Cognition: An Erica Reed Thriller08.11.2012, Jan Wöbbeking
Cognition: An Erica Reed Thriller

Im Test:

Was wäre, wenn das FBI in die Vergangenheit blicken könnte? Verschwundene Beweise, geflohene Täter, aus dem Weg geschaffte Leichen: All das könnte den entscheidenden Hinweis geben, wenn man am Ort des Verbrechens eine zweiten Blick darauf werfen könnte. Im Adventure Cognition bleibt die Idee kein Gedankenspiel.

Blick in die Vergangenheit

Noch vor dem überwältigenden Erfolg von Tim Schafers Kickstarter-Aktion versuchten sich auch die Phoenix Online Studios an der Schwarmfinanzierung. Bisher hat das kleine Team mit The Silver Lining lediglich ein Fan-Adventure zur King’s Quest-Reihe entwickelt. Für ihr neues Projekt sicherten sie sich dagegen prominente Unterstützung: Krimiautorin Jane Jensen machte die Finanzierung zu einem Erfolg . Zu Beginn der Neunziger wirkte sie an Sierras Gabriel Knight-Reihe mit. Bei Cognition hat sie allerdings nur als „Beraterin“ an Story und Dramaturgie mitgewirkt.

Die Geschichte beginnt mit einem hektischen Prolog. Erica hetzt auf einen Friedhof, um eine Geisel aus den Fängen eines Serienkillers zu befreien. Die dramatische Inszenierung geht aber nach hinten los: Da ich ohne Zeitdruck nach Seitenschneider, Schaufel und anderen Gegenständen suchen kann, passt die aufgekratzte Musik überhaupt nicht und nervt schon nach wenigen Minuten.

Umständliche Handhabung

Zu Beginn sucht die FBI-Agentin auf einem Friedhof nach einem Serienkiller.
Im hektischen Prolog verschlägt es die FBI-Agentin auf einen Friedhof.
Auch die umständliche Steuerung knabbert am Geduldsfaden: Viele Gegenstände wie z.B. die Grufteingänge lassen sich nur in einem bestimmten Bereich anklicken. Als ich in einer Nahansicht die Kamera nach unten bewegen will, finde ich den Pfeil dazu nicht. Kein Wunder, denn die Entwickler haben ihn nicht am unteren Bildrand, sondern in der Mitte des Bildes platziert. Auch das Kombinieren von Gegenständen gestaltet sich dank umständlicher Symbole komplizierter als bei der Konkurrenz.

Nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, funkte die hakelige Bedienung nicht mehr so oft dazwischen. Während des Prologs streckte sie aber die eigentlich leichten Rätsel unnötig in die Länge. Warum überhaupt diese hektische Erzählweise? In einem Film oder Kriminalroman mag das funktionieren, doch hier hatte ich zu Beginn überhaupt keinen Bezug zu den Figuren. Mangels Identifikation war mir ihr Schicksal also noch ziemlich egal.

Wer bist du, John Doe?

Ähnlich wie bei Sherlock Holmes lässt sich das Mordopfer aus der Nähe inspizieren.
Ähnlich wie bei Sherlock Holmes lässt sich das Mordopfer aus der Nähe inspizieren.
Zum Glück gestaltet sich das Spiel danach ruhiger, denn dann konzentriert sich die Handlung auf Ericas Detektivarbeit. Der Fall spielt einige Zeit nach dem Prolog: Erica soll eine mysteriösen Todefall aufklären. Am Ort des Verbrechens wird klar, dass das namenlose Opfer in der Schlinge sich nicht selbst gerichtet hat. Stattdessen wurde es auf makabre Weise über einem Tisch aufgehängt und baumeln gelassen. Ab und zu konnte der arme Unbekannte sich noch mit den Zehenspitzen abstützen, doch nach einem langen Todeskampf gab der Körper nach.

Ähnlich wie in Das Testament Sherlock Holmes-Spielen ist Ericas Aufgabe, Informationen zu sammeln, Zeugen und Kollegen zu befragen und durch Indizien zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Anders als beim englischen Meisterdetektiv gibt es hier keine vorformulierte Liste zum Vervollständigen. Stattdessen mache ich mir auf dem eingebauten Block Notizen. Ab und zu verlangen Gesprächspartner wie ihre Vorgesetzte eine Schlussfolgerung von mir. Sie lässt sich aus mehreren Optionen auswählen: Was führte zum Tod? War es Mord? Was lässt sich aus den Symptomen schließen?

Fluch oder Gabe

Ericas Kräfte in Aktion.
Ericas Kräfte in Aktion.
Nach und nach eröffnen sich in Boston neue Schauplätze wie das Postamt oder eine dunkle Gasse, welche ich per Schnellreise mit dem Auto erreiche. Später bringen auch andere Abteilungen wie die Rechtsmedizin neue Erkenntnisse. Bei einem Besuch werde ich Zeuge davon, wie die Kollegen ein seltsames Artefakt aus der Bauchdecke ziehen. Das Objekt lässt sich mit einem anderen Gegenstand vom Tatort zu einem mysteriösen Spielzeug zusammenbauen. Die gewöhnlichen Inventar- und Dialogrätsel stellen aber keine allzu große Herausforderung an erfahrene Spieler. Wer trotzdem in einer Sackgasse landet, kann Ericas Vater eine SMS schicken und bekommt prompt einen nützlichen Denkanstoß.

Am meisten Spaß macht es, mit den übernatürlichen Fähigkeiten der Agentin herumzuspielen. Klicke ich auf eine Aura, beginnen wichtige Objekte blau zu glühen. Zunächst kann ich mir damit schemenhafte Szenen aus der Vergangenheit anschauen. Später lernt die Heldin, ihre Gabe zu verfeinern. Klicke ich z.B. in der richtigen Reihenfolge auf drei Gegenstände, baumelt plötzlich wieder das blau schimmernde Abbild der Leiche am Strang – obwohl sie in der Realität längst abtransportiert wurde.

Kennen wir uns?

Kennt die sanftmütige Antiquariatsbesitzerin des Geheimnis hinter den Visionen?
Kennt die sanftmütige Antiquariatsbesitzerin das Geheimnis hinter den Visionen?
Dank neuer Erkenntnisse achte ich diesmal auf ganz andere Details. Ein Nachteil an der Technik ist, dass sie Erica körperlich ziemlich stark mitnimmt. Außerdem werden die Visionen ab und zu von finsteren Horror-Bildfetzen unterbrochen. Ob sie mit dem Tod ihres Bruders zusammenhängen? Die Untersuchungen wurden zwar eingestellt, doch für Erica ist dieser sehr persönliche Fall noch nicht abgeschlossen. Im Laufe des Abenteuers entwickeln sich verdächtige Parallelen zu ihren aktuellen Ermittlungen. Als sie das Grab ihres Bruders besucht, trifft sie z.B. auf eine Frau, welche unter einem ähnlichen Schicksal leidet.

Ihr FBI-Kollege John überredet Erica dazu, mit einer Bekannten über ihre Visionen zu sprechen. Die nette esoterische Tante im Antiquariat wirkt genau so eindimensional wie die meisten Charaktere. John ist ihr bulliger, aber gutmütiger FBI-Partner und Terence aus der Kriminaltechnik übernimmt die Rolle des leicht pummeligen Tech-Geeks mit fettem Brillengestell, Pferdeschwanz und lockeren Sprüchen. Auch Ericas Vorgeschichte um einen alten, sehr persönlichen Fall wirkt bekannt. Die großartigen englischen Sprecher hauchen den Figuren trotzdem viel Leben und Persönlichkeit ein (Deutsch gibt es nur in Menüs und Untertiteln).

Freund oder Kollegenschwein

Eine Hand wäscht die andere: Terence rückt ein Artefakt nicht auf Anhieb heraus.
Eine Hand wäscht die andere: Terence rückt ein Artefakt nicht auf Anhieb heraus.
Auch die vielen kleinen Scherze und Seitenhiebe machen einige der FBI-Kollegen liebenswert. Technisch wurden sie ebenfalls professionell ins Spiel eingebunden. Die Cel-Shading-Figuren passen gut in die Kulissen, von denen manche aber etwas detailarm gezeichnet wurden. Ab und zu zuckt mal ein Arm oder Bein, meist schreiten die Figuren aber natürlich die Flure entlang. Auch die entspannten Synthesizer-Klänge und das klimpernde Piano unterstreichen die Atmosphäre meist auf gelungene Weise. Der Vorteil an den berechenbaren Figuren ist, dass ich sie leichter einschätzen kann, wenn sie mich im Gespräch vor eine Wahl stellen. Ericas Kumpel Terence z.B. will mir ein wichtiges Artefakt nur überreichen, wenn ich ihm den dringend benötigten Lagerplatz organisiere. Also habe ich die Wahl zwischen der Gefälligkeit oder egoistischem Eigennutz: Drohe ich, ihn zu verpfeifen, weil er mir schon am Tatort unter der Hand ein anderes Objekt zugesteckt hat? Oder suche ich einen Weg, um die zickige Pathologin von seinem Problem zu überzeugen?

Wurde ich mit der Frage konfrontiert, lässt sich das Spiel nicht mehr vorher speichern. Ich sollte mir die Antwort also gut überlegen – oder es hinterher noch einmal mit meinem letzten Speicherstand versuchen. Je nach Entscheidung lassen sich ein paar der Rätsel schneller oder umständlicher lösen. Im genannten Beispiel kann ich mich z.B. ins Büro meines Vorgesetzten schleichen, mich in ihren Rechner einloggen und die neue Raumaufteilung per Mail anordnen. Auch an Ericas eigenem Computer löse ich einige Puzzles. Nachdem ich z.B. ein Foto mit der Lupe abgesucht und eine Namen gefunden habe, kann ich einen dazugehörigen Fall in der FBI-Datenbank recherchieren.   

Fazit

Wer über den Kauf von Cognition nachdenkt, sollte sich nicht von der Demo abschrecken lassen. Nach dem hektischen Prolog wäre mir beinahe die Lust vergangen, doch danach steigert sich der Adventure-Krimi. Als ich mich an die Macken der Bedienung gewöhnt hatte, bekam ich immer mehr Lust darauf, tiefer in geschlossenen Fällen des FBI herumzuschnüffeln, Verbindungen herzustellen und mit Ericas Visionen zu spielen. Ihre übernatürlichen Fähigkeiten sind das Highlight des Rätseldesigns: Es fühlt sich richtig frisch und motivierend an, alte Gegenstände und Leichen „herbeizuzaubern“, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Der Großteil der gewöhnlichen Puzzles ist aber ziemlich einfach gestrickt. Ein weiterer Nachteil sind die klischeebehafteten Charaktere, von denen einige dank der erstklassigen englischen Vertonung aber trotzdem sympathisch wirken. Mit der ersten Episode von Cognition ist zwar kein rundum gelungener Serienstart geglückt, trotzdem hat mich der unterhaltsame Rätsel-Krimi neugierig auf den Nachfolger gemacht.

Pro

motivierende Detektivarbeit
cleverer Einsatz von Ericas Visionen
hervorragende englische Vertonung
gelungenes Verschmelzen von Cel-Shading und Zeichnungen
SMS-Nachrichten vom Vater dienen als dezentes Hilfesystem
passender entspannter Soundtrack
rund sieben Stunden lange Episode

Kontra

umständliche Bedienung
holpriger Einstieg
Großteil der Rätsel einfach zu lösen
Charaktere entsprechen Krimi-Klischees
Manche Kulissen sehr schlicht gezeichnet
Deutsch nur in Untertiteln
lange Ladezeiten

Wertung

PC

Magische Experimente machen das Krimi-Abenteuer spannend - trotz einiger Mankos wie der fummeligen Steuerung und flachen Charakteren.

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