Im Test:
Volle Bewegungsfreiheit
Anti-Virenprogramme glänzen nicht unbedingt durch einen hohen Unterhaltungsfaktor. Man drückt einen Startknopf und schon werden Speicher und Dateien des Computers nach Schädlingen, Trojanern und Malware durchforstet, in Quarantäne verschoben oder vorsorglich eliminiert. Der Benutzer selbst bekommt davon nichts mit. Aber wäre es nicht aufregend, sich selbst auf die Jagd nach bösartigen Programm zu begeben und sie eigenhändig zu erledigen? Genau hier setzt Retrovirus an, bei dem man das Steuer eines Mini-Schiffs übernimmt, mit dem man sich durch verwinkelte Daten-Korridore bewegt, Firewalls überbrückt, Schlüsselkarten sucht und feindlichen Code mit diversen Waffensystemen zerstört. Für die schnelle Flucht oder ein Voranpreschen steht außerdem eine Boost-Funktion zur Verfügung.
Anders als in einem gewöhnlichen Ego-Shooter genießt man hier die völlige Bewegungsfreiheit im Raum - man kann das Vehikel also komplett um alle Achsen drehen, um das Innenleben des Computers bzw. der Software zu erforschen. Entsprechend schnell stellt sich das wunderbare „Fluggefühl“ ein, das manche Spieler noch aus Klassikern wie Descent oder Forsaken kennen und das hier ähnlich gut funktioniert. Das gilt nicht nur für die Steuerung mit Maus und Tastatur, denn auch Controller wie das 360-Pad werden unterstützt und sind für eine präzise Navigation geeignet. Voraussetzung ist hier jedoch, dass man nicht zu der Sorte Spieler gehört, welche die Y-Achse invertieren. Zwar findet man einen entsprechenden Menüpunkt in den Optionen, doch wirkt sich die invertierte Steuerung nur auf die Maus und nicht den Controller aus.
Stilsicher
Besonders visuell sticht Retrovirus hervor: Die künstliche Welt mit ihren verzweigten Röhren, blinkenden Schaltern und Ventilatoren bekommen im Zusammenspiel mit der organisch wirkenden Wurminfektion einen ganz eigenen Stil. Es sieht klasse aus, wie sich die pilzartigen, lilafarbenen Geschwüre ausbreiten oder kleine Saugerwesen wie Kaulquappen an den Wänden entlang schrubben oder sich auf den Spieler stürzen. Im Laufe der „Wurmjagd“ erkundet man u.a. den Desktop, den Web-Browser oder das E-Mail-Programm, bei dem sogar kleine Briefsymbole durch die Gegend schwirren.
Schwankender Schwierigkeitsgrad
Ursprünglich versuchten die Macher, die finale Entwicklung des Spiels über Kickstarter zu finanzieren , doch konnte man das angepeilte Mindestziel von 75.000 Dollar nicht erreichen. Dem kann man mit Hilfe von Updates bzw. Upgrades zumindest im Ansatz entgegen wirken, denn jeder vernichtete Gegner hinterlässt Speicherplatz, den man für Verbesserungen bereitstellen kann. Im Bereich „Optimize“ warten z.B. Tuningteile für eine schnellere Heilung oder die Verlangsamung von Gegnern, während bei „Debug“ mehr Lebensenergie bereitgestellt wird oder die Fähigkeit, Schaden zu absorbieren. Bei Updates im Bereich „Analyse“ lässt sich u.a.die Schadenswirkung der Waffen oder der Scan-Radius erhöhen, mit dem man die Umgebung zunächst vorsichtig nach den Schädlingen abtastet. Hält man den Scan-Knopf länger gedrückt, lässt sich die Funktion sogar mit einer Waffe zu einer Art Druckwelle ausbauen. Schön: Bei der Wahl des Upgrades legt man sich nicht endgültig fest, sondern kann den vorhandenen Speicherplatz jederzeit anderen Verbesserungen zur Verfügung stellen und je nach Bedarf zwischen ihnen wechseln. Ebenfalls als nützlich erweist sich die Schnellspeicherung, damit man nach dem Ableben nicht an den letzten automatischen Checkpunkt zurückgesetzt wird und viele bereits gemeisterte Abschnitte erneut absolvieren muss.
Gemeinsam gegen den Feind
Die komplette Kampagne lässt sich auch gemeinsam mit einem Koop-Partner bestreiten, wobei hier vor allem die Arbeitsteilung aus Scannen und Schießen interessant sein dürfte. Zwar gibt es keine Wiederbelebung, falls der Partner „gelöscht“ wird, doch landet er beim Respawn wieder automatisch in unmittelbarer Nähe des Mitspielers.
Um dem Ganzen noch mehr Würze zu geben, lässt sich optional ein Teambeschuss aktivieren, bei dem man noch wachsamer agieren muss. Stehen für das Deathmatch sieben Karten zur Auswahl, geht die Anzahl bei Domination auf vier, beim Team-Deathmatch sogar nur auf drei zurück, während für den MOBA-Modus lediglich eine Arena geboten wird. Mit einer größeren Auswahl darf man in Zukunft rechnen, denn die Entwickler planen die Veröffentlichung eines Editors für das Erstellen eigener Maps. Vielleicht herrscht dann auch mehr Betrieb auf den Online-Servern, denn bisher ist so wenig los, dass wir nicht einmal alle Modi ausprobieren konnten. Erfreulicherweise kann man aber auch in einem lokalen Netzwerk loslegen.
Fazit
Retrovirus ist ein solider Shooter, der die Tradition eines Descent oder Forsaken wieder aufleben lässt. Vor allem das herrliche Gefühl, sich um alle Achsen drehen und frei im Raum bewegen zu können, kommt hier ähnlich gut rüber wie bei den Vorbildern. Leider gibt es heute kaum noch Spiele in dieser Art. Insofern ist es schön, dass das Team von Cadenza diese Lücke füllt. Vor allem stilistisch überzeugt der Titel mit seiner Mischung aus künstlichen Kulissen und organischen Gegnern, die teilweise an den Klassiker Tron erinnert. Schade, dass die Areale nicht markanter gestaltet wurden und man sich schnell satt gesehen hat. Enttäuschend ist die monotone Klangkulisse mit durchschnittlichen Soundeffekten und öder Musikbegleitung. Der Schwierigkeitsgrad ist zwar über weite Strecken moderat, schwankt aber frustrierend. Koop-Kampagne und Mehrspieler-Modi sind löblich, doch wird man es aufgrund leerer Server schwer haben, Mitstreiter zu finden. Immerhin ist der geplante Editor ein kleiner Hoffnungsschimmer - genau wie die Patches, die die sporadischen Abstürzen hoffentlich bald verhindern.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Stilistisch beeindruckender Shooter mit Descent-Flair, dem auf Dauer aber die Puste ausgeht.
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