Endless Legend25.09.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Das Mittelalter - endlose Weiten

Dem Namen nach kann das wohl endlos weiter gehen: erst Endless Space, dann Endless Legend (ab 49,95€ bei kaufen) – vom Weltraum in die mittelalterliche Fantasy. Inhaltlich hat sich dabei nichts geändert, denn noch immer erkunden, entdecken und erobern unterschiedliche Völker im Wettlauf gegen die Zeit, ganz ähnlich wie im Großmeister Civilization. Wer gewinnt das Rennen um Kampf, Handel, Wissenschaft und Diplomatie? Und ist Endless Legend so unterhaltsam wie sein futuristischer Vorgänger?

Von Nomaden und Heimatverbundenen

Ich habe mich den Kultisten verschrieben. Das Volk ist so stark mit seinen religiösen Wurzeln in der Hauptstadt verwurzelt, dass es keine weiteren Siedlungen anlegt. Es assimiliert die Dörfer der Umgebung und lässt seine Metropole mächtiger werden als jeden anderen Ort der Welt. Und wer will schon in den Städten der Nekrophagen leben, die die Leichen ihrer Toten wie einen Rohstoff sammeln? Oder unter den Nomaden, die mit ihren kompletten seelenlosen Siedlungen einfach wie mit einem Rucksack umziehen? Oder bei den Drakken, die anderen Ländern ihren diplomatischen Willen aufzwingen?

Das Erschaffen einer lebendigen Welt gelingt Endless Legend, bzw. Entwicklerstudio Amplitude richtig gut! Die acht Fraktionen verfügen über so unterschiedliche Charakteristiken, dass ich ihnen meine Spielweise anpassen muss. Manche Völker haben herrlich schräge Eigenheiten, auf die ich mich gerne einlasse. Vertonte Bilder umreißen ihre Herkunft und im Laufe der Kampagne erhalte ich Aufgaben, die mich wie ein zarter roter Faden durch die Historie führen.

Vereinnahmende Landesväter

Ich muss die Missionen ja nicht erfüllen. Es gibt Belohnungen dafür, aber ich könnte darauf verzichten. Ich könnte in Ruhe, Runde für Runde, meine Hauptstadt ausbauen, damit ihre Einwohner mehr Nahrungsmittel herstellen, schneller bauen, forschen oder zufriedener sind – ein Abwassersystem wirkt da Wunder. Das Erforschen der richtigen Technologie ermöglicht den Abbau teurer Rohstoffe, mit denen ich handeln kann. Der Bau von Handelswegen spült mehr Geld in die Staatskasse, der Schiffsbau öffnet die Tore zu neuen Kontinenten. Und natürlich hebe ich Armeen aus, mit denen ich das Umland erkunde.

Dort entdecken sie nicht nur Rohstoffvorkommen, sie graben auch in Ruinen nach Schätzen und treffen zunächst auf kleinere Völker, die beim Wettlauf um die Weltherrschaft nicht mitreden. Ihre Ländereien verleibe

Amplitude präsentiert schon zum zweiten Mal fordernde und stilvolle Rundenstrategie.
ich mir ein, indem ich ihnen zunächst helfe: Die einen suchen wertvolle Materialien, für andere soll ich eine andere Siedlung angreifen. Ich könnte sie auch geradewegs attackieren oder gar bestechen – im  Anschluss ist ihr Dorf jedenfalls befriedet und sobald eine meiner Städte in ihrem Land steht, kann ich sie und ihre einzigartigen Truppen meinem Volk einverleiben. Als Kultist konvertiere ich sie einfach so.

Bots statt Botschafter

Auf diese Weise breiten sich alle Völker aus, seien sie vom Spiel gesteuert oder von menschlichen Oberhäuptern, die ich durch das problemlose Erstellen einer Onlinepartie finde. Und sobald sich zwei Völker begegnen, nehmen sie diplomatische Beziehungen auf. Sie unterzeichnen Handelsabkommen, schließen Frieden oder machen die Grenzen zu und erklären sich den Krieg.

Weil diplomatische Aktionen Einfluss kosten, der wie eine Ressource angehäuft wird, wirken die Verhandlungen jedoch wie das Abzählen eines Geldstapels – die Psychologie des politischen Miteinanders, gegenseitigen Belauerns oder hinterhältigen Ausspielens fängt Endless Legend leider nicht ein. Dazu fehlt den Reaktionen auf Bündniss-Angebote jede persönliche Note. Manche Antworten kann ich zudem nicht nachvollziehen: "Unmöglich! Wir lehnen Euer Angebot ab", wies der Vertreter meiner Nachbarn ein Handelsabkommen knapp zurück, obwohl er über politische und wirtschaftliche Partner dankbar sein sollte.

"Auf Position!"

Richtig gut gefällt mir dafür die Darstellung kriegerischer Auseinandersetzungen, denn wenn zwei Armeen aufeinander treffen, gehen ihre Truppen auf den Sechsecken der Weltkarte nahtlos in Gefechtsposition. Tatsächlich kann ich zunächst ihre Aufstellung anpassen, damit meine Einheiten etwa von Höhenunterschieden profitieren. Vor dem ersten und jedem weiteren Zug lege ich schließlich fest, welche Einheit welche feindliche attackiert und ob sie sich defensiv oder offensiv verhält, falls die geplante Aktion nicht möglich ist. Sind alle Befehle erteilt, schaue ich zu, wie die Truppen beider Seiten nacheinander ihre Anweisungen eigenständig ausführen – ein rundentaktisches System, mit dem Frozen Synapse zuletzt in Echtzeit erfolgreich war.

Meine taktischen Optionen sind jedoch beschränkt. Zwar sind nebeneinander postierte Einheiten stärker als einzelne, dafür rücken Freund und Feind schon mal ohne Not so vor, dass sie von drei Gegnern angegriffen werden können. Ich habe auch erlebt, wie ein Fernkämpfer von sich aus in den Nahkampf ging. Deshalb und aus Zeitgründen habe ich mich irgendwann auf das zuverlässige automatische Ausspielen der Gewinnchancen beschränkt. Im Kleinen inszeniert Amplitude aber spannende Scharmützel.

Helden und das liebe Geld

Ähnlich wie in Heroes of Might and Magic werten Helden die Armeen dabei auf und mit im Kampf gewonnener Erfahrung erweitere ich ihre Eigenschaften. So werden sie ganz allgemein oder während einer Belagerung

Helden und Armeen erhalten im Verlauf der Entwicklung bessere Rüstung und Waffen.
stärker oder zu besseren Stadtherren, die z.B. die Kasse schneller füllen. Immerhin kann ich Helden auch in Ortschaften positionieren – gerade in Friedenszeiten ist das eine wichtige Alternative.

Den Helden kommt ein höheres Gesamteinkommen ja selbst gelegen, weil ich ihnen davon bessere Ausrüstung kaufe. Sogar einfache Truppen werte ich so auf. Aus den Kreaturen eines zu meinem Land gehörigen Volks erstelle ich sogar neue Einheiten. So könnte ich mein Heer genau auf meine Vorlieben einstellen.

Freie Wissenschaft

Eine große Freiheit genieße ich auch in der Forschung, da ich nicht an Entwicklungsbäume gebunden bin. Immerhin darf ich jedes Forschungsziel aktivieren, falls es sich innerhalb meiner Entwicklungsstufe befindet. Eine neue Stufe erreiche ich, sobald ich eine bestimmte Anzahl Forschungsobjekte abgeschlossen habe. So ist die schiere Menge möglicher Forschungen im späteren Verlauf zwar furchtbar unübersichtlich. Ich genieße die Freiheit im Entwickeln meines Imperiums aber mehr als die Beschränkung auf verzweigte Wege.

Von den überbordenden Forschungsmöglichkeiten abgesehen, zeichnet sich übrigens auch das zweite Spiel des Amplitude-Studios durch eine lobenswerte Nutzerführung aus: Jede Funktion liegt immer nur einen Mausklick entfernt, die Menüs zeigen viele Informationen, wirken aber kaum überladen.

Mühselige Arbeitsanweisung

Eine bestimmte Anzahl Forschungsergebnisse muss vorliegen, bevor das Volk eine neue Entwicklungsstufe erreicht.

Unzufrieden bin ich nur mit dem Verteilen meiner Arbeitskräfte: Einzelne Figuren symbolisieren Anteile meiner Bevölkerung und diese ziehe ich je nach Bedarf auf die Felder der Landarbeit, des Handwerks, der Forschung usw. Im Kern ist das eine gute Sache, auch wenn es mir lieber wäre, wenn ich mich besser auf das automatische Zuteilen verlassen könnte. Auf Dauer ist das Figurenschieben allerdings eine sehr unangenehmer Fingerübung, die ich mit jedem Zug und in jeder Stadt neu ausführen muss, um die Bevölkerung möglichst effizient einzusetzen.

Das Kleinklein ist ohnehin die größte Schwachstelle des Spiels – nicht nur aufgrund des unbequemen Verschiebens, sondern auch, weil ich sonst nicht in die Verwaltung eingreifen kann. Dass ich dem Wachsen meiner Städte zusehen kann, gefällt mir zwar besser als das Betrachten der nüchternen Galaxiekarte im geistigen Vorgänger. Aber genau wie in Endless Space spürte ich irgendwann eine Ermüdung beim sich schnell wiederholenden Einstellen der immer gleichen Werte meiner zahlreichen Siedlungen.

Fazit

Endless Legend setzt die junge Tradition des französischen Studios nahtlos fort: Amplitude präsentiert fordernde Rundenstrategie schon zum zweiten Mal sehr stilvoll und handwerklich souverän. In den späten Stunden einer Partie fehlen mir zwar erneut spielerische Möglichkeiten, die über den oft einheitlichen Aufbau und das Truppenverschieben hinausgehen – der nüchternen Diplomatie fehlt zudem auch hier die Psychologie einer glaubwürdigen Politik. Die lebendige Fantasiewelt lädt allerdings zum Bleiben ein, und sei es nur, um alle Eigenheiten der einfallsreichen Völker zu entdecken. Dank der freien Forschung und des umfangreichen Ausbaus meiner Städte balanciere ich Runde für Runde Ressourcen und Arbeitskräfte. Und obwohl sie Schwächen in der taktischen Bewegung zeigen, schaue ich den Truppen immer wieder gerne dabei zu, wie sie direkt auf der Weltkarte Stellung beziehen – das an Frozen Synapse erinnernde Kampfsystem erlaubt schnelle, spannende Gefechte. Wenn es so weiter geht, darf Amplitude gerne endlos so weiter machen!

Pro

schnelle, übersichtliche Nutzerführung
Kämpfe finden direkt auf Weltkarte statt
Völker mit unterschiedlichen Eigenschaften
umfangreiche, freie technologische Entwicklung
Helden mit wachsenden Vorteilen für Armeen und Städte
kleine Belohnungen durch Missionen
fantasievolles Artdesign und Musik
nahtlose Onlineanbindung
zahlreiche Start-, Welt- und Siegeinstellungen

Kontra

nahezu keine staatsinterne Verwaltung
schwaches Figurenverhalten in Gefechten
oberflächliche Diplomatie mit nicht nachvollziehbaren Reaktionen
Städte unterschiedlicher Völker gleichen sich sehr
deutsche Übersetzung aus der Babelfisch-Steinzeit

Wertung

PC

Fordernde und stilvolle Rundenstrategie: Endless Legend setzt die junge Serientradition fort.

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