Homeworld: Deserts of Kharak21.01.2016, Jörg Luibl

Im Test: Vor dem Weltall war die Wüste

Was für eine Odyssee von der Ankündigung im Jahr 2013 bis heute: Aus Free-to-play und Online-Fokus wurde Vollpreis und klassische Echtzeit-Strategie; aus einem Spiel namens “Hardware” schließlich „Homeworld: Deserts of Kharak (ab 41,39€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)“. Was geblieben ist: Der Entwickler Blackbird Interactive, dem immer noch einige Veteranen von Relic Entertainment angehören. Und die wollen jetzt endlich die Vorgeschichte von Homeworld erzählen. Werden sie der Tradition des Klassikers gerecht? Mehr dazu im Test.

Homeworld in der Wüste

Irgendwo in der Wüste soll das große Geheimnis liegen. Die Kiithid haben weit draußen das so genannte „Jaraci-Objekt“ geortet, das viele Rätsel lüften und vielleicht die Zukunft der koalierten Völker sichern könnte - denn der Planet droht zu vertrocknen. Das Problem sind allerdings auch die feindlichen Gaalsien, die mit ihren Streitkräften den Weg zum weit entfernten Ziel blockieren. Trotzdem macht sich eine Expedition unter der wissenschaftlichen Leitung von Rachel S’Jet auf den gefährlichen Weg. Die Pforten der Basis öffnen sich und das riesige Trägerschiff "Kapisi" wälzt sich wie ein futuristischer Flugzeugträger durch den Sand – ein stimmungsvoller Einstieg.

Rachel S'Jet ist die wissenschaftliche Leiterin der Expedition. Wenn sie stirbt, heißt es: Game Over.
In der Kampagne von Homeworld: Deserts of Kharak weht schon nach ein, zwei Missionen dieses angenehm mysteriöse Flair, das man von Homeworld aus dem Jahr 1999 kennt. Man saugt Rohstoffe ein, findet halb versunkene Raumschiffwracks, Logbücher werden ausgewertet, man birgt Artefakte und die Kommandozentrale hält einen (auf Englisch mit deutschen Untertiteln) über den strategischen Status quo der Operation auf dem Laufenden. Wird die Vorgeschichte des Klassikers ansprechend erzählt? Ja, stimmungsvolle Filmschnipsel verbinden die dreizehn Missionen. Und die eher episch ausgelegte Story gewinnt über Rachel auch eine familiäre Note. Schade ist allerdings, dass man bei der Wahl der Route sowie militärischen Planungen nur zuhören, aber nicht entscheiden darf.

Futuristische Heimatgefühle

Höhenunterschiede spielen in der zerklüfteten Wüste eine große Rolle. Wer auf einem Dünenkamm lauert, bekommt Boni - leider ist die optimale Platzierung nicht so leicht.
Vor allem die Art der Inszenierung weckt jedoch futuristische Heimatgefühle: Zwar ist der behäbige Stahlkoloss lange nicht so elegant wie das Mutterschiff, aber die Entwickler verwenden nicht nur ein verwandtes Artdesign für Schiffe, Jäger & Co, sondern auch ähnliche Soundeffekte, Überleitungen sowie Kamerapositionen – als Kenner des Originals fühle ich mich fast wie Zuhause. Hinzu kommt ein ähnlicher fließender Wechsel wie im Original zwischen Kampfansicht sowie strategischer Übersicht, die mir das Gelände in der Vogelperspektive mit blauen Scannerkegeln und roten Feindwarnungen zeigt.

Fast deshalb, weil eine Wüste einfach kein offener Weltraum ist; auch wenn die Darstellung von Sand und Wind durchaus gelungen ist. Und es sieht cool aus, wenn angeschossene Fahrzeuge eine Düne hinab schlittern. Aber die kreative Pionierleistung von Homeworld bestand ja u.a. darin, die Bewegung der ganzen Flotte im Raum zu simulieren.

Homeworld lässt grüßen: Nicht nur Soundeffekte und Artdesign erinnern an den Klassiker, selbst einige Kamerapositionen beim Auftauchen der Feinde.
Dieses Spiel in der Wüste fühlt sich siebzehn Jahre später sehr konservativ an. Immerhin gibt es einen kleinen Ersatz, denn die Höhe der Dünen spielt eine wichtige Rolle im Gelände: Wer seine Truppen weit oben platziert, bekommt einen Reichweiten- und Schadensbonus. Das ist noch nichts Besonderes, aber weil die Wüste sehr zerklüftet ist, also viele Berge und Täler bietet, muss man diese Hindernisse in seine Zielvorhaben einbeziehen. Und es lohnt es sich auch mal, seine schwächer gerüsteten Fahrzeuge in einer Senke zu verstecken, damit der schwere Laser nicht an sie herankommt. Über diese Schneisen und Verstecke kann man zudem kleine Hinterhalte vorbereiten oder sich in der Deckung der Düne an die Flugabwehr heranschleichen – sehr schön.

Panzer, Artillerie & Co

Rachel wird als Charakter in ihrem Fahrzeug bewegt, das auch einige Spezialmanöver parat hat – sie kann z.B. Minen legen, um Ausgrabungsstellen zu sprengen oder feindliche Fahrzeuge hacken und damit übernehmen. Es gibt keine Bodentruppen, aber neben leichten und schweren Fahrzeugen sowie Panzern und Artillerie darf man auch auf Jäger und Bomber zurückgreifen. Außerdem kann man Scanner, Geschütztürme sowie Minen auslegen. Einheiten steigen im Rang auf, werden so schlagfertiger, und manche besitzen ebenfalls Spezialmanöver wie Temposchub, Rauchgranaten oder Verlangsamung, die allerdings im Trubel des Gefechts kaum Wirkung zeigen.

Die stimmungsvolle, aber en detail etwas texturschwache Kulisse wird von der Unity-Engine inszeniert.
So entsteht zwischen kleinen Überfällen und größeren Fronten ein rasantes und explosives sowie ausreichend taktisches Spielgefühl, das entfernt an Ground Control  sowie seinen Nachfolger im Geiste World in Conflict erinnert, ohne deren Qualität im Gelände zu erreichen. Blöd ist neben einigen Wegfindungsproblemen, dass die Steuerung auf den Höhenfokus nicht optimal abgestimmt wurde: Zum einen ist es sehr fummelig, seine Verbände wirklich kontrolliert auf der Spitze einer Düne zu platzieren, weil es keinerlei Formationen oder zumindest rudimentäre Automatismen in der Positionierung gibt – steht ein Panzer nur einen Millimeter zu weit unten, feuert er wie blöd in den Sand. Hier muss man viel Babysitting betreiben, um z.B. die Breitseite eines Verbandes voll auszunutzen.

Luftwaffe bombt Sackgassen frei

Ob man die rote Streitmacht abwehren kann? Zur Not hilft die übermächtige Luftwaffe.
Immerhin ist die in drei Stufen regelbare KI davon ebenso betroffen, zumal sie sich auf der normalen Stufe zu simpel mit kleinen Fahtzeugen herauslocken und gerade aus der Luft zu leicht aufreiben lässt – man hat nicht das Gefühl, dass der Gegner wirklich reagiert. Selbst Flugabwehrstellungen (!) lassen sich problemlos aus der Luft  pulverisieren. Zu Beginn sind die geskripteten Missionen noch knackig, aber hat man sein eigenes Trägerschiff erstmal mit Jägern bestückt und die zwei Bomber bekommen, kann man viele Aufgaben fast ohne konventionelle Bodentruppen meistern. Sobald man die Karte über Sonden, Kundschafter oder später noch einfacher: eigene Flugzeuge, so weit aufgeklärt hat, dass man den Feind sieht, gibt man den Angriffsbefehl für seine fünf Staffeln à drei Jäger plus die beiden Bomber, die den einmal anvisierten Feind auch automatisch weiterverfolgen – das ist sehr komfortabel und sorgt für sehr ansehnliche Zerstörung.

Diese viel zu klare Überlegenheit aus der Luft wird immerhin später durch Flugabwehr & Co etwas gedämpft. Außerdem rettet sie an einigen Stellen sogar die Balance. Und zwar dann, wenn man mit der Einstellung spielt, seine erfahrenen Truppen zu übernehmen statt bei jeder

Was verbirgt sich in den Raumschiffwracks? Rachel muss sie manchmal aufsprengen...
neuen Mission auf eine Standardarmee zurückzugreifen. Wer Ersteres versucht, sollte tunlichst darauf achten, so wenig Verluste wie möglich zu erleiden und die beiden Rohstoffe möglichst komplett zu ernten, denn sonst ist die KI sehr schnell zahlenmäßig überlegen – und zwar so deutlich, dass man fast in einer Sackgasse steckt. Da ist man dann wieder froh über die mächtigen Luftangriffe, mit denen man die feindlichen Truppen dezimieren kann.

Kampagne mit Höhen und Tiefen

Auch wenn die Balance wackeln kann: In der unterhaltsamen Kampagne wird man in spannenden Einsätzen sowohl defensiv als auch offensiv gefordert, zumal die Karten angenehm offen sind und mehrere Möglichkeiten im Gelände anbieten. Mal gilt es Artefakte gegen die Zeit zu bergen und das Trägerschiff zu sichern, Konvois zu überfallen, Tornados zu vermeiden, mehrere Positionen zu halten, Feinde per Hacking zu kidnappen oder leitende Geschütztürme per EMP auszuschalten, damit die

Die Feinde lauern in diesem Labyrinth: Wie geht man vor?
anderen ebenfalls den Geist aufgeben – in diesen Missionen muss man auch immer darauf achten, dass Rachel überlebt, sonst ist das Spiel vorbei.

Zwar gibt es auch mal Sandstürme, aber Blackbird Interactive nutzt das volle Potenzial der Wüste nicht aus: Die Hitze spielt genauso wenig eine Rolle wie die kalte Nacht. Man kann seine Fahrzeuge auch nicht im Sand eingraben wie etwa in Codename: Panzers, obwohl sich gerade das anbieten würde. Schade ist auch, dass man innerhalb der Kampagne keine strategischen Entscheidungen treffen darf. Etwa jene, welche Route man einschlägt oder wo man sich mit den Verbündeten treffen will.

Online-Gefechte und Skirmish gegen die KI

Zwei bis sechs Spieler können sich online oder in Scharmützeln beweisen; KI ist zuschaltbar.
Hat man die Kampagne gemeistert, warten noch ein Mehrspieler- sowie Scharmützel-Modus. Ersterer lässt euch online inklusive Bestenlisten und Statistiken antreten, wobei ihr in fünf Stufen von Bronze bis Diamant aufsteigen könnt. Wenn ihr ein Spiel erstellt, könnt ihr zwar noch Farben & Co anpassen, aber viel Auswahl gibt es bei lediglich zwei Fraktionen Koalition sowie Gaalsien nicht. Bis zu sechs Spieler können sich bei zuschaltbarer KI auf mehrere Teams sortieren und drei Siegbedingungen einstellen: eine bestimmte Zahl an Artefakten als Erster bergen, lediglich das Trägerschiff oder alle Feinde vernichten. Der Kampf findet dann auf einer von lediglich fünf Karten statt. All diese Einstellungen findet man auch offline im Scharmützel gegen die KI.

Fazit

Homeworld: Deserts of Kharak ist ein gutes Echtzeit-Strategiespiel. Es erzählt nicht nur die Vorgeschichte des Klassikers von 1999, sondern bleibt auch dessen Artdesign sowie Regie treu. Gerade deshalb habe ich die Kampagne mit ihrem mysteriösen Flair sowie spannenden Missionen gerne gespielt. Schön ist auch, dass die Höhenunterschiede in der von Dünen zerfurchten Wüste wichtig sind, dass man erfahrene Truppen übernimmt und dass Sandstürme sowie Detonationen zum Hinsehen einladen. Das ebenso rasante wie explosive Spielgefühl erinnert zudem ein wenig an Ground Control, aber Blackbird Interactive erreicht nicht dessen Qualität und bleibt in der Geländetaktik konservativ. Ärgerlich sind die Defizite hinsichtlich der Steuerung, Formationen und vor allem KI sowie die fehlende Tiefe. Es gibt kaum Technologien und man darf leider keine Entscheidungen auf dem Weg durch die Wüste treffen. Außerdem kann es in der Kampagne fast zu Sackgassen kommen, die nur von der zu mächtigen Luftwaffe aufgelöst werden. Der magere Multiplayer bietet lediglich zwei Fraktionen und fünf Karten. Unterm Strich ein unterhaltsamer Bodenfeldzug, der den Prolog des Science-Fiction-Pioniers angenehm werktreu inszeniert und Lust auf was macht? Ein richtiges Homeworld im Weltall.

Pro

rasante Echtzeit-Taktik in der Wüste
Vorgeschichte von Homeworld gut erzählt
episches Homeworld-Flair, viele Déjà-vus
gelungenes Artdesign, schöne Explosionen
Höhenunterschiede spielen wichtige Rolle
Kampagne mit spannenden Einsätzen
erfahrene Einheiten übernehmen
Einheiten mit Rängen und Spezialfähigkeiten
tolle Explosionen, Sand- und Wettereffekte
angenehm große Karten
Online-Multiplayer oder Skirmish (2 - 6)
drei Schwierigkeitsgrade, Tutorial

Kontra

überschaubarer Technologiebaum, nur zwei Fraktionen
Balance-Probleme, viel zu starke Luftwaffe
Kampagne ohne strategische Entscheidungen
Positionierungs
und Wegfindungsprobleme
schwache Gegner-KI reagiert nicht flexibel genug
keine Formationen, kein Eingraben
en detail schwache Texturen
nur englische Sprachausgabe
keine freie Tastaturbelegung
magerer Multiplayer; nur fünf Karten
ein, zwei Abstürze; kleinere Grafikbugs

Wertung

PC

Homeworld: Deserts of Kharak inszeniert gute Echtzeit-Strategie mit dem mysteriösen Flair sowie Artdesign des Klassikers - allerdings gibt es Defizite hinsichtlich KI, Steuerung sowie Umfang.

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