Sid Meier's Pirates!08.12.2004, Paul Kautz
Sid Meier's Pirates!

Im Test: Lebt denn das alte Holzbein noch? Die alten neuen Piraten im Test!

Wenn man es mit dem Remake eines der berühmtesten Spiele aller Zeiten zu tun hat, geht man mit gewissen Erwartungen an die Sache heran. Bietet das Game dieselbe Faszination wie vor 17 Jahren? Was ist neu, was ist schön, was ist toll? Bekommt man nur einen lauwarmen Aufguss, den kein Mensch braucht? Im Test haben wir jede Menge Antworten parat!

Einmal Pirat sein…

Jeder Computerspieler, der diese Bezeichnung wert ist, kennt Sid Meier – alle anderen sollten ihn kennen! Der kleine Mann ist einer der ganz wenigen Designer, dessen Name nicht nur über seinen Spielen prangt, sondern bei dem man sich auch auf bewährte Qualität verlassen kann. Spiele wie Silent Service, Pirates oder Civilization entstammen seinem Genius, und hielten ganze Spielergenerationen vom kuscheligen Bett fern. Während die Civilization-Serie über die Jahre immer weiter verbessert und ausgebaut wurde (ein vierter Teil befindet sich gerade in Entwicklung), bekamen die Freibeuter dieser Welt nie neues Festplattenfutter – lediglich eine grafisch verbesserte Neuauflage

Die Schwertkämpfe werden erst auf höheren Schwierigkeitsstufen herausfordernd.
des Originalspiels namens »Pirates! Gold« im Jahre 1993. Und auch das neue Piratenabenteuer ist kein Nachfolger im klassischen Sinne. Vielmehr haben wir es auch hier mit einem überarbeiteten Remake zu tun – allerdings mit einigen Verbesserungen, nicht nur im optischen Bereich.

Das Ganze spielt im Karibikraum des 17. Jahrhunderts. Ihr speist gerade mit eurer Familie, als ein mieser Baron zuerst Einlass und danach die Tilgung der Familienschulden begehrt. Dass der erwartete Reichtum in Form eines voll beladenen Schiffes nicht einläuft, sondern in dem Moment absäuft, ist sicher kein Zufall, ändert aber nichts daran, dass der Baron eure Sippschaft verhaftet und in den Kerker wirft – lediglich ihr könnt gerade noch so entkommen. Zehn Jahre später ist aus dem flinken Knaben ein stattlicher Bursche geworden, der sich nichts sehnlicher als Rache wünscht. Und wo bekommt man die am besten? Richtig: auf hoher See!

Zu Spielbeginn entscheidet ihr euch für eine Partei: Engländer, Franzosen, Spanier oder Holländer. Das hat Auswirkungen darauf, wie sich die Nationalitäten euch gegenüber verhalten, denn natürlich stehen alle mehr oder weniger im Krieg. Da sich dieses Verhältnis im Spielverlauf dauernd ändert (teilweise auch durch euren Einfluss), ist die anfängliche Entscheidung nur für den Beginn wichtig – mit der Zeit wechselt ihr die Fronten so häufig wie die Gouverneurstöchter!

Bretter, die die Liebe bedeuten

In Pirates gibt es zwar mit der Befreiung der kompletten Familie ein großes Ziel, aber selbst das ist fakultativ: Wenn ihr auf Muddern und Vaddern verzichten könnt, geht ihr halt einer Karriere als Freibeuter nach, und säbelt euch in der Piratenhierarchie nach oben – es warten zehn berüchtigte Augenklappenträger darauf, von euch eine Lektion verpasst zu bekommen. Wenn euch das Säbelrasseln zu laut ist, kommt vielleicht eine Karriere als Händler in Frage? In jeder Stadt, jeder Siedlung und jedem kleinen Piratennest wartet ein Kaufmann auf euch. Ihr könnt mit diversen Waren handeln, wobei die Preise je nach Lokalität schwanken – ein gefundenes Fressen für Buchhalter! Habt ihr es übrigens mit einer Partei zu sehr verscherzt, werdet ihr nicht nur beim Anlegen von Kanonensalven begrüßt, so mancher Händler verweigert dann auch einfach die Kooperation! Da bleibt euch nur, euch in einer Art simpler Rundenstrategie mit den Stadtwachen anzulegen, und die Macht an euch zu reißen. Schließlich habt ihr noch die Möglichkeit, euch als professioneller Schatzsucher zu verdingen. Allerdings benötigt ihr dafür idealerweise vollständige Schatzkarten, die es nur für klingende Münze bei »geheimnisvollen Fremden« in lauschigen Kneipen gibt.

Die letzte Möglichkeit ist eine Mischung aus allen dreien: Ihr bekämpft Gegner, buddelt nach Schätzen, geleitet neue Gouverneure sicher in ihren heimatlichen Hafen und befreit die Familie. Allerdings habt ihr dafür nicht unendlich Zeit, denn die biologische Uhr tickt unaufhaltsam. Irgendwann reicht einfach nicht die Zeit (sprich: die Gesundheit), um alles zu erledigen – gut für die Wiederspielbarkeit, schlecht für Nebenaufträge. Also müsst ihr früher oder später Prioritäten setzen.

Der Weg zum Herzen der Gouverneurstochter führt über das blankgewienerte Parkett des Ballsaals.
Das Programm gibt euch darüber hinaus auch schon vorher die Möglichkeit, euch aus dem Piratenleben zurückzuziehen, unabhängig davon, wie weit ihr es gebracht habt.

Bis es soweit ist, bleibt euer Tagesverlauf stets gleich: Ihr besucht eine Schänke, redet dort mit dem Wirt und der Kellnerin, was mehr oder weniger nützliche Informationen bringt. Der erwähnte geheimnisvolle Fremde hat immer neue Fundstücke dabei; entweder Schatzkartenteile, Informationen über die Familie, diverse Sondergegenstände oder Schmuckstücke. Letztere benötigt ihr, um Frauenherzen zu erobern, denn die Gouverneure, mit denen ihr regelmäßig redet, haben mehr oder weniger schöne Töchter. Falls die an euch Interesse haben, was nicht selten auch an eurem Rang liegt, laden sie auch mal zu einem flotten Tänzchen ein. In diesem Mini-Game dreht ihr eure feschen Runden auf dem spiegelnden Parkett des Ballsaals, immer den Handzeichen der Gastgeberin folgend. Macht ihr eure Sache gut, verliebt sich die Gute in euch, und plaudert Informationen aus. Falls nicht, zieht sie eine Schnute und schickt euch von dannen.                 

Wir lagen vor Madagaskar…

Den größten Teil eurer Zeit verbringt ihr auf dem wundervoll blauen Wasser der Karibik, das allerdings schon nach kurzer Zeit bleihaltig schmeckt – Gefechte warten überall! Ob ihr gegen Piraten, Schmuggler oder verfeindete Parteien antretet, spielt eigentlich keine Rolle; die Kämpfe laufen immer gleich ab: Ihr 

Schippern sie weiter, hier gibt es nichts mehr zu sehen: Teilweise kämpft ihr gegen zwei Schiffe gleichzeitig.
schippert in die Nähe des Schiffs (oder es steuert auf euch zu), und drückt auf »Angriff«. Eine Sekunde danach findet ihr euch quasi in der See-Arena wieder, in der ihr entweder munter Kanonenkugeln austauschen oder den Gegner entern könnt. Ersteres ist die destruktive Variante – was zerschossen ist, ist auch kaputt! Ihr könnt eure Kutter in Schiffswerften mit neuer Munition ausrüsten lassen, die z.B. speziell die Masten des Feindes zum Einsturz bringt, was seine Flucht unmöglich macht.

Entscheidet ihr euch für das Entern, geht es Mann gegen Mann: Ihr zückt eines von drei Schwertern, die unterschiedliche Eigenschaften haben, und schwingt drauflos. Verschiedene Angriffsarten (gerader, hoher oder tiefer Stoß) haben unterschiedlich viel Wirkung, brauchen aber auch mehr oder weniger Zeit zur Ausführung. Habt ihr den gegnerischen Kapitän in die Enge getrieben, gehören sein Pott, seine Besitztümer und seine Mannschaft euch – umgekehrt trifft das natürlich genauso zu, außerdem landet ihr in dem Fall für eine Weile im nächstgelegenen Gefängnis. Gelegentlich schließen sich euch neben der normalen Mannschaft auch fähige Mannen an: Köche, Kanoniere oder auch mal ein Schiffsarzt.

Bei Seekämpfen kommt dem Wind spezielle Bedeutung zu: Normalerweise pustet er mehr oder weniger stark in eure Segel, Gewitterwolken verleihen euch einen Extraschub, können euren Kahn aber auch beschädigen. Vor dem Kampf solltet ihr idealerweise eine windgünstige Position einnehmen, sonst seid ihr während des Gefechts mit dem Ausrichten des Schiffs beschäftigt, während der Gegner schon fleißig mit Kanonenkugeln um sich wirft. Ihr müsst natürlich auch Dinge wie die Trägheit der Kugeln, die Bewegung des Feindes und mehr in eure Überlegungen einfließen lassen, wenn ihr den Widersacher möglichst ohne Komplikationen in Richtung Meeresboden befördern wollt.

Habt ihr ein Schiff erobert, dackelt es fortan brav hinter euch her. Allerdings benötigt so ein Kahn natürlich eine Mannschaft, die außerdem bei Laune gehalten werden möchte: Gibt es längere Durststrecken ohne Kämpfe und Beute oder zu wenig Essen an Bord, werden die

Wie im Urlaubsprospekt: Die Darstellung der Karibik ist sehr gelungen.
Mannen stinkig bis rebellisch – da kann es schon mal passieren, dass einige beim Landurlaub desertieren, oder sich einfach einen Teil der Beute samt einem Schiff schnappen und davonsegeln. Entweder bringt ihr den Rest dann ganz schnell wieder in Stimmung, oder ihr entlasst sie aus dem Dienst, indem ihr die Beute teilt. Danach fangt ihr quasi wieder von vorne an: Nur euer Flaggschiff mit der Mindestcrew, euren eigenen Beuteanteil in der Tasche und keine Quengler mehr, die ihr Kielholen schicken könnt. Bei dieser Gelegenheit bietet euch das Programm übrigens an, im internen Dienstrang aufzusteigen – das bedeutet nicht nur einen größeren Gewinnanteil, sondern auch einen höheren Schwierigkeitsgrad, der sich in erster Linie bei den Schwertkämpfen bemerkbar macht.

…und hatten 3D-Grafik an Bord!

Grafisch hat sich seit den seligen C64-Zeiten überraschenderweise einiges getan, so dass das 2004er Pirates auch nicht ohne schicke 3D-Garderobe auskommt. Hingucker sind dabei vor allem die amüsant animierten Tanzeinlagen sowie die prächtige Seekarte, deren herrliches Meeresblau auch im ungemütlichsten Herbstwetter karibische Gefühle aufkommen lässt. Nette kleine Details wie um Schiffe springende Delfine, im Wind wehende Fahnen, im Abendlicht schimmernde Segel, glänzende Metallrüstungen oder schöne Reflektionen auf dem Wasser versüßen das Piratendasein. Bei langen Gefechten geht schon mal die Sonne unter, so dass ihr stufenlos von hellem Licht in pechschwarze Nacht treibt.

Getrübt wird das Bild vor allem durch die etwas zuckeligen Animationen, die mäßig bewegten Gesichter sowie die ständigen Wiederholungen gleicher Sequenzen. So gibt es z.B. gerade mal eine Hand voll

Habt ihr eine komplette Schatzkarte, kann die Suche beginnen - ihr orientiert euch an auffälligen Objekten, um zur Beute zu gelangen.
unterschiedlicher Wege, einen gegnerischen Kapitän von seinem Schiff zu befördern – und die sieht man wieder und wieder und wieder. Auch die grob aufgelösten, farbarmen Renderfilme hätte man sich getrost sparen können, bestehen sie doch ohnehin aus abgefilmten Echtzeit-Szenen. Auch soundtechnisch kann das  Spiel nicht punkten: Sprachausgabe im klassischen Sinne gibt es nicht, alle Personen brabbeln unverständliches Kauderwelsch, ähnlich wie bei den Sims. Auf See krächzen euch ein paar Möwen um die Ohren, während Meeresrauschen für angenehm meditative Stimmung sorgt. Und die Musik schließlich hat ebenfalls sowohl Licht- als auch Schattenseiten: Auf der einen Seite gehen die schön komponierten Stücke professionell und mit leichten Variationen ineinander über, etwa wenn man von der Stadt aus wieder in See sticht. Auf der anderen Seite klingen die Werke teilweise scheußlich künstlich, gerade die Streicher hören sich nach einem sehr billigen Synthesizer an – gut, das kann man als Retro-Stil durchgehen lassen, es wirkt allerdings fehl am Platze.

Ihr steuert das Spiel ganz altmodisch idealerweise mit der Tastatur – genauer gesagt mit dem normalerweise ziemlich unnützen numerischen Block. Zwar könnt ihr vieles auch mit der Maus kontrollieren, aber mit dem Block habt ihr alle Spielfunktionen sofort im Griff, was nach kurzer Gewöhnungszeit auch in Fleisch und Blut übergeht.   

Fazit

In meiner Testerseele geht es zu wie am Stammtisch. Der Nostalgiker schreit: »Alter, das ist Pirates! DAS Pirates, das dir damals eine künftige Karriere als Astronaut und Nobelpreisträger verhindert hat! Und es sieht besser aus als je zuvor! Es macht süchtig! Die ganze Zeit sagt man sich "Nur noch diesen einen Kampf, nur noch diese eine Mission", und zack, schon sind wieder drei Stunden rum!«. Der verwöhnte Kritiker hingegen motzt: »Sehr simple Kämpfe, was? In den allermeisten Fällen reicht es, gut getimt nach vorne zu stoßen! Dümmliche Navigator-KI, hä? Nicht von mir selbst kontrollierte Schiffe laufen gerne und endgültig auf gefährliche Kliffe auf! Fieses Handelssystem, wie? Mit einem einzigen Fehlklick kann ich mein wertvolles Schiff unwiederbringlich verlieren, ohne dass mich eine Schutzabfrage vor Unheil bewahrt! Das Auftragsbuch könnte auch mal etwas Ordnung vertragen – bis ich in dem Aufzeichnungswust eine bestimmte Information gefunden habe, ist der Papagei auf meiner Schulter vor Hunger eingegangen! Und das Schlimmste von allem: Man macht die ganze Zeit dasselbe: Mit dem Gouverneur schwatzen, Tochter anbaggern, Kneipeninsassen aushorchen, handeln, rumsegeln, kämpfen, mit dem Gouverneur schwatzen, etcetc! Ist so was heutzutage noch zeitgemäß?«. Tja – so streiten sie, die inneren Stimmen. Haben allerdings beide Recht. Pirates ist ein Revival im klassischsten Sinne: Nach heutigen Maßstäben spielerisch eher mau, aber dennoch ein Süchtigmacher ersten Grades, wenn man sich darauf einlässt.

Pro

nicht zu unterschätzendes Suchtpotenzial
geringe Hardwareanforderungen
nette Optik
schöne Details
kinderleichte Bedienung
witzige Tanzeinlagen
recht umfangreich
massig Aufgaben
sehr freies Spielprinzip
nicht linear
gute Wiederspielbarkeit
umfangreiche »Piratopädie«

Kontra

<P>
recht wiederholend
sehr einfache Kämpfe
synthetisch klingende Musik
mäßige Schiffs-KI
gelegentlicher Leerlauf
immergleiche Animationen
unübersichtliche Aufzeichnungen</P>

Wertung

PC

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