Earth 216007.06.2005, Jörg Luibl
Earth 2160

Im Test:

Ist Earth 2160 (ab 7,00€ bei kaufen) der erste Strategie-Kracher des Jahres? Schon in unserer Vorschau hinterließ das Spiel der polnischen Reality Pump Studios einen sehr guten Eindruck. Neben der hervorragenden Kulisse konnte vor allem der Umfang begeistern: Vier Völker mit komplexen Technologiebäumen warten in epischen Kampagnen auf ihren Meister. Dazu gibt's innovative Rollenspielelemente und physikalischen Realismus. Alle Vorzeichen deuten auf ein futuristisches Epos der Extraklasse. Bestätigt der Test die Euphorie?

Goldene Überraschung

Mitte Mai endete meine Vorschau zu Earth 2160 mit folgendem Satz:

"Bisher schien uns Held Falkner allerdings noch ein bisschen zu blass im Vergleich zu den skurrilen virtuellen Agenten, die wesentlich knackiger wirken. Aber vielleicht entwickelt er sich ja im Laufe des Abenteuers noch? Zeit genug hat er."

Das ist ein Optimismus, den Redakteure gerne nach dem ersten Probe spielen verbreiten, ohne wirklich daran zu glauben, dass sich etwas ändert.

Aliens im Anflug. Diese neue Rasse wird Spielern Freude und Gegnern Kopfzerbrechen bereiten.
Umso größer war die Überraschung, als uns die Testfassung inklusive des Gold-Updates ins Haus flatterte. Denn nach der Installation ertönte eine ganz neue Stimme: Zuxxez hat auf die Schnelle noch den deutschen Synchronsprecher von Bruce Willis engagieren können. Und das hat sich gelohnt, denn aus dem schluffigen wurde plötzlich ein kerniger Held - was für ein Unterschied! Jeder sollte sich dieses Update installieren, denn es wertet das Spielerlebnis erheblich auf:

Download: Gold-Update (172 MB)

Freude schöner Verpackungsfunke

Aber nicht nur diese tontechnische Blitz-Aktion sorgt für Freude. Eigentlich rede ich ungern über die Ausstattung von Spielen, aber diesmal geht kein Weg daran vorbei: In Zeiten von lieblosen pdf-Handbüchern wirkt die Aufmachung von Earth 2160 fast schon verschwenderisch luxuriös. Neben einem 141-seitigen Handbuch, einer farbigen Übersichtskarte und einer Soundtrack-CD protzt die Verpackung noch mit einem Bewegungsmelder sowie einem coolen Hologrammbild. Und das ist keine Special-Edition, sondern die stinknormale Verkaufsversion.

Das alleine würde mir als Berufsnörgler mit einer Vorliebe für innere Werte noch nicht reichen, um den Hut zu ziehen. Erst der zweite Blick Dutzender Spielstunden offenbart die wahre Qualität: Earth 2160 wird nicht nur üppig präsentiert, es wurde auch üppig programmiert. Dieses Echtzeit-Strategiespiel schlägt in Sachen Umfang und Möglichkeiten alles, was mir in den letzten Jahren untergekommen ist - rechnet mit etwa 100 Stunden Spielzeit und einem Technologiebaum mit Experimentiergarantie bis zur Rente! So, jetzt ziehe ich den Hut.

Trotz der Anerkennung des Umfangs und der kühlen Brise bleibt der Blick scharf. Denn auch ohne Kopfbedeckung stellen sich viele Fragen: Ist die Story auch so gut wie sie lang ist? Kann das Leveldesign überzeugen? Funktioniert die Steuerung? Kurzum: Kann Earth 2160 tatsächlich zu dem futuristischen Epos avancieren, das so viele erwartet haben? Unsere Vorschau hat diesbezüglich Hoffnung gemacht, denn der Ausblick mündete in hitverdächtige Regionen.    

Story & Charaktere

Allerdings konnten wir damals noch nicht sehr weit in die Geschichte vordringen. Mittlerweile haben wir uns durch die Kampagnen gekämpft, die die Schicksale der vier Völker verknüpfen. Und die SciFi-Story punktet nicht nur mit epischem Ausmaß, sondern auch mit jeder Menge Intrigen, bösen Überraschungen und skurrilen Charakteren - es gibt keine 08/15-Story, sondern eine durchdachte Erzählung mit interessanten Perspektivwechseln. Erlebt man die erste Kampagne noch aus

Ihr habt in der nicht-linearen Kampagne die Wahl, welchen Auftrag ihr als nächstes meistern wollt.
der Sicht von ED-Major Falkner, sieht die Welt aus LC-Captain Ariahs Augen schon ganz anders aus. Und da man viele Aufträge quasi in Rollenspielmanier mit einem Helden im Zentrum bestreitet, der Gegenstände findet, Waffen und Kleidung wechseln sowie Bomben legen kann, fällt auch die Identifikation mit den Hauptfiguren leichter.

Worum geht's? Auf dem Mars des Jahres 2160 kämpfen ehemalige Erdbewohner der drei Fraktionen Eurasian Dynasty (ED), Lunar Corporation (LC) und United Civilized States (UCS) um Macht und Rohstoffe. Doch die verfeindeten Parteien sind scheinbar nicht allein: Wie aus dem Nichts tauchen, ganz à la Ground Control 2 , Aliens auf und mischen sich in den Kampf. Woher kommen sie? Was wollen sie? Als würde diese Gefahr nicht reichen, sorgen religiöse Sektierer mit der angeblichen Entdeckung einer neuen Erde für Unruhe. Alles nur Unsinn?

Obwohl es hier und da kleine Längen gibt und das Abenteuer der LC-Amazonen etwas fader wirkt als das der ED, überzeugt die Story mit einer guten Spannungskurve. Aus Routine-Einsätzen werden Himmelfahrtskommandos, aus Feinden plötzlich Freunde, aus Verbündeten Verräter. Auch die Präsentation über das Intro, die Zwischensequenzen und die Funkdurchsagen samt animierter Porträts gefällt auf ganzer Linie. Und da wären noch die knackigen Dialoge mit ihrer Mischung aus Kasernenton, derbem Witz und coolen Sprüchen - auch, wenn die Texte meist nicht lippensynchron gesprochen werden und einige Rechtschreibfehler auftauchen. Insgesamt entsteht jedoch eine sehr glaubwürdige Version der Zukunft, in die man motiviert abtaucht.

Virtuelle Agenten

Dafür sorgen auch die virtuellen Agenten. Diese käuflichen Helfer verleihen dem Spiel fast schon so etwas wie eine lebendige Partyinteraktion im Stile von Star Wars: Knights of the Old Republic . Sowohl in der Kampagne als auch im Skirmish könnt ihr bis zu drei von insgesamt zwölf skurrilen Charakteren gleichzeitig unter Vertrag nehmen - darunter Mediziner, Killer, Söldner, Spione, Wissenschaftler und sogar Priester. Sie erhöhen für die Dauer ihres Vertrages bestimmte Werte wie eure Schusspräzision oder verringern Produktionskosten. Und sobald sie aufeinander treffen, wird umgehend gezickt, geflirtet und geflucht. Wer einen Kampfroboter und einen Wissenschaftler engagiert, kann folgenden Dialog erleben:

Prof. O'Rourke: "Interessantes Plug-In, das du hast. Kann ich es haben?"

Rob M-60: "Interessanter Augapfel den du hast. Kann ich den haben?"

Man kann die Integration dieser Söldner gar nicht genug loben, denn sie durchbrechen den Aufbau- und Kampfalltag immer

Links seht ihr, welcher virtuelle Agent gerade in euren Diensten steht.
wieder mit ihren Sprüchen und fiesen Aktionen, wie z.B. dem Abwerben feindlicher Agenten. Sie bringen ihre eigenen Fahrzeuge oder Raumschiffe mit und können euch tatkräftig unterstützen, indem sie gleich ganze Aufgaben übernehmen: Professor O'Rourke kann eure Forschung, Haudegen Lassiter eure Verteidigungsanlagen und Roboter Rob M-60 sogar den kompletten Angriff übernehmen. Für euch heißt das: zurücklehnen und zuschauen oder an anderer Stelle planen - ein entscheidender Vorteil! Nur wer die Aliens spielt, muss auf die Hilfe der Agenten verzichten.

Da sie sich zufällig wie Spielkarten anbieten, gewinnen gerade Skirmish und Multiplayerpartien eine erfrischend ungewisse Note: Wen nehmt ihr an? Wen lehnt ihr ab? Und wer hilft euch am meisten in der gegenwärtigen Kampfsituation? Wer die Personalplanung in Online-Gefechten nicht möchte, kann die virtuellen Agenten auch ausschalten. Überhaupt ist Earth 2160 ein Paradies für Optionsfetischisten: Egal ob Kameraperspektive, Befehlsklicktaste oder der auf Dauer immer nervige Einheitenkommentar - alles lässt sich euren Wünschen anpassen. Und das ist auch gut so. Die Musikuntermalung kann instrumental überzeugen, denn die lieblichen Klänge sorgen für einen Hauch von Tragik, der wunderbar zur Endzeitatmosphäre passt. Aber sobald die weibliche Stimme mit leicht osteuropäischem Akzent ihre platten Texte zum Besten gibt, verfliegt der tragische Duft: "You always got to live to the maximum…" erinnert eher an einen 80er-Boxfilm als an das 22. Jahrhundert. Aber auch das lässt sich ja abschalten.

      

Kolossale Kulisse

Die Kampagne ist spannend, die Dialoge sind gut und es ist Leben in der Bude. Aber wie sieht es auf dem Schlachtfeld aus? Fantastisch. Dass die Kulisse rockt, liegt an der leistungsstarken PBC-Engine: Sandstürme rauben euch die Sicht und fließende Tag- und Nachtwechsel tauchen die Landschaft mal in gleißend helle, mal in schattig kühle Farben. Ihr könnt sogar

Ein Koloss vor der Landung: Earth 2160 wurde nicht nur gigantisch verpackt, sondern bietet auch massig Spiel fürs Geld.
mit einer Einheit in die Ego-Perspektive wechseln, um die Umgebung hautnah zu erkunden. Es gibt sowohl natürlichen Dunst als auch eine Art Elektrosmog, der den Nebel des Krieges darstellt. Und die Echtzeitschatten wandern mit dem Sonnenstand um Objekte herum. Wenn dann erst Laser und Raketen loslegen, gibt's eine silvesterreife Partikelparty mit sternförmigen Rauchfontänen; selbst Einschusslöcher und Staub sind nach Kämpfen auf euren Fahrzeugen zu sehen - klasse!

Earth 2160 schlägt Perimeter und Ground Control 2 in Sachen Landschaft, Gebäude und Explosionen um Längen. Es gibt zwar kein spektakuläres Nahkampffest à la Warhammer 40.000: Dawn of War , aber darauf ist Earth 2160 auch nicht ausgelegt. Dafür sehen die Bewegungen der organischen Wesen wiederum fantastisch aus: Wenn eine vierbeinige Mantian Queen über den Sandboden krabbelt, kommt Freude auf. Überhaupt glänzt das Figurendesign mit eigenwilligen Ideen und bizarren Einfällen: Reparaturroboter schweben werkelnd über euren Türmen, Raketenwerfer gleiten auf Schienen die

Die PBC-Engine:

* eigens für Earth 2160 entwickelt

* Verschleißspuren an Fahrzeugen & Gebäuden

* Hollow-Lighting & Mesh-MorphingMauern entlang, Aliens kauern sich zur Verteidigung zusammen. Nur ab und zu hapert es an den Details: Die Kriechbewegungen der Soldaten könnten besser sein und ab und zu gibt es falsche Grafiken beim Schuss aus der Deckung: obwohl der Laser nach unten schießt, fällt oben ein Gegner um.

Aber das sind Peanuts, wenn man bedenkt, dass auch eine Physik-Engine zum Einsatz kommt: Ihr könnt z.B. eine Geröll-Lawine auslösen, indem ihr Felsen an einem Abhang so vorteilhaft anschießt, dass sie Richtung Tal und Feind donnern - auf dem Weg walzen sie alles nieder. Und das Schöne ist, dass Earth 2160 vor allem eine leistungsfähige Grafikkarte, aber nicht unbedingt einen ultraschnellen Prozessor benötigt. Ein Minimum liegt allerdings bei einer GeForce 3Ti, 1,5 Ghz samt 512 MB Ram. Das sollte bei runtergeschraubten Details auch für knackige Multiplayergefechte ausreichen, die ihr im LAN oder über das Earthnet inklusive Statistiken und Chatfunktion austragen könnt. Die vier Spieltypen "Gebäude zerstören", "Gegnerischen Helden töten", "Friedfertiger Beginn" und "Onkel Sam" bieten genug Variation - in letzterem Modus habt ihr nur begrenzt Rohstoffe zur Verfügung.

Komfortable Truppenverwaltung

Earth 2160 bleibt seinen Vorgängern treu und serviert euch sowohl einen umfangreichen Aufbauteil samt Rohstoffsuche als auch Forschung und Kampf. Und bei der Vorbereitung dazu fällt sofort der innovative Komfort ins Auge: Ihr könnt nämlich schon in der Bauphase bestimmen, zu welcher Gruppe der kommende Panzer gehören soll und ihn anweisen, direkt dorthin zu fahren - ideal, wenn es an der Front brennt und der Nachschub schnell kommen soll. Noch effektiver sind ganze Baupakete aus verschiedenen Truppentypen, denn dann braucht ihr später nicht manuell dafür zu sorgen, dass es einen harmonischen Ausgleich zwischen den Waffengattungen gibt: Infanterie, Luftabwehrwagen, Panzer und Flieger sind sofort in einem Team. Lobenswert ist auch, dass eure Truppen Erfahrung in mehreren Rangstufen gewinnen und so deutlich besser attackieren oder mehr einstecken. Knapp ein Dutzend Veteranen werden in die nächste Mission übernommen - allerdings könnt ihr sie euch nicht selbst aussuchen.

Zeit für's Waffenstudium? Das ist nur einer von drei ausgefeilten Technologiebäumen.
Auch die Erforschung neuer Technologien geht bequem von der Hand: Wenn ihr unbedingt den schweren Kampf-Mech Jaguar entwickeln wollt, reicht ein Klick auf ihn und alle nötigen Forschungen werden automatisch auf lange Sicht durchgeführt - auch wenn ihr erst in der Startphase seid.

Die Benutzeroberfläche ist übersichtlich und bietet euch bei der Fülle an Informationen immer hilfreiche Mausover-Texte, die die Waffensysteme kurz und knackig erklären. Zudem sorgen die vielen kleinen Icons für Durchblick, denn sie zeigen euch sofort an, ob euer Gefährt nur gegen Luft- oder auch gegen Bodenziele einsetzbar ist.

Raketen, Säure & Laser

Das Waffen- und Einheitenangebot ist ein Traum für Tüftler. Ihr könnt dank des modularen Bausystems z.B. ganz eigene Fahrzeuge oder Flieger kreieren: Ihr wählt das erforschte Chassis aus und habt danach Zugriff auf diverse Antriebe, Panzerungen, Waffen und Zubehör. Ihr könnt aus einem Laser spuckenden Buggy in null Komma nichts z.B. einen schnellen Raketenwerfer inklusive Schutzschild basteln. Oder aus einem reinen Bomber einen Kampfjet zaubern. Eure neuen Fahrzeuge könnt ihr nicht nur benennen, sondern umgehend im Produktionsfenster unter die Lupe nehmen, denn mit jedem Bauteil ändert sich natürlich auch das Aussehen.

Möglich wird der Umbau natürlich erst bei ausreichend Forschung. Der ausgefeilte Technologiebaum ist vielleicht die größte Stärke von Earth 2160, denn er lädt immer wieder zum Experimentieren ein. Die vielen Waffensysteme sorgen dafür, dass es auf dem Schlachtfeld nie zu langweiliger Statik kommt: Wenn euer Gegner plötzlich einen Abwehrlaser für seine Flieger erforscht, der eure Boden-Luft-Raketen pulverisiert, müsst ihr schnell eine alternative Waffe für eure Türme erforschen. Oder helfen vielleicht Ionenblaster? Oder ätzende Chemie? Die Möglichkeiten sind so enorm, dass sich selbst die Gefechte mit gleichen Parteien selten ähneln.

     

 Vier gewinnt

Earth 2160 hat satte vier Völker, die sich ohnehin erfrischend unterschiedlich spielen. Das beginnt schon bei den Rohstoffen: während ED-Feldherren Metall und Wasser benötigen, brauchen die LC-Mädels Kristall und Wasser, die Aliens wiederum alle Rohstoffe. Aber das sind nur die kleinen Unterschiede beim Sammeln - in Sachen Gebäude, Einheiten und Taktiken gibt es größere. Hier Mauern mit gleitenden Abwehrkanonen, da Laserzäune mit Blastern oder schwere Bunker; hier Hauptquartiere, die in die Breite gehen, da Wolkenkratzer mit mehreren Plattformen; hier Hacker und schwebende Soldatinnen; da Scharfschützen und Fahrer; hier Einfriertechniken, da ätzende Säure. Und die UCS lassen mit ihren Teleportern Erinnerungen an die Eldar aus Warhammer 40.000: Dawn of War wach werden.

Kampf im Tal: Laser und Raketen geben Zunder.
Selbst eingefleischte Earth 2150-Veteranen werden sich spätestens dann umstellen müssen, wenn sie die Aliens spielen. Denn die können zwar weder auf virtuelle Agenten noch auf feste Basen oder Forschung zurückgreifen, aber sie haben ihren Technologiebaum quasi in den Genen. Über geschicktes Klonen und Transformieren lassen sich bizarre Wesen erschaffen, die mal wie Insekten, mal wie Alptraumkreaturen aus der Silent Hill-Welt aussehen - das Figurendesign ist genial und man zoomt immer wieder ganz nah ran an Chitinpanzer und Stacheln. Am Ende der Entwicklungskette stehen mächtige Raumzerstörer, die Bildschirm füllenden Schaden anrichten.

Verbesserungswürdige Truppensteuerung

An die vorbildliche Truppenverwaltung kommt die Truppensteuerung leider nicht heran, sonst hätte Earth 2160 locker unseren Wertungsgipfel gestürmt. Obwohl man sowohl über Gruppenbildung, Schnellsprung als auch Lassomethode immer alles im Griff hat, vermisst man einfach mehr Kontrolle im Feld. Ground Control 2 ist da z.B. wesentlich komfortabler. Man kann seinen Verbänden z.B. weder Formationen zuweisen noch die Marschgeschwindigkeit vereinheitlichen. Das ist deshalb ärgerlich, weil sich im Kampf z.B. keine Schusslinie ausrichten lässt: Wenn eine 30 Mann starke Infanterie-Gruppe den Feind angreifen soll, schießen manchmal nur die vorderen acht. Beim Aufmarsch zur Front entstehen wiederum lange, angreifbare Kolonnen, da sich die schnellsten Einheiten nicht an der langsamsten orientieren - also muss man immer wieder nachhelfen. Immerhin formieren sich Nah- und Fernkämpfer meist automatisch so effektiv wie möglich, so dass man im freien Feld auf Formationen verzichten kann.

Allerdings kann in den zahlreichen Schluchten und engen Tälern die Wegfindung dazwischen funken: Zwar finden eure Truppen meist den Weg von A nach B, selbst über eine weite Strecke, aber sobald es irgendwo enger und voller wird, blockieren sich die Truppen schon mal gegenseitig, lassen sich nicht durch oder fahren im Kreis. Das kann im Kampf zu ärgerlicher Haufenbildung führen, da die Panzer nicht schnell genug vor die Artillerie kommen - hier müsste man per Patch noch nachhelfen. Obwohl die Befehlsleiste mit Stellung halten und Feind verfolgen, genauem Zielen oder Feuerstoß sowie aufrecht und liegend angreifen lobenswert viele Möglichkeiten für den Kampf bietet, fehlen hilfreiche Zusätze wie z.B. das simple Einheit beschützen. Vor allem, da man seine Rohstoffsucher oder die Artillerie schon mal weit auf die Karte entlässt und sie nicht schutzlos ausliefern will. Natürlich kann man hier manuell für Sicherheit sorgen, aber das hätte man genau so automatisieren können wie das Auskundschaften: Wer die Karte erkunden will, kann zwar selber Wegpunkte festlegen, aber nicht per Knopfdruck automatisch einen Scout losschicken. Dafür gibt es wiederum eine informative Bild-in-Bild-Funktion, die euch das Gebiet aus der Perspektive des Scouts zeigt. Das ist auch im Kampf eine ideale Hilfe: Ihr könnt im kleinen Ausschnitt das Gefecht verfolgen, während ihr euch um eure Basis kümmert.

Leveldesign: Stärken & Schwächen

Earth 2160 ist ein Echtzeit-Strategiespiel für Profis und Feldherren, die sich über Wochen richtig in ihr Spiel reinknien wollen. Dafür sorgt nicht nur der Technologiebaum, sondern auch das Leveldesign. Zwar besteht jede der vier Kampagnen nur aus sieben Missionen, aber die haben es in sich: Schon der erste Auftrag wird euch knapp eine Stunde beschäftigen, später kann man sich mehrere Stunden an vielen kleinen Neben- und Hauptaufgaben versuchen, die sehr viel Abwechslung bieten: eine bestimmte Zahl an Rohstoffen fördern, Türme mit Bomben zerstören, unentdeckt in Lager vordringen, Wissenschaftler finden, Verräter suchen. Schön ist, dass nicht alle Ziele Pflicht sind und dass man während der Kampagne oftmals die Wahl hat, zunächst diesen oder jenen Auftrag anzunehmen.

Rauchfontänen und Feuerkrater - die Kulisse ist bombastisch.
Diskussionswürdig ist allerdings der zähe Ablauf mancher Missionen: Es gibt selten einen einzigen neuralgischen Punkt wie ein Hauptquartier oder einen Feind, den es zu zerstören gilt. Meist muss man am Ende alle Gebäude und Einheiten des Gegners vernichten, um die Mission erfolgreich zu beenden. Da die gute KI selbstständig im Hintergrund agiert und ihre Basen klug ausbaut, kann das im besten Fall zu sehr langen Materialschlachten führen - was Spaß macht. Allerdings kann das im schlechtesten Fall dazu führen, dass man z.B. einen lebenden Feind oder ein abgelegenes Gebäude auf der riesigen Karte finden muss, um endlich die Mission zu beenden. Schade ist auch, dass manche Missionsfehlschläge nicht erklärt werden: Plötzlich ist es vorbei, und man weiß nicht immer, warum.

Während der Kampagnen herrscht aber meist ein sehr guter Spielfluss, der durch plötzliche Ereignisse, Angriffe und Zwischensequenzen aufrecht erhalten wird. Unglücklich ist nur, dass das Spiel während der eingeblendeten Dialoge weiter läuft, ohne dass man eingreifen kann. Gegen Ende der Kampagnen kann es zudem zu eintöniger Sucherei und sogar kritischen Sackgassen kommen: Wer alle Rohstoffe einer Karte verbraucht hat und alle seine Einheiten im Kampf verloren hat, aber immer noch nicht die letzte Feindbasis zerstört hat, hat ein Problem. Er muss über den Verkauf der eigenen Gebäude dafür sorgen, dass wieder genug Rohstoffe für den Fahrzeugbau ins Depot kommen. Natürlich können gute Spieler solche Situationen verhindern, indem sie nicht so verschwenderisch forschen und bauen. Und auch das vorbildliche Autospeichern kann diesem Frust mit seinen vielen Rücksetzpunkten einen Riegel vorschieben.

     

Fazit

Episch, umfangreich, prächtig. Meine Herren: Hut ab vor diesem Schwergewicht! Mir ist in den letzten Jahren kein Echtzeit-Strategiespiel begegnet, das sich in Sachen Umfang mit diesem herrlichen Ungeheuer messen könnte: Jedes Volk verlangt eine eigene Aufbau- und Kampftaktik, der komplexe Technologiebaum lädt immer wieder zum Experimentieren ein und die futuristische Kampagne ist nicht nur spannend erzählt, sie will auch gar nicht aufhören - 80 bis 100 Stunden solltet ihr einrechnen! Das übertrumpft nicht nur so manches Rollenspiel, hinzu kommt der geniale Auftritt der virtuellen Agenten, die mit ihren zickigen Kommentaren für Leben sorgen. Reality Pump kann an die hohe Qualität der Vorgänger anknüpfen und nebenbei noch grafisch Maßstäbe setzen. Einsteiger seien allerdings gewarnt: Nach all den auf Mainstream getrimmten RTS-Leichtgewichten gibt`s hier die volle Packung für Profis. Man muss sich mit Geduld und Spucke durchbeißen, die KI ist kein Kanonenfutter. Allerdings hat all die Pracht auch Schönheitsfehler: Zum einen kann man weder Formationen noch eine einheitliche Marschgeschwindigkeit nutzen. Und zum anderen kann die Kampagne ab und an sehr zäh sein - inklusive der frustrierenden Suche nach dem letzten Gegner auf den riesigen Karten. Hier hätte man die Zielvorgaben weniger oft auf das stupide Zerstöre-alles-Prinzip ausrichten sollen. Trotzdem: Earth 2160 schreitet wie ein Koloss durchs Genre, der sich auch von diesen kleinen Schwächen nicht ins Wanken bringen lässt - vor allem nicht im genialen Multiplayermodus!


Mein Gott, ist das ein Monster! Vier Rassen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ein umfangreicher Tech-Tree und obendrauf eine hervorragende Grafik, die das Zuschauen zu einem wahren Vergnügen macht. Kleinere Schwächen im Leveldesign der Kampagnen nehme ich angesichts des immensen Tiefgangs von Earth 2160 genau so stillschweigend in Kauf wie die suboptimale Wegfindungsroutine. Da abgesehen von den schwachen Gesangs-Kompositionen die Musik genau so stimmig ist wie der Rest der Soundkulisse entpuppen sich die pompösen Schlachten schnell als Strategie-Futter für alle Sinne, von dem man nicht so schnell wieder los kommt. Nicht zu vergessen die fordernden Mehrspieler-Gefechte, die mit einer ansprechenden Anzahl an bereits fertigen Karten sowie dem integrierten überaus mächtigen Editor auch auf lange Sicht Spaß garantieren. Wer auch nur einen Funken Interesse am Strategie-Genre hat, sollte zuschlagen!

Pro

gute Story
virtuelle Agenten
mächtiger Editor
fordernde KI
hervorragende Kulisse
integrierte Physik-Engine
Speichern im Multiplayer
sehr gutes Einheitendesign
Steuerung frei modifizierbar
Strategie mit Rollenspielflair
komplexe Technologiebäume
vier umfangreiche Kampagnen
klasse deutsche Sprachausgabe
intuitive Benutzeroberfläche
erfahrene Einheiten übernehmen
enorme Einheiten- & Waffenvielfalt
komfortables Truppen-Management
coole Verpackung, üppiges Handbuch
stimmungsvoller Tag- & Nachtwechsel
vier Völker mit eigenem taktischen Anspruch

Kontra

keine Formationen
teilweise zähes Missionsdesign
keine einheitliche Marschgeschwindigkeit
Wegfindungsschwächen in engen Gebieten
Songtext zum Abgewöhnen

Wertung

PC

Episch, umfangreich, prächtig. Meine Herren: Hut ab vor diesem futuristischen Schwergewicht!

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