Hatred04.06.2015, Mathias Oertel
Hatred

Im Test: Amoklauf als Zweistick-Shooter

Schon im Vorfeld hat Hatred, das Erstlingswerk der Polen von Destructive Creations, die Diskussionswogen hochschlagen lassen. Was hat das Spiel abseits des provokanten Themas zu bieten? Wir versuchen im Test, die Antworten zu finden.

Wieso nur?

"Ihr dürft diesem Titel keine Plattform geben!" Wieso eigentlich nicht? Weil das Thema des Amoklaufes thematisch schmerzt oder zu starker Tobak ist? Dann dürfte man sich auch nicht über Filme wie Henry: Portrait of a Serial Killer (1986), Natural Born Killers (1994), Kalifornia (1993), Mann beißt Hund (1992) und einige andere moderne Klassiker unterhalten, die auf mitunter drastischen Wegen versuchen, einen Einblick in die Motivation von Amokläufern und Serienkillern zu geben. Sicherlich kann man über die dargestellte Gewalt der Zelluloid-Werke vortrefflich streiten. Aber man wird nicht gezwungen, diese Filme anzuschauen - ebensowenig wird man gezwungen, dieses Spiel zu spielen. Und in einer Zeit, in der sich Filme und Spiele immer weiter annähern, ist es doch eigentlich positiv, dass ein Titel sich dieser Thematik annimmt. Oder nicht?

Leider verpasst es Hatred, der Thematik auch nur eine interessante Facette abzugewinnen. Es bleibt eine Effektschau, die unheimlich schnell langweilig wird.
Allerdings verpasst Hatred im Vergleich zu den Filmen ein wichtiges Element - bzw. lässt es komplett außen vor: Die Motivation. Den Einblick in den Verstand des Misanthropen, der zu extrem drastischen Mitteln greift. Wo ist der Grund, dass sich der langhaarige sowie hellhäutige Protagonist bis an die Zähne bewaffnet in einem dunklen Mantel auf einen Feldzug wider die Gesellschaft begibt und dem egal ist, ob er Zivilisten oder Staatsbedienste tötet? Den sucht man über die sieben Abschnitte umfassende, sehr schwach inszenierte Kampagne vergeblich. Stattdessen setzt man auf den Schockwert, der im Vorfeld auch für klassisches und virales Marketing genutzt wurde. "Pssst: Hast du den Trailer zu Hatred gesehen? Da dreht einer durch und tötet Zivilisten. Und zwar ganz brutal." Klar: Normalerweise wird man in Spielen sanktioniert, wenn man Zivilisten vor die Flinte bekommt und abdrückt. Selbst die in vielen Bereichen die Grenzen verschiebende GTA-Serie lässt einen nicht ungeschoren davon kommen, wenn man sich in Ammu-Nation mit Waffen sowie Munition eindeckt und einen Amoklauf startet - aber auch hier könnte man, wenn man wollte.

Die M-Frage

Die KI ist madig: Ausgebildete Soldaten kommen wie an der Perlenschnur durch die Tür, um abgeschossen zu werden.
Dass sich ein Spiel pur auf diesen Amok-Aspekt stürzt, ist moralisch durchaus diskussionswürdig. Aber auch nur, weil es den Spieler vollkommen unreflektiert aus der Iso-Perspektive erst durch die Heimatstadt des Protagonisten schickt, bevor die Odyssee ihn sogar in eine Militärbasis führt. Zwar versuchen die angeschossenen Opfer gelegentlich noch um Gnade zu flehen, doch man wird als Spieler nicht vor ein Dilemma gestellt. Ganz im Gegenteil: Die Exekutionen sind nötig, um Lebensenergie aufzufüllen. Ganz abgesehen davon, dass die Gesundheitsfrage auch anders gelöst werden könnte, machen sie das Spiel per se weder schlechter noch besser.

Und da haben wir schon das größte Problem: Lässt man den misanthropischen Hintergrund und die Moral außen vor, bleibt was übrig? Ein simpler Zweistick-Shooter, der sich mechanisch sehr bieder präsentiert. Man kann zwischen drei Waffen und drei Granaten-Typen wechseln. Man kann seine Bewaffnung austauschen und muss die dafür verfügbare Munition im Auge behalten. Man kann sprinten und eine Ausweichrolle durchführen bzw. sich ducken, um gegnerischem Beschuss zu entgehen. Klingt mechanisch solide und wurde auch ordentlich umgesetzt.

Altbacken

Dennoch ist Hatred in vielerlei Hinsicht altbacken, mitunter sogar anachronistisch. Allem voran die KI. Während bei ähnlich gelagerten (und besseren) Spielen wie Alien Breed oder Dead Nation durch das Verhalten der Gegner Spannung aufgebaut wird, trifft man hier allerorten auf Fehler, die das ohnehin eher niedrig angesetzte Profil zusätzlich erleichtern. Wieso arbeiten die Soldaten nicht taktisch, um den Massenmörder einzukesseln? Stattdessen arbeiten sie sich wie Perlen an der Schnur durch die nächste Tür, hinter der man geduldig warten und einen nach dem anderen wie auf dem Jahrmarkt abschießen kann. Viele jammern bei Call of Duty, dass es nur Moorhuhn in 3D sei. Gegen Hatred sind die Gegner in Call of Duty absolute Genies. Dass die Zivilisten nicht versuchen, so weit und so schnell wie möglich vom Attentäter wegzukommen wie nur irgend möglich, ist ebenfalls höchst unglaubwürdig. Zwar versuchen einige löblicherweise, sich zu bewaffnen und einen unter Beschuss zu nehmen. Doch viel häufiger begegnen einem Pixel-Helden, die schnurstracks auf einen zu laufen, während man ihnen die Knarre ins Gesicht hält.

Hatred ist langweilig, simpel gestrickt, bietet abseits von stärkerer Gegnerbewaffnung keinerlei Überraschungsmomente und von Bosskämpfen will ich gar nicht erst anfangen. Wenn die Entwickler wenigstens halb so lange über spannende Inhalte nachgedacht hätten wie über das Schock-Konzept, hätte das Kernspiel vielleicht in ordentliche Bereiche vorstoßen können. Vielleicht hätte es auch geholfen, weniger Zeit in die zahlreichen, mitunter waffenabhängigen Exekutionen zu investieren, die einen aber emotional vom ersten Moment an kaltlassen, weil man sofort durchschaut, dass sie nur zum Anheizen von Diskussionen (und damit Verkäufen) sowie zum Provozieren eingebaut wurden.  

Durchaus ansehnlich

Das Schwarz-Weiß-Artdesign mit seinen roten, blauen und gelben Kontrapunkten bietet interessante Ansätze.
Auch die Kulisse ist nicht über alle Zweifel erhaben. Das Artdesign mit seinem Schwarzweiß-Look, der nur von roten (Blut), gelborangenen (Feuer/Explosionen) und blauen (Blaulicht) Akzenten aufgelockert wird, hat durchaus seinen Reiz. Und die Umgebung kann fast immer formvollendet in ihre Teile zerlegt werden, wobei man dies natürlich auch nutzen kann, um hinter Holzwänden stehende Gegner zu perforieren. Dass man dies auch mit mehreren nacheinander machen kann, die stoisch in voller Montur und der Waffe im Anschlag auf ihr Ende warten, ist ein weiteres der zahlreichen KI-Mankos.

Zudem hat das Team die verwendete Unreal Engine nicht im Griff. Vor allem in den etwas größer angelegten Abschnitten gegen Ende des Spiels, schaffen sie es nicht, die Bildrate stabil zu halten. Clipping-Probleme bei den Nahaufnahmen der Exekutionen tauchen ebenfalls zu häufig auf, als dass diese Szenen auch nur ansatzweise für eine bedrückende Atmosphäre sorgen könnten. Und nicht zu vergessen: Trefferzonen und ein sauber eingesetztes Ragdoll-System wären ein probates Mittel gewesen, um die schnell eintönig werdenden Standard-Animationen zu ersetzen, die man bei den Kugeleinschlägen zu sehen bekommt.

Fazit

In den letzten Jahren haben Film und Spiel zunehmend den Schulterschluss geschafft und sich mitunter gegenseitig inspiriert. Doch diesen Status katapultiert Hatred zurück in die C64-Steinzeit. Wo Filme wie Mann beißt Hund, Natural Born Killers, Henry oder Kalifornia einen mit auf die Reise in den Verstand eines Serienkillers nehmen, wird hier die Thematik nur zur Marketing-Propaganda genutzt. Und das ist ungeachtet der moralischen Debatte in dieser Form im Jahr 2015 vollkommen belanglos. Andere Spiele sind mit ähnlichen Themen wesentlich kreativer umgegangen und haben nicht nur auf den Schockeffekt gesetzt - und selbst das gelingt den Polen nicht. Und für eine vernünftige Hintergrund-Geschichte fehlte den Entwicklern ebenfalls die Fantasie, die mit den Exekutionen aufgebraucht scheint. So bleibt Hatred ein höchst unspektakulärer Zweistick-Shooter, der von einer vollkommen schwachen KI geprägt wird. Und hätte es nicht Misanthropie in dieser Extremform zum Thema, sondern eine Außerirdischen-Jagd, würde kein Hahn nach dieser Stangenware krähen, die qualitativ einige Welten von Spielen wie Alien Breed oder Dead Nation trennen. Das Ausloten des Amoklaufs als Motiv  hätte ebenso anspruchsvoll und interessant sein können wie das Thema Krieg. Allerdings nur, wenn man das Medium Computerspiele versteht, wie es letztes Jahr die 11Bit Studios (übrigens auch aus Polen) vollkommen überraschend mit This War of Mine eindrucksvoll bewiesen. Wenn schon Provokation, dann richtig. Aber nicht einmal das kann Hatred.

Pro

solide Zweistick-Mechanik
Waffen- und Munitionsmanagement
gelungenes Schwarzweiß-Artdesign mit Farbeinsprengseln
passende Musikuntermalung

Kontra

schwaches KI-Verhalten
mechanisch altbacken
Gewalt zum Selbstzweck
null Story
keine Bosskämpfe
schwaches Finale

Wertung

PC

Mechanisch altbackener und langweiliger Zweistick-Shooter, der nicht einmal von seiner plakativ umgesetzten Amok-Thematik profitieren kann.

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