Mushroom 1125.11.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Bizarrer Balanceakt

Zuerst ist es nur ein dunkler Fleck, nur Tage später hat sich der Schimmel schon im halben Bad verbreitet: In der realen Welt können Pilze zur Plage werden, Mushroom 11 dagegen macht sich ihre Hartnäckigkeit zunutze. Ob Abgrund oder Spinnenmonster – der mächtige Superpilz wuchert durch jedes noch so bedrohliche Hindernis. Geht das ungewöhnliche Konzept auf?

Der Pilz wächst mit seinen Aufgaben

Auf dem Independent Games Festival und anderen Indie-Veranstaltungen sorgte das Prinzip bereits für Aufsehen: Ein wild in alle Richtungen wuchernder Pilz wird vom Mauszeiger durch ein Labyrinth gedrängt, bis er schließlich das Ziel erreicht. Ich fühle mich dabei ein wenig, als würde ich einen außerirdischen Super-Fungus mit einem Chlor-Reiniger bearbeiten. Lösche ich rechts ein paar seiner Wucherungen, wächst er zum Ausgleich links ein Stückchen weiter. So kann ich ihn z.B. in eine schmale Röhre treiben, bis er schließlich erstaunlich schnell bis zum anderen Ende wächst und dort frei heraus wuchert. Da ich einen hohen Vorsprung erreichen muss, „schere“ ich nur die unteren Fasern ab und lasse diejenigen stehen, die sich bereits in den oberen Nischen der porösen Wand festgesetzt haben. Jedes Stückchen Gewebe, das ich unten auslösche, wächst sofort an den verschonten Stellen nach, so dass der Pilz langsam aber sicher seine Ranken bis zu zur hohen Klippe ausstreckt und sie schließlich umschlingt. Jetzt muss ich nur noch schnell den Rest löschen und bin auf der Anhöhe angekommen – geschafft!

Fast wie beim Kneten eines Teigs: Die linke Maustaste erzeugt einen großen Kreis zum „Löschen“ des Pilzes – mit der rechten lassen sich Feinheiten ausarbeiten.
Das Prinzip ist so einfach wie genial – Entwickler Untame erfand es auf einem Gamejam und schaffte es beim IGF 2014 ins Finale der Design-Kategorie. Wer einmal anfängt, den Superpilz mit mit der Maus vor sich her zu treiben, bemerkt sofort, wie speziell sich das Konzept anfühlt. Manchmal werden zwar Erinnerungen an die alles verschlingende Kugel in Katamari Damacy oder den flüssigen Quecksilber-Blob in Mercury wach – trotzdem ist es etwas Besonderes, die seltsamen Wucherungen mit Hilfe des zerstörerischen Mauszeigers vor sich her zu treiben. Es ist fast so, als würde man eine Teig kneten: Wenn ich hier ein wenig weg quetsche, dehnt er sich anderswo aus.

Die Macht des Schimmels

Die Entwickler haben dafür gesorgt, dass sich insgesamt immer die gleiche Menge an Pilzgewebe entfaltet. Das ist vor allem deswegen spannend, weil immer wieder Physik-Rätsel eingestreut werden, bei denen das Gewicht stimmen muss. Als mir zwei poröse Seile begegnen, lasse ich meinen kugelrunden Pilz mit Schmackes von der Klippe fallen, damit sie durchreißen und den Weg freigeben. Beim dritten Seil ist das keine so gute Idee, weil darunter die Lava brodelt. Also zerteile ich den „Blob“ gerade noch rechtzeitig in viele kleine Schnipsel die nun sachte auf den empfindlichen Faden regnen. Ein paar davon lasse ich behutsam nach links wuchern und schon ist mein Schützling in Sicherheit.

Der entspannte Soundtrack unterstreicht die Endzeit-Stimmung mit fremdartigem Ambient, Triphop und Seapunk.
Immer wieder spielen Gewicht und Form eine wichtige Rolle: Um z.B. rotierende Zahnräder ans Ziel zu rollen, muss ich durch geschicktes Rasieren immer wieder den Schwerpunkt auf die linke Seite verlagern und den Pilz dann noch rechtzeitig aufs nächste Segment retten, bevor er abstürzt. Was für eine seltsamer, kniffliger und gleichzeitig erhebender Balanceakt!

Stimmungsvolle Endzeit

Um die Herausforderung noch abwechslungsreicher zu gestalten, warten allerlei Förderbänder, rotierende Knöpfe, Schalter-Mechanismen und andere Gemeinheiten in der postapokalyptischen Welt, die übrigens erfreulich hübsch inszeniert wurde. Auf verrosteten Schildern, in alten Schlachthäusern und anderswo trifft man auf stimmungsvoll platzierte Überreste der gescheiterten Zivilisation. Offenbar konnten nur widerstandsfähige Wesen wie mein Pilz überleben – oder auch Feuer spuckende Tentakelmonster mit Glubschaugen, die sich mir immer wieder in den Weg stellen. Der Kampf gegen sie gestaltet sich ebenfalls spannend. Immer wieder wuchere ich mit kleinen Tricks an Augen und andere Schwachstellen heran, um sie einfach aufzusaugen und in Sekundenschnelle zu verdauen. Wer abseits des Weges mehr Herausforderung sucht, kann dort ebenfalls kleine Insekten und andere Tierchen verschlucken, die friedlich auf entlegenen Plattformen vor sich hin wuseln.

Vom Schaukelpferd über Raketen bis hin zur Lorenfahrt warten viele wagemutige Ausflüge auf den wackeligen Superpilz.
Zu Beginn habe ich mich noch gefragt, wie das kleine Team ein derart ungewöhnliches Konzept so toll ausbalancieren konnte: Mal ist Grips gefragt, anderswo muss ich wackelige Objekte einfach mit Schwung, dem richtigen Gewicht oder einer passenden Form übertölpeln. Im letzten Drittel des Spiels wird es allerdings richtig frustig: Auf wackeligen Waagschalen oder rotierenden Rädern ist es oft sehr mühsam, sich im passenden Moment mit der richtigen Form durchzumogeln. Oft hatte ich die Lösung schnell durchschaut, musste mich aber mit übertrieben peniblem Timing durch schmale Lücken quetschen. Nach dem Absturz in die tödliche Lava ging es zum letzten Speicherpunkt und mühsam bewältigte Abschnitte mussten erneut gemeistert werden – nervig. Wollten die Entwickler so die Spielzeit der nur sieben Levels strecken? Warum haben sie nicht lieber ein paar Internet-Bestenlisten eingebaut? Auch Online-Herausforderungen mit den Geistern von Freunden wären schön gewesen. Stattdessen gibt es nur einen einzigen klassischen Spielmodus, bei dem die Bestzeiten lokal gespeichert werden.

Fazit

Mushroom 11 ist eins dieser Spiele, bei denen man von Anfang an das Gefühl hat, etwas völlig Neues zu spielen. Der wandlungsfähige Pilz hat mich immer wieder zum Staunen gebracht: Wie jetzt – ich soll an einem derart steilen Vorsprung empor wuchern? Und danach muss ich den Pilz in der passenden Zehntelsekunde zerteilen, damit eine Flocke davon im Aufwind landet, um sich schließlich auf einer wackeligen Waage auszubreiten? Vieles erscheint zunächst haarsträubend, lässt sich nach ein paar spannenden Experimenten aber erstaunlich souverän meistern. Der grün pulsierenden „Superschimmel“ ist derart robust und vielseitig, dass sich immer wieder neue Wege durch die postapokalyptische Welt ergeben, die übrigens richtig stimmungsvoll gestaltet wurde. Schade, dass die Entwickler ihr kurzes Spiel offenbar mit einem übertrieben kniffligen Schwierigkeitsgrad strecken wollten. Meist ist der Mix aus Puzzles und Geschicklichkeitstests toll ausbalanciert, aber zum Ende hin habe ich mich regelrecht durchs Labyrinth gequält, weil zu oft penibles Timing gefragt war. Freunde neuer Spielideen sollten sich das erfrischend andere Mushroom 11 trotzdem nicht entgehen lassen!

Pro

bizarre neuartige Spielmechanik
motivierende Puzzles benötigen viel Fingerspitzengefühl
ausgewogener Mix aus Geschicklichkeit und Rätseln
cool eingebundene Physik-Puzzles
präzise Maussteuerung
zu Beginn erstaunlich gut ausbalanciert
idyllische bis trostlose Postapokalypse
entspannter fremdartiger Soundtrack
motivierende Bosskämpfe

Kontra

nur ein Modus und sieben Levels
letztes Spieldrittel übertrieben knifflig und mühsam
keine weltweiten Bestenlisten, Herausforderungen oder Ähnliches

Wertung

PC

Motivierend eigenwilliger und sehr kniffliger Mix aus Puzzles und Balanceakt.

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