The Matrix Online16.05.2005, Marcel Kleffmann
The Matrix Online

Im Test:

Was würdet ihr machen, wenn euch ein mysteriöser dunkelhäutiger Glatzkopf mit langem Mantel eine rote oder blaue Pille für The Matrix Online anbieten würde? Zugreifen oder ablehnen? Aber Moment: Entschieden habt ihr euch bekanntlich schon, ihr müsst also nur noch verstehen "warum" - und dabei hilft unser Test.

Wir sind alle nur Batterien

Die Matrix ist eine virtuelle Scheinwelt in der wir "leben", während die übermächtigen Maschinen uns als Duracell-Batterien missbrauchen. Nicht alle Insassen der Matrix akzeptierten diese computergenerierte Welt und brachen aus. Kurz darauf folgte ein Auserwählter, eine Prophezeiung, ein Amok laufendes Killerprogramm und den Rest kennt ihr aus der Film-Trilogie. Obwohl Matrix Reloaded und Revolutions eher verhalten aufgenommen wurden, führte der letzte Teil zu dem einzig möglichen, aber schlecht präsentierten Ende. Neo opferte sich für den Waffenstillstand. Dennoch existiert die Matrix weiter und so kommt ihr ins Spiel…

Die Kämpfe sind schön in Szene gesetzt, kranken aber an chronischer Wiederholung.
Rot oder Blau?

Wie bei jedem anderen Online-Rollenspiel müsst ihr erstmal einen Charakter erstellen und er/sie sollte eigentlich nur cool aussehen. Hautenge Lederklamotten für weibliche Spielfiguren sind ebenso Pflicht wie lange schwarze Mäntel für die männlichen Kollegen und ohne Sonnenbrille geht es sowieso nicht. Vom Umfang der äußeren Avatar-Generierung ist The Matrix Online zwar komplexer als World of WarCraft, scheitert aber an EverQuest 2 oder City of Heroes. Danach müsst ihr euren Archetypen wählen: zehn Modelle mit kaum differenzierten Basiswerten warten auf euch. Obwohl das Spiel mit kleinen Hilfetextchen aufwartet, bleiben doch die tatsächlichen Auswirkungen dieser Statistiken (z.B. Focus oder Perception) weitgehend im Dunkeln.

Anschließend stellt euch das Spiel vor die Pillenwahl: rote oder blaue? Der Griff zur roten Pille bringt euch in ein umfangreiches Tutorial, das euch Steuerung sowie die wichtigsten Spielfeatures näher bringt und vor allen das Kampfsystem erklärt. Schusswaffen werden nur durch ein Video vorgestellt. Die blaue Pille überspringt das Tutorial.

Stadt ohne Höhepunkte

Jetzt geht es ab in die Matrix. Stilecht materialisiert sich die Welt um euch herum und schwupps seid ihr in "Mega City" - eine gigantische Stadt aus Hochhäusern, Straßen, Parkplätzen, dunklen Gassen und noch mehr Häusern, Ecken und Straßen. In der mittelmäßig großen Metropole gibt es zwar keine Ladeunterbrechungen, aber dafür auch kaum optische Abwechslung und Objekte mit Wiedererkennungswert fehlen fast gänzlich. Die Erforschung der Stadt wird übrigens gar nicht honoriert, lediglich das Springen von Dach zu Dach macht kurzzeitig Spaß.

Quests per Telefon

Tja und was passiert wohl in der Matrix? Genau, das erstbeste Telefon klingelt und eine Kontaktperson teilt euch den ersten Auftrag mit. Prompt erscheint ein Pfeil auf dem Bildschirm, der euch durch die Stadt leitet. Ohne dieses Navigationssystem würdet ihr ziemlich schnell verloren gehen, da alles gleich aussieht. Am Ziel angekommen oder auf dem Weg dorthin erwarten euch einige Gegner und von jetzt an werden alle Online-Rollenspiel-Standards ausgespielt: Umgeknüppelte Gegner

Der Ober-Pillen-Verteiler macht einen Abstecher in die Matrix.
bringen Erfahrungspunkte und Zahlungsmittel (Informationen dienen als Geld). Je nach Level und Informations-Kontostand könnt ihr euch mit neuen Fähigkeiten (Kung-Fu, etc.) und sonstigem Schnickschnack wie Kleidung, Waffen oder Items eindecken.

Hacker, Coder oder Operative?

Die Fertigkeiten sind in drei Skilltrees unterteilt, die euch später als Hacker, Coder oder Operative definieren. Diese drei Klassen unterscheiden sich stark voneinander: Der Operative ist vorrangig Kämpfer, kann aber auch spionieren, während der Hacker eher Supporter ist und mit Heil-Patches seine Kollegen kuriert oder mit Viren die Feinde schwächt. Ein Coder hingegen kann zusätzliche Kämpfer erschaffen oder Tools programmieren. Doch damit nicht genug! Jede Klasse lässt sich durch Subtrees weiter spezialisieren und zum Ende hin gibt es ein Dutzend Berufe bzw. Meisterfertigkeiten (Utility Master, Tool Maker, Upgrade Master, Master Assassin, etc.). Kurzum: Das Skill-System in The Matrix Online ist ziemlich umfangreich und motivierend, schließlich gibt es bei fast jedem Level-Up neue Möglichkeiten, den Charakter irgendwie zu verbessern - auffällig ist allerdings, dass die Kämpfer mehr Skills geboten bekommen als die anderen Klassen. Ein Memory-Limit verhindert außerdem, dass ihr nicht alle Skills auf einmal erlernen könnt, sondern für eine spezielle Laufbahn entscheiden müsst. 

       

Quest-Monotonie

All die Erfahrungspunkte, Level-Ups und Informationen bekommt ihr meist über Quests. Habt ihr euch nach den ersten Telefoneinsätzen bewährt, dürft ihr frei entscheiden, ob ihr fortan Missionen für die Maschinen, Menschen oder den Merowinger macht. Obwohl diese Quests zu einer gewissen Rufänderung bei den Parteien führen, spielen sich die Aufträge

Duelle mit den Agenten dauern lange und sind knifflig. Hier ist die Flucht oft angebracht.
allesamt gleich und monoton. Solch eine Mission wird zwar durch eine stilechte Mini-Matrix-Story eingeleitet, dahinter verbirgt sich aber stets Schema F. Meist müsst ihr einfach zum Zielgebiet laufen und dort alle Gegner erledigen, einen Gegenstand finden oder Personen eskortieren - World of WarCraft und EverQuest 2 bieten hier mehr fürs Geld. Apropos monoton: alle Feinde in der Matrix sind natürlich menschlich.

Weitergehend planen die Entwickler so genannte Live-Events, bei denen die Spieler unter anderem bekannte Charaktere aus den Filmen treffen. Diese Live-Charaktere werden dabei von Ingame-Moderatoren gesteuert, die euch zum Rollenspiel animieren sollen. Agenten-Jagden oder Events wie "The Hunt for Morpheus" werden euch geboten, fließen jedoch nicht in unsere Bewertung ein, da sie nur von Zeit zu Zeit stattfinden.

Kampfsystem

Deutlich spannender als die Quests sind die Kämpfe. Hierzu schwingt die Kamera in eine für Prügelspiele typische Seiten-Ansicht. Mit fünf Aktionsbuttons bestimmt ihr euer Verhalten im Fight: Der Speedpunch sorgt für viele Treffer mit wenig Intensität, der langsame Powerpunch haut dafür richtig rein. Mit dem Wurf könnt ihr Feinde zu Boden zu schicken und dann gibt es noch das allseits beliebte Blocken. Mit dem fünften und letzten Button legt ihr euren Kampfstil fest. Hier dürft ihr euch über butterweiche und abwechslungsreiche Animationen freuen, aber nach einer gewissen Zeitspanne relativiert sich das einst so spektakuläre Gekämpfe. Über diesen Mangel trösten selbst die teils umwerfenden Zeitlupen-Sequenzen oder die sonstigen Matrix-Fähigkeiten nicht weg. Fernkampf mit diversen Feuerwaffen und coolen Bullet-Time-Effekten gibt es auch, jedoch sind diese Ballereien längst nicht so intensiv wie die Kämpfe. Unverzichtbar ist ebenfalls der Flüchten-Knopf, der ein aussichtsloses Duell abbricht - eine echt gute Option, aber danach schwingt die Kamera einmal um euch herum und der Überblick geht flöten. Nicht nur in den Schlägereien offenbaren sich Probleme mit der Kamera, manchmal entwickelt die Sicht ein störendes Eigenleben, vor allem beim Wechsel zwischen Innen- und Außenarealen.

Mehr Spaß kommt logischerweise auf, wenn ihr in einem Team unterwegs seid und eure Fähigkeiten sich wohl oder übel ergänzen, trotzdem ist das Teamplay nicht unbedingt nötig, um die Quests zu lösen. Auf eigene Faust kommt man ebenfalls gut klar, nur in einer Gruppe ist es einfacher und meist spaßiger.

Überall gibt es den typischen Grünstich...
Grüne Optik, toller Sound

Mega City präsentiert sich als virtuelles Pendant zum Film: Alles ist blass, gräulich-finster und überall ist es irgendwie auch ein bisschen grün. Sehr cool sind herumfliegende Programmcode-Bausteine beim Kampf. Die ganze Kulisse geht allerdings enorm zu Lasten der Performance und selbst auf High-Tech-Rechenknechten bricht die Framerate ein, obwohl sich die Prachtgrafik aufgrund der Farbarmut in Grenzen hält. Wesentlich mehr Stimmung verbreitet hingegen die dynamische Soundkulisse, die mit dem Original-Soundtrack und eigens komponierten Stücken auftrumpft. Die Sprachausgabe hält sich allerdings stark in Grenzen.

Bugs & Payment

Selbst einige Wochen nach dem Start krankt das Online-Rollenspiel an vielen Bugs und technischen Schwierigkeiten. Neben der schon angesprochenen Kamera-Problematik, kann es schon mal vorkommen, dass gelegentlich NPCs verschwinden oder dass man durch geschlossene Türen rennt - ganz zu schweigen von den Clipping-Fehlern. The Matrix Online ist komplett in englischer Sprache und kostet im Monat knapp 13 Euro. Die einzige Zahlungsart läuft über per Kreditkarte und wenn ihr euren Account terminieren möchtet, müsst ihr die Zentrale in England anrufen.

    

Fazit

Hinter der geheimnisvollen Matrix verbirgt sich ein gewöhnliches Online-Rollenspiel in einer Hightech-Kulisse. Zwar weiß die Welt mit stilvollen Effekten, tollen Zeitlupen, dem Soundtrack und einigen Charakteren aus den Filmen aufzutrumpfen, aber irgendwie fehlt es an Abwechslung. Die Quests nutzen sich trotz Rahmenhandlung schnell ab und unterschiedliche Aufgaben gibt es erst gar nicht. Selbst das anfangs coole Prügel-Kampfsystem stirbt nach einigen Stunden den Systemtod, da sich alles ständig wiedererholt - da hilft auch die Bullet-Time nicht weiter. Hinzu gesellen sich störende Bugs, technische Probleme wie Clipping-Fehler und sehr hohe Hardware-Anforderungen. Immerhin kann das Charakter-System überzeugen: Ihr habt verdammt viele Möglichkeiten euren Helden zu verbessern und dies ist neben der Suche nach besserer Ausrüstung ein enormer Motivationsfaktor. Trotzdem verbirgt sich hinter der coolen Fassade ein stinknormales MMORPG, das leider nur für kurze Zeit fesseln kann. Danach greift man zum Telefon und ruft das Orakel in England an, um die blaue Pille zu bestellen.

Pro

Matrix-Flair gut eingefangen
Figuren aus den Filmen tauchen auf
cooles Kampfsystem
tolle Spezialfunktionen (Bullet-Time, an Wänden laufen)
umfangreiches System zur Weiterentwicklung des Charakters
Tools bzw. Mini-Programme können hergestellt werden
Quests sind in kleine Geschichten gehüllt
schöne Charakter-Modelle
gute Animationen
Original-Musik
knallige Sound-Effekte

Kontra

extrem monotone Quests
keinerlei Abwechslung in der Stadt
etwas umständliche Bedienung
störende Bugs
Balancing-Probleme
seltsam agierende Kamera
technisch unausgereift
sehr hohe Hardware-Anforderungen
Gruppen-Kämpfe nicht unbedingt nötig
nicht lokalisiert
Account-Löschung nur über Anruf in England

Wertung

PC

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