Pillars of Eternity02.04.2015, Jörg Luibl
Pillars of Eternity

Im Test: Es knistert am Lagerfeuer

Wenn ein Schwarm von 74.000 Fans ein klassisches Rollenspiel unterstützt, dann stehen die Entwickler in der Bringschuld. Sie wollten immerhin ein Abenteuer erschaffen, das an die Qualitäten von Baldur's Gate, Icewind Dale und Planescape Torment anknüpft. Man erwartet nicht nur eine Party aus Helden und malerische Kulissen, sondern epische Abenteuer in einer lebendigen Fantasywelt. Ob Obsidian Entertainment dem 4-Millionen-Dollar-Vertrauen gerecht werden konnte, verrät der Test.

Kinder ohne Seele, Fürsten ohne Gnade

Warum gibt es so viele "Hohlgeburten", so viele Kinder ohne Seele? Ist das ein Fluch der Götter aus alten Tagen? Eine Strafe für Verfehlungen der aktuellen Herrscher? Sind die Frauen das Problem? Ohne Antworten auf diese Fragen wird reflexartig nach Schuldigen gesucht, nach Hexen und Ketzern. Und die werden zum Wohle des Volkes erstmal verbrannt, gehängt oder zumindest verbannt. Blöd ist nur, dass all das für Unruhe sowie politische Konflikte sorgt, für verzweifelte Flüchtlinge und natürlich verdammt viel Neugier.

Das sieht doch so malerisch aus wie...richtig: Baldur's Gate & Co! Obsidian inszeniert ein isometrisches Rollenspiel in malerischer Kulisse.
Die lodert vor allem im Helden, der eigentlich als Siedler ins beschauliche Goldtal reist. Fürst Raedric VII. hat dort mit seiner Art der Inquisition für viel Platz gesorgt und braucht frisches Blut. Allerdings wird die Reise jäh unterbrochen, als die Karawane überfallen, nahezu komplett aufgerieben und von einem seltsamen Sturm heimgesucht wird. Danach ist nichts mehr wie es war im Kopf des Helden: Er sieht plötzlich Tote, hört jenseitige Stimmen und kann in Lebenden auch Vergangenes lesen. Was ist mit ihm los? Eine schon am Baum verfaulende Zwergin nennt ihn einen "Wächter". Und sie sagt ihm, wer ihm helfen kann. So beginnt ein episches Abenteuer über drei Akte.

Moderne Fantasywelt

Der Einstieg in dieses Rollenspiel ist unheimlich interessant. Man fühlt sich wie ein Verdammter, weiß nicht, wem man trauen kann und will natürlich herausfinden, was das alles zu bedeuten hat. Zur Rätselhaftigkeit trägt auch bei, dass die

Soll man den verrückten Priester aufnehmen? Ja, denn er hat eine interessante Quest und ist im Kampf als Unterstützer sehr nützlich. Zuschlagen kann er auch mit seinem Stab.
Fantasywelt Eora eben nicht auf Dungeons & Dragons beruht - es könnte also mehr geben als Melfs Säurepfeil und Schwarzstabs Turm. Was hat es z.B. mit diesen glänzenden Steinen auf sich, die angeblich bis tief in die Erde reichen und die Seelenwanderung ermöglichen?

Das Szenario wirkt mit Elfen, Zwergen und Magie zwar auf den ersten Blick wie klassische Fantasy, aber es wurde um frische Akzente bereichert: Es gibt neben Schwertern und Bögen auch mal Pistolen oder Gewehre, neben Burgen und Tempeln auch seltsame Apparaturen und Maschinen. Aber all das nicht in dem Maße wie etwa in Arcanum, es geht also nicht um Magie versus Technik, sondern eher um verborgene Mächte und Kulturen. Obsidian Entertainment hat hier große kreative Arbeit geleistet, inklusive Wortneuschöpfungen wie „Biawac“ & Co. Über weite Strecken erlebt man allerdings klassische Fantasy, es gibt also auch noch Trolle, Skelette und Spinnen - nur dass die Goblins hier Xaurips heißen.

Planescape Torment lässt grüßen

Im Vergleich zu Icewind Dale & Co wirkt Pillars of Eternity (ab 21,93€ bei kaufen) fremder und reifer, was Drehbuch sowie Szenario angeht – hier weht der erzählerische Wind eines Planescape Torment. Man merkt nicht nur, dass sich die Autoren sehr viel Gedanken zur Chronologie von Eora gemacht haben, die mit alten Göttern, Kriegen und Kulturen einige historische Schichten anbietet. Das erzählerisch Kreative steckt im drohenden Wahnsinn des Helden und vor allem im Prinzip der Seelenwanderung, das als Leitmotiv auch die Geschichte prägt. Denn mit ihr sind auch Religion und Politik verknüpft. Die daraus resultierenden Fragen wirken mal modern, mal mythisch: Wie weit dürfen Zauberer gehen, die Menschen wieder beseelen wollen? Ist das Ketzerei oder die einzige Rettung? Gab es früher einmal ein Volk, das mit Seelen experimentierte? Es gibt Fanatiker und Terroristen, Reaktionäre und Liberale. Und man sollte sich mit dem vorbildlichen Hintergrundmaterial auseinander setzen, um sich besser in diese Welt hineinversetzen zu können.

Freut euch auf sehr gute Texte und Dialoge: Was verbirgt sich in der Statue?
Schön ist, dass die Dialoge in weiße und graue Zeilen aufgeteilt sind: Erstere sind quasi die direkte Rede, Letztere erzählen auch etwas über die Gestik, Mimik oder allgemeine Haltung des Gesprächspartners - so kompensiert Obsidian textlich all das, was man sonst vielleicht in Zwischensequenzen sehen würde. Und das ist dramaturgisch wichtig, denn es sorgt für situative Atmosphäre:  "Aufras Gesicht fällt förmlich in sich zusammen, und eine einsame Träne rinnt ihre Wange hinunter."

Erzählkultur und Abenteuer-Spielbuch-Flair

Besonders gelungen sind die vergilbten Tafeln, die spezielle Situationen wie in einem Abenteuer-Spielbuch mit Entscheidungen inszenieren: Will man eine Mauer hinauf klettern? Und falls ja, nutzt man die Akrobatik eines Helden oder hat man

Einige Aktionen werden über interaktive Texttafeln mit Entscheidungen inszeniert. Man fühlt sich fast wie in einem Abenteuer-Spielbuch. Könnt ihr das Glockenrätsel lösen?
einen Kletterhaken mit Seil? In ersterem Fall erfolgen Proben auf die Werte und da kann man auch scheitern, wenn man die falschen Leute dabei hat. In letzterem Fall hat man Glück und darf den Wehrgang weiter erkunden. Während man eine Antwort anklickt, erscheinen auf der rechten Seite zwar lediglich schwarze Zeichnungen, aber diese Art der situativen Erzählweise über kleine Buchseiten steht Pillars of Eternity sehr gut.

Die Stimmung in einer Spielszene entsteht ebenfalls über viele Texte, die Kleinigkeiten in einem Zimmer oder einem Dungeon beschreiben. Wer die betreffenden Lupensymbole anklickt, bekommt also zusätzliche Informationen zum Ambiente. Das fühlt sich stellenweise an wie in einem Pen&Paper-Rollenspiel, wenn selbst scheinbare Belanglosigkeiten beschrieben werden. Hier hat man das gute Gefühl, dass sich die Autoren mehr Gedanken gemacht haben, als den Spieler nur von A nach B zu schicken. Übrigens verlangt die Reise auch etwas Planung: Die Helden werden mit der Zeit müde und brauchen Rastvorräte, wenn sie irgendwo lagern und voll genesen wollen.

Charaktererstellung mit Exoten

Auch wenn einiges in der Charaktererstellung an D&D erinnert, gibt es genug Fragezeichen. Was für Wesen sind diese blauen Aumaua, die kleinen Orlaner oder die entstellten Gottähnlichen? Was bewirkt ein Medium als Klasse mit seinen Seeleneffekten und wie genau kämpft ein Sänger mit diesen Phrasen? Übrigens eine richtig gute Spielmechanik: Während er z.B. mit dem Schwert zuschlägt und unterstützend singt, baut sich seine Magie weiter auf, die ihm ab drei Phasen frische Zauber eröffnet – und schwups, beschwört er drei Skelette oder lässt den Boden beben. Man muss also etwas Geduld haben mit dem Barden.

Die epische Story wird über drei Akte erzählt.
Welche Kombinationen der sechs Völker und elf Berufe sind sinnvoll? Schon wenn man sich einen Helden erstellt, sorgt das Exotische dafür, dass man sich mit den Völkern und sieben Kulturen von Alt-Vailia über Aedyr bis zum Todesfeuer-Archipel beschäftigen muss – es gibt viel zu lesen. Trotzdem haben auch traditionelle Rollenspieler viel Auswahl zwischen Waldläufern und Schurken, Paladinen und Zauberern, Druiden und Kriegern. Je nach Wahl hat man auch ein Folgetier wie einen Wolf dabei oder kann sich selbst spektakulär in einen Hirsch verwandeln.

Man verteilt Punkte auf sechs Attribute (Macht, Verfassung, Gewandtheit, Wahrnehmung, Intelligenz, Entschlossenheit) und fünf Fähigkeiten (Heimlichkeit, Athletik, Wissen, Mechanik, Überleben). All das wirkt sich auf die möglichen Aktionen und Zauber, die Optionen in den Dialogen sowie Entscheidungen mit

Warum lässt uns der Archivar nicht weiter forschen? Wir brauchen einen besseren Ruf in der Stadt...
Proben aus. Der wichtigste Unterschied zu D&D im Kampf: Es gibt nicht nur Lebenspunkte, sondern eine Wechselwirkung zwischen der hier sehr wichtigen Ausdauer und der Gesundheit. Es gilt Erstere zu erhalten und zu stärken, denn Letztere ist davon abhängig. Man schmeißt nicht einfach Heiltränke ein, denn ein Charakter erholt sich quasi automatisch, wenn er einen Kampf mit genug Ausdauer übersteht. Er kann aber auch permanent sterben, wenn man zu viel einsteckt.

Entwicklung ohne Klassengrenzen

Sobald ein Gefährte aufsteigt, kann man Punkte auf die fünf Fähigkeiten verteilen und dann im Rang aufsteigen. Hinzu kommen die vier Talente Klasse, Offensiv, Defensiv sowie Unterstützung: Der Barbar kann z.B. das klassenspezifische "Blutbad" oder das

Unter der Burgruine wird es hitzig: Kommt man da wieder raus?
offensive "Zweihandstil" wählen; Magiebegabte wählen unterschiedliche Zauber für ihr Buch. Findet man unterwegs andere Zauberbücher, kann man sie öffnen und einzelne Sprüche kaufen.

Einerseits ist es schön, dass jede Klasse theoretisch alles entwickeln kann: So lässt sich auch aus einem Sänger noch ein wenig Krieger schnitzen. Allerdings verschwimmen mit der Zeit auch die Konturen, weil irgendwann gefühlt jeder alles kann. Und beim Aufstieg fragt man sich als Freund der Spezialisierung, was ein Barbar oder Krieger bloß mit Wissen, Heimlichkeit, Mechanik & Co anfangen soll? Da ist doch nur Athletik interessant! Das stimmt allerdings nur zum Teil, denn auch die gar nicht so kriegerisch klingenden Fähigkeiten beeinflussen letztlich auch andere Aspekte im Gefecht.

Party-Interaktion mit sechs Gefährten

Bis zu sechs Helden können zusammen unterwegs sein, wobei man in Gasthäusern & Co auch selbst weitere Gefährten erstellen kann - die allerdings stumm bleiben. Wer vorgefertigte NSC (Nicht-Spieler-Charaktere) in seine Gruppe aufnimmt, darf sich über interessante Persönlichkeiten mit eigenen Biografien und Quests freuen: Wer sie anspricht, erfährt mehr über ihre ganz unterschiedlichen Motive und Ziele. Außerdem bringen sie mehr Licht ins Dunkel der politischen Fraktionen, der religiösen Zustände sowie kulturellen Hintergründe.

Gnade vor Recht? Oder etwas Lukratives dazwischen? Ihr könnt moralisch, rechtschaffen oder egoistisch spielen.
Auch auf der Reise mischen sich die Gefährten manchmal in Gespräche ein oder kommentieren Ereignisse und Orte - mal automatisch, mal auf Anfrage. Immer wenn sie etwas Neues zu sagen haben, erscheint ein kleines Notizsymbol in ihrem Portrait. Sie hätten unterwegs vielleicht noch etwas lebendiger debattieren und streiten können, außerdem vermisst man vielleicht eine klarere Entwicklung oder Anzeige für die gegenseitige Sympathie. Aber diese sporadische Partyinteraktion bereichert die Story mit kleinen Anekdoten und Kommentaren. Sprich: Die NSC wachsen einem ans Herz. Hinzu kommen auch andere Wesen, denn nicht nur der Waldläufer wird von einem Tier begleitet. Man kann unterwegs z.B. Katzen oder Drachen finden, die fortan um den Hauptcharakter herum schleichen bzw. flattern.

Der Ruf wirkt sich aus

Der Hauptheld baut über seine Taten einen eher politischen Ruf aus: Es gibt einen allgemeinen sowie separaten Wert für bestimmte Siedlungen oder Gruppen. Wer innerhalb eines Dorfes z.B. Aufträge erledigt, steigt nur dort im Ansehen. Das wirkt sich auf die Kommentare der Bewohner sowie mögliche Aktionen aus. Als man z.B. mit Eder ins Archiv geht, um Nachforschungen über seinen Bruder zu betreiben, wird man abgewiesen - also gilt es erst, einen besseren Ruf

Man kann seine eigene Burg ausbauen. Aber Vorsicht: Darunter lauern Gefahren...und eine Burg zieht Schmarotzer und Banditen an.
aufzubauen. Etwas weniger authentisch ist allerdings, dass man so viele Bewohner mit Namen zwar über seinen Seelenblick erforschen kann, also ausführliche Texte über ihre Vergangenheit liest, aber sie nicht einfach ansprechen kann und sie auch nicht reagieren – sie stehen da und merken nichts.

Zurück zum Ruf: Wie baut man ihn aus? Das funktioniert am besten über das Meistern der vielen Haupt- und Nebenquests. Auch die sind richtig gut designt. Es gibt zwar mitunter Holen und Bringen, aber sehr viele angenehm offene und für echte Rollenspieler interessante Aufgaben, die nicht nur das Gemetzel bis zum Boss vorsehen: Man kann eine Burg z.B. über die Kanalisation oder die Mauer infiltrieren. Und wenn man dann drin ist, könnte man sich die Roben der Priester anziehen, um unbemerkt bis ins Herz des Gemäuers einzudringen – cool! Man kann eine Beziehung zwischen einer schluchzenden Verlobten und ihrem abtrünnigen Mann auf mehrere Arten enden lassen. Auch auf der politischen Ebene kann man mitbestimmen: Wollt ihr den tyrannischen Fürsten Raedric stürzen oder ihn vielleicht unterstützen? Immerhin verrät er euch kurz vor dem Kampf ein paar Hintergründe, die eure Meinung vielleicht ändern. Man bemerkt oft, dass Obsidian nicht in Schwarz und Weiß, sondern in Grautönen erzählt, die das vermeintlich Böse plötzlich gar nicht mehr so schlimm erscheinen

Man kann Türme oder Gebäude in der Burg errichten, die einem diverse Ruf- oder Aktionsboni bringen.
lassen…zumal man selbst unheimlich egoistisch, mies und machtgierig spielen kann!

Die eigene Burg als Domizil

Und was braucht man als Tyrann? Eine Burg! Recht früh kann man sich diese verdienen und aus einer Ruine eine prächtige Anlage machen, in der man rasten, kaufen und auch Gefährten ausbilden kann, indem man in deren Gebäude investiert. Cool: Darunter befinden sich Katakomben in mehreren Ebenen, die es in einer sehr interessanten und auch mit Nebencharakteren verknüpften Quest zu erforschen und zu befreien gilt - eine nicht ganz leichte Aufgabe. Vor allem, wenn man sich zu früh über einen Brunnen in die tiefste Ebene abseilt, hat man Probleme mit dem Rückweg. Aber auch diese Gnadenlosigkeit passt gut zum Abenteuer!

Während man in der Spielwelt unterwegs ist, bekommt man nicht nur Mitteilungen über fertig gestellte Türme & Co, sondern auch über Schmarotzer oder Banditen, die sich dort vielleicht einnisten oder angreifen wollen. Dann hat man meist die Wahl, wie man darauf reagieren will - man kann sie z.B. auszahlen. Es lohnt sich also auch in die Verteidigung zu investieren, zumal die Burg auch den Ruf steigert.

Kämpfe zwischen Taktik und Chaos

Die Kampfvorbereitung von Pillars of Eternity ist etwas gewöhnungsbedürftig: Man sollte im Idealfall vor einem Gefecht etwaige Lebensmittel zu sich nehmen, die bestimmte Werte steigern. Denn wenn es zur Sache geht, hat man über die Schnellzugriffleiste nur bestimmte Tränke etc. zur Verfügung. Die heilen wie gesagt nicht direkt die Lebenspunkte, sondern genauso wie viele unterstützende Zauber vor allem die Ausdauer, die hier viel wichtiger ist.

Was heißt pausierbare Echtzeit? Man verteilt keine Aktionspunkte für die Bewegung oder Angriffe eines Helden, sondern wählt Schläge oder Magie für jeden Gefährten, klickt den Feind an und los gehts. Und das kann sehr schnell

Es kann schon mal grell und blitzend zur Sache gehen.
sehr chaotisch werden, also muss man immer wieder Befehle geben. Da hat man reichlich Auswahl, denn das Angebot an Nah- und Fernkampf, Spezialfähigkeiten, Beschwörungen, Verwandlungen sowie defensiver und offensiver Magie ist enorm. Man kann viel experimentieren und Aktionen wie das Betäuben und anschließende Meucheln kombinieren, um das Optimum an Schaden herauszuholen. Und wenn man dann alles abfeuert, versinkt der Bildschirm schonmal in gleißenden Wolken - die Zaubereffekte sind sehr ansehnlich, aber auch einfache Animationen wie das Nachladen oder das Zuschlagen sehen klasse aus. Was es nicht gibt: einzelne Trefferzonen am Körper wie z.B. in Wasteland 2.

Formationen, Wegfindung & Co

Auch wenn man die Positionen und Formationen der Gruppe ändern kann, lässt einerseits die Wegfindung zu wünschen übrig – da kann man selbst einfache Stellungswechsel nicht ausführen, weil jemand hängen bleibt oder Umwege bevorzugt. Außerdem kann man die Kamera nicht drehen, so dass die Sicht nicht klar ist. Und wer einmal hinter seinen Kameraden steht, sollte eine Waffe mit hoher Reichweite wie die Pike haben,

Ob das gut geht? Fürst Raedric schart eine schlagfertige Truppe um sich - und zwei Gefährten sind schon außer Gefecht.
um noch vorne mitmischen zu können. Andererseits vermisst man taktische Verhaltensketten, die man im Vorfeld festlegen kann, damit sich die Gefährten dann über längere Zeit daran halten. So muss man jedesmal intervenieren, wenn nach dem Blitz der Schlag und dann der Trank folgen soll. Da die Klicks auf die Portraits mitunter nicht den gewünschten Personenwechsel, sondern auch neue Ziele innerhalb der eigenen Gruppe festlegen, muss man zwei- oder dreimal nachsehen, ob auch wirklich das ausgeführt wird, was man will.

Interessant ist die bewusste Kampfbindung: Das ist einerseits ein angenehm realistischer Mechanismus. Man kann nicht so einfach aus einem Schlagabtausch fliehen, indem man den Zauberer anklickt und ihn nach hinten beordert - man muss den ihn bindenden Feind z.B. zu Boden schlagen, bewusstlos machen oder anderweitig irritieren. Und das kann man auch für seine Gruppe nutzen, wenn ein Krieger über entsprechende Talente sogar zwei, drei Gegner vor einem engen Gang bindet und dahinter die Bögen und Projektile freie Schussbahn haben - so läuft es ideal! Andererseits kleben die Teilnehmer eines Gefechts mitunter in einer unübersichtlichen Traube, so dass man Freund und Feind selbst im vollen Zoom kaum unterscheiden kann. Und Vorsicht: Vor allem die mächtigen Zauber brutzeln schonmal die eigenen Leute – während der Feuerball in anderen

Wegfindung, Sicht und Befehlsausführung sind nicht immer optimal.
Spielen eine sichere Bank für mächtigen Schaden ist, prallt er hier schonmal von der Wand ab und kugelt sengend durch die Gruppe.

Es gibt auch einige Logikglücken, die man ausnutzen kann: Manchmal darf man z.B. Fallen vor den potenziellen Feinden aufstellen, ohne dass sie intervenieren. Und man ist froh, dass man ab und zu einzelne Feinde aus einer Gruppe per Beschuss herausziehen kann, da die anderen um sie herum nicht alarmiert werden - aber das klappt nicht immer. Wie viel Spaß man letztlich in den Gefechten hat, hängt auch deshalb stark davon ab, welchen der vier Schwierigkeitsgrade man wählt. Denn das potenzielle Chaos wirkt sich weitaus weniger nervend aus, wenn man auf "normal" oder darunter loslegt - dann kann man seine Party auch mal mit gewöhnlichen Attacken laufen lassen. Das liegt einfach daran, dass man es mit weniger Feinden zu tun hat und natürlich eher gewinnt.

Stehlen, schleichen und entdecken

Ihr wollt alles, was irgendwie blinkt mitgehen lassen? Vorsicht: In Pillars of Eternity reagieren die Bewohner auf Diebstahl. Entweder ermahnen sie einen und der Ruf vor Ort sinkt oder sie gehen sofort in den Kampf. An manchen Orten wird das zwar nicht wirklich konsequent geahndet, aber die Reaktionen sind da. Wer allerdings subtiler vorgeht, kann durchaus aus den Schatten heraus stehlen - man darf sich nur nicht sehen lassen. Was es wo in einem Raum zu durchstöbern gibt, kann man sich im Zweifel über Tabulator anzeigen.

Die Landschaften sind sehr abwechslungsreich - hier ein Blick auf die Küste.
Der aktivierte Schleichmodus hat aber noch andere Vorteile, denn nur so werden neben den möglichen Interaktionen in Blau auch die Fallen in Rot oder die Geheimnisse in Lila sichtbar! Obsidian hat sich reichlich Mühe gegeben, das langsame Erkunden zu belohnen – man kann sehr schnell vergiftet oder von Speeren durchlöchert werden, die aus Wänden jagen. Das können aber auch weitere Schätze oder Schalter sein, die Geheimgänge bzw. Abkürzungen öffnen. Selbst in der Landschaft findet man so manche verborgene Höhle oder gar Verstecke in Drachenschädeln.

Sehr gut gelungen ist auch die Anzeige für die Sichtbarkeit: Sobald man sich Feinden nähert, füllt sich ein Kreis über dem Schleichenden. je nachdem wie gut seine Heimlichkeitswerte sind, dauert das länger. Er wird erst entdeckt, wenn sich

Auch die Städte wirken angenehm belebt: Gibt es hier bald eine Revolte?
alles gefüllt hat - so kann man wunderbar das Vorfeld erkunden oder in reichweite für einen kritischen Treffer gelangen. Etwas ärgerlich ist nur, dass selbst bei einem ausgewählten Charakter immer alle Gefährten in den Schleichmodus übergehen. Und Vorsicht: In diesem Pulk wird man natürlich schneller entdeckt, denn dann zählt der minimalste Wert.

Entzauberung trotz Verzauberung

Schade ist, dass man von Beginn an schon Nahrung, Tränke und Schriftrollen herstellen sowie Waffen und Rüstungen verzaubern kann. Hier hat es Obsidian mit dem Service etwas übertrieben: Man klickt einfach in eine Tabelle oder auf eine Klinge und schaut, ob genug Zutaten da sind - ein Klick und fertig. Das ist angesichts der zig Beeren,

Schleichen lohnt sich: Man entdeckt so auch Geheimnisse oder kann kritisch treffen.
Kräuter, Edelsteine & Co zwar sehr komfortabel, aber hat bis auf die notwendige Stufe des Wissens keinerlei erzählerische Anbindung an die Fähigkeiten der Charaktere. Man muss also in der Karriere nichts Spezifisches lernen oder entwickeln oder jemanden mit diesen Talenten anheuern.

Dieses von Beginn an verfügbare Herstellen und vor allem das mächtige Verzaubern sorgt auch dafür, dass offizielle Händler und Schmiede etwas entwertet werden - man kann ja theoretisch alles selbst. Praktisch gibt es zwar auch einzigartige magische Waffen und Rüstungen, aber die ansonsten so mysteriöse Spielwelt wird durch die hohe Ausschüttung an Materialen und sofortige Produktionsmöglichkeiten entzaubert. Man interessiert sich irgendwann nur noch für all das, was blau umrahmt ist, weil es irgendwie magisch ist - alles andere wirkt dann wie Ramsch und wird verkauft.

Schlampige Lokalisierung

Es gibt lediglich an bestimmten Stellen englische Sprachausgabe. Ärgerlich ist jedoch, dass die deutsche Übersetzung mit vielen Fehlern nervt. Angesichts der riesigen Textmenge wäre es verzeihlich, wenn es hier und da mal Platzhalter, Buchstabendreher oder kleine Rechtschreibfehler geben würde. Aber hier werden nicht nur Namen von Waffen oder Buchstaben vergessen, sondern männlich und weiblich in der Ansprache verwechselt oder auch der Wortsinn des Originals schlecht bis falsch übersetzt. Kann man das Rollenspiel also gar nicht auf Deutsch spielen? Doch, das geht schon. Zumal auch viele Passagen mal am Stück sehr gut ohne Fehler lesbar sind.

Was hat es mit dem Fluch der Seelen auf sich, der den Helden zum "Wächter" macht? Findet es heraus!
Aber man wird sporadisch immer wieder von seltsamer Grammatik oder komischen Formulierungen irritiert - dann wirkt unsere Muttersprache mitunter wie eine Fremdsprache, die man entschlüsseln muss und die aus recht einfachen Rätseln im Spiel plötzlich Kopfnüsse macht. Wer auf diese Arbeit verzichten will und des Englischen mächtig ist, kann in den Optionen auf das Original wechseln. Dort zeigt sich dann, wie leidenschaftlich die Texter von Obsidian geschrieben haben. Gerade weil so viele stilistische Feinheiten in die umfangreichen Dialoge eingeflossen sind, sollte man allerdings gut Englisch lesen können. Mittlerweile ist übrigens ein erster inoffizieller Patch erschienen, der zumindest einiges bereinigt.

Einsteiger, Experte? Alles inklusive!

Pillars of Eternity ist ein Vorbild an Optionen: Ihr könnt das Spielerlebnis zu Beginn sehr genau auf eure Bedürfnisse zuschneiden. Sowohl Einsteiger als auch Baldur's-Gate-Veteranen, eher kampforientierte oder erzählerisch Interessierte werden mit wenigen Mausklicks ihre Ansprüche definieren können. Es gibt nicht nur vier Schwierigkeitsgrade und dazu zwei Verfeinerungen, sondern auch genug Unterpunkte, die den Komfort hinsichtlich der Anzeige und Hilfe während des Abenteuers betreffen.

Fazit

Wie erzählt man eine richtig gute Geschichte? Man muss seine Zuhörer von Anfang an neugierig machen. Man muss sich viel Zeit nehmen, auch für Kleinigkeiten am Rande, damit sich eine glaubwürdige Atmosphäre entfalten kann. Wenn man dann noch viel Hingabe für Charaktere und deren Schicksale zeigt, entsteht ein spannendes Abenteuer, in das man sich für zig Stunden hineinversetzen will - das macht den Reiz eines Rollenspiels aus. Pillars of Eternity spielt sich so gemütlich, als würde ein Meister dabei genüsslich Pfeife rauchen. Es hat seine Macken in Kampf und Wegfindung, entzaubert unnötig über zu frühes Herstellen von viel Klimbim und verärgert mit seiner schlampigen Lokalisierung. Aber es fühlt sich an wie eine Lagerfeuergeschichte aus alten Tagen, als man mit Minsc oder Mortimer bis tief in die Nacht durch Wälder und Dungeons zog - die hier endlich (!) mit Fallen, Geheimgängen und Rätseln locken. Nur weil sich über 70.000 Spieler danach gesehnt haben, konnte Obsidian Entertainment dieses Feuer schüren. Und sie lassen es richtig knistern: Die Amerikaner knüpfen nicht nur an die Tradition des klassischen Party-Rollenspiels an, indem sie Tugenden aus Baldur's Gate und Planescape Torment vereinen. Sie erschaffen abseits von Dungeons & Dragons eine eigene Fantasywelt und demonstrieren, dass Kreativität und Leidenschaft wichtiger sind als jede Engine und jede noch so tolle Technik.

Pro

interessante neue Fantasywelt
unheimlich gemütliches Rollenspiel alter Schule
epische Geschichte mit erzählerischem Tiefgang
klasse Storytelling mit Interaktionstafeln
sehr gute offene Dialoge
tolle Neben- und Gefährtenquests
zig Fallen, Geheimgänge und Rätsel
edle Kulissen, ansehnliche Animationen
sehr gutes Figuren- und Kreaturendesign
tolle Zauber- und Beschwörungseffekte
Entscheidungen beeinflussen Ruf
Landschaften, Siedlungen, Tempel & Dungeons
komplexe Charaktererstellung, neue Völker
vielfältige Charakterentwicklung
Party mit bis zu sechs Figuren, eigene erstellbar
pausierbare taktische Kämpfe
Magie, Beschwörungen, Schusswaffen etc.
Schleichmodus deckt Geheimnisse auf
Gefährten kommentieren, haben eigene Ziele
Bewohner reagieren auf Ruf
Diebstahl wird bemerkt und bestraft
Ausrüstung sofort an Figuren sichtbar
Nahrung, Tränke und Zauber mixen
eigene Burg verwalten und verteidigen
Tag- und Nachtwechsel, Rast und Verpflegung
mehrere Schwierigkeitsgrade wählbar
komfortable Waffen- & Rüstungsvergleiche
Bestiarium mit Zeichnungen und Infos
Spieltempo optional verdoppeln
zig Optionen für Spiel & Steuerung
epische Musikuntermalung

Kontra

schlampige deutsche Übersetzung
Wegfindungs
& Übersichtsprobleme im Kampf
keine taktischen Verhaltensketten festlegen
Partyinteraktion nicht lebendig genug
einige unlogische Situationen
platte Texturen im Vollzoom; Kamera nicht drehbar
kleine Grafikfehler

Wertung

PC

Pillars of Eternity spielt sich so gemütlich, als würde Tolkien dabei genüsslich Pfeife rauchen - es knistert wie in alten Zeiten. Ein ausgezeichnetes Rollenspiel!

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Kommentare

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greenelve

Ich habe jetzt mal nachgeschaut, und vielleicht bin ich betriebsblind und sehe die Option einfach nicht, aber da scheint nichts dergleichen zu sein.
Mein Fehler, in Teil 1 gibt es vorgefertigte Spots, an denen das Spiel nach Skalierung fragt. In Optionen lässt es sich nicht ändern.

vor 4 Jahren
TheLaughingMan

Meine Frage: Wirkt sich die Wahl bezüglich des skalierens etwa auch rückwirkend auf ältere Spielstände aus? Und wenn ja: Gibt es ne Möglichkeit das ungeschehen zu machen? Ne Mod oder ein Konsolen Befehl?
Das sollte im Optionsmenü gehen. Dort sollte ein Haken bei Gegnerskalierung sein. Deswegen vermute ich, bei deinem alten Spielstand kam die Abfrage nicht.
Ich habe jetzt mal nachgeschaut, und vielleicht bin ich betriebsblind und sehe die Option einfach nicht, aber da scheint nichts dergleichen zu sein.

Muss man scheinbar wirklich über Konsolen Befehle deaktivieren. Finde es ein bisschen übergriffig von Seiten der Programmierer das die Funktion auch ungefragt auf ältere Spielstände an zu wenden.

vor 4 Jahren
greenelve

Meine Frage: Wirkt sich die Wahl bezüglich des skalierens etwa auch rückwirkend auf ältere Spielstände aus? Und wenn ja: Gibt es ne Möglichkeit das ungeschehen zu machen? Ne Mod oder ein Konsolen Befehl?
Das sollte im Optionsmenü gehen. Dort sollte ein Haken bei Gegnerskalierung sein. Deswegen vermute ich, bei deinem alten Spielstand kam die Abfrage nicht.

vor 4 Jahren