No Pineapple Left Behind22.02.2016, Benjamin Schmädig

Im Test: Soziale Lehre

Auf die Idee muss man erst mal kommen: Anstatt wie Die Sims einen unterhaltsamen Comic des Schulalltags zu skizzieren oder das Streben nach einem besseren Klassendurchschnitt zu einer spritzigen Wirtschaftssimulation der Marke Theme Park zu machen, nimmt Seth Alter das Thema bierernst. Kein Wunder, der Entwickler ist studierter Mathelehrer und weiß, wovon er spricht. Aber macht sein No Pineapple Left Behind als Spiel auch Spaß? Im Test sind wir auf der Suche nach der richtigen Note.

"Kein Kind bleibt zurück!"

Eins muss man Seth Alter lassen: Er trifft den Nagel auf den Kopf. Die alltäglichen Nöte eines Schulleiters zeichnet er in ihrem Kern nämlich so präzise nach, dass man schnell versteht, warum das Bildungssystem auf einem schiefen Fundament steht. Das amerikanische jedenfalls, denn um dessen Besonderheiten geht es dem Independent-Entwickler und seinen Kollegen aus Boston. Immerhin nimmt der Titel direkten Bezug auf die 2001 erlassene Verordnung namens "No Child Left Behind". Deren Inhalt: Nur wenn die Schüler in Leistungstests gut abschnitten, erhielten ihre Bundesstaaten Geld vom Staat. Unterm Strich zählte nur die Leistung. "Zählte" - denn im vergangenen

So blickt der ehemalige Lehrer Seth Alter auf das amerikanische Schulsystem.
Jahr wurde die Regelung weitestgehend abgeschafft.

Nicht, dass das Problem damit aus der Welt oder gar eine Besonderheit der USA wäre! Gelten Schulnoten im staatlichen System doch fast durchgehend als einziges Kriterium beim Bewerten der Reife Heranwachsender. Ist das kritikwürdig? Unbedingt! Ist es verständlich?

Warum mit Kindern reden?

Tatsächlich wird es nachvollziehbar, wenn man als Schulleiter in No Pineapple Left Behind nur dann eine positive Bilanz verbucht, wenn der Notendurchschnitt stimmt. "Klar", könnte man sagen, "ich will es aber nicht übertreiben. Ich gewähre den Schülern ihre Freundschaften, selbst wenn das Lernen darunter ein klein wenig leidet. Nur wenn der Durchschnitt ins Bodenlose fällt, greife ich ein." Doch genau da liegt das Problem: Die Noten sind immer zu schlecht! Geld ist fast jederzeit dermaßen knapp, dass man stets ums Überleben kämpft – und deshalb schon bald keinen anderen Weg sieht, als die Schüler zu Ananas zu machen, also zu charakterlosen Zensur-Vehikeln.

Denn Ananas (Engl: Pineapples) haben in Alters Spiel etliche Vorteile gegenüber menschlichen Schülern: Sie schließen keine Freundschaften und an Beziehungen sind sie nicht interessiert. Sie werden auch nicht gegängelt, weil sie schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Ihre Eltern rufen außerdem nicht an, um zusätzliche Aufgaben zu stellen,

Mithilfe von Lasern werden Schüler schneller zur strebsamen Ananas.
deren Nichterfüllung meist das Budget belastet. "Auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen", das sagt sich so leicht. Über weite Strecken ist genau das aber wirtschaftlicher Selbstmord.

Frontal statt sozial

Frontalunterricht vor nicht mitdenkenden Ananas: ein Traum für Schulleiter! Also lässt man die Lehrer Laser auf ihre Schüler feuern, Alters Version strenger Erziehungsmaßnahmen, damit sie Freundschaften aufgeben, nicht Abschreiben oder einfach die Idee verwerfen, einen Klassenkameraden auf ein Date einzuladen. Man kann den Kindern auch Vernunft einbläuen, indem man ihren Ananaswert direkt massiv erhöht – das ist der mit Abstand stärkste Laser.

Übertreiben darf man es natürlich nicht, denn Lehrer verfügen über begrenzte Energie und sowohl das Feuern der Laser als auch das Wirken eines Zauberspruchs (Alters Bild für das Erstellen eines Unterrichtsplans) kosten Kraft. Je nach Gehalt, das man ihnen zahlt, erholen sie sich zwar und können so am nächsten Tag vielleicht einen Unterricht gestalten, der die Noten verbessert. Spätestens am Nachmittag sind die Batterien aber oft leer und das Risiko einer Verschlechterung der Zensuren steigt gerade bei kräftezehrenden Zaubern. Für Geld kauft man außerdem Gastdozenten oder Handouts. Witzig: Letztere rauben eine kleines Bisschen Menschlichkeit.

Nun werden viele sagen, das wussten sie vorher schon – gerade jene, die Interesse an einem solchen Spiel hegen. Anderen wird die Beschreibung reichen, um Alters Anliegen zu verstehen. Doch das ist nicht alles. Was dem ehemaligen Lehrer nämlich erstaunlich gut gelingt, ist das Veranschaulichen der Zusammenhänge. Wie eng die finanziellen und sozialen Sorgen miteinander verwoben sind, dass kleine Erfolge im sozialen Bereich nicht belohnt werden und wie stark man genötigt wird, Schüler als Ressource zu begreifen, das vermittelt nur sein Spiel. Und darin liegt Alters größter Erfolg.

Frustrierendes Fensterwerk

Was dem ehemaligen Lehrer allerdings nicht gelingt, ist das Inszenieren spielerischer Spannung beim Schalten und Verwalten als Schulleiter. Das liegt zum einen an einer umständlichen Fensterverwaltung, die sich die Position einmal

Die Schulleiter jeder der neun Schulen müssen unterschiedliche Herausforderungen meistern.
verschobener Fenster nicht merkt, offene einfach schließt oder genau das nicht tut, wenn man sie nicht mehr benötigt. Überflüssige Klicks sind so zahlreich, dass sie alleine den Ablauf empfindlich stören.

Hinzu kommt das ständige Ändern der Gehälter, das ausschließlich manuelle Auslösen der Laser sowie viele weitere, ebenso notwendige wie monotone Aktionen. Der Spielfluss wird ständig unterbrochen. Man beobachtet nicht das Treiben in den Fluren, sondern verwaltet ständig die nüchternen Werte des unhandlichen Fensterwerks. Man muss den Schnellvorlauf nicht nutzen! Allerdings gibt es absolut nichts zu sehen, wenn Schüler und Lehrer lediglich vom Haupteingang ins Klassenzimmer, in die Mensa und zurück laufen. Man beobachtet kein lebendiges Terrarium – deshalb spult man vor.

In den ersten Minuten ist No Pineapple Left Behind so ungewöhnlich, dass es eine Weile dauert, bis man weiß, wie seine Rädchen ineinander greifen – sobald man es durchschaut hat, ist es ein komplizierter Mikrokosmos eintöniger Fließbandklicks, der frustrierend schwer sein kann. Hat man in jeder der neun Schulen das Endlosspiel freigeschaltet, gewinnt das Verwalten der Bildungseinrichtungen zwar an Schwung, die Herausforderungen auf dem Weg dorthin sind jedoch beinharte Einführungen, deren enge Zielvorgaben dem Spaß des freien Schaltens und Waltens im Weg stehen.

Fazit

Es gelingt Seth Alter einfach nicht, aus seinem lehrreichen Konzept ein unterhaltsames Spiel zu machen. Wo 11 Bit Studios mit This War of Mine einen schweren Alltag als spannenden Überlebenskampf mit schwierigen Entscheidungen inszeniert, gelingt Alter nur das trockene Werteschieben über eine umständliche Benutzeroberfläche. Das ist umso bedauerlicher, da er eigentlich geschickt die wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen eines Schulleiters mit den Herausforderungen seiner Spieler gleichsetzt. Die wollen ja, dass ihre Schule finanziell tragbar und den Schülern ein lehrreiches Zuhause ist, können das eine aber kaum mit dem anderen vereinen. Schwere Entscheidungen trifft man also auch hier. Wer einen Blick über den Tellerrand wagt und sich auf anschauliche Art weiterbilden möchte, findet in No Pineapple Left Behind eine zynische, spielerisch allerdings schwer verdauliche Simulation der Realität.

Pro

Spiel und Inhalt ergänzen sich vorbildlich
sinnvolles Ineinandergreifen weniger, aber durchdachter strategischer Aspekte
kniffliges Managen wirtschaftlicher und sozialer Aspekte
Freischalten des offenen Spiels nach Erledigen der ursprünglichen Herausforderungen

Kontra

trockenes Ressourcenmanagement ohne Aquariumseffekt
häufige, wichtige Unterbrechungen stören Spielfluss
monotoner Ablauf
umständliche, unübersichtliche Benutzerführung
komplett Englisch

Wertung

PC

Zynischer Blick auf das staatliche Schulsystem, der spielerisch frustriert, obwohl er inhaltlich überzeugt.

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