Im Test:
Am Ende des Weges
Wo zur Hölle ist Clementine? Wer ist dieser mysteriöse Fremde, der sie über Funk zu sich gelockt hat? Obwohl Lee aus Sicht der Gruppe ein weitaus größeres Problem mit sich herum trägt, kann er das kleine Mädchen nicht vergessen, das er seit der ersten Episode wie ein Vater vor allen Gefahren beschützt – vielleicht habt ihr es ja auch ein wenig anders interpretiert. Ich stecke als Spieler mittlerweile so tief in seiner Rolle, dass ich es nicht nur für selbstverständlich halte, die Kleine zu retten. Nein, da kocht auch eine Wut auf diesen Mistkerl, der einem vielleicht die letzte Hoffnung geraubt hat.
Telltale versteht es sehr gut, diese Gefühle in einen Psychokrieg zu leiten, der mit einer Duellsituation zu den dramaturgischen Höhepunkten des Abenteuers gehört. Denn dort werden nicht nur einige offene Fragen geklärt und Konsequenzen spürbar, sondern dort wird das eigene Gewissen und die eigene Moral nochmal so stark hinterfragt, dass Lee auch angesichts all dessen, was er erlebt hat und aktuell erleiden muss, durchaus zusammen brechen könnte. Wer ist eigentlich Opfer, wer ist Täter? Ob Lee wirklich stark bleibt? Ihr entscheidet das genauso wie viele andere heikle Situationen.
Unheimliche Kürze
Trotz der simplen Mechanik entsteht dabei enorme Spannung, denn man kann sich dabei verzetteln und die Gruppe in den Tod reißen, wenn man etwa die falsche Schublade öffnet oder zu spät mit dem Hackmesser zuschlägt. Es gibt eine Situation, in der sich die Gruppe gegen eine Übermacht an Zombies verbarrikadieren muss: Hier muss Lee in wenigen Sekunden entscheiden, wer sich um die Fenster, die Türen, die Waffen oder den Dachboden kümmert. Danach entstehen sehr intensive Momente, wenn das Stöhnen um das Haus herum immer lauter wird, immer mehr Arme durch einen Spalt greifen und Lee sie rechtzeitig abhacken muss, während sich die anderen verzweifelt gegen die Tür stemmen.
Hart an der Schmerzgrenze
Telltale geht aber im wahrsten Sinne des Wortes an die Schmerzgrenze, was die explizite Darstellung angeht – und das ist in diesem Fall gut so: Ich habe in einer Szene wegsehen müssen, musste aktiv in mehreren Schritten den Ekel überwinden. Zwar sind die Entwickler noch nicht auf par mit den expliziten Gewaltorgien der Comicvorlage, die für die Dramaturgie auch nicht wichtig sind, aber was die Gnadenlosigkeit angeht, sind sie mittlerweile auf par. Noch stärker als blutige Zwischenfälle wirken ohnehin die traurigen Momente nach, die die Gruppe ereilen. Hier werden alle Beziehungen nochmal auf die Probe gestellt: Vor allem aber jene zwischen Lee und Kenny, zwischen Kenny und Ben.
Der Tod war immer und überall in den Episoden, aber hier lässt Telltale der Sense mit hohem Bodycount auf allen Seiten freien Lauf. Es gibt keine Kompromisse, keine Rettung ex machina, nur noch Kampf und Tod, Tränen und Verzweiflung. Aber nicht so, dass das Abenteuer nicht diesen einen wichtigen Funken Hoffnung scheinen ließe, nicht so deprimierend, dass man komplett aufgeben wollte – bis zum Schluss lässt die Story noch
Kleiner Rückblick
Nein, Telltale Games konnte und kann auch mit diesem Finale nicht alle Erwartungen erfüllen. Zum einen, was den Einfluss des Spielers angeht: Während der fünf Episoden hat man sich oft gefragt, warum man den Verlauf der Geschichte in wirklich entscheidenden Momenten nicht beeinflussen konnte, warum einem so häufig mehrere Pseudo-Antworten eine Wahl vorgaukelten, wo es doch letztlich nur auf eine Situation hinauslief. Das war nicht immer so und in diesem fünften Teil werden auch einige vergangene Situationen aufgelöst, aber das hätte man besser lösen können.
Zum anderen, was die Technik angeht: In der nächsten Staffel müssen die Entwickler die akustischen (doppelt gesprochene Sätze) und grafischen Probleme in den Griff kriegen, die in der dritten Episode mit krassen Bugs ihren Höhepunkt erreichten. Es kann nicht sein, dass ein Adventure, das in so begrenzten Arealen mit so wenig Polygonpower spielt, diese Schwächen zeigt – wenn schon Comicartdesign ohne offene Welt, dann muss das auch sauber auf allen Systemen flutschen. Aber bei aller Kritik hat mich The Walking Dead über fünf Folgen sehr gut unterhalten.
Fazit
Ich habe gestern Abend tatsächlich eine Träne verdrückt – natürlich im Dunkeln. Da lief der Abspann und der Kloß im Hals brauchte wohl etwas Flüssigkeit. Es ist unheimlich selten, dass virtuelle Abenteuer diese Emotionen auslösen. Und ehrlich gesagt habe ich Telltale Games angesichts der bisherigen Klick-Komödien nicht zugetraut, in wichtigen Bereichen der Story so mutig zu sein oder die Kamera tatsächlich voll draufzuhalten, wenn es weh tut – es gibt eine Szene, da musste ich mich abwenden. Den Entwicklern gebührt trotz kleiner technischer und spielmechanischer Schwächen ein ganz großes Lob für etwas anderes als explizite Gewalt: Und zwar dafür, eine ergreifende Geschichte gnadenlos zu Ende erzählt zu haben. Noch ist die Spielewelt weit entfernt von der dramaturgischen Klasse, die mich über dutzende Folgen an TV-Serien wie Carnivale, The Walking Dead oder Breaking Bad kettet, weil dort Charaktere und Beziehungen über eine längere Zeit entwickelt werden – etwas, das der eindimensionalen Spielwelt abgeht. Aber wenn dieses Episodenformat mit dieser Regie weiter Schule macht, werden auch digitale Abenteuer dramaturgisch wachsen. Ich freue mich auf die zweite Staffel. Und auf Entwickler, die dieses Konzept nachahmen.
Pro
Kontra
Wertung
360
Ein unheimlich kurzes, aber ergreifendes Finale. Ich freue mich auf die zweite Staffel!
PlayStation3
Ein unheimlich kurzes, aber ergreifendes Finale. Ich freue mich auf die zweite Staffel!
PC
Ein unheimlich kurzes, aber ergreifendes Finale. Ich freue mich auf die zweite Staffel!
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