Fire10.04.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Kombiniere Kokosnuss mit Rüssel!

Es wird wieder bizarr im Hause Daedalic: Eigentlich soll Höhlenmensch Ungh nur eine Flamme fürs Lagerfeuer beschaffen, doch auf dem Weg zum Vulkan muss er altkluge Affen, monströse Urzeitviecher und sogar Alien-Technologie manipulieren. Zu viel des Guten oder eine gelungene Rätsel-Reise im Stil von Gobliiins und Machinarium?

Vom Testballon zur Entdeckungsreise

Ursprünglich wollte Daedalic nur eine neue Animations-Engine ausprobieren – und herausfinden, wie sich ein kleines Puzzle-Spiel ganz ohne Sprache sowohl für Touchscreen-Geräte als auch für den PC realisieren lässt. Nachdem ein Prototyp auf die Beine gestellt war, teilte man Sebastian „Bade“ Schmidt ein kleines Team zu und ließ ihn ein komplettes Spiel um den tollpatschigen Steinzeithelden basteln, das ab sofort auf Steam und als Box-Version erhältlich ist. Eine Umsetzungen für iOS soll später folgen. Die minimalistisch inszenierte Story wird in kurzen Slapstick-Sequenzen erzählt und dient leider nur als Aufhänger für Unghs Reise: Der Protagonist ist bei der Nachtwache eingeschlummert und hat das Lagerfeuer des Dorfes erlöschen lassen. Also muss er sich auf die gefährlichen Reise zum Vulkan machen, um eine neue Flamme zu besorgen.

Jedes der kurzen Levels besitzt seine eigenen Gesetzmäßigkeiten. Hier dreht man per Mausklick das Hirn im Dinokopf, um z.B. in seinen Bauch zu gelangen.
Die Rahmenhandlung wirkt also alles andere als üppig, ins Design der Welt und seiner knuffigen Urzeitbiester ist aber viel Liebe geflossen. Die Laufbewegungen und das physikalische Baumeln der Extremitäten werden zwar ressourcensparend von der Spine-Engine berechnet, wodurch die Grafiker weniger Animationsphasen zeichnen müssen. Die Entwickler haben aber trotzdem viele lustige Animationen und Anspielungen eingebaut. Der stets gutgelaunte Ungh hoppelt unheimlich knuffig durch die Steppe, präsentiert stolz seinen wohlgeformten Bauch oder zweifelt an den Aktionen des Spielers, indem er ein Fragezeichen-Schild aus seinem ratlosen Kopf klappen lässt. Das Design der Urzeit-Viecher erinnert an Ren & Stimpy oder Cartoon-Network-Klassiker wie Cow & Chicken und hat mich sofort dazu animiert, die Eigenheiten der Welt zu erforschen. Ob Ungh nun auf einen putzigen Stegosaurier mit Rüsselsocke trifft - oder auf eklig deformierte Borsten-Tentakeln: Alle besitzen ihre speziellen Eigenheiten, die sich für meine Zwecke missbrauchen lassen.

Bizarre Experimente an lebendigen Urviechern

Zieht Ungh z.B. neben einem Dinosaurier an einer Kordel, öffnet sich ein Vorhang und das Gehirn des Giganten wird freigelegt. Klicke ich drauf, dreht sich das Organ in drei mögliche Stellungen und wird mit anderen Nerven-Enden verbunden. Eine Option hebt den Schweif an, eine andere öffnet das Maul, so dass ich direkt in den Dino spazieren und ihn mit Klicks auf seine Organe ärgern kann. Nachdem ich das Biest mit allerlei gefundenem Zeug vollstopft und seinen Verdauungstrakt manipuliert habe, purzelt irgendwann eine kleine Kugel aus ihm heraus. Diese Murmel mit einem darin eingesperrten Glühwürmchen ist das Ziel eines jeden Levels: Sie öffnet das Portal in den nächsten Abschnitt.

Ranzen statt Inventar: Ungh trägt seine Wampe nicht ohne Stolz und präsentiert sie auch gerne dem Spieler.
Jedes Level ist ein kleines, in sich abgeschlossenes Kapitel, das sich über wenige Bildschirme erstreckt. Erst wenn es abgeschlossen ist, wird gespeichert. Wer mittendrin aufhört und neu startet, muss einige Handgriffe leider ein zweites Mal ausführen. Tragisch ist das aber nicht, weil es meist nur einige Minuten dauert. Insgesamt ist das Spiel sehr schnell durchgezockt – ich habe nur rund zweieinhalb Stunden daran gesessen. In seiner kurzen Zeit sprüht das Abenteuer aber vor Abwechslung: Mal müssen mit einer Lupe Symbole gefunden und in eine prähistorische Steintastatur eingegeben werden, anderswo missbrauche ich den Rüssel eines Dinos als Kanone, damit er ein Loch in ein Felldach schießt. Starte ich danach an der richtigen Stelle einen Regentanz, schwämmt das Wasser die heißbegehrte Kugel aus der Hütte.

Apple war gestern…oder morgen?

Sogar außerirdische Kultstätten wie ein Monolith-artiges Banana-Phone und Zeitreise-Puzzles sind im Spiel vertreten. Setze ich z.B. einen Schmetterling in der Vergangenheit aus, entsteht in der Zukunft was…? Na...? Natürlich, ein Wirbelsturm! Durch den allseits bekannten Butterfly-Effekt, bei dem selbst ein winziger Flügelschlag große Katastrophen herbeiführen kann. Auch wenn das alles jetzt ziemlich abstrus klingen mag, so ergibt es doch innerhalb der kleinen Levels erstaunlich viel Sinn. Jedes der in sich abgeschlossenen Areale nimmt sich ein spezielles Thema vor und besitzt seine eigenen Gesetzmäßigkeiten, mit denen ich so lange herumexperimentiere, bis ich auf die Lösung komme. In einem Level muss ich z.B. vier kugelrunde Wuschelviecher dazu bringen, zu musizieren. Ein Klick auf ein Fellknäuel und schon pfeift es eine schmissige Funk-Melodie, ein weiterer Klick und es säuselt traurige Harmonien oder imitiert einen wummernden Techno-Beat. Nur wenn alle Stimmen zusammenpassen, lassen sich die Höhlenmenschen mit ihren individuellen Musikgeschmäckern glücklich stellen.

Ein Blick aufs frostige prähistorische Hamburg.
Nur in Ausnahmefällen wurden mir die Puzzles und ihre Logik zu abstrus: Im Zeitreise-Level z.B. kam ich irgendwann nur noch durch stumpfes Ausprobieren aller Optionen weiter. Meist sind die Aufgaben aber toll ausbalanciert, so dass auch Einsteiger auf die Lösung kommen. Wer knallharte Rätsel alter Schule erwartet, kommt dagegen nicht auf seine Kosten, da es z.B. kein Inventar gibt. Der lediglich mit einem Lendenschurz bekleidete Ungh kann sich immer nur einen Gegenstand greifen und muss andere manchmal vorerst weglegen. Ein paar Seitenhiebe auf komplexe Inventar- und Dialog-Systeme konnten sich die Entwickler aber nicht verkneifen. Auch anderswo gibt es eine ganze Reihe von Anspielungen auf Games- und Popkultur zu entdecken: z.B. nervige Mikrotransaktionen auf einem gigantischen Steinzeit-Smartphone.

Einfach gehaltene Handhabung

Auch der Rest der Steuerung läuft sehr bequem und einsteigerfreundlich ab und wurde offenbar mit dem Touchscreen der iOS-Version im Hinterkopf entwickelt. Ungh kann nicht frei herumlaufen, sondern tappst lediglich zu wichtigen Objekten oder Figuren, wenn ich sie anklicke. Diese Hotspots lassen sich wie gewohnt per Leertaste anzeigen. So konnte ich das Spiel auch bequem ohne Maus auf meinem Notebook spielen. Lediglich die Minispiele gehen mit der Maus etwas besser von der Hand, weil hier Timing wichtig ist. Beim Trip auf den Mond etwa müssen einige Space-Invaders abgeschossen oder Brückenteile zusammengepuzzelt werden. Die simplen Action-Einlagen sind zwar nur mäßig unterhaltsam, bieten aber eine willkommene Pause für die Gehirnzellen.

Auch auf dem Mond präsentiert sich Ungh äußerst modebewusst!
Beim kurzen Scrollen zwischen den Bildschirmen kam es selbst auf einem schnellen Spielerechner zu kleine Ruckeleinlagen, davon abgesehen läuft alles aber auch auf schwachen Notebooks ideal. Wer unterwegs zockt, sollte übrigens unbedingt Kopfhörer anstöpseln: Der Soundtrack von Tilo Alpermann unterstreicht die sehr unterschiedlichen Stimmungen der Areale hervorragend – mal mit Bongotrommeln und vergnügtem Pfeifen, im Lava-Tal mit dramatischeren Stücken. Wenn sich Ungh mittels Magie in eine Biene verwandelt, summt die Melodie sogar im Insektensound – fast wie im guten alten Conker! Ähnlich wie in Professor Layton gibt es auch einige versteckte Münzen zu sammeln. Sie schalten zwar keine Hinweise, aber kleine Boni wie Konzeptgrafiken frei.

Fazit

Fire ist zwar ein sehr kurzer Knobelsnack, dafür aber ein richtig leckerer. Auf seiner abwechslungsreichen Reise zum Vulkan trifft der sympathische Ungh auf herrlich albern designte Urzeitviecher und derart bizarre Mechanismen, dass es eine wahre Freude ist, an ihnen herumzuspielen. Da sich die Experimente auf kleine Levels beschränken und die Bedienung sehr einfach gehalten ist, wird es nur in Ausnahmefällen frustig. Man merkt an allen Ecken und Enden, dass mit Sebastian Schmidt ein erfahrener Rätseldesigner das Projekt geleitet hat: Die minimalistisch inszenierte Rahmenhandlung spielt leider kaum eine Rolle; stattdessen dreht sich alles um den Spaß am Entdecken und an ebenso lustigen wie ausgefeilten Puzzlemechaniken. Wer die guten alten Gobliiins oder Machinarium mochte, wird auch hier auf seine Kosten kommen.

Pro

sehr charmante Hauptfigur
knuffig-monströse Urzeit-Viecher
alberner Humor mit gelungenen Anspielungen
liebevolle Slapstick-Animationen
abwechslungsreiche, teils bizarre Rätsel-Mechaniken
Puzzles trotz verrückter Gesetzmäßigkeiten gut ausbalanciert
Knobel-Experimente schaffen eine entspannte Atmosphäre
sehr bequeme Bedienung
fehlendes Inventar passt gut zum Level-Design
eingängige Musikstücke fangen die Stimmung prima ein

Kontra

minimalistische Story bleibt bloßer Aufhänger für die Reise
nur rund zweieinhalb Stunden kurz
speichert lediglich zwischen den Level-Häppchen
leichtes Ruckeln beim Scrollen zwischen den Bildschirmen

Wertung

PC

Klein aber gelungen: Ein alberner Humor und bizarre Experimente mit Urviechern machen Unghs Reise zu einem unterhaltsamen Knobeltrip.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.