Im Test: Ein Fahrgefühl zum Verlieben!
Der Geist von Forza Motorsport & Gran Turismo
Eigentlich sind Rennsimulationen am PC, wie man sich eben eine Rennsimulation am PC vorstellt: staubtrocken, nicht unbedingt hübsch anzusehen, aber funktional und voll fokussiert auf die möglichst realistische Abbildung der Fahrphysik als Kernelement. Visuelle Pracht und hoher BlingBling-Faktor? Überflüssig! Karriere? Braucht man nicht! Tuning? Nein, danke! Fotomodus? Schnickschnack!
Die italienischen Sim-Experten Kunos Simulazioni, die sogar professionelle Simulatoren-Software für Ferrari & Co entwerfen, haben sich beim Design von Assetto Corsa dagegen spürbar von Konsolenvorbildern wie Gran Turismo oder Forza Motorsport inspirieren lassen. Hier lassen sich die Boliden wie PS-Models vor verschiedenen Kulissen positionieren, man darf mit Farbfiltern, Blenden & Co herumspielen und die Kunstwerke fotografisch festhalten. Wer will, darf die aufwändig modellierten Flitzer nicht nur von außen bewundern, sondern auf Knopfdruck einsteigen und sich der liebevollen Details erfreuen, mit denen die Cockpits originalgetreu nachgebildet wurden. Endlich ein ForzaVista für den PC? Nicht ganz: Mangels Interaktivität, ohne die eindrucksvollen Nahaufnahmen und den
Mehr als nur Standard-Rennen
Das gilt auch für die Auswahl an Veranstaltungen, denn neben den üblichen Sofort-Rennen und kompletten Wochenenden inklusive Training und Qualifikation liefert man sich hier auch kurze, aber spannenden Beschleunigung-Duelle, schlittert in Drift-Wettbewerben für Punkte spektakulär durch Kurven oder kämpft beim Hotlapping sowie den Zeitrennen gegen die Uhr um möglichst schnelle (und saubere) Rundenzeiten.
All das lässt sich nicht nur für einzelne Sitzungen anwählen, die sich hinsichtlich Rundenanzahl, Uhrzeit, Streckencharakteristik, Fahrerfeld sowie anderen Faktoren den eigenen Wünschen anpassen lassen. Denn darüber hinaus wurde das Angebot auch in eine separate Karriere im Stil der genannten Konsolen-Rennspiele eingebettet. Und so klappert man auf vorgegebenen Strecken und sogar in festgelegten Boliden die verschiedenen Veranstaltungen ab und sammelt fleißig Medaillen, die weitere Serien mit neuen Herausforderungen freischalten.
Dröge Karriere
Wo bleibt die Motivation?
Darüber hinaus mangelt es der Karriere aber an einem weiteren Faktor: der Motivation! Warum? Weil es im Gegensatz zu Forza & Co hier kein Währungssystem gibt, für das man sich aufraffen könnte, diese belanglosen Aneinanderreihungen von Mini-Events auf sich zu nehmen. Und weil auch das Freischalten von Inhalten als Anreiz flach fällt: Sämtliche Strecken und Fahrzeuge samt Lackierungen stehen sofort zur Verfügung. Keine Frage, ich bin froh, dass ich von Anfang an Zugriff auf den gesamten, mit 43 Boliden aber doch recht kleinen Fuhrpark habe, anstatt mich erst stundenlang mit schwächer motorisierten Exemplaren rumzuquälen, um mir irgendwann den Super-Sportwagen leisten zu können. Doch für den Karrieremodus wirkt sich diese Designentscheidung negativ aus. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass man ihn in dieser Form komplett hätte weglassen können.
Mein Rennen, meine Regeln
Noch viel zu tun
Ohnehin hat das kleine Team aus Italien noch viel vor: Zum einen hat man bereits angekündigt, den überschaubaren Fuhrpark weiter aufzustocken, obwohl dieser mit seiner gelungenen Auswahl an lizenzierten Serienmodellen über Rennwagen bis hin zu Formel-Boliden schon jetzt viel Abwechslung bietet, zumal die individuellen Unterschiede zwischen den einzelnen Autos hervorragend zum Tragen kommen. Trotzdem weist man schon vorsorglich darauf hin, dass neben den bereits integrierten Karossen von Alfa Romeo, BMW, Ferrari, Lotus & Co bald Modelle von Audi, Nissan und Subaru folgen sollen.
Inkonsequente Simulationsaspekte
Das gilt auch für einige Elemente, die derzeit noch nicht die Erwartungen von Motorsport-Enthusiasten erfüllen können. So z.B. die Boxenstopps: Sie stehen aktuell ausschließlich in Mehrspieler-Rennen zur Verfügung, die nach den Startproblemen mittlerweile richtig rund laufen. In Rennen gegen die KI steuern die Fahrer die Box dagegen gar nicht erst an und man selbst wird auch nicht mit frischen Reifen oder Benzin bedient, falls man zu seinen Mechanikern abbiegt.
Der Spritverbrauch ist momentan ebenfalls noch eine Sache für sich: Zwar darf man ihn optional aktivieren, muss die maximale Rennlänge auf zehn Runden beschränkt werden – was für ein fauler Kompromiss! Ähnlich verhält es sich mit dem Schadensmodell, das sich zwar in mehreren Stufen skalieren oder ganz abschalten lässt, aber nie so authentisch wirkt wie erhofft. So reicht teilweise schon kleine Berührung, um die gesamte Windschutzscheibe mit kleinen Rissen zu übersähen, während heftige Kollisionen mitunter keine oder kaum Folgen nach sich ziehen. Auf der einen Seite sehen die Beulen und Kratzer zwar richtig gut aus, doch auf der anderen Seite ist es enttäuschend zu sehen, dass alle Teile fest mit dem Fahrzeug verbunden bleiben. Selbst die empfindlichen Außenspiegel bleiben selbst
Trotzdem: Hinsichtlich Schadensmodell und der Darstellung wäre sicher mehr drin gewesen! Das gilt auch für das Strafsystem, das auf offizielle Flaggenregeln verzichtet, dafür aber auf eine eigene Variante setzt. Kürzt man bewusst ab oder kommt von der Strecke ab, hat man ein paar Sekunden Zeit, um seine Geschwindigkeit auf unter 50Km/h zu verringern. Gibt man aber weiter Gas, wird nach Ablauf des Zeitlimits eine automatische Motordrosselung erzwungen, um den Übeltäter auszubremsen. Im Ansatz gefällt mir dieses System ganz gut, doch würde ich trotzdem Flaggen (und damit z.B. auch Gelbphasen nach Unfällen) bevorzugen, zumal dadurch auch zu aggressives Auftreten bzw. unsportliches Verhalten geahndet werden könnte, das hier stillschweigend geduldet wird bzw. keine Konsequenzen nach sich zieht – außer vielleicht einer manuell ausgelösten Beschwerde-Animation.
Kontaktfreudige KI
Und gute Gründe für Beschwerden liefern die KI-Piloten genug: Zwar ist es löblich, dass die Verfolger oft eine gute Balance zwischen aggressivem Druck und überlegter Zurückhaltung aufweisen. Doch in manchen Situationen leidet die KI unter massiven Aussetzern und brettert mir an Brempunkten vor manchen Schikanen gefühlt ungebremst ins Heck oder folgt beim Durchfahren von Kurven stur ihrer Linie, obwohl ich mich direkt neben ihr befinde – da ist eine
Trotzdem wird der Sieg nicht geschenkt. Auch deshalb, weil die Startaufstellung trotz der optionalen Einschränkung auf bestimmte Leistungsklassen oft nicht ausgeglichen wirkt. Meist setzt sich ein Führender oder ein Duo schon innerhalb der ersten Runde deutlich vom restlichen Feld ab, während die Verfolger mit konstant zunehmendem Abstand hinterher hecheln. Wie schon in der Karriere fallen die Erfahrungen aber auch in den Einzel-Events je nach gewähltem Auto und Strecke sehr unterschiedlich aus und schwanken zwischen Frust und Unterforderung. Hier muss jeder für sich selbst mit den Konfigurationen experimentieren und die KI-Leiste entsprechend anpassen.
Pack den Schrauber aus!
Nicht zu vergessen das richtige Setup, denn Assetto Corsa (italienisch für „Renn-Ausstattung“) trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Nur mit der passenden Ausstattung bzw. den geeigneten Einstellungen am Fahrzeug nutzt man das volle Potenzial aus der Kombination von Fahrer und Material. Und so darf man auch hier fleißig am Fahrwerk schrauben, die Getriebeübersetzung und das Differenzial anpassen, Spur und Sturz regeln, an der Bremsbalance herumspielen oder zwischen verschiedenen Reifenmischungen wählen, wobei man für jeden der Pneus den Druck separat festlegen kann. Hui, hier darf man wirklich jede Menge kleine Änderungen vornehmen, um die ideale Abstimmung zu finden – und die Ergebnisse bzw. Auswirkungen nicht nur beim Live-Test auf der Strecke, sondern auch in den aufgezeichneten Telemetriedaten studieren.
Schade, dass besonders im Setup-Bereich die lückenhafte deutsche Lokalisierung negativ auffällt. Okay, laut Steam-Angaben wird unsere Sprache offiziell noch nicht unterstützt. Allerdings kann man sie im Spiel sehr wohl auswählen, bekommt im Gegenzug aber nur einen unglücklichen Mischmasch aus deutschen und englischen Angaben, der sich von Beschreibungen über die Optionen bis hin zu Auswahlkästchen durch das gesamte Spiel zieht. Damit spiegelt die lückenhafte Übersetzung mein Gefühl wider, das mich beim Testen von Assetto Corsa immer wieder ereilt hat: Trotz Version 1.x ist das Spiel noch lange nicht fertig und scheint an einigen Stellen immer noch im Beta-Status zu verharren.
Tuning nur in Ansätzen
Tuning, wie es Gran Turismo & Co bieten, findet man hier nicht. Allerdings stehen für manche Modelle alternative Versionen zur Verfügung, die über mehr Leistung verfügen. So ist der Lotus Exige 240R in der S3 (Stage 3)-Variante nicht nur 30 Kilo leichter, sondern verfügt auch über mehr Pferdestärken und ein höheres Drehmoment. Für den BMW M3 E30 stehen sogar drei Stufen zur Wahl: Neben dem Standard- und einem leicht getunten S1-Modell, wird außerdem noch eine spezielle Variante für Drift-Wettbewerbe angeboten. Darüber hinaus erfreut man sich an diversen Lackierungsoptionen und vorgefertigten Mustern – ein Editor im Stil von Forza Motorsport ist nicht integriert, doch bieten Mod-Werkzeuge immerhin eine Alternative.
Mein HUD
In diesem Zusammenhang ist es auch klasse, dass man das Blickfeld und die Sitzposition nach Belieben anpassen darf. Vor allem in der Cockpitsicht kann man durch das stufenlose Verstellen z.B. selbst entscheiden, ob man die Innen- und Außenspiegel lieber im Blick haben will oder besser mit der Nase an der Windschutzscheibe klebt, um mehr von der Strecke zu sehen.
Ein Augenschmaus
Und zu sehen gibt es genug, denn grafisch zählt Assetto Corsa ohne Zweifel zu den schönsten Rennsimulationen auf dem PC! Auch wenn die Brillanz eines Forza Motorsport 5 nicht erreicht wird und manche Schatten sowie Texturen etwas grob ausfallen, verwöhnt vor allem die stimmungsvolle Beleuchtung das Auge. Wenn die Sonne tief steht, ihre Strahlen die Bäume durchbrechen und gleichzeitig zusammen mit den subtilen Spiegelungen die leichte Staubschicht auf der Scheibe offenbaren, dann sieht das einfach klasse aus. Mit aktivierter Kantenglättung wirkt das Bild zudem deutlich ruhiger als etwa bei Forza 5. Mit 60 Bildern pro Sekunde bei 1080p und optional zuschaltbarer Bewegungsunschärfe wird das Geschwindigkeitsgefühl zudem hervorragend eingefangen. Je mehr Fahrzeuge ihre Runden drehen, desto anspruchsvoller werden aber auch die Anforderungen an die Hardware, so dass aus konstanten 60fps schnell 25 und weniger werden können.
Das Beste zum Schluss
Das Beste an Assetto Corsa ist und bleibt aber die grandiose Fahrphysik: Auch dank der exzellenten Force-Feedback-Effekte fühlt es sich beim Spielen mit einem Lenkrad schlichtweg fantastisch an, die Boliden präzise über die Pisten zu dirigieren und sich langsam ans Limit heran zu tasten. Neben detaillierten Lenkrad- und Pedaleinstellungen lässt sich nicht nur die allgemeine Intensität des Force Feedbacks festlegen, sondern es werden sogar separate Werte für Kerb-, Straßen- und Rutscheffekte erlaubt. Besonders hat mich beeindruckt, wie individuell sich jedes Fahrzeug verhält, mir dabei aber immer wieder ein authentisches Gefühl vermittelt, wirklich selbst hinter dem Steuer des jeweiligen Modells zu sitzen. So zeichnen sich die meisten BMWs z.B. durch ihren Heckschleuder-Charakter aus, bei dem ich viel mit Übersteuern zu kämpfen habe, wenn ich das Gaspedal zu euphorisch traktiere. Trotzdem gleicht schon innerhalb der BMW-Familie kein Auto dem anderen: Der 1er M vermittelt ein ganz anderes Fahrgefühl als ein M3 oder der Z4 – super! Beim KTM X-Bow spüre ich dagegen sofort das geringe Gewicht von knapp 800 Kilogramm, während die Formel-Flitzer zwar generell eine großartige Bodenhaftung bieten, aber ebenfalls sehr empfindlich auf einen nervösen Gasfuß reagieren. Und der Ferrari F40 ist ohnehin ein Monster vor dem Herrn und lässt sich schon in der Standardversion kaum bändigen, von der getunten Variante ganz zu schweigen.
Besonders gelungen finde ich, dass Kunos Simulazioni neben den freien Anpassungsmöglichkeiten auch eine Werkseinstellung anbietet. Zwar fahre auch ich gerne ohne Fahrhilfen, um dadurch den Anspruch weiter zu erhöhen, doch dies entspricht eben nur selten dem realen Vorbild. Gerade die Traktionskontrolle zählt zusammen mit ABS schon seit einigen Jahren zur Standardausstattung moderner Wagen und ich bin froh, dass mir das Spiel die Option anbietet, mich mit einem authentischen Grad an Fahrhilfen hinters Steuer klemmen zu dürfen. Nicht zu vergessen, dass man gerade mit dieser Unterstützung die Boliden nicht zwingend mit einem Lenkrad steuern muss, sondern auch mit dem Controller überraschend gut kontrollieren kann. Trotzdem ist die Verwendung eine Lenkrads selbstverständlich die erste Wahl, um die ganze Klasse dieser ausgezeichnete Simulation genießen und würdigen zu können.
Die wahre Konkurrenz
Da die Rennen gegen die schwankenden KI-Piloten nicht unbedingt befriedigen und sich in erster Linie zu Übungszwecken eignen, liegt die wahre Herausforderung, sich in Positionskämpfen mit echten Spielern zu messen. Nach den massiven Problemen zum Start, läuft es auf den zahlreich vorhandenen Servern mittlerweile endlich rund. Allerdings darf man keine eigenen Sitzungen anlegen, sondern ist auf die Bereitstellung von Servern angewiesen oder muss sich selbst welche mieten. An Auswahl herrscht derzeit allerdings kein Mangel, an Spieloptionen dagegen schon. Ohne das Austragen von Meisterschaften und der Beschränkung auf Einzelrennen wirkt das Online-Angebot recht rudimentär, obwohl man zumindest auch Trainings- und Qualifikationsläufe anbieten kann.
Fazit
Wäre alleine die Fahrphysik relevant für die Bewertung, hätte Assetto Corsa Platin verdient! Die Rennsimulation aus Italien vermittelt ein exzellentes und authentisches Gefühl für jeden Wagen des überschaubaren Fuhrparks. Getragen wird es von einem herausragenden Force Feedback, das mich jede Unebenheit auf den originalen Pisten in feinen Nuancen spüren lässt. Neben iRacing habe ich bisher kaum ein anderes Rennspiel erlebt, das die Faszination am Fahren so famos einfängt! Doch abseits dieser Königsdisziplin stört vieles: Die Beschränkung der Boxenstopps auf Mehrspieler-Rennen und die Einschränkung der Rennlänge bei aktiviertem Benzinverbrauch sind genauso ärgerlich wie der Verzicht auf Flaggenregeln, wechselnde Witterungsbedingungen oder die lückenhafte Lokalisierung. Hinzu kommen ärgerliche KI-Aussetzer, das inkonsequente Schadensmodell sowie der enorm schwankende, mitunter frustrierende Schwierigkeitsgrad innerhalb der drögen Karriere, die man hätte streichen können. Obwohl die Technik rund läuft und Assetto Corsa mit schicken Kulissen sowie traumhaften Wagenmodellen derzeit die schönste PC-Simulation darstellen dürfte, habe ich angesichts der vielen faulen Kompromisse den Eindruck, mich immer noch in einer Beta zu befinden. Die Online-Rennen reißen zwar einiges raus und auch die Modder-Community sorgt für zusätzliche Inhalte. Aber Kunos Simulazioni wäre besser damit gefahren, noch etwas länger mit der Veröffentlichung der Vollversion zu warten, um ein runderes, vollständigeres und umfangreicheres Motorsport-Erlebnis zu verwirklichen.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Eine Rennsimulation mit herausragender Fahrphysik, die hinsichtlich Umfang, Karriere und Funktionen derzeit mehr wie eine Beta wirkt und noch einige Wünsche offen lässt.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.