Im Test: Amoklauf als Zweistick-Shooter
Wieso nur?
"Ihr dürft diesem Titel keine Plattform geben!" Wieso eigentlich nicht? Weil das Thema des Amoklaufes thematisch schmerzt oder zu starker Tobak ist? Dann dürfte man sich auch nicht über Filme wie Henry: Portrait of a Serial Killer (1986), Natural Born Killers (1994), Kalifornia (1993), Mann beißt Hund (1992) und einige andere moderne Klassiker unterhalten, die auf mitunter drastischen Wegen versuchen, einen Einblick in die Motivation von Amokläufern und Serienkillern zu geben. Sicherlich kann man über die dargestellte Gewalt der Zelluloid-Werke vortrefflich streiten. Aber man wird nicht gezwungen, diese Filme anzuschauen - ebensowenig wird man gezwungen, dieses Spiel zu spielen. Und in einer Zeit, in der sich Filme und Spiele immer weiter annähern, ist es doch eigentlich positiv, dass ein Titel sich dieser Thematik annimmt. Oder nicht?
Die M-Frage
Und da haben wir schon das größte Problem: Lässt man den misanthropischen Hintergrund und die Moral außen vor, bleibt was übrig? Ein simpler Zweistick-Shooter, der sich mechanisch sehr bieder präsentiert. Man kann zwischen drei Waffen und drei Granaten-Typen wechseln. Man kann seine Bewaffnung austauschen und muss die dafür verfügbare Munition im Auge behalten. Man kann sprinten und eine Ausweichrolle durchführen bzw. sich ducken, um gegnerischem Beschuss zu entgehen. Klingt mechanisch solide und wurde auch ordentlich umgesetzt.
Altbacken
Dennoch ist Hatred in vielerlei Hinsicht altbacken, mitunter sogar anachronistisch. Allem voran die KI. Während bei ähnlich gelagerten (und besseren) Spielen wie Alien Breed oder Dead Nation durch das Verhalten der Gegner Spannung aufgebaut wird, trifft man hier allerorten auf Fehler, die das ohnehin eher niedrig angesetzte Profil zusätzlich erleichtern. Wieso arbeiten die Soldaten nicht taktisch, um den Massenmörder einzukesseln? Stattdessen arbeiten sie sich wie Perlen an der Schnur durch die nächste Tür, hinter der man geduldig warten und einen nach dem anderen wie auf dem Jahrmarkt abschießen kann. Viele jammern bei Call of Duty, dass es nur Moorhuhn in 3D sei. Gegen Hatred sind die Gegner in Call of Duty absolute Genies. Dass die Zivilisten nicht versuchen, so weit und so schnell wie möglich vom Attentäter wegzukommen wie nur irgend möglich, ist ebenfalls höchst unglaubwürdig. Zwar versuchen einige löblicherweise, sich zu bewaffnen und einen unter Beschuss zu nehmen. Doch viel häufiger begegnen einem Pixel-Helden, die schnurstracks auf einen zu laufen, während man ihnen die Knarre ins Gesicht hält.
Hatred ist langweilig, simpel gestrickt, bietet abseits von stärkerer Gegnerbewaffnung keinerlei Überraschungsmomente und von Bosskämpfen will ich gar nicht erst anfangen. Wenn die Entwickler wenigstens halb so lange über spannende Inhalte nachgedacht hätten wie über das Schock-Konzept, hätte das Kernspiel vielleicht in ordentliche Bereiche vorstoßen können. Vielleicht hätte es auch geholfen, weniger Zeit in die zahlreichen, mitunter waffenabhängigen Exekutionen zu investieren, die einen aber emotional vom ersten Moment an kaltlassen, weil man sofort durchschaut, dass sie nur zum Anheizen von Diskussionen (und damit Verkäufen) sowie zum Provozieren eingebaut wurden.
Durchaus ansehnlich
Zudem hat das Team die verwendete Unreal Engine nicht im Griff. Vor allem in den etwas größer angelegten Abschnitten gegen Ende des Spiels, schaffen sie es nicht, die Bildrate stabil zu halten. Clipping-Probleme bei den Nahaufnahmen der Exekutionen tauchen ebenfalls zu häufig auf, als dass diese Szenen auch nur ansatzweise für eine bedrückende Atmosphäre sorgen könnten. Und nicht zu vergessen: Trefferzonen und ein sauber eingesetztes Ragdoll-System wären ein probates Mittel gewesen, um die schnell eintönig werdenden Standard-Animationen zu ersetzen, die man bei den Kugeleinschlägen zu sehen bekommt.
Fazit
In den letzten Jahren haben Film und Spiel zunehmend den Schulterschluss geschafft und sich mitunter gegenseitig inspiriert. Doch diesen Status katapultiert Hatred zurück in die C64-Steinzeit. Wo Filme wie Mann beißt Hund, Natural Born Killers, Henry oder Kalifornia einen mit auf die Reise in den Verstand eines Serienkillers nehmen, wird hier die Thematik nur zur Marketing-Propaganda genutzt. Und das ist ungeachtet der moralischen Debatte in dieser Form im Jahr 2015 vollkommen belanglos. Andere Spiele sind mit ähnlichen Themen wesentlich kreativer umgegangen und haben nicht nur auf den Schockeffekt gesetzt - und selbst das gelingt den Polen nicht. Und für eine vernünftige Hintergrund-Geschichte fehlte den Entwicklern ebenfalls die Fantasie, die mit den Exekutionen aufgebraucht scheint. So bleibt Hatred ein höchst unspektakulärer Zweistick-Shooter, der von einer vollkommen schwachen KI geprägt wird. Und hätte es nicht Misanthropie in dieser Extremform zum Thema, sondern eine Außerirdischen-Jagd, würde kein Hahn nach dieser Stangenware krähen, die qualitativ einige Welten von Spielen wie Alien Breed oder Dead Nation trennen. Das Ausloten des Amoklaufs als Motiv hätte ebenso anspruchsvoll und interessant sein können wie das Thema Krieg. Allerdings nur, wenn man das Medium Computerspiele versteht, wie es letztes Jahr die 11Bit Studios (übrigens auch aus Polen) vollkommen überraschend mit This War of Mine eindrucksvoll bewiesen. Wenn schon Provokation, dann richtig. Aber nicht einmal das kann Hatred.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Mechanisch altbackener und langweiliger Zweistick-Shooter, der nicht einmal von seiner plakativ umgesetzten Amok-Thematik profitieren kann.
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