Paper Sorcerer29.01.2014, Jörg Luibl
Paper Sorcerer

Im Test:

Legend of Grimrock hat 2012 auf dem PC bewiesen, dass Fantasy alter Schule sehr gut unterhalten kann. Während Rollenspiele wie Skyrim oder Witcher 3 immer größer und realistischer werden, scheint es auch eine Sehnsucht nach den Abenteuern der 80er zu geben, als man sich mit seiner Party durch Labyrinthe kämpfte. Das über Kickstarter finanzierte Paper Sorcerer entführt zurück in die Zeit von Dungeon Master & Co. Was kann ein Mann alleine mit schlappen 13000 Dollar anstellen? Was könnt ihr für fünf Euro erwarten?

Monster statt Helden

Die halten meine Gruppe nicht auf! In diesem Dungeon-Crawler muss man mit seiner Vierergruppe aus einem Labyrinth fliehen. Das Besondere: Man beschwört Mitglieder seiner Party aus Monstern von Vampiren bis Skeletten.
Mein Berserker-Minotaurus ist mein Sorgenkind: Er schlägt mächtig zu, trifft dabei meist alle Feinde, aber er darf weder Kette noch Platte tragen - also ist seine Defensive mickrig. Vielleicht finde ich ja noch eine Rune oder ein verstärktes Fell in diesen verfluchten Zellen. Vor allem in den versteckten Räumen lassen sich manchmal magische Ausrüstungen finden, die es beim Händler nicht gibt. Aber wo ist der weiße Schlüssel für diese Tür?

Ganz anders mein Vampir: Obwohl er der Heiler der Gruppe ist, kann er sowohl hart austeilen als auch einstecken - ein Multitalent. Selbst der Goblin-Schurke landet mittlerweile mit seinem "Steel Dagger 5-14dmg +10crit" und der hohen Gewandheit von 25 harte Treffer; zudem kann er Schlösser knacken und Feinde mitten im Kampf bestehlen. Auch die Killerpuppe schlägt bereits ordentlich zu - ich kann ihren Kopf, ihre Arme und andere Gliedmaßen übrigens so austauschen, dass sie eher defensiv agiert.

Gefangen im Buch des Königs

Worum es geht? Man soll aus einem ungewöhnlichen Knast ausbrechen. In der Rolle eines ehemals gefürchteten Zauberers sucht man nach einem Ausweg aus einem magisch versiegelten Buch. Scheinbar wurde man von einem König seiner Macht beraubt, die man auf dem Weg durch die Labyrinthe stückweise zurückerlangen kann. Darunter auch die Möglichkeit, drei Monster zu beschwören, die man frei entwickeln darf. An bestimmten Stellen hat man die Wahl unter einem Dutzend Schreckgestalten vom Skelett bis zum Schatten, vom Kultisten bis zur Hexe, vom Goblin zum Vampir.

Und die Unterstützung braucht man, denn in den Kerkern warten zig klassische Helden wie Krieger, Zwerge, Waldläufer, Kleriker, Ritter, Magier oder Riesen - alle mühevoll handgezeichnet von markant, verschroben bis hässlich. Das billige Figurendesign erinnert mitunter an private Pen&Paper-Rollenspiele in meinem Keller, die Musik trullert viel zu modern daher. Man fühlt sich fast wie in einer Art Spukkomödie. Trotzdem üben die schwarzweißen Flure eine gewisse Anziehungskraft aus. Vielleicht liegt das an den subtilen Andeutungen in den Texten oder an der Beschränkung auf das Wesentliche. Vielleicht ist es auch ein wenig Nostalgie.

Erkundung in Echtzeit

Manche der Schwarz-Weiß-Abschnitte wirken surreal. Die Dungeons sind aber recht kompakt.
Wie in Dungeon Master bewegt man eine Gruppe aus vier Charakteren in Echtzeit und Egosicht durch die Gänge. Im Gegensatz zum Klassiker oder Legend of Grimrock ziehen hier allerdings keine sichtbaren Feinde umher - sie tauchen entweder aus dem Nichts auf oder sind als unbewegte Wolke aus der Distanz sichtbar. So fühlt man sich meist etwas zu sicher. Obwohl der Grafikstil mit seinen starken Kontrasten und plötzlichen Abgründen für ein surreales Flair sorgt, wirken die Gemäuer und Türen während der Erkundung viel zu gleichförmig und steril.

Es gibt zwar keine Karte, aber die Dungeons sind dafür sehr kompakt - sie ähneln zu Beginn eher Zellentrakten als Labyrinthen. Dafür kann man dort mit der Zeit immer mehr Geheimnisse und Geheimgänge, Fallen und Fahrstühle entdecken, wenn man auf gelegentliche Hinweise oder Schalter achtet. Und sollte man sich tatsächlich mal verlaufen, darf man sich komfortabel in eine Art Hauptquartier mit Händler, Trainer, Zimmer & Co zurückziehen. Dazu gehört auch eine Spukvilla: Wofür braucht die Kreatur dort bloß die Seelen? Sie öffnet damit weitere Katakomben mit stärkeren Feinden und wertvollen Schätzen.

Rundengefechte mit Spezialfähigkeiten

Feinde erscheinen entweder plötzlich oder sind als schwarze Wolke aus der Distanz sichtbar.
Das rundenbasierte Kampfsystem mutet sehr simpel an, ist aber überraschend vielfältig. Einen Feind beklauen, verkrüppeln, festhalten, blenden? Rundumangriffe, Schutzschilde, Stärkeschübe, Feuerschaden, Schattenversteck? Alles kein Problem. Aufgrund dieser Spezialfähigkeiten, für die man wertvolle Energie benötigt, entsteht ein angenehm taktisches Spielgefühl , während man zuschlägt, sich auflädt oder mit den zig Tränken heilt. Ärgerlich ist allerdings, dass die Benutzeroberfläche nur sehr spärliche Informationen über den eigenen Status anzeigt; man vermisst z.B. Feedback, wenn man mit der Maus auf die Symbole für Lähmung, Erblindung & Co zieht.

Die Gefechtsdynamik erinnert entfernt an The Banner Saga: Auch hier gibt es neben den Lebenspunkten einen Wert für die Verteidigung, die erstmal Schaden abfängt und schrittweise dezimiert werden kann. Allerdings darf man sich als Angreifer hier nicht aussuchen, ob man Leben oder Rüstung attackiert - sie wird quasi automatisch beschädigt. Trotzdem sorgt dieser Schutz dafür, dass man schwer gepanzerte Gegner erstmal zermürben muss. Dazu gehören z.B. Bosse, die am Etagenende warten.

Gruppentaktik & Wiederbelebung

Vor allem die Erkundungs- und Rätseleinlagen lockern den Kampfalltag in den Verliesen auf.
Zwar kann man die Aktionen seiner Helden lange nicht so clever verzahnen wie etwa in Etrian Odyssey. Außerdem ist es schade, dass die Formation, also ein vorne und hinten für Nah- und Fernkämpfer, keine Rolle spielt. Aber man hat genug defensive und offensive Möglichkeiten für effiziente Gruppentaktik: Der Goblin schmeißt die Rauchbombe, der Minotaurus rammt sich durch alle Gegner, der Zauberer schützt sich und der Vampir heilt ihn.

Falls jemand stirbt, braucht man entweder einen Trank oder den entsprechenden Zauber zur Wiederbelebung. Apropos Schwierigkeit: Leicht ist wirklich viel zu leicht. Wenn ihr mit etwas Anspruch viel sehen und weit kommen wollt, solltet ihr normal spielen. Mit deutlich mehr Geduld solltet ihr es auf schwer versuchen, aber um den 80er-Stil solltet ihr tunlichst einen Bogen machen - da ist quasi jeder Meter tödlich und es gibt fast keinen Komfort mehr.

Fazit

Billige Zeichnungen, kaum Animationen, Monster als Wolken. Paper Sorcerer kann auch weder mit dem vertrackten Dungeonflair eines Legend of Grimrock noch mit der komplexen Gruppentaktik eines Etrian Odyssey mithalten. Von epischer Story ganz zu schweigen! Warum komme ich dann trotzdem nicht von diesem Spiel los? Vielleicht, weil es als Dungeon-Crawler eine Nische in der Beschränkung auf das Wesentliche findet: erkunden, kämpfen, rätseln, aufrüsten. Vielleicht, weil es mich augenzwinkernd in die 80er zurückbeamt. Je länger ich spiele, desto mehr schätze ich die verborgenen Stärken dieses verschrobenen Abenteuers. Das Artdesign lockt mit surrealen  Winkeln, der Spielfluss profitiert von kompakten Verliesen, die Neugier wird von verschlossenen Türen und Geheimgängen befeuert. Glückwunsch an Jesse Gallagher, dem eine letztlich  zu monotone, aber stilistisch markante Hommage an Klassiker wie Wizardry und Dungeon Master gelungen ist.

Pro

von einem Mann entwickelt
markanter Schwarz-Weiß-Grafikstil
gelungene Hommage an alte Dungeon-Crawler
relativ freie Charakterentwicklung
kein plumpes Grinden
taktische Rundenkämpfe mit vielen Spezialfähigkeiten
kompakte Dungeons mit Rätseln, Schaltern & Illusionen
Vier-Mann-Party besteht aus diversen Monstertypen
komfortable Reise zum Hauptquartier
zig Items, Waffen, Tränke, Runen etc.
einige charmante Überraschungen
vier Schwierigkeitsgrade
alles inklusive, kein Freischalten gegen Geld

Kontra

nur nebulöse Story
auf Dauer zu generisches Leveldesign
kaum Animationen, teilweise billige Zeichnungen
keine komplexere Gruppentaktik mit Reihen/Kombos
Benutzeroberfläche mit zu wenig Feedback
alle Gegenstände & Waffen nur als Text
kleinere Soundbugs, monotone Musik
immer wieder Auflösung neu einstellen

Wertung

PC

Trotz vieler Schwächen: Eine angenehm markante Hommage an Klassiker wie Wizardry und Dungeon Master.

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