The Incredible Adventures of Van Helsing 220.06.2014, Mathias Oertel

Im Test: Der andere Held mit dem Fedora-Hut

Ein Gewinner der Action-Rollenspiel-Renaissance, die mit Diablo 3 eingeleitet wurde, war The Incredible Adventure of Van Helsing. Der von Neocore entwickelte Titel hatte zwar seine Macken, wusste letztes Jahr aber mit viel Charme und einer ansehnlichen Kulisse zu überzeugen. Jetzt steht die Fortsetzung bereit und möchte beweisen, dass man aus den Fehlern gelernt hat.

Nach dem Boss ist vor dem Abenteuer

Es beginnt nicht mit "Ein paar Jahre später". Das Indie-Team von Neocore setzt mit The Incredible Adventure of Van Helsing 2 genau dort an, wo Teil 1 vor etwa zwölf Monaten aufhörte: Der Held ist nach dem Kampf gegen Prof. Fulmigati am Boden. Er wird aber nicht von seinem Geister-Sidekick Katarina gerettet, sondern  von dem ominösen "Häftling Sieben". Und der sagt ihm auch gleich, dass der erschöpfte Held sich nicht ausruhen kann: Die Steampunk-Stadt Borgova wird von den Gruppen General Harkers belagert, gegen den Fulmigatis Größenwahn wie ein Lausbubenstreich aussieht. Und bevor man sich versieht und sich auf seine Qualitäten als Monsterjäger besinnen sowie die weitreichenden Landstriche von absonderlichen Gegnern befreien kann, muss die Stadt verteidigt und der Widerstand organisiert werden.

Bei allen Verbesserungen, die Neocore im Vergleich zum Vorgänger eingebaut hat, bleibt man in einem Bereich weiterhin schwach: Die Geschichte. Zwar bekommen diejenigen, die den ersten Teil nicht gespielt haben, einen kurzen Überblick über die Geschehnisse. Doch das ändert nichts daran, dass die Story auch hier bald den Faden verliert. Der Antagonist ist schnell etabliert, die Jagd auf ihn wird zum Hauptthema gemacht, Nebengeschichten finden zwar statt, verlaufen aber ebenso konfus im Sand wie der Haupterzählstrang. Damit unterscheidet sich Van Helsing 2 zwar nur unwesentlich von anderen Genre-Vertretern, doch man lässt die Möglichkeit ungenutzt, sich abseits von Beute, Charakterentwicklung und ansehnlicher Kulisse von der namhaften Konkurrenz abzusetzen.

Humor ist Trumpf

Das neue Abenteuer von Van Helsing bietet eine ansehnliche Kulisse, die allerdings für die volle Pracht auch ungewöhnliche hohe Hardware-Anforderungen stellt.
Immerhin: Mit dem Wortwitz, der sich vor allem in den Dialog-Duellen zwischen dem Helden und seinem Sidekick, der süffisant-schnippischen Geisterdame Katarina zeigt, kann man über viele erzählerische Schwächen hinweg trösten. Die beiden gehen sich rhetorisch immer wieder an die Gurgel und wenn dazu noch Popkultur involviert ist, kommt man nicht umhin, immer wieder zu schmunzeln. Die Frequenz, in der die Gags abgefeuert werden, ist deutlich höher als im Vorgänger und man wird beim ersten Durchlauf vermutlich gar nicht alles erkennen oder erfassen - nicht nur, weil der Titel wie gehabt nur auf Englisch erhältlich ist. Sondern auch, weil das Spektrum, das die beiden abdecken und das sich auch in zahlreichen Easter Eggs zeigt, enorm weit reicht: Von Monty Python bis Harry Potter, von Private Ryan bis Stargate.

Und das auch völlig unabhängig, ob man sich zu Beginn des Spiels für einen Veteranen-Charakter mit Stufe 30 und entsprechender entscheidet, seine Figur aus dem ersten Abenteuer  importiert und bei Null (also Stufe 1) anfängt. Bei den drei Klassen Jäger (Standard-Mischung aus Nah- und Fernkampf), Thaumaturg (Zauberer) und Arkan-Mechaniker (quasi ein aggressiver Gagdet-Ingenieur) macht Neocore zwar nichts neu und nutzt nur die Figurentypen, die man im Original per DLC nachgeliefert hat. Aber immerhin sind sie hier von Beginn an wählbar und sorgen dadurch für Abwechslung - bei der "Veteranenauswahl" findet man sogar jeweils zwei Varianten mit jeweils anderen Spezialisierungen.

Bekannte Muster, neue Wendungen

Beute und Monster gibt es genug.
Hinsichtlich der grundlegenden Mechanik setzt man zum einen auf bekannte Kloppmist-Elemente: Haufenweise Gegner, viel Beute und eine einfache Klick-und-Lauf- bzw. Klick-und-Angriff-Steuerung. Ergänzt wird dies durch die weitgehend intelligent und den überschaubaren Vorgaben folgend mitkämpfende Katarina. Sie ist weiterhin mehr als nur ein Gegenstands-Tragesel oder eine Kaufauftrags-Ratte, sondern kann in entscheidenden Situationen das Zünglein an der Kampfwaage sein. Sei es, weil sie die Gegner auf sich lenkt und Van Helsing die Möglichkeit gibt, sich zu sammeln und einen Trank einzuwerfen oder sei es, weil sie mit ihren Angriffen die entscheidenden Treffer setzt. Dennoch sorgen die Auseinandersetzungen auch für Sorgenfalten.

Zwar nicht beim einsteigerfreundlichen "normalen" Schwierigkeitsgrad, der auf beinahe "ungefährliches Durchkommen" angelegt ist. Doch ab "Hart" trifft man nach fordernden, aber fairen Gefechten, in denen man auch mal den geregelten Rückzug antreten muss, um nicht überwältigt zu werden, urplötzlich auf Zusammenstellungen oder Gruppengrößen, die einen an den Rand der Verzweiflung bringen können. Immerhin kann man sich gegen Gold (zehn Prozent des aktuellen Bestands) an den zumeist fair gesetzten Kontrollpunkten wiederbeleben lassen. Wenn man mehr Gold investiert, kann man auch an Ort und Stelle wieder auferstehen. Sparfüchse hingegen bevorzugen das kostenlose neue Leben ab unterirdischer Monsterjäger-Höhle, die man als Refugium ebenfalls aus dem ersten Teil übernommen hat.

Es bleibt auch weiterhin bei der Möglichkeit, seine angesammlte "Wut" in temporäre Steigerungen der Standardangriffe zu investieren und mit der nächsten Attacke einen besonders durchschlagenden Versuch zu starten. Dadurch bekommt das Kampfsystem erneut eine taktische Note, die es von vielen anderen Kollegen abhebt und die von der umfangreichen Charakterentwicklung unterstützt wird. Alle drei Grundklassen bieten Fähigkeiten-Bäume, die zahlreiche Spezialisierungen oder Anpassungen an die bevorzugte Spielweise erlauben. Fast schon zu viel. Denn bis man sich durch alles durchgewühlt und nachvollzogen hat, was in welcher Form am besten harmoniert, dauert es etwas. Zumal auch passive Fähigkeiten eine Rolle spielen - und der "Buff"-Baum von Lady Katarina ebenfalls beachtet werden sollte.

Der Unterschlupf als... Ja wofür eigentlich?

Der Unterschlupf als Allround-Station und Start für Tower-Defense-Abschnitte ist ein gelungenes Element, wird aber zu wenig mit der ohnehin schwachen Story verknüpft.
Auch das Element des Unterschlupfs kennt man bereits aus dem ersten Van-Helsing-Abstecher. Als zentrale Teleport-Station, Megashop und Aufwertungsstation in einem wird der Schlupfwinkel immer noch sinnvoll genutzt. Vor allem Letzteres wurde deutlich aufgestockt. Es gibt mehr Möglichkeiten als je zuvor, seine Gegenstände aufzuwerten und so evtl. das letzte Stückchen Optimierung aus den Knarren, Schwertern, Magie-Handschuhen, Hüten, Amuletten usw. herauszuholen. Doch das Problem bei solcher Vielfalt und Freiheit: Man braucht eigentlich gar nicht so viel Zeit in Schmiedekunst usw. investieren, da die üppig ausgeschüttete Beute meist ordentliche Ausrüstung bereithält. Doch wer unbedingt auch den letzten Schadenspunkt aus den Waffen herausquetschen will, hat auf jeden Fall Gelegenheit dazu. Von Zeit zu Zeit wird der Unterschlupf bzw. der Zugang zu diesem von den Gegnern heimgesucht. Dann heißt es, sich wieder an einer Tower-Defense-Variante zu versuchen, die an ein isometrisches Orcs must Die! erinnert und die von zahlreichen Verschlankungen und Verfeinerungen profitiert.

Die Abschnitte sind stringenter, es gibt ordentliche Upgrade-Möglichkeiten für die Verteidigungsanlagen, die jedoch nur an vorgesehenen Positionen platziert werden können. Größtenteils sind diese unterhaltsamen Abweichungen vom Monsterjäger-Alltag jedoch optional. Man bekommt zwar in den Außengebieten immer Meldungen, dass man im Unterschlupf benötigt wird, doch eine Rückkehr ist eigentlich nicht notwendig. Schade, denn mit etwas mehr Verpflichtung und entsprechender Verzahnung mit der Kampagne und ggf. Auswirkungen auf die Monsterbevölkerung wäre mehr als nur ein Gimmick aus diesem Element geworden. Doch dieses Manko teilt es mit zwei anderen Mechaniken: Zum einen kann man ähnlich wie in der Ezio-Trilogie der Assassin’s-Creed-Serie Generäle des Widerstands auf Sondermissionen

Mit einem eigenen Monster kämpft es sich doch gleich angenehmer...
schicken, für die sie nicht nur ggf. Gold oder Gegenstände, sondern auch Erfahrung gewinnen.  Man kann sogar sein eigenes Monster groß ziehen und es schließlich auf dem Schlachtfeld zum Einsatz bringen - aber auch dies ist alles optional und wirkt nur draufgestülpt.

Ein Van Helsing, zwei Van Helsinge?

Egal, ob der Plural nun Van Helsings, Van Helsinge oder mehrere Van Helsing ist, der Online-Modus hat im Vergleich zum ersten Teil einen großen Fortschritt gemacht. Er ist zwar immer noch nicht komplett vor Lags und Abstürzen gefeit. Doch in der gegenwärtigen Version sind Abbrüche eher die Ausnahme, so dass mit Gleichgesinnten alsbald Metzelspaß aufkommt. Man kann entweder kooperativ mit bis zu vier Jägern Monster vertreiben oder mit bis zu acht Spielern gegeneinander antreten. Doch sowohl die PvP-Duelle als auch die kooperativen Albtraum-Szenarien stehen nur erfahrenen Spielern mit Figuren ab Stufe 57 zur Verfügung. Es ist allerdings schade, dass der Mehrspieler-Modus kaum frequentiert wird. Vermutlich sind dies die Nachwirkungen des im ersten Teil lange und auch hier zum Start sehr unzuverlässig arbeitenden Netzcodes, der die Spieler vorsichtig werden ließ. Die Möglichkeit eines Offline-Koop bietet sich nicht.

Van Helsing setzt auf viele Elemente des Vorgängers, baut sie aber ansprechend aus.
Nachdem der erste Teil bereits ansehnlich, aber auch vergleichsweise hardwarehungrig war, verwundert es nicht, dass Van Helsing 2 sich ähnlich präsentiert. Die Kulisse macht nach wie vor einiges her, die Gebiete sind abwechslungsreich. Doch wenn man mit einem Rechner am unteren Ende des empfohlenen Spektrums (Dual Core 2.0 GHz-CPU, nVidia 8800 GT, wenig RAM) unterwegs ist, kann das Geschehen auf dem Bildschirm in als sehr unangenehm empfundene Bildraten abrutschen. Mit einem ordentlichen System jedoch sorgen sowohl die Effekte als auch das liebevolle Artdesign mit seinem Faible für kleine Details und große Explosionen dafür, dass man gerne in der düsteren Welt von Van Helsing abtaucht - obwohl Aufwand und Ertrag in keiner vernünftigen Relation stehen.

Fazit

Neocore macht es clever: Man schließt erzählerisch an den ersten Teil an, nutzt die Fortschritte, die man durch Patches und Download-Inhalte am Vorgänger vornahm und erweitert diese. Man hat sofort Zugriff auf drei "Klassen", die aus Van Helsing entweder einen Zauberer, einen Ingenieur oder den bekannten Monsterjäger machen. Schnell entsteht der Hack&Slay-typische Motivationssog, der allerdings vom unausgewogenen Schwierigkeitsgrad häufig ins Wanken gebracht wird. Im ordentlichen, aber gegenwärtig nicht lagfreien Online-Modus wirken sich im Koop-Spiel die Probleme mit den großen Feindesgruppen nur selten aus. Hinzu kommt der Humor: Mit seinen zielsicher gesetzten Pointen, Anspielungen und Easter Eggs trifft er ebenso ins Ziel wie die Pistolen des Protagonisten. Schade ist allerdings, dass die verbesserten Tower-Defense-Elemente wie nahezu alles, was mit dem Unterschlupf zu tun hat, nur selten mehr als schmückendes Beiwerk ist und die Story nicht nur schwach, sondern konfus erzählt wird. Doch auch so ist das prall gefüllte Abenteuer in Borgovia ein lohnenswerter Ausflug für Beutejäger und Monstersammler.

Pro

einfache Steuerung
sehr charmanter Humor mit vielen Anspielungen auf Pop-Kultur
drei "Klassen"
umfangreiche Personalisierung
hohe Sammelmotivation
aktiv zuschaltbare Angriffs-Verstärkungen
ansehnliche Kulisse zwischen Fantasy und Steampunk-Flair
zahlreiche Möglichkeiten, Gegenstände aufzuwerten
Tower Defense-Variation sorgt für Abwechslung
variantenreiche Gegnerauswahl
gut agierende Kampfbegleitung
gute (englische) Sprachausgabe
ausgewogene Fähigkeiten
umfangreich
Online-Modus (Koop bis zu vier Spieler, PvP bis zu acht Spieler)

Kontra

konfuse Story
schwacher Einstieg
unausgewogener Schwierigkeitsgrad für Solisten
Schlupfwinkel-Verteidigung und -Missionen unerheblich
Online-Spiel technisch gelegentlich unsauber
vergleichsweise hohe Hardwareanforderungen

Wertung

PC

Beim zweiten Ausflug des Monsterjägers hat Neocore konsequent Feinschliff betrieben und bietet mehr von allem: Klassen, Fähigkeiten, Beute, Monster. Einige Elemente sind aber ebenso konfus integriert wie die Story.

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