A Golden Wake09.12.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Das etwas andere Miami

Vor der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der Zwanziger Jahre erlebte das sonnige Miami einen beispiellosen Boom: Innerhalb nur weniger Jahre vervielfachte sich die Einwohnerzahl des kleinen Idylls. Auch den gescheiterten New Yorker Alfie Banks verschlägt es im Retro-Adventure A Golden Wake in die sonnige Goldgrube, deren Turbo-Wohlstand von Gier und Intrigen beherrscht wird.

Neuanfang im schwülen Süden

Klar, die Spiele-industrie kann das Rad nicht ständig neu erfinden. Und doch gibt es doch immer wieder erfrischende Titel, deren Szenarien bisher kaum beackert wurden: A Golden Wake vom kleinen Entwickler Grundislav Games gehört definitiv dazu. Obwohl die niedrige Auflösung und das klassische Pixel-Design auf den ersten Blick wie eine Hommage an alte Klassiker anmutet, steckt in dem Titel ein modernes Abenteuer mit einem erzählerischen Fokus. Obwohl ich mir Schöneres vorstellen könnte als in die Rolle eines Immobilienmaklers zu schlüpfen, hat das ungewöhnliche Szenario sofort mein Interesse geweckt: Als der aufstrebende Alfie Banks von seinen Kollegen mit einem hinterlistigen Trick aus der Immobilienfirma gemobbt wird, verlässt er kurzerhand New York und macht sich auf in den gelobten Süden.

Aus dem kalten New York...
Dort erlebt er am eigenen Leib, dass der Bauboom gerade seinen Höhepunkt erreicht hat. Und er versucht, mit geschickten Winkelzügen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Zur Veranschaulichung: Erst im Jahr 1896 wurde das damals noch verschlafene 300-Seelen-Örtchen Miami zur Stadt ernannt und an die Bahnlinie angeschlossen, 1920 durchbrach es bereits die Grenze von 100.000 Einwohnern und 1950 zählte es eine halbe Million Einwohner.

Turbo-Kapitalismus in den Zwanzigern

Nachdem der aufgeschlossene und zielstrebige Alfie sich schon am ersten Tag mit einigen wichtigen Köpfen der Baubranche angefreundet hat, soll ich ihm auf der Karriereleiter nach oben verhelfen. Dazu muss ich mir zunächst durch beeindruckende Verkäufe einen Namen machen. Umgesetzt ist das z.B. in einem Minispiel, in dem ich einigen Kandidaten ein passendes Heim vermittle. Ein potentieller Käufer will seine Ruhe in einem abgeschiedenen Anwesen, eine wohlhabende Philantropin möchte der Gemeinschaft im pulsierenden Zentrum helfen.

...verschlägt es Alfie Banks nach Miami - die Stadt des Immobilien-Booms der Zwanziger Jahre..
Ein dritter Interessent ist der Familie wegen hergezogen, sucht wegen gesundheitlicher Probleme aber Schutz vor dem feuchtheißen Klima. Das Zuordnen gestaltet sich durchaus unterhaltsam, allerdings erweist sich bei diesem Rätsel die niedrige Auflösung als Hindernis. Es würde deutlich mehr Spaß machen, die Anwesen besser sehen zu können, statt nur Schildchen zu generischen Pixelhäufchen mit Beschreibungstexten zu verschieben. Davon abgesehen fängt der minimalistische Grafikstil die tropische Atmosphäre aber gut ein und auch die gutgelaunte Swing-Musik erzeugt eine passende Stimmung. Während der Dialoge werden wie in japanischen Adventures Portraits eingeblendet.

Viel Persönlichkeit pro Pixel

Apropos Dialoge: Die Vertonung ist ähnlich professionell wie in den Cognition-Spielen und verleiht Figuren wie dem gesprächigen Händler Doc Dammers oder Alfies neuem Chef George Merrick viel Persönlichkeit – trotz einiger etwas hölzern formulierter Passagen. Dialoge spielen hier eine wichtige Rolle, da es leider nur wenige und zu leichte Inventar- und Umgebungsrätsel gibt. Stattdessen muss ich mich immer wieder in Unterhaltungen geschickt anstellen, um die Laune eines Käufers einzuschätzen oder ein Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Interessant wird es z.B., wenn ich ähnlich wie in House of Cards die Presse für mein Unternehmen einspannen soll. Eine Redakteurin zeigt sich nach anfänglichem Zögern für Geschäfte bereit, verlangt aber selbstverständlich eine Gegenleistung.

Nicht alle Geschäftspartner wecken auf Anhieb Vertrauen.
Ich soll mich in einen exklusiven Club einschleichen und einen Prohibitions-Hardliner als Trinker überführen. Also präsentiere ich dem hochnäsigen Türsteher ein Foto meines in Branchenkreisen berühmten Vaters und schmiere ihn zusätzlich mit einigen Scheinchen, um die Aufnahmeprozedur im Club zu „beschleunigen“. Viele Personen und Themen haben reale Vorbilder – die Geschichte lässt sich aber Freiraum für Details und Wendungen.

Geld macht nicht immer glücklich

Zu meinem Geschäft gehört zu Beginn auch unangenehme Drecksarbeit wie das „Zurückklauen“ gestohlener Konstruktionspläne oder das Vergraulen eines widerspenstigen Grundstücksbesitzers, der einem Großprojekt im Wege steht. Beides ist allerdings nicht sonderlich anspruchsvoll umgesetzt: Im einem Haus muss ich z.B. im Wimmelbild-Stil auf Baumängel klicken, um sie einzukreisen. Beim Öffnen eines Tresors funkte sogar ein Bug dazwischen – trotz richtiger Kombination konnte ich ihn erst mit einem neuen Spielstand öffnen. Zum Glück darf man jederzeit so viele Speicherstände wie gewünscht anlegen.

Großstadt oder Sumpfland?
Später nimmt das Geschäft deutlich an Fahrt auf, so dass Alfies Firma in größeren Räumen residiert und er den Luxus eines vom Unternehmen gesponserten Autos genießen kann. Auch mit Gangstern bekommt er es zu tun, was nicht immer glimpflich ausgeht. Sonderlich lang dauert das Abenteuer übrigens nicht, denn nach einer Einleitung und nur vier relativ kurzen Kapiteln ist das Spiel schon wieder vorbei. Wer festhängt, kann gelegentlich ein kleines Hilfe-System aktivieren, um z.B. die Lösung eines Minispiels anzuzeigen. Die Zwei-Tasten-Bedienung ist sehr einfach gehalten. Es lassen sich übrigens keine Hotspots anzeigen – in den überschaubaren Kulissen habe ich aber ohnehin nur selten etwas übersehen. Englisch-Kenntnisse sind Pflicht, da keine deutschen Untertitel angeboten werden.

Fazit

A Golden Wake beweist, wie erfrischend es sein kann, wenn ein Entwickler ins kalte Wasser springt und sich an ein unverbrauchtes Szenario wagt. Das Abenteuer des gescheiterten New Yorkers Alfie Banks in der Boom-Stadt Miami hat mich sofort neugierig auf der Hintergründe gemacht. Hier erlebt man den blitzschnellen Wandel des verschlafenen Küstennests in eine Großstadt am eigenen Leib, eingebettet in eine unterhaltsame Geschichte und interessanten Figuren. Highlights sind die in die Geschichte eingeflochtenen Dialogrätsel und unternehmerischen Winkelzüge. Davon abgesehen bieten die zu leichten Rätsel aber kaum eine Herausforderung. Auch manche Minispiele in dem realtiv kurzen Adventure sind zu simpel aufgebaut oder lassen sich nur fummelig bedienen. Trotzdem fand ich es schön, nach dem Trubel des Weihnachtsgeschäfts gemütlich in das erzählerisch starke Abenteuer abzutauchen.

Pro

interessanter Einblick ins boomende Miami der Zwanziger
Szenario und Protagonist wirken unverbraucht
unterhaltsame Dialog-Rätsel
beschwingter Swing-Soundtrack
pixeliger Retro-Stil passt gut zum Thema
tolle englische Vertonung

Kontra

kaum fordernde Inventar
oder Umgebungs-Rätsel
Minispiele mit schwankender Qualität...
...manche davon leiden unter fummeliger Steuerung oder seltenen Bugs
mit vier überschaubaren Kapiteln nicht allzu lang
nur komplett auf Englisch erhältlich

Wertung

PC

Faszinierender Einblick ins boomende Miami der Zwanziger Jahre - es mangelt allerdings an anspruchsvollen Rätseln.

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