Trainz: A New Era22.05.2015, Mathias Oertel
Trainz: A New Era

Im Test: Ausgelebte Modellbahn-Faszination

Seit gut 15 Jahren lockt die Trainz-Serie die Hobby-Lokführer auf die Strecke. Dabei musste man sich regelmäßig mit der starken Konkurrenz aus dem Hause Kuju auseinandersetzen, die zuerst den Microsoft Train Simulator und zuletzt den Train Simulator 15 auf die Gleise stellte. Mit Trainz: A New Era (ab 28,10€ bei kaufen) unternimmt man einen neuen Angriff. Wir haben uns für den Test ins Führerhäuschen gesetzt.

Streikfreie Zone

Eine Zug-Simulation, bei der die Züge tatsächlich abfahren und pünktlich ankommen? Keine Fahrplan-Kürzungen? Kein Streik? Das ist ja kaum realistisch. Zugegeben: Für einen kurzen Moment habe ich tatsächlich überlegt, dem auch mich als Pendler beeinflussenden Streik der GDL Tribut zu zollen und eine leere Seite anzubieten. Doch das wäre zu viel der Ehre für die in den Ausstand getretenen Bahner, deren berufliche Verdienste ich damit nicht schmälern möchte. Denn ich habe es auf der etwa 400 Meilen langen Strecke von z.B. Edinburgh nach London nicht geschafft, den Zeitplan einzuhalten. Und das, obwohl mir die umfangreichen Tutorials sowohl die einfache als auch die komplexe Steuerung erklärten.  Bei der „realistischen“ Kontrolloption, in der man entweder stilecht im Führerhäuschen die Schalter und Hebel betätigt oder aber über ein Widget auf dem Hauptbildschirm alle Funktionen griffbrereit hat , werden einem sogar die spezifischen Unterschiede beigebracht, die für das Bedienen einer Dampflok nötig sind und die man tunlichst beachten sollte, wenn man den Zug in Bewegung setzen möchte.

Wer möchte, kann sich in Trainz: A New Era auch als Meister des Weichen-Stellwerks versuchen.
Die einfache Variante hingegen funktioniert im Wesentlichen wie bei einer Modelleisenbahn: Über einen Drehregler legt man den Krafteinsatz der Maschinen fest, der auf die Schiene übertragen werden soll. Man muss sich nicht haarklein um die unterschiedlichen Bremstypen kümmern. Ein Dreh nach rechts oder links und die Lokomotive samt Fracht- oder Passagierwaggons wird schneller oder langsamer bzw. fährt in die Gegenrichtung. Beinahe so wie in meiner Kindheit, als ich im Keller auf einer drei Quadratmeter großen Sperrholzplatte meine Spur-Z-Züge von Märklin über die Schienen hetzte, bis sie aus den Kurven flogen. Im Gegensatz zum Train Simulator gibt es hier sogar noch eine weitere Parallele zur Modellbahn: Man kann abhängig vom Spielmodus auch die Weichen stellen anstatt nur als Lokführer hinter den Schaltern zu sitzen.

Zwischen Langeweile und Faszination

Nicht nur bei den staubtrockenen, aber immerhin interaktiven Tutorial-Missionen wurde ich ständig zwischen Langeweile und einer vermutlich auch den Modellbahn-Kindheitserinnerungen entspringenden Faszination hin und her gerissen. Auf den vier mitgelieferten Strecken, die vornehmlich im englischsprachigen Ausland platziert sind (USA, England, Australien)

Die Engine wurde runderneuert und bietet eine ordentliche Weitsicht.
wurde ich ebenfalls durch ein Wechselbad der Gefühle geschleust - insofern man dies bei einer derart unspektakuklären Materie sagen kann. Auf der einen Seite war es interessant herauszufinden, welchen Mindestanforderungen man sich hier gegenübersieht. Signale müssen beachtet und auf der Strecke in England sogar per Knopfdruck bestätigt werden, da sonst eine Notabschaltung stattfindet. Man sollte auch auf Geschwindigkeitsbegrenzungen achten und darf bei Passagierzügen zudem nicht den Fahrplan aus den Augen verlieren. Das Problem: Die Konsequenzen bei Nichtbeachtung sind irrelevant. Es gibt leichte Punktabzüge in der Endabrechnung, aber das war es auch. Geht man bei entsprechenden Zügen mit zu viel Tempo in den Endbahnhof oder rast mit überhöhter Geschwindigkeit durch eine Kurve, sorgt die akkurat wirkende sowie natürlich Auswirkung auf den Bremsweg zeigende Physik für Entgleisungen, die jedoch (analog zu Modellbahnen) weitgehend unspektakulär ablaufen. Und das ist dann bereits die größte Strafe.

Apropos: Wieso bleibt man bei den wenigen mitgelieferten Sessions (entsprechen im Wesentlichen Missionen) erzkonservativ und geht keinerlei Risiko ein? Es gibt abseits von roten Signalen keine Zwischenfälle in irgendeiner Form. Man verzichtet auf Fahrzeuge, die auf Bahnübergängen liegen geblieben sind und vor denen man abbremsen müsste - obwohl man in der Landschaft sogar das eine oder andere Fahrzeug sehen kann, dass irgendwo von A nach B rollt. Es gibt keine Sonderfälle, in denen man z.B. bedingt durch einen Streik auch neue Stationen bedienen muss, die man vorher durchfahren hätte, während man tunlichst nicht aus dem Zeitplan fällt. Mit solchen kleinen Modifikatoren hätte das staubtrockene Simulieren nicht nur aufgewertet, sondern das Missionsdesign gleichzeitig auch "realistischer" gestaltet werden können.

Unkomfortable "Download-Station"

Wer neue Inhalte kostengünstig laden möchte, kann auf Community-Kreationen in der "Download Station" zurückgreifen.
Abhilfe könnte durch die rege Community entstehen, die sich die Trainz-Serie in den letzten 15 Jahren aufgebaut hat und die vor nicht erst mit den letzten Ausgaben Trainz Simulator 12 sowie Trainz Simulator 10 haufenweise Inhalte erstellte. Zu finden sind diese Kreationen zum einen auf der Trainz Download Station , zum anderen aber auch durch einen Browser, der aus dem „Inhalte erstellen“-Menü heraus aufrufbar ist. Allerdings ist dieser im Vergleich zum Vorgänger unübersichtlicher und damit auch deutlich unkomfortabler zu bedienen. Was bringt mir der Zugriff auf gut 250.000 verfügbare Inhalte, wenn es keine übersichtliche Suche gibt? Wenn ich als Anfänger einfach nur neue Strecken, Missionen oder Lokomotiven haben möchte, finde ich zwar schließlich, was ich mir ungefähr vorgestellt habe, doch der Weg dorthin ist beschwerlich - zu beschwerlich, um zum Spaß beitragen zu können. Selbstverständlich gibt es auch "offizielle" Add-Ons, mit denen man sein Spiel sofort aufwerten kann. Doch mit etwa 40 Dollar für z.B. eine Routen-Erweiterung muss man tief in die Tasche greifen. Also bin ich erstmal bei den Community-Inhalten geblieben.

Hat man letztlich aus den unzähligen Lokomotiven, Fahrgestellen, Waggons, Routen, Szenarien, Gebäuden, Umgebungs- oder Streckenobjekten das herausgesucht, was man möchte, wobei sogar Gegenstands-Abhängigkeiten bedacht und zum Herunterladen vorbereitet werden, wartet der nächste Schock: Als "Standard-User" ist man bei der Download-Geschwindigkeit auf etwa 10 KB/Sekunde limitiert. Das war schon zu Zeiten von 56K-Modems ein Schlag ins Gesicht und ist in Zeiten, in denen man mit Handys in einer vielfachen Geschwindigkeit surfen kann, eine Zumutung. Abhilfe schafft das "First Class Ticket", ein Premiumservice, der abhängig von der Laufzeit zwischen 13 Dollar (drei Monate) und 25 Dollar (ein Jahr) kostet und Downloads ohne Begrenzung verspricht. Das man den Käufern von Trainz: A New Era zum Einstieg nicht einmal einen Monat gratis gibt, ist sehr schade und definitiv keine gute Werbung. Immerhin: Hat man (ohne Erster-Klasse-Geschwindigkeit) die mitunter umfangreichen und damit Stunden dauernden Downloads hinter sich gebracht, stellt man fest, dass viele Inhalte des TS12 auch hier funktionieren.

Virtueller Modellbaukasten

Im Editor lassen sich mit wenigen Klicks Landstriche und Strecken erstellen.
Wer ganz viel Geduld und Zeit mitbringt, kann sich natürlich entsprechend in die Entwicklung von Community-Inhalten einbringen und entweder seine Kindheitsträume in einer Fantasie-Landschaft wieder aufleben lassen oder versuchen, seine Lieblings-Bahnstrecken oder Traum-Lokomotiven nachzubauen. Während man für Objekte, Lokomotiven etc. einschlägige externe Tools nutzen muss (Mesh-Erstellung, Bildbearbeitung), kann man Strecken im einfach zu bedienenden und mächtigen Editor in relativ kurzer Zeit aus dem Boden stampfen. Landschaft lässt sich erhöhen und senken, wobei man den Radius der entsprechenden Werkzeuge den Wünschen entsprechend anpassen kann.

Landschaftstexturen lassen sich schnell und unkompliziert tapezieren. Bäume und Gebäude lassen sich aus einer umfangreichen Auswahl an den entsprechenden Wunschplatz ziehen. Und sowohl Bahntrassen als auch Weichen, Signalleuchten und was man sonst so zum Betrieb einer Strecke braucht, lassen sich ebenfalls einfach bauen. Doch natürlich wird es trotz allen Komforts dauern, bis man z.B. die Intercity-Strecke von Hamburg nach Berlin nachgestellt hat. Und man wird vermutlich auch des Öfteren auf entsprechenden Hilfeseiten in den Weiten des Internet nach Hinweisen suchen, was man jetzt wie tun muss, um entsprechende Ergebnisse zu erzielen. Denn wie in so vielen Bereichen wird man in Trainz als Anfänger nicht nur allein gelassen, es wird größtenteils auch sehr spröde präsentiert.

Ruhiger Spaß

Auch vorsichtiges Rangieren gehört zu den Aufgaben eines virtuellen Lokführers.
Normalerweise beschäftige ich mich sowohl privat als auch beruflich mit hektischeren Spielen. Doch trotzdem oder vielleicht gerade deswegen habe ich die ausgedehnten Momente, in denen ich auf die sich vor dem Zug entfaltende Strecke gestarrt habe, auf eine merkwürdige Art und Weise genossen. Zumindest für eine bestimmte Zeit konnte ich mich auf die "kontrollierte Langeweile" einlassen und Spaß damit haben. Noch mehr Spaß hätte ich allerdings gehabt, wenn die Kulisse insgesamt imposanter gewesen wäre. Zwar wird für A New Era eine neue Engine verwendet. Und die Unterschiede zum Vorgänger, sind durchaus deutlich, wenn es um Sichtweite, Schattenqualität oder Texturdetails geht. Da aber die alten Inhalte zu großen Teilen weiter verwendbar sind, muss man natürlich mit einigen Kompromissen leben. Der größte davon ist sicherlich, dass die Engine zwar eine sehr gute Weitsicht bietet und man auch bis in eine Art Satellitenansicht herauszoomen kann, die Kulisse aber unter dem Strich im besten Fall nur ein bis zwei Jahre hinter dem Standard hinterher hinkt und teilweise auch nicht mit dem Train Simulator 15 mithalten kann, der z.B. auch mehr Kameraoptionen bietet.

Die Loks kommen mit der neuen Engine besonders gut zur Geltung.
Hier sind Schatten mitunter immer noch etwas grob. Der Dampf oder Qualm der Lokomotiven könnte voluminöser sein. Bei hohen Zoomstufen können die Texturen ebenso unschön flackern wie manche Schattierungen. Die Landschaften wirken mitunter etwas karg - oder um den Vergleich mit dem Modellbau abermals zu bemühen: Ein Kind schien irgendwann keine Lust mehr zu haben, sich Mühe zu geben. Alles wirkt "ok", aber in keiner Form außergewöhnlich. Immerhin funktioniert die Streaming-Technologie ordentlich. Man kann zwar (vor allem bei hohen Geschwindigkeiten) sehen, dass die Detailtexturen erst relativ spät auf die Schienenpolygone geklebt werden, doch über die gesamten beinahe 650 Kilometer langen Fahrt von der englischen in die schottische Hauptstadt gab es beim konstanten Nachladen von Strecke und Umgebung keine Probleme.  Was man im Führerhäuschen nicht immer behaupten kann. Zwar funktionieren die Anzeigen und Armaturen akkurat. Allerdings flackern die Anzeigenadeln in Abhängigkeit von ihrer Position und der Zoomstufe auch mal bis hin zum Verschwinden. Zudem hätte es nicht geschadet, die Texturen vieler Instrumente noch hochauflösender zu gestalten. Selbst beim Tutorial-Zug gibt es Beschriftungen, die man partout nicht entziffern kann. Dementsprechend kann sich Trainz A New Era trotz neuer Engine nicht gegen den Train Simulator 15 behaupten, dessen Kulisse zwar auch nicht perfekt ist, aber insgesamt einfach stimmiger sowie zeitgemäßer wirkt.

Fazit

Märklin gegen Fleischmann. GDL gegen die Bahn. Trainz gegen Train Simulator. Wer hätte gedacht, dass der Schienenverkehr voller spannender Duelle steckt? Wie schon die Vorgänger bietet Trainz auch in der "Neuen Ära" eine ordentliche Simulation des Gleisabfahrens  - die aber sehr spezielle Bedürfnisse erfüllt und als eine besondere Form des Zen-Gamings unspektakulär bleibt. Dank neuer Engine sehen sowohl die Lokomotiven als auch die nahtlos nachstreamende Umgebung besser aus als in Trainz 12, können aber nicht mit dem ansehnlicheren Train Simulator 15 mithalten. Dafür jedoch ist der Landschafts- und Streckeneditor deutlich leichter zu bedienen als bei der Konkurrenz und die wenigen mitgelieferten Kerninhalte (vier Strecken samt Missionen/Szenarien) können durch kostenlose Downloads der Community-Kreationen aufgestockt werden. Lobenswert: Inhalte der Vorgänger funktionieren auch hier, wenngleich man natürlich grafische Abstriche hinnehmen muss. Weniger lobenswert: Verzichtet man auf einen kostenpflichtigen Premium-Service, wird die Download-Geschwindigkeit auf magere 10KB/Sekunde gedrosselt – autsch! Wenn man mit Modellbahnen früher seinen Spaß hatte, kann man sicherlich auch hier stundenlang auf dem Führerstand verbringen und Weichen stellen, bis man umfällt - zumal man hier auch mit Gleichgesinnten im Mehrspieler-Modus die Schienen bearbeiten kann.

Pro

ordentliche Streaming-Technologie
neue Engine sorgt für deutliche visuelle Verbesserung gegenüber dem Vorgänger...
umfangreiche Tutorials...
zwei Steuerungsmechaniken (Trafo/Modellbahn, komplex)
glaubwürdige Physik
sehr guter Landschafts- und Streckeneditor
große Community bastelt kontinuierlich an Inhalten
passable Sound-Kulisse
Weichen können manuell gestellt werden
Download-Station wartet mit etwa 250.000 kostenlosen Downloads...
Mehrspieler-Modus
enorm große Karten möglich (Strecke London Edinburgh z.B. knapp 650 Km lang)
hohe Sichtweite
auch in Außensicht über Widget gut zu kontrollieren

Kontra

lange initiale Ladezeiten
... bleibt aber in nahezu allen Belangen hinter dem aktuellen Train Simulator zurück
... deren staubtrockene Präsentation allerdings einschläfern kann
wenige Kerninhalte
Grafikfehler (Texturflackern, Kamera in Tunnels)
unspektakuläre Missionen/Szenarien
mitunter karge Umgebungen
Beschriftung auf Instrumenten im Führerstand mitunter nicht lesbar
keine Steam-Workshop-Unterstützung
... wird aber ohne Premium-Service (ab 13 Dollar/drei Monate) auf 10KB/Sek. Gedrosselt

Wertung

PC

Die Kulisse zeigt Schwächen und die künstliche Beschränkung für Community-Downloads stört. Doch abseits dessen liefert N3V wieder einmal eine solide Schienensimulation ab.

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