Test: Vampire: Die Maskerade - Bloodlines (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Activision
Release:
19.11.2004
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ab 10,00€
Spielinfo Bilder  
Risse in der Kulisse

Auch der technische Putz zeigt Risse: Wer von der Ego- in die Schulterperspektive wechselt, wird z.B. beim Treppen hinab schleichen bemerken, dass sich die Beine in der Luft statt auf Stufen bewegen. Hinzu kommt, dass es akustisch nicht immer akkurat nach Bodenbeschaffenheit nachhallt. Außerdem
Diese Dame führt ein strenges Regime in ihrer Bar. Besonders sauer ist sie derzeit auf ihre Schwester. Zu wem haltet ihr?
kann man trotz der eingesetzten Physik-Engine bei weitem nicht so konstruktiv und rätselbezogen mit Objekten und ihrer Schwere umgehen wie in Half-Life 2 . Es gibt zwar Ausnahmen wie den mächtigen Container-Kran, aber die Physik wird nicht konsequent umgesetzt: Erstens lassen sich nur ausgewählte Kisten und Gegenstände anheben, zweitens kann man nicht alles zerstören - Flaschen in der Bar oder edle Vasen bleiben unantastbar. Insgesamt merkt man Vampire auch im faden Textur- und wenig dynamischen Beleuchtungsbereich an, dass Troika die Source-Technik nicht so gut im Griff hat wie Valve; Gordons Freemans Abenteuer wirkt dagegen wie aus einem Guss.

Aber bei all der Kritik im Detail sieht Vampire immer noch klasse aus. Vor allem Mimik, Architektur und Figurendesign gehören zum Besten, was derzeit auf dem PC zu sehen ist. Ich habe mancher weißhäutigen Gothic-Schönheit einfach fasziniert hinterher geschaut, wenn sie katzenhaft Richtung Club flanierte - ein Traum aus animierter Seide. Daher wiegen die optischen Defizite nicht so stark wie das gelegentliche Totalversagen der KI: Es gibt nur wenige lichte Momente wie das Alarmieren von Verstärkung. Aber die Figuren haben scheinbar weder ein besonders ausgeprägtes Sicht- noch Hörfeld. Wer Stealth-Action wie Metal Gear Solid , Thief: Deadly Shadows  oder Splinter Cell gespielt hat, wird seinen Augen nicht trauen, wenn er nach einem Schusswechsel (!) zwei Meter neben einem Gangster nicht gesehen wird oder wenn er an drei (!) alarmierten Polizisten, die eine enge Tür bewachen, vorbeischleichen kann.

Diese Szene hat mich wirklich entsetzt, denn die Cops haben starr über mich hinweg geblickt, während ich fast ihre Hosenbeine streifen konnte. Und wenn man in der Stadt nach einem Verbrechen umstellt wird, schießen sie ihren Kollegen auch noch gerne in den Rücken - au Backe! Wer Vampire vornehmlich als Shooter oder Stealth-Action spielen will, wird sehr viel Toleranz mitbringen müssen, sonst verbeißen sich die Zähne eher in der Tastatur als im Hals des Opfers. Das Figurenverhalten in Thief: Deadly Shadows  ist einfach eine ganze Klasse besser; auch dynamische Lichtquellen oder Lampen zum Ausschießen sucht man als Schleicher vergeblich.

Faszination Rollenspiel

Trotzdem macht man weiter. Trotzdem fliegen einem die Stunden nur so davon. Trotzdem kann man nicht aufhören, sich immer tiefer in die kalifornischen Abgründe zu wühlen. Vampire ist bei aller berechtigter Kritik einfach ein Spielplatz mit knisternder Atmosphäre. Denn selbst die kleinen optischen und schweren technischen Patzer können nicht verhindern, dass das
Als hässlicher Nosferatu wird man über diese Umwege nicht herumkommen. Auch sonst birgt die Kanalisation so manches Geheimnis.
Abenteuer eine intensive Eigendynamik entwickelt, die von der Story, den Dialogen, den Quests und geschickt platzierter Cutscenes getragen wird. Vampire mag als Stealth-Action versagen, aber als Rollenspiel begeistert es einfach. Man muss weiter recherchieren. Denn man will Antworten finden: Kann man dem Prinzen trauen? Was wollen die Anarchen? Kann man den vampirischen Fluch brechen? Was hat es mit der Seuche auf sich? Man ist auch deshalb so gefesselt, weil die eigenen Handlungen Einfluss auf spätere Dialoge haben: Zeigt ihr Menschlichkeit und verschont einen Handlanger, hilft er euch später. Haltet ihr euch nicht exakt an die Vorgaben des Prinzen, wird er euch zur Rechenschaft ziehen.

Hinzu gesellt sich die Ungewissheit: Manchmal entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen die zweite, schreckliche Natur eines freundlich lächelnden Fremden - überall scheinen Laster, Triebe und psychische Krankheiten zu lauern. Ein Teil des Nervenkitzels besteht auch aus dem Gefühl der Bedrohung, das durch Zeitungsartikel über bestialische Morde oder die seltsame Seuchen verbreitet wird. Und spätestens wenn die ersten unheilvollen Boten der vampirischen Apokalypse "Gehenna" am Hafen auftauchen, pfeift man auf die Aussetzer der künstlichen Intelligenz und stürzt sich wieder vollgesaugt ins nächtliche Getümmel.

          

Kommentare

casanoffi schrieb am
Und mach Dir keine Gedanken, was geschnitten/ungeschnitten betrifft.
Die deutsche "geschnittene" Version wurde nur um eine einzige kurze Szene im Vorspann verändert
Spoiler
Show
als vor dem Tribunal der angeklagte Vampir enthauptet wird
Guffi McGuffinstein schrieb am
Rutgar hat geschrieben:Absolut korrekt und wichtig! Mit diesem Patch ist das Spiel in meinen Augen eins der besten aller Zeiten :)
Voll Zustimmung. Allein der Wiederspielwert ist enorm mit den verschiedenen Clans und unterschiedlichen Enden. Ich hab' am liebsten die weibliche Malkavianerin gespielt. Malks sind ja bekanntermaßen etwas durchgeknallt und das merkt man dann auch in den Dialogzeilen. Sogar die Schrift ist bei denen ja anders. :D
Von daher: Nicht auf YouTube gucken, sondern selber spielen! Kostet doch so gut wie nix mehr.
Rutgar schrieb am
casanoffi hat geschrieben:Falls Du es Dir zulegst - besorge Dir unbedingt den aktuellen (inoffiziellen) Fan-Patch!
Ohne ist das Spiel ein technisches Desaster.
Absolut korrekt und wichtig! Mit diesem Patch ist das Spiel in meinen Augen eins der besten aller Zeiten :)
casanoffi schrieb am
Falls Du es Dir zulegst - besorge Dir unbedingt den aktuellen (inoffiziellen) Fan-Patch!
Ohne ist das Spiel ein technisches Desaster.
schrieb am