Half-Minute Hero: The Second Coming10.04.2014, Benjamin Schmädig
Half-Minute Hero: The Second Coming

Im Test: Das schnellste Rollenspiel der Welt

Ach herrje! Da ist sie ja schon wieder. Die Time Goddess. Wisst ihr noch: silbergraue Haare, weißes Kleid, maximal zwei Animationsstufen? Und das Herz einer gierigen Piratin. Wie sonst könnte sie als Heilsbringerin fröhlich flötend herab schweben, mir das Leben retten – und dann eiskalt abkassieren?! Aber ich kann ja nicht ohne sie. Wenn sie für mich die Zeit zurückdreht und ihre gerissene Geschäftstüchtigkeit in dem kleinen Herzchen nach einer Dialogzeile verpackt... ach, Time Goddess. Schön, dass du wieder da bist!

Zeit ist Geld

Ein Rollenspiel, ein komplettes Abenteuer, in 30 Sekunden? Kann man machen! Half-Minute Hero hat es gemacht. Ein Abenteuer dauerte genau eine halbe Minute – war der Bösewicht bis dahin nicht besiegt, musste man von vorn beginnen. Schaffte man es, lief der Abspann und das nächste Abenteuer begann. Ein paar Dutzend solcher Quests in einem Rollenspiel, das war Half-Minute Hero. Es war rasant, witzig, einzigartig.

Selbstverständlich gab es eine Geschichte, die die einzelnen Episoden zusammenhielt. Und natürlich waren es nicht nur 30 Sekunden. Denn die Time Goddess konnte die Zeit zurückdrehen. Jederzeit. (Für eine „klitzekleine“ Gebühr.) Gut, dass der Held nicht nur im Zeitraffer die Levelstufe zwei, drei... fünf... zehn... achtundzwanzig erreichte, sondern von getöteten Gegnern auch Geld erhielt. Er musste also lediglich herausfinden, wo er ausreichend starke Feinde vermöbeln konnte, um die steigenden Forderungen der Time Goddess zu bezahlen und irgendwann den Boss zu besiegen.

Wechselspiel

Und das ist heute noch so. Auch wenn es "heute" nicht ganz trifft. Immerhin erschien die Fortsetzung des PSP-Spiels bereits vor drei Jahren auf japanischen PSPs. In westlichen Breiten blieb das Original allerdings hinter den Erwartungen zurück und so erscheint der Nachfolger hierzulande auf Steam. Schade, auf der

Ist nicht zu dick, kann durch die Zeit reisen, versteht viel Spaß (wenn er von ihr kommt): die Time Goddess.
Unterwegsplattform fühlte ich mich mit dem flotten Spiel wie Zuhause. Vielleicht denkt Entwickler Marvelous ja noch über Vita oder 3DS nach.

"Ich bin nicht fett!"

Wie dem auch sei: Die schnellen 30-Sekunden-Quests sind zurück und mit ihnen ein neuer Held. Denn The Second Coming spielt viele Jahre nach Half-Minute Hero. Die Time Goddess – als Herrin über die Zeit keinen Tag gealtert – kehrt zurück, als ein neuer Abenteurer ihre Hilfe braucht. Der soll das Land von ein paar Unholden befreien, anschließend noch üblere Fieslinge bekämpfen, um schließlich... aber das würde zu viel verraten. Die Geschichte macht jedenfalls richtig was her! Teil zwei schlägt zwar nicht mit der überraschenden Spritzigkeit ein, die mir im Vorgänger ein Dauergrinsen bescherte. Die zahllosen Dialogfenster fesseln mich aber mit einem witzigen Charme, den ich in vollen Zügen genieße.

Als ein Einwohner etwa beschreibt, wie ein Tunichtgut eine schwere Statue der Time Goddess in den Wald geschleppt hat, saust die bis dahin abwesende Göttin ganz kurz durchs Bild, um ein angefressenes "The Time Goddess is not heavy!" einzuwerfen. Drollig!

Schrullige Marotten

Neu ist eine Ernsthaftigkeit, die der Handlung Gewicht verleiht. Schließlich erzählt The Second Coming auch von Liebe, Verrat und von einer Bedrohung, die nicht nur ein Köder fürs Weitermachen ist. Es sind die banalen Pixelfiguren, die am Platz hüpfen, wenn sie angesprochen werden. Die kurz hin und her rücken, wenn sie traurig sind. Einfache Worte und passende Gesten legen im Kopf die richtigen emotionalen Schalter um – Half-Minute Hero bedient sich geschickt bei den Urahnen des japanischen Rollenspiels...

... während es mit diebischer Freude deren Marotten aufs Korn nimmt. Da heißt der böse Lord, der noch böser ist als Lord Zand, etwa Lord Zandest. Und der Protagonist hat doch tatsächlich genau einen Flügel auf dem Rücken. Typische PC-Spieler lassen hingegen einen Wert errechnen, der die Leistung ihres Rechners widerspiegelt – und vergleichen ihre Größe anschließend in einer weltweiten Rangliste. Großartig nutzlos! Ach, sogar Oculus Rift wird unterstützt.

Das wandelnde Schloss

Das Abenteuer ist aber nicht nur erzählerisch gewachsen, sondern auch spielerisch. Denn jetzt starte ich nicht nur eine Quest nach der anderen, sondern erkunde zwischen den Wettrennen gegen die Zeit in Ruhe eine große Welt mit Dörfern, Verliesen und kleinen Geheimnissen. Während mein Held seine Erfahrung sowie den Großteil des Geldes nach jeder Quest verliert (Ratet mal, an wen die Kohle geht!), sammelt er beim Erkunden unabhängig davon Erfahrung und Münzen. Das lohnt sich, weil er eine Quest stets mit dem globalen Erfahrungswert beginnt. So erarbeiten sich fleißige Monsterjäger kleine Vorteile, finden in gut bewachten Höhlen Schätze oder Ausrüstung und decken sich bei Händlern ein.

Die Reise führt zwar über engspurige Bahnen, verleiht dem Abenteuer aber einen Rahmen, der mich länger motiviert als die Kurzeinsätze des Vorgängers. Es gibt ja auch das wandelnde Haus, dem ich nicht nur stärkere

Das wandelnde Schloss, Verzeihung: Haus, dient nicht nur als Hauptquartier. Es kämpft auch mit.
Bauteile anschraube, weil ich damit gegen besonders große Gegner kämpfe. In meinem mechanischen Hauptquartier wohnen auch Begleiter, die ich meiner Party zuteile und in Formationen aufstelle. Jede Aufstellung bietet dabei verschiedene Stärken; die einfachste erhöht z.B. die Angriffsstärke des Helden.

Im Haus wechsele ich außerdem meine Klasse, was die Werte im Umgang mit verschiedenen Waffen beeinflusst. Den Waffen weise ich zudem Spezialfähigkeiten zu, die mein Held alle acht, zehn oder zwölf Schläge ausführt. Der Kampf läuft ja wie gehabt automatisch ab, ich nutze lediglich heilende Nahrung oder fliehe vor übermächtigen Gegnern. Gut so! Bei der Geschwindigkeit, die Half-Minute Hero in den 30-Sekunden-Quests vorlegt, bin ich über jede noch so kurze Verschnaufpause heilfroh.

Knackig knapp

Wobei die Uhr selbst mitten Gefecht unaufhörlich tickt – echtes Durchatmen sieht also anders aus. Hero (oder welchen Namen ich ihm auch verleihe) kann zwar sprinten, aber das kostet Lebenskraft. Und The Second Coming ist eine ganze Ecke knackiger als das Original. Manche Quest musste ich deshalb neu starten, das tut aufgrund der kurzen Spielzeit aber nicht weh.

Mitunter dauert es eben eine Weile, bis ich die richtige Mischung gefunden habe: Kann ich mir einen besseren Schild leisten oder sollte ich das Geld für das in ein paar Sekunden notwendige Zurückdrehen der Zeit sparen? Mitunter muss ich Anwohnern kleiner Dörfer außerdem Gefallen erfüllen,

Die richtige Ausüstung ist das A und O.
damit sie mir eine starke Waffe schenken oder den Zugang zu einem geheimen Pfad verraten. Die 30-Sekunden-Quests sind komplette Abenteuer – von einer Dampfwalze komprimiert und auf ein abgestecktes Areal begrenzt. Erst wenn ich erfolgreich bin, erkunde ich die freie Welt ohne Zeitdruck weiter, darf in frühere Gebiete zurückkehren und bestandene Quests wiederholen. An den Statuen der Time Goddess. Ganz ohne Gebühr. Muss ein Bug sein.

Freundlicher Onlineservice?

Alternative Minispiele wie im Vorgänger gibt es diesmal übrigens nicht. Ein Zeitrennen im normalen oder schweren Schwierigkeitsgrad lädt allerdings zum Wettlauf in Onlineranglisten ein, während ich im Endlosspiel so lange gegen die 30 Sekunden und immer neue Bosse kämpfe, bis mir Zeit oder Keule den Garaus machen. Kreativköpfe erschaffen nicht zuletzt eigene Quests, schreiben eine knackige Geschichte, texten Dialogfenster und stellen ihre Schöpfungen online zur Verfügung. Auf dass die Netzgemeinde sie herunterlädt, bewertet und nach verschiedenen Kriterien sortiert. Mit bis zu vier Gleichgesinnten ziehe ich schließlich auch online gegen die Evil Lords – die Time Goddess erläutert dann, wer gerade der reichste oder der ärmste Held ist und kürt nach bestandener Prüfung den "wahren Helden". Reizend!

Fazit

Ich liebe diese pixelfarbene Halsabschneiderin! In ihrer frohen Boshaftigkeit manifestiert sich die eigenwillige Leichtigkeit, mit der Half-Minute Hero jetzt schon zum zweiten Mal mein Herz als Spieler und Zuschauer erobert. The Second Coming ist ja viel mehr als eine schnöde Durchreiche neuer Levels. Es ist die sinnvolle Erweiterung eines Abenteuers, das ebenso gerne Rollenspiel ist wie es das Genre auf die Schippe nimmt. Und weil es kein vergleichbares Spiel gibt, wirkt es dabei im zweiten Anlauf noch frisch. Die neue Entwicklung von Held und Hauptquartier motiviert jetzt auch zwischen den rasanten Quests, die Geschichte schafft den Sprung vom Quickie zum Drama und spielerisch werde ich stärker gefordert. Dass der Nachfolger nicht ganz so spritzig, die offene Welt sehr geradlinig und die Charakterentwicklung überschaubar ist, darüber kann ich hinwegsehen. Time Goddess: Shut up and take my money!

Pro

umfangreiche und unterhaltsame Geschichte
rasante und fordernde Miniquests
verschiedene Klassen mit eigenen Fähigkeiten
sympathische, witzige Albernheiten
etliche Anspielungen auf Videospiele
Ausbau des Hauptquartiers
Wahl der Begleiter und Formationen mit unterschiedlichen Stärken
Herstellen neuer Waffen
flotte Musik
Endlosspiel und Time-Attack-Modus mit Onlinerangliste
Mehrspieler-Quests für bis zu vier Abenteurer
japanische/r Texte und Originalton
unterstützt Oculus Rift
Erstellen eigener Quests (Editor mit umfassender Community-Anbindung für Bewertungen, Downloads u.a.)

Kontra

offene Welt besteht aus vorgegebenen Pfaden
überschaubare Freiheiten bei Charakterentwicklung
Onlinespiel nur kurzfristig unterhaltsam
ausschließlich Englisch oder Japanisch

Wertung

PC

Großes kleines Abenteuer mit rasanten Quests, charmanten Figuren und vielen Anspielungen auf die Welt der Rollenspiele.

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