan Wöbbeking
Dyad

Im Test:

Rund 40 Reize kann das menschliche Bewusstsein pro Sekunde verarbeiten, aber in Dyad prasseln gefühlte Millionen auf den Spieler ein. Ein kleines kanadisches Team stellt die Synapsen seiner Kunden auf eine harte Probe – nach dem PSN-Debüt endlich auch für den PC. Wer im blitzschnellen Farbtunnel überleben will, muss gute Reflexe besitzen.

Bitte knacken sie mit den Synapsen!

Das kann unmöglich euer Ernst sein! Anhalten! Nach Space Giraffe, Rez & Co bin ich einiges gewohnt, aber manche Levels von Dyad lassen mich an der Zurechnungsfähigkeit der Entwickler zweifeln. Zu Beginn eines Levels bewegt sich der Tunnel derart schnell, dass ich nur noch ein leichtes Flackern wahrnehme. Es handelt sich um Gegner, welche mit mehreren tausend km/h als kleine Punkte an mir vorbeizischen. Auch die Wände bewegen sich derart schnell, dass es aussieht, als fliege ich rückwärts. Fast so, als würde ich auf eine flott rotierende Felge schauen. Meine Aufgabe: Innerhalb einer Minute bis zum Stillstand abbremsen.

Also wackele ich meinen Gleiter ein wenig nach links und rechts, um per Zufall ein paar der bremsenden Schutzschilde zu erwischen. Plötzlich werden schemenhaft erste Gegnerketten sichtbar. Sofort versuche ich, mit ihnen zu kollidieren, damit sie mich weiter abbremsen. Geschafft: Jetzt bin ich nur noch gefühlte 2000 km/h schnell und kann die Kollisionen bereits besser einschätzen. Zum Schluss wird es knifflig. Wenn ich nicht oft genug in ein Hindernis krache, erlischt der Schild und verliere beim nächsten Unfall ein Leben.

Knallbunte Wundertüte

Was zum Henker geht hier ab? Damit die Verwirrung nicht zu groß wird, dienen die ersten Levels als behutsames Tutorial.
Was zum Henker geht hier ab? Damit die Verwirrung nicht zu groß wird, dienen die ersten Levels als behutsames Tutorial.
Die Aufgabenstellung ist typisch fürs Spiel. Zu Beginn einer Mission  frage ich mich oft, was zum Henker sich der Entwickler dabei gedacht hat. Dann beginne ich zu experimentieren, meine Technik zu verfeinern und zum Schluss freue ich mich meist über die wahnwitzige aber clevere Idee hinter dem Level. Als Vorbild für Dyad dienten offenbar Titel wie Tempest 2000 oder Brainpipe – sogar eine mit wilden Filtern versehene Hommage an Space Giraffe taucht im Spiel auf.

Im Gegensatz zum sperrigen Einstieg von Jeff Minters Werken führen die Kanadier den Spieler ganz behutsam in die Regeln der Welt ein. Die ersten Levels sind noch sehr einfach gestrickt. Zunächst hangele ich mich vorsichtig durch den Tunnel. Einfach die glühende Leine an Gegnern befestigen und schon bekomme ich eine kleinen Temposchub. Nach und nach erhöhen die Entwickler behutsam die Komplexität.  Erwische ich zwei gleichfarbige Gegner, entsteht zwischen ihnen ein Turbopfeil, welcher mir einen Extraschub verschafft, wenn ich mein Gefährt geschickt dorthin steuere. Auch die stacheligen Biester hinterlassen solch eine Bahn – allerdings erst, nachdem sie eine Attacke auf mich gestartet haben. Andere schneiden sie mit einem tödlichen Laserstrahl in die Röhre.

Schlichtes Design, viele Ideen

Die rosa glühende Zipline funktioniert wie ein Beschleunigungsfeld.
Die rosa glühende Zipline funktioniert wie ein Beschleunigungsfeld.
Auf den ersten Blick sehen die Fantasiewesen schlicht aus – vor allem im Vergleich zum technisch-organischen Detailüberfluss in Child of Eden. Einige Grafikfilter sorgen aber auch in Dyad dafür, dass sich auf dem Bildschirm ein ansehnliches Farbenspiel entfaltet. In den schnellsten Levels bin ich sogar dankbar für das schlichte Design, denn so erkenne ich potenzielle Gefahren früher.

Analog zu den Regeln werden auch die Aufgabenstellungen immer vielschichtiger. Zu Beginn muss ich lediglich möglichst schnell ans Ziel kommen, lange überleben, eine Höchstgeschwindigkeit überbieten oder eine bestimmte Anzahl von Gegner-Pärchen erwischen. Später ist eine geschickte Kombination der Fähigkeiten gefragt. Dazu gehört auch der Lanzenstoß, mit dem ich kurze Zeit lang wie ein Berserker durch meine Feinde schieße. Den Sprit für die Attacke lade ich auf, indem ich markierte Gegner streife. Habe ich einen mit meinem Leuchtstrahl getroffen, breitet er seine Flügel aus und ich kann ein wenig Energie „ernten“, indem ich haarscharf an ihm vorbeigleite.

Keine Zeit für Raum

Wie ein Manta-Rochen: Breitet ein Gegner seine Flügel aus, kann man hinüber gleiten und Boost-Energie sammeln.
Wie ein Manta-Rochen: Breitet ein Gegner seine Flügel aus, kann man hinüber gleiten und Boost-Energie sammeln.
Für Dramatik sorgt auch der experimentelle Soundteppich. Je nach Geschwindigkeit, Lebensenergie und anderen Faktoren plätschern die Synthie-Sounds entspannt vor sich hin oder schwellen bedrohlich an - bis hin zu einem furiosen Finale, welches an einen Hornissenschwarm oder ein ganzes Orchester wild fiedelnder Streicher erinnert. Schade, dass statt 5.1-Surround nur Stereo-Sound ausgegeben wird. Die räumliche Abmischung wirkt dadurch enttäuschend flach und bassarm. Laut Entwickler Shawn McGrath wurde bewusst auf 5.1 verzichtet. Die räumlich verzögerten Töne würden einige der präzise komponierten Mehrklänge durcheinanderbringen, was eine gelungene 5.1-Abstimmung sehr zeitaufwändig gemacht hätte.

Gesteuert wird wahlweise mit dem 360-Controller oder der Tastatur – wobei Ersteres deutlich präziser funktioniert. Wer nach rund drei Stunden die gewöhnlichen Levels gelöst hat, kann sich in jedem davon an einer knackigen, leicht abgewandelten Herausforderung versuchen, um Trophäen abzustauben. Zusätzlich darf man in einer dritten Missions-Variante an ein paar Bildfiltern herumspielen oder man versucht sich an der Punktejagd. Passend zum Arcade-Konzept gibt es weltweite Bestenlisten mit einem Filter für Freunde. Einen Mehrspielermodus oder spezielle Freundes-Herausforderungen wie in Forza Horizon haben sich die Entwickler aber gespart.

Fazit

Was bei Dyad auf dem Bildschirm abgeht, spottet jeder Beschreibung. Wenn man mit Überschallgeschwindigkeit durch den Farbtunnel zischt, wird man regelrecht ins Sofa gepresst und schießt reflexartig durch Gegner und Schild-Symbole. Zum Glück haben Rez und Space Giraffe mich abgehärtet, sonst würde ich vermutlich mit zuckenden Augenlidern in der Zimmerecke kauern. Die einfach designten Gegner sehen nicht so fantasievoll aus wie in den Vorbildern von Minter und Mizuguchi, doch bunte Muster und Grafikfilter sorgen trotzdem für einen stimmungsvollen Farbrausch. Außerdem machen die clever aufeinander abgestimmten Regeln das schlichte Design mehr als wett. Jedes Level besitzt seine eigenen motivierenden Feinheiten. Anders als in Llamasoft-Spielen wird man zu Beginn behutsam an die Materie herangeführt. In der Hitze des Gefechts soll der Spieler schließlich verstehen, was vor ihm herum wuselt - und wie er es am besten für die eigene Beschleunigung nutzt. Lasst euch also nicht von den simplen ersten Aufgaben täuschen – später wird es vor allem in den Trophäen-Missionen richtig anspruchsvoll. Für noch mehr Dramatik sorgt der experimentelle Soundtrack. Schade, dass die Stereo-Abmischung so flach und bassarm klingt. Darüber hinaus gibt es nur wenige Kritikpunkte wie den Umstand, dass es manchmal arg unübersichtlich wird. Freunde psychedelischer Arcade-Action sollten sich Dyad auf keinen Fall entgehen lassen!

Pro

aberwitziger Geschwindigkeitsrausch
hypnotisierendes Farbchaos
motivierende Arcade-Action
viel Abwechslung durch clevere Regel-Variationen
behutsamer Einstieg zum Kennenlernen der Mechanismen
Spannung und Komplexität steigt gleichmäßig an
experimenteller und dramatisch anschwellender Soundteppich
hübsche Farb- und Grafikfilter

Kontra

Reizüberflutung manchmal zu verwirrend
schlicht designte Gegner
flache Sound
Abmischung mit wenig Bass

Wertung

PC

Clever aufeinander abgestimmte Regeln machen Dyad zu einem berauschenden Mix aus Action, Puzzle und Rennspiel.

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