Emergency 503.12.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Ein technischer Notfall?

Nicht nur große Entwickler können Spiele in den Sand setzen: Nach Driveclub und der Master Chief Collection sorgt jetzt das deutsche Strategiespiel Emergency 5 (ab 14,35€ bei kaufen) für Unmut: Im offiziellen Forum häufen sich Klagen über Bugs, massive Ruckler und KI-Macken. Wir haben uns in deutschen Großstädten in den Rettungsalltag gestürzt und überprüft, ob man sich neben Großbränden und Bombenentschärfungen auch mit technischen Katastrophen herumschlagen muss.

Übers Wasser gehen war gestern…

 

Ich wusste es schon immer: Hamburg ist nicht nur die schönste, sondern auch die fortschrittlichste Stadt Deutschlands. Wir haben nicht nur den Hafen und viel Grün, sondern sind dem Rest der Republik auch technisch weit voraus. Neben Peterwagen gibt es in der Hansestadt neuerdings auch Jesuswagen, die einfach übers Wasser fahren – zumindest in der Welt von Emergency 5. Findet ein Feuerwehrfahrzeug keinen Weg über den Kanal, startet es zunächst ein paar wilde Wendemanöver, um schließlich direkt über die Wasseroberfläche zu brettern. Äußerst praktisch und sogar deutlich schneller als klassische Amphibienfahrzeuge! Auch im Münchner Rettungsalltag gibt es wundersame Dinge zu beobachten, die aber eher in den Bereich des Übernatürlichen fallen: Nachdem eine alte Fliegerbombe aus einer Baugrube in das gegenüberliegende Haus katapultiert wurde, wird das Gebäude plötzlich unsichtbar.

Großeinsätze werden von kleinen Renderfilmchen eingeleitet: Die zahlreichen Explosionen erinnern ein wenig an Cobra 11.
Lediglich ein paar lodernde Flammen und Rauchsäulen quellen noch aus dem verschwundenen Haus - David Copperfield wäre neidisch! Auch THW-Helfer besitzen magische Kräfte: Ein Ingenieur in blauer Uniform z.B. repariert einen Sicherungskasten durch Fernwartung. Wie? Bloßes Handauflegen an der Mauer genügt! Die Feuerwehrmänner im Freistaat wirken deutlich weniger motiviert: Manchmal bleiben sie einfach gebückt in der Gegend stehen. Nachwirkungen vom Zechgelage auf dem im Spiel enthaltenen Oktoberfest?

Technische Baustelle

 

Lange Rede, kurzer Sinn: Was Deep Silver hier als Strategietitel veröffentlicht hat, ähnelt eher einer frühen Alpha-Version, in der ich die Missionen häufig wegen diverser Bugs beenden musste. Rund fünfmal ist mir das Spiel sogar komplett abgestürzt. Außerdem musste ich die Grafikqualität stark herunterschrauben, damit sich das Geschehen nicht in eine Ruckelorgie verwandelte: Mit der noch halbwegs aktuellen GeForce GTX 770 musste ich auf die detailarme mittlere Stufe wechseln, damit das Geschehen wenigstens meistens flüssig abläuft.

Nicht gerade realistisch animiert: Fahrzeuge drehen sich in engen Kurven auf der Mittelachse.
Schade, denn unter all den Fehlern verbirgt eigentlich das spielerisch passable Grundgerüst der klassischen Rettungsserie. Anders als in den letzten Teilen dreht sich die Handlung nicht um Katastrophen im Ausland; stattdessen kehrt Entwickler Sixteen Tons zu den Wurzeln der Serie zurück. Der Story-Modus versetzt mich in deutsche Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, in denen ich aus der Vogelperspektive Einsätze koordiniere.

Nur halbwegs authentisch

Die Entwickler legen allerdings nur bedingt Wert auf Authentizität. Das Konzept einer zentralen Basis für Polizei, Feuerwehr, THW und Rettungswägen wirkt natürlich nicht besonders realistisch – vor allem, weil das große Gebäude z.B. direkt im touristischen Zentrum am Hamburger Hafen steht. Sehenswürdigkeiten wie die Elbphilharmonie und einige wichtige Verkehrsadern sind schön nachgebildet, beim Rest der Stadt haben sich die Entwickler aber viele Freiheiten gelassen: In der Hansestadt führt etwa der Hafen direkt aufs offene Meer zu einer Bohrinsel.

Damit die Feuerwehrfahrzeuge wenigstens halbwegs ruckelfrei übers Wasser fahren, haben wir die Grafikeinstellungen auf die mittlere Stufe heruntergeschraubt.
Der Story-Modus wechselt immer wieder zwischen Großeinsätzen und dem Alltag mit diversen kleineren Bränden und Unfällen. Manchmal muss ich lediglich einen Verletzten verarzten, der einen gewischt bekommen hat oder von einer Leiter gefallen ist. Dazu klicke ich aufs Fahrzeugmenü und schicke jeweils einen Notarztwagen und einen Krankenwagen an die Unfallstelle. Strategiespiel-Erfahrung ist bei der einfach konzipierten Steuerung nicht nötig, viele Arbeitsschritte müssen allerdings von Hand erledigt werden: Per Mausklick lasse ich den Notarzt aussteigen und schicke ihn zum Opfer, dessen Gesundheitsleiste sich langsam füllt. Danach wiederhole ich die Schritte mit den Rettungssanitätern, die seltsamerweise nur Verletzte abtransportieren, selbst aber nicht helfen können.

Löschen per Klick

Die Arbeit der Feuerwehr funktioniert ähnlich: Ich schicke eine passende Zahl von Tanklöschfahrzeugen und Rüstwagen zum Einsatzort und delegiere die ausgestiegenen Feuerwehrmänner einzeln oder grüppchenweise mit Klicks an die Brandherde. Zwischendurch muss ich immer wieder einzelne Personen abziehen, um ihnen eine Axt in die Hand zu geben und eine Tür aufzubrechen. Auch die Rettungsschere kommt oft zum Einsatz, um Verletzte aus Unfallautos zu bergen. Die Koordination verschiedener Einheiten funktioniert meist passabel, die Auswahl einzelner Retter oder kleiner Grüppchen per Auswahlrahmen gestaltet sich allerdings in der Hektik etwas fummelig. Außerdem ist die Übersichtskarte wieder einmal zu klein geraten. Zur Eingewöhnung eignet sich der Rettungsalltag im freien Spiel recht gut, auf Dauer gestalten sich die kleinen Aufgaben aber etwas monoton: Schon wieder gibt es einen Verletzten aus dem Skigebiet behandeln - noch ein kleiner Müllbrand, der auf den angrenzenden Wald überzugreifen droht.

Feuerwehrmänner können zu einzelnen Brandherden geschickt werden - oder man zielt mit einem Tanklöschfahrzeug auf ein brennendes Gebäude.
Deutlich spannender wird es in den Großeinsätzen, in denen ich mehrere Einheiten parallel dirigieren muss. Bei der Räumung einiger Bomben aus dem zweiten Weltkrieg schicke ich z.B. einen SEK-Roboter zur Entschärfung. Nebenbei versuche ich, einige Häuser zu löschen, die bei einer Explosion Feuer gefangen  haben und schicke die Sanitäter zu den Verletzten. Manche von ihnen liegen unter Haustrümmern begraben.

Koordination ist alles

 

Ein schönes Detail dabei ist, dass ich immer wieder umdenken muss. So kann es sinnvoll sein, einen Feuerwehrmann zum Kühlen des benachbarten Baumes abzustellen, damit der nicht auch Feuer fängt. Oder ich schneide mit der Motorsäge eine Schneise in die Baumreihe, damit die Flammen nicht übergreifen. Manchmal rüste ich auch einen Polizisten mit einem Megaphon aus, um die Schaulustigen aus dem Weg zu schaffen. Bei Prügeleien auf der Reeperbahn oder Taschendiebstählen kommen die Ordnungshüter ebenfalls zum Einsatz. Da die Verfolgungsjagd per einfachen Mausklicks abläuft, wirkt diese Facette des Spiels aber nicht gerade aufregend. Rettungshubschrauber, Abschleppwagen und Industriebrände tauchen ebenfalls im Spiel auf. Nach und nach lässt sich mit dem verdienten Geld der Fuhrpark aufrüsten.

Hier ist ein Drachenflieger in die Baustelle gerauscht und hat eine Kettenreaktion losgetreten.
In der Theorie gestalten sich die größeren Einsätze also durchaus unterhaltsam, in der Praxis funkt aber auch dort immer wieder die Technik dazwischen. Wie soll ich ein riesiges Haus löschen, welches plötzlich gar nicht mehr zu sehen ist? Wie bringe ich zwei Sanitäter auf die Baustelle, wenn sie am Zaun hängen bleiben und mit ihrer Trage Wippe spielen? Ihre Rettungswagen nutzen die Glitches effektiver aus: Sie verzichten einfach auf die fehlerhafte Kollisionsabfrage und fahren mit wilden Clipping-Fehlern durch andere Fahrzeuge – oder eben übers Wasser.

Fehlerbehafteter Online-Modus

 

Neben dem Story-Modus warten auch zwei freie Spielmodi (Endlos und Herausforderung) im Hauptmenü, in denen man sich durch effektive und schnelle Einsätze eine hohe Punktzahl verdient und in der Bestenliste nach oben arbeitet. Ebenfalls dabei ist ein professioneller Modding-Editor, dessen Ergebnisse sich per Steam veröffentlichen lassen. Der Mehrspielermodus litt bei unseren Tests unter Verbindungsfehlern, so dass wir Servern mit freien Plätzen oft nicht beitreten konnten. Bis zu vier Spieler helfen sich online entweder kooperativ bei Einsätzen oder konkurrieren mit zugewiesenen Aufgaben um die meisten Punkte.

Fazit

Inhaltlich dreht sich Emergency 5 zwar nicht mehr um die ganz großen Unglücksfälle – im Gegenzug ist neuerdings die Technik die reinste Katastrophe. Was Deep Silver seinen Käufern hier als fertige Rettungsstrategie verkauft, erinnert eher an eine frühe Alpha. Riesige Bauten werden unsichtbar, Rettungswagen fahren übers Wasser und ein Wust an Bugs und Abstürzen sorgt regelmäßig dafür, dass man Missionen gleich mehrmals angehen muss. Schade, denn unter all den Code-Trümmern versteckt sich theoretisch ein solides Strategiespiel: Vor allem in den komplexeren Großeinsätzen ist es durchaus unterhaltsam, zahlreiche Fahrzeuge und Rettungskräfte zu koordinieren – obwohl es auch in punkto Steuerung sowie Übersicht Verbesserungspotential gibt. Wer am ungewöhnlichen Spielgefühl der Serie interessiert ist, sollte also lieber zu einem der Vorgänger greifen.

Pro

Mix unterschiedlicher Rettungs-Berufe sorgt für Abwechslung
dynamische Szenarien erfordern gute Koordination
deutsche Städte mit realen Sehenswürdigkeiten

Kontra

häufige Abstürze
großer Hardware-Hunger und starke Ruckler selbst auf aktuellen Rechnern
Fahrzeuge zeigen manchmal Wegfindungsprobleme und fahren übers Wasser
Starke Clipping-Fehler
Große Objekte wie Gebäude werden plötzlich unsichtbar
hölzerne Animationen und Drehungen um die Mittelachse
Beitritts-Probleme beim Online-Spielen
mitunter etwas fummeliges Auswählen von Einheiten
einige Details nicht authentisch
unübersichtlich kleine Karte

Wertung

PC

Kurzzeitig unterhaltsame, aber unfertige Rettungs-Strategie, die unter einem Wust von Fehlern leidet.

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