Tales from the Borderlands - Episode 1: Zer0 Sum28.11.2014, Michael Krosta

Im Test: Viel Witz und Charme

Wer hätte es damals für möglich gehalten, dass Telltale Games aus der blutigen Comic-Vorlage The Walking Dead eine gleichzeitig packende sowie bewegende Spielereihe im Episodenformat verwirklichen würde? Auch bei Tales from the Borderlands war die Skepsis groß, zählte die Geschichte doch nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen des Loot-Shooters von Gearbox Software. Aber wie sich zeigt, war die Sorge einmal mehr unbegründet...

Guten Morgen, liebe Sorgen...

Es gibt beschissene Tage. Und es gibt richtig beschissene Tage. Und während Rhys, einer der beiden Protagonisten von Tales from the Borderland, gefesselt von einem maskierten Fremden durch die staubige Prärie von Pandora gezogen wird, ist schnell klar: Der aufstrebende Hyperion-Mitarbeiter hat letzteren erwischt! Wie er in diese unangenehme Situation gekommen ist? Das darf ich zusammen mit dem mysteriösen Entführer erfahren, denn kurz darauf wird die Zeit zurückgedreht und ich darf die Geschichte des Gefangenen selbst erzählen...

Eigentlich fing alles so gut an. Endlich, endlich sollte sich die viele Schufterei an Bord der Raumstation für Rhys auszahlen. Doch es kam alles ganz anders: Statt der erhofften Beförderung gab's die Degradierung zum Hausmeister – und das ausgerechnet vom Intimfeind, der überraschend im Chef-Sessel Platz genommen hatte, während der leblose Körper seines Vorgängers am gigantischen Fenster vorbei durch das All schwebte. So ein Mist! Alles umsonst!

Ein riskanter Deal

Stilistisch fängt der Ableger die Vorlage exzellent ein.
Klar: Die (Videospiel-)Geschichte lehrt uns, dass man auch als Hausmeister in einer Science-Fiction-Umgebung jede Menge cooler Abenteuer erleben kann – Roger Wilco lässt grüßen! Doch Rhys will sich nicht mit diesem Schicksal als Weltraumputze abfinden. Stattdessen schmiedet er mit seinem Nerd-Kumpel Vaughn und der Requisiten-Spezialistin Yvette einen Plan, es dem verhassten Vasquez heimzuzahlen, indem er selbst einen lukrativen Deal rund um einen legendären Vault-Schlüssel eintütet, von dem er im Rahmen seiner Degradierung Wind bekommen hat – auch deshalb, weil Rhys nicht nur ein Telefongespräch belauscht, sondern sich auch mit Hilfe seines Echo-Auges in den Computer des neuen Vorgesetzten hacken konnte.

Was folgt, ist eine rasante Jagd nach dem Artefakt und Geldkoffer, die von spritzigen Dialogen, gelungenen Tempowechseln sowie einem herrlich trockenen Humor geprägt ist. Mehr will ich an diesem Stelle nicht verraten, um euch nicht die eine oder andere gelungene Überraschung innerhalb der unterhaltsam und klasse inszenierten Geschichte zu verderben, die zwar nicht das emotionale Potenzial eines Walking Dead oder Wolf Among Us besitzt, aber dieses Manko mit schrulligen Charakteren, schrägen Situationen und einigen Lachern wieder wett macht.

Die kleine Gaunerbande

In Dialogen muss man sich wie gewohnt unter Zeitdruck entscheiden.
Spätestens wenn man nach etwa einer halben Stunde die Kontrolle über die wortgewandte Gaunerin Fiona übernehmen darf, die zusammen mit ihrer Schwester Sasha unter der Obhut des Ganoven Felix aufgezogen wurde, kommt richtig Schwung in die Handlung. Nicht nur deshalb, weil sie in ihrem Rückblick manche Situationen ganz anders darstellt als Rhys, dabei dem Gesamtbild durch die neue Perspektive aber dennoch mehr Sinn verleiht. Sondern auch, weil die Beziehung zwischen der Hyperion- und Gaunertruppe stärker an Bedeutung gewinnt, bei der sich das anfängliche Misstrauen langsam von einer Zweck-Gemeinschaft zur Partnerschaft entwickelt. Man vertraut sich zwar zunehmend, kann sich aber nie ganz sicher sein, was als Nächstes passiert. Denn viele der Charaktere bleiben unberechenbar, auch wenn sich recht früh heraus kristallisiert, wer eher zu den Guten und wer zu den Bösen gehört.

Willkommen auf Pandora

Die Situation hat mich oft an Zombieland erinnert. Im Kult-Streifen von Ruben Fleischer raufen sich die Überlebenden zunächst ebenfalls eher widerwillig zusammen, hauen sich sogar gegenseitig übers Ohr, bevor sie sich am Ende gemeinsam als Freunde durch die Zombie-Apokalypse schlagen. Und noch eine Gemeinsamkeit: Bei all dem Witz geht es sowohl im Film als auch hier teilweise ganz schön herb und blutig zur Sache. Pandora ist zwar weit von einem Endzeit-Szenario entfernt und es entstehen mehr Parallelen zum futuristischen Western-Universum im Stil von Firefly, doch ist es Telltale in Zusammenarbeit mit 2K hervorragend gelungen, das von Cel-Shading geprägte Artdesign der Vorlage einzufangen. Angefangen bei den Figuren über die Kulisse bis hin zur Präsentation von Info-Fenstern nach dem Scannen: Hier wird sofort klar, dass man in der Welt von Borderlands gelandet ist!        

Wenn Gauner auf Gauner treffen, ist das mit dem Vertrauen eine schwierige Sache...
Spielerisch halten sich die Gemeinsamkeiten dagegen erwartungsgemäß in Grenzen, denn statt Shooter, Looten und Koop-Spaß ist der Tales-Ableger ein weiterer typischer Vertreter, wie man ihn von der Telltale-Schmiede kennt. So warten in „Actionsequenzen“ wieder viele Reaktionstests und Knopfgehämmer, während man sich in Dialogen unter Zeitdruck für eine Antwort entscheidet und dadurch auch den Verlauf der Handlung beeinflussen soll. Bisher lässt aber genau das noch zu wünschen übrig: Zwar kann man je nach Laune den egoistischen Arsch raushängen lassen oder mehr auf Teamgeist setzen, doch die wirklichen Auswirkungen auf Taten und Worte wird man wohl erst in den kommenden Episoden der auf fünf Folgen angelegten Staffel zu spüren bekommen. Wie gewohnt bekommt man am Ende wieder eine Übersicht über die getroffenen Entscheidungen sowie den Vergleich, wie die anderen Spieler mehrheitlich agiert haben.

Mehr interaktive Graphic Novel

Zudem bleiben die Entwickler auch in anderen Bereichen ihrer Design-Philosophie treu: Die Areale sind alle sehr klein angelegt, so dass Erkundungsreize ausbleiben. Auch hinsichtlich der Spielzeit orientiert man sich am Episoden-Umfang eines Walking Dead oder den Ausflügen nach Fabletown, so dass der finale Cliffhanger bereits nach etwa zwei Stunden erreicht wird. Rätsel spielen ebenfalls wieder nur eine untergeordnete Rolle und sind ähnlich anspruchslos wie die Reaktionstests, die auch der Durchschnittsspieler problemlos meistern dürfte. In einem Abschnitt muss man z.B. auf der Suche nach einem Schlüssel diverse Figuren in ihren Vitrinen scannen. Stellt man sich dabei zu dumm an, löst der Begleiter „ganz zufällig“ eine kleine Kettenreaktion aus und der gesuchte Schlüssel landet direkt

Trotz Humor: In manchen Szenen geht es ganz schön herb zur Sache!
vor meinen Füßen. Nein, von Anspruch kann hier keine Rede sein. Doch dafür unterhält die Geschichte zum Glück umso mehr.

Klasse Besetzung

Die hervorragend ausgewählten englischen Sprecher tragen ihren Teil dazu bei – allen voran Troy Baker in der Rolle von Rhys, der zuvor schon als Joel in The Last of Us sein Talent unter Beweis stellte, zuletzt Pagan Min in Far Cry 4 seine Stimme lieh und nächstes Jahr auch als Revolver Ocelot in Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain zu hören sein wird. Weitere professionelle Sprecher, darunter auch Nolan „Nathan Drake“ North, runden die gelungene Besetzung ab.

Schade nur, dass man wie schon bei der Veröffentlichung von The Wolf Among Us vorerst noch auf deutsche Untertitel verzichten muss. Bisher ist der Borderlands-Ableger ausschließlich auf Englisch erhältlich und da die Figuren in den Dialogen teilweise ein ordentliches Tempo vorlegen und oft mit umgangssprachlichen Begriffen um sich werfen, sollte man schon halbwegs fit sein oder sich optional die englischen Untertitel einblenden lassen. Ärgerlich, dass man gegen Ende im Rahmen einer aufregenden Verfolgungsjagd die Tonabmischung etwas vergeigt hat und die Stimmen im Soundeffekt-Gewitter zu sehr untergehen.

Fazit

Eigentlich habe ich mit Borderlands ziemlich wenig am Hut. Aber ein Ziel hat Telltale mit Tales from the Borderlands auf jeden Fall bei mir erreicht: Der Ableger hat meine Neugier an der interessanten Welt mit ihren schrulligen Figuren geweckt, so dass ich sicher in den nächsten Wochen und Monaten im Sammel-Shooter nach Pandora zurückkehren werde – und sei es nur, um die Wartezeit zur nächsten Episode zu überbrücken, die hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lässt. Vor allem die schlagfertigen Dialoge zwischen den interessanten Charakteren und der trockene Humor haben mir neben der gelungenen Inszenierung sowie den passend gesetzten Tempowechseln richtig gut gefallen. Da sehe ich gerne drüber hinweg, dass nicht die emotionale Tiefe eines Walking Dead erreicht wird. Für die Zukunft würde ich mir dennoch größere Areale und einen etwas höheren Anspruch bei der Rätselkost wünschen. Zudem hoffe ich, dass sich in zukünftigen Episoden noch stärkere Konsequenzen meiner getroffenen Entscheidungen spüren werde, obwohl ich diesbezüglich großes Vertrauen in Telltale habe.

Nachtrag zur PS4-Version:

Mittlerweile konnten wir auch die PS4-Umsetzung von Tales from the Borderlands unter die Lupe nehmen. Und die ist qualitativ ähnlich gut gelungen wie das kürzlich veröffentlichte Gesamtpaket von The Wolf Among Us. Die Darstellung ist überwiegend sauber, Ladeunterbrechungen halten sich in Grenzen und insgesamt befindet sich die PS4-Fassung auf Augenhöhe mit dem PC-Vorbild.

Pro

interessante Charaktere und Beziehungen
Entscheidungen beeinflussen Handlung
trockener Humor
klasse Artdesign, das der Vorlage gerecht wird
sehr gute (englische) Sprecher
gelungene Inszenierung und Tempowechsel
zusammenfassende Spieler-Statistik

Kontra

schlechte Tonabmischung gegen Ende (Arena)
keine anspruchsvollen Rätsel
kleine Areale / kaum Erkundung
schnell vorbei (unter 2 Stunden)
bisher nur auf Englisch verfügbar

Wertung

XboxOne

Technisch präsentiert sich die amüsante Geschichte auf der Xbox One etwas schwächer als auf PS4 und PC.

PlayStation4

Auch auf der PS4 gelingt Telltale ein toller Auftakt zu den Geschichten aus der Welt von Borderlands!

PC

Ein gelungener Ableger des Loot-Shooters, der mit viel Witz und Charme seinen Fokus auf Story und Charaktere legt.

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