To End All Wars19.09.2014, Eike Cramer
To End All Wars

Im Test: Ein Krieg, alle Kriege zu beenden

Mit To End All Wars (ab 69,95€ bei kaufen) inzeniert Ageod zum hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruches 1914 den Ersten Weltkrieg als Rundenstrategie-Epos. Kann das Spiel im Test überzeugen?

Kampf um Paris

Februar 1915. In einem harschen Winter zittern die Bewohner von Paris in ihren kalten Wohnungen. Am Horizont erhellen Leuchtkugeln den Nachthimmel über Nordfrankreich. Das Feuer schwerer Geschütze lässt das Glas in den Fenstern klirren. Wochen dauern die Gefechte bereits – und die französische Heeresleitung scheint am Ende. Nach dem Versagen der Engländer an der Somme im Oktober 1914 stehen drei kaiserliche Armeeverbände an der Seine.

Der "Krieg, alle Kriege zu beenden" umfasst alle Schauplätze des Konfliktes zwischen 1914 und 1918.
Dieser Krieg dürfte bald ein Ende finden.

Hm? Achso, nein, das ist kein Auszug aus einem Geschichtsbuch. Zumindest keinem realen. In der Realität wurden die deutschen Truppen 1914 in Belgien und Nordfrankreich, weit vor der Somme, in einen Stellungskrieg gezwungen, dessen Frontverlauf sich bis zum Ende des Großen Krieges 1918 kaum veränderte. Nein, die beschriebenen Ereignisse haben erst gestern stattgefunden. Auf meinem Bildschirm. In der interaktiven Geschichtsstunde von To End All Wars.

Weltkrieg im Rundenformat

Ageod inszeniert auf Basis der „Adaptive Game Engine“ (AGE), die bereits in Pride of Nations zum Einsatz kam, die Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts. Auf Seiten der Zentralmächte oder als Anführer der West- oder Ost-Entente steigt man entweder nach den initialen Angriffen des Deutschen Reiches auf Belgien, oder noch während

Der Tutorial - Einstieg an der Ostfront erklärt die Grundmechaniken solide. Viele Feinheiten werden großteils als bekannt vorausgesetzt.
der Julikrise in den Konflikt ein. Rundenweise zieht man seine Armeen über die Karte, trifft strategische Entscheidungen oder hebt neue Truppen aus.

Der Clou: Man spielt kein einzelnes Land. Als Anführer der West-Entente hat man z.B. die Kontrolle über Frankreich und England, während man mit den Zentralmächten vier Fronten von Deutschland und Österreich-Ungarn gleichzeitig überblicken muss.

Wie von Ageod und der AGE gewohnt, ist To End All Wars dabei über alle Maßen komplex: Das Studio versucht jedes kleine Detail der Kriegsführung zu Beginn des letzten Jahrhunderts  - darunter u.a. Wettereinflüsse, Zusammenhalt einzelner Einheiten, Kommandoketten oder Feldtaktiken - in die Spielmechanik zu integrieren. Das macht To End All Wars zu einem Albtraum für Spieler, die noch keine Erfahrung mit der AGE gesammelt haben.

Lernmauer statt Lernkurve

Trotz der ordentlichen Text-Tutorials, die mir in einem kleinen Szenario an der Ostfront die grundlegenden Mechaniken erläutern, ähnelt der Einstieg nämlich dem Versuch, auf Basis der Erfahrungen mit Red Baron einen Doppeldecker  ins Gefecht zu fliegen. Truppzusammenhalt? Kommandoketten? Anführer-Beförderung? Armeezusammenstellung? Belagerungen? Nichts, aber auch wirklich gar nichts davon wird erklärt.

Weder auf strategischer noch auf spielmechanischer Ebene werde ich auch nur ansatzweise in die Feinheiten der Kriegsführung eingeführt. Was hat ein Gewaltmarsch für einen Einfluss auf meine Moral? Wie organisiere ich Nachschub? Was „aktiviert“ eigentlich meine Anführer? Wann kann ich Offensivaktionen durchführen und wie

Statistiken. Manchmal erinnert To End All Wars frappierend an Tabellenkalkulation.
verdammt nochmal funktioniert das Bewegungssystem genau? Eine Fragzeichen-Funktion wie z.B. bei Europa Universalis, oder wenigstens verständliche Tooltipps wären schön gewesen.

Die ersten zehn Spielstunden verbringt man als unerfahrener Spieler damit, im 150 (!) Seiten starken, (und manchmal recht unverständlichen) digitalen Handbuch zu blättern, relativ wahllos auf Dinge zu klicken und Schlachten zu verlieren. Dass ich z.B. bei einer Belagerung irgendwann die Anführer-Ausrichtung auf „offensiv“ stellen muss, um die Festung anzugreifen? Weiß man doch! Dass der Zusammenhalt der Truppen genauso wichtig ist wie die Gesamtmoral? Allgemeinbildung! To End All Wars hat keine Lernkurve – eher einen ungesicherten Steilwand-Aufstieg. Dagegen wirkt der Einstieg von Europa Universalis  4 wie eine gepolsterte Indoor-Kletterwand. Manchmal ist weniger einfach mehr.

Alles könnte so schön sein

Dabei könnte alles so schön sein: Die grundlegende Spielmechanik ist durchdacht und funktioniert dank der komplexen Hintergrundberechnungen bei Bewegung und Kampf gut. Die großangelegte Strategieplanung des Krieges ist vor allem deshalb so befriedigend, weil sich To End All Wars eben nicht mit dem Klein-Klein von Taktik auf dem

Bis Weihnachten in Paris - kann man die englischen Vorstöße in Belgien stoppen und den Schlieffen-Plan leicht modifiziert durchziehen, fällt Frankreich mit Glück im Frühjahr 1915.
Schlachtfeld aufhält. Stattdessen kann ich den Schlieffen-Plan konsequent zu Ende führen, die Russen noch weit vor Tannenberg in der Grenzregion stellen und mit Österreich-Ungarn entscheidende Nadelstiche im Süden setzen.

Generell entsteht schnell ein Brettspiel-Flair – nicht zuletzt, weil historische Ereignisse als „Entscheidung“, einer Art Ereigniskarte, gespielt werden können. So kann man z.B. an der Ostfront russische Truppen entscheidend schwächen oder Giftgas einsetzen. Ebenfalls cool: Kommt es zum Kampf zwischen von Generälen kommandierten Truppen, kann ich grobe Schlachtpläne wie z.B. Flankenangriffe, Sperrfeuer oder Artilleriebeschuss anordnen.

Allerdings macht mir neben dem überkomplexen Einstieg auch die Bedienung einen großen Strich durch die Rechnung, denn übersichtlich ist hier gar nichts. So kann ich z.B. meine Truppen, die in Armee-Stapeln organisiert sind, nur als Stapel per Drag and Drop bewegen. Dabei muss ich aber manuell darauf achten, dass ich sie nicht verbinde, indem ich zwei Gruppen übereinander ziehe.  Dies lässt sich durch das Sperren oder durch Mikromanagement einzelner Armeen bewerkstelligen, passiert aber dennoch immer wieder, was dann noch mehr Gefriemel zur Folge hat. Gruppenbewegungen von Stapeln gibt es übrigens nicht – will ich mehrere Armeecorps gleichzeitig über die Karte bewegen, muss ich die Befehle einzeln vergeben.

Übersicht? Ach komm!

Auch andere Elemente wie z.B. das Diplomatiesystem sind völlig undurchsichtig. So nutzt man kein eigenes Untermenü, sondern einen Kartenabschnitt als Übersicht, zu dem man jedes Mal mühsam scrollen muss. Hier können über ein Submenü u.a. Botschafter entsandt werden – direkte Verhandlungen gibt es nicht. Seeblockaden? Forschungsmenü?  Funktionieren ähnlich wie die Diplomatie und sind damit zunächst nah an der Grenze zur Unbenutzbarkeit. Auch die Einheitenrekrutierung überfordert mit viel zu vielen Informationen. Wer hier den kompletten Durchblick haben will, sollte viel Erfahrung mit der Engine mitbringen. Dazu kommt, dass selbst wichtige Nachrichten, z.B. über den Status einer Belagerung, in dem kleinen und extrem unübersichtlichen Nachrichtenfenster verschwinden

Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn befindet sich 1914 in einer unheimlich prekären Lage.
können.

Zu allem Überfluss wird immer der komplette Krieg  simuliert – inklusive der Schauplätze in Asien, dem Pazifik und den Kolonien in Afrika. Ich muss von Beginn an überall meine Augen haben, während ich gleichzeitig mit der Spielmechanik kämpfe. Es gibt dummerweise keine Möglichkeit nur ein Land zu übernehmen, den Krieg in den Kolonien zu automatisieren, erstmal die Seegefechte auszublenden oder gar nur eine Front zu spielen. Ganz oder gar nicht lautet hier die Devise. Zwar gibt es ein Einstiegsszenario bei Tannenberg, aber aus der Koordination von drei Armeeverbänden direkt in den Großen Krieg mit seinen unzähligen Schauplätzen einzusteigen, ist wie ein Sprung in einen kalten See. Der bei näherem Betrachten eine massive Eisdecke hat.

…… Zug …… um ...... Zug ......

Vermutlich aus diesem Grund dauern die Züge, die jeweils 15 Tage des Konfliktes simulieren, in ihrer Berechnung eine kleine Ewigkeit. Nach jedem Zug kann man rund drei bis vier Minuten einplanen, in denen zunächst gar nichts

Weltkrieg: Die entlegenen Schauplätze in Afkrika und Asien werden in kleinen Fenstern auf der Karte dargestellt.
passiert. Erst im Anschluss werden Bewegungen und Kämpfe tageweise simuliert. Das nervt unheimlich, denn so gerät der Spielfluss immer wieder ins Stocken und man wird unsanft aus dem Konflikt gerissen. Zudem stürzte das Spiel im Test während der Berechnung ab und zu einfach ab – ärgerlich, wenn man nicht jede Runde manuell speichert.

Auch die Performance ist grenzwertig: Trotz der selbst für ein Wargame durchschnittlichen Kulisse zuckelt die Karte bei großen Zoomstufen unschön über den Bildschirm und es kommt immer wieder zu kurzem Einfrieren und Rucklern. Hier hätte man die Engine dringend besser optimieren müssen, denn derartige technische Probleme sind mit dem Gezeigten nicht zu vereinbaren.

Fazit

To End All Wars ist ein Komplexitätsmonster. Für Neueinsteiger, die noch nie ein Spiel, das auf der Adaptive Game Engine basiert, gespielt haben, eröffnet sich ein Abtraum von einer Lernkurve. Viele Spielmechaniken werden nicht oder nur unzureichend erklärt und das Text-Tutorial kratzt nur an der Oberfläche. Vieles wird à la „Das haben wir doch im letzten Semester behandelt“ einfach als bekannt vorausgesetzt. Die Übersicht geht aufgrund der nicht skalierbaren Kampagnengröße und einer unübersichtlichen und zerstückelten Benutzeroberfläche schnell verloren – und kehrt auch nicht so schnell zurück. Das ist bedauerlich, denn die interaktive Geschichtsstunde bietet aufgrund der umfassenden Simulation des Ersten Weltkrieges einen selten dagewesenen Blick auf die Strategien zwischen 1914 und 1918. Die gelungene Einbettung von historischen Ereignissen und die Möglichkeit jeden Schauplatz zu kontrollieren sorgen für einen tollen Maßstab, bei dem man großangelegte Schlachtpläne entwickeln kann. Selbst erfahrene Rundenstrategen werden hier vor eine Geduldsprobe gestellt, die sich erst nach langer und mühseliger Einarbeitungszeit auszahlt.  

Pro

komplexe Hintergrundberechnungen bei Bewegung und Kampf
der Krieg wird an allen Fronten und Schauplätzen simuliert
alle wichtigen Nationen und Einheiten sind vertreten
unheimlich tiefgehende Kriegssimulation
gut skalierbarer Schwierigkeitsgrad ....
Brettspielflair durch "Ereigniskarten" und Einheitenstapel

Kontra

unheimlich frustrierender Einstieg
oberflächliche Tutorials
viel zu vorraussetzungsreich
... aber keine skalierbare Komplexität der Kampagne
unübersichtliche Benutzeroberfläche
keine verständlichen Tooltipps oder ingame-Hilfen
furchtbares Nachrichten-System
nerviges Mikromanagement
Performance
langatmige Rundenberechnung

Wertung

PC

Kompliziert, unübersichtlich, aber mit Tiefe: Selbst Hardcore-Strategen werden leider auf eine große Geduldsprobe gestellt, bevor sie mit Erfolgen belohnt werden.

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