Dead Synchronicity: Tomorrow Comes Today17.04.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Das Ende ist nah

Die spanischen Fictiorama Studios mögen es finster und hoffnungslos: Nachdem der Himmel aufriss und eine geheimnisvolle elektromagnetische Welle die Zivilisation zerstörte, muss Protagonist Michael seine Erinnerungen wiederfinden. Ein gar nicht so leichtes Unterfangen, wenn man in einem modernen Konzentrationslager von gnadenlosen Wächtern und siechenden Kranken umgeben ist.

Das Elend nach der „großen Welle“

Als erzählerischen Kniff für die rätselhafte Zukunft haben sich die Entwickler für die altbekannte Amnesie entschieden. Michael wacht mit Gedächtnisverlust in dem ihm unbekannten Flüchtlingslager auf. Im klassischen Adventure-Stil versucht er, seiner Vergangenheit und einer geheimnisvollen Seuche auf den Grund zu gehen. Im Gegensatz zu „Gelöschten“ wie Michael müssen sich die siechenden „Zerflossenen“ mit viel tragischeren Symptomen herumschlagen: Seit dem Unglück leiden immer mehr Lagerbewohner unter Verwirrtheit und wilden Visionen, bis sie schließlich im Endstadium ein bestialischer Tod ereilt. Auch der Sohn von Michaels Retter und Gastgeber ist offenbar betroffen. Die Erkrankung soll aber unter allen Umständen vor Lagerspitzeln und fiesen Einsatzkräften geheim gehalten werden – denn wenn sie Wind davon bekommen, wird der Kranke ohne Umschweife in ein „Krankenhaus“ verschleppt, aus dem noch nie jemand zurückgekehrt ist. Aus Dankbarkeit für seine Rettung begibt sich Michael also auf den Weg in die zerstörte Stadt, um ein Heilmittel zu beschaffen – und nebenbei vielleicht Hinweise auf seine frühere Existenz vor der „großen Welle“ zu finden. Zwischendurch leidet er immer wieder unter kurzen Flashbacks, die ihn für ein paar Sekunden in die Vergangenheit der jeweiligen Szene versetzen. Wenn er wegdämmert, hört er außerdem die vertrauten Worte einer Frau, die ihn anfleht, aufzuwachen.

Ein geheimnisvoller Riss am Himmel hat Unheil in die Welt gebracht.
Entwickler Fictiorama wollte mit seinem Spiel das Gefühl offen gehaltener Adventure-Klassiker einfangen. Daher eröffnen sich im Laufe des Spiels immer neue Areale, zwischen denen ich immer wieder wechsle, um mit neuen Erkenntnissen und Gegenständen anderswo Rätsel zu lösen. Seinen Anfang nahm das Projekt übrigens als Kickstarter-Kampagne . Bei der Entwicklung wurde das Team von Daedalic unterstützt, die auch als Publisher fungieren. Die kantigen Zeichnungen orientieren sich laut Hülle am Expressionismus. Mein Fall sind sie ganz und gar nicht, weil die eckigen Gesichter allesamt recht maskenhaft wirken und kaum unterschiedliche Emotionen vermitteln. Michaels Unterleib wirkt besonders plump: Seine Füße und Beine ergeben zusammen nur einen einfarbigen grauen Klumpen, der vor ähnlich grauem Hintergrund manchmal kaum noch sichtbar ist. Auch die Bewegungen sind sehr minimalistisch gehalten – zum Aufnehmen oder Verwenden von Gegenständen z.B. spult Michael ständig die gleiche Animation ab.

Hoffnungslosigkeit in Spielform

Was ich dem Comic-Stil aber zugestehen muss, ist, dass er die Trostlosigkeit des Szenarios passend einfängt. Jedes Fleckchen der Welt strahlt Hoffnungslosigkeit aus – ob ich nun durch das müllverseuchte Lager oder die mit Trümmern, Leichen und Blutflecken übersäte Stadt wate. Auch der finstere Soundtrack der Indie-Rockband Kovalski trägt seinen Teil zur Stimmung bei; im Ohr geblieben ist mir aber keines der Stücke.

Als sein Gastgeber sich plötzlich mit seinem kranken Sohn einschließt, erkundet Michael das Lager auf eigene Faust.
In der allgegenwärtigen Tristesse liegt aber auch das größte Problem des Spiels:  Es wirkt fast die ganze Zeit über wie ein zäher, deprimierender Trip von einer Einöde in die Nächste. Was auch passiert, es gibt kaum erzählerische Tempowechsel, ausgefallene Situationen oder ähnliche Tricks, mit denen etwas mehr Dynamik oder Dramatik ins Spiel kommen könnte. Stattdessen klappere ich nach und nach immer mehr verfallene Schauplätze ab, löse klassische Inventar- und Umgebungsrätsel und lerne die psychotische Gesellschaft der Überlebenden kennen. Ein paar aufrechte Personen wie Familienvater Rod haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschlichkeit in schweren Zeiten zu bewahren. Der Großteil seiner Zeitgenossen ist aber entweder verrückt geworden, in Resignation verfallen oder zu opportunistischen Machtinstrumenten der Lager-Hierarchie mutiert. Ein Händler mit dem mysteriösen Namen „Der Jäger“ hat sein altes Ich „Hank“ in der alten Welt zurückgelassen und geht völlig in seiner neuen machtvollen Position auf. Wenn ich Sprit oder wertvolle Informationen in seine Bar bringe, kann er einiges auftreiben, z.B. dringend benötigte Batterien. Egal, mit welchen ethischen Einwänden Michael ihn konfrontiert – der Jäger schafft es stets, Michael damit zu entwaffnen, dass auch er letztendlich nur für den Eigennutz handle und schlimme Taten in Kauf nehme.

Gesichts-Chirurgie der finsteren Art

Eine meiner „notwendigen Sünden“ ist, dass ich das Gesicht eines toten Priesters mit Säure übergieße und es hinterher mit einer Glasscherbe noch weiter entstelle. Danach stopfe ich der Leiche eine Waffe in die Hand, eine alte Visitenkarte in die Tasche und präsentiere sie den Lagerwachen. Meine Gräueltat hat Erfolg: Die Wachen halten ihn für den Mörder an ihrem Kollegen. Ich habe den wahren, noch jungen Täter geschützt, der sonst an der Exekutionsmauer gelandet wäre. Solche Rätsel wirken zwar im Nachhinein logisch. Vorher ist es oft aber gar nicht so einfach, darauf zu kommen, dass ich z.B. an einem ganz anderen Ort eine Glasscherbe und die Säure finden muss, um sie anderswo für eine Verstümmelungsaktion einzusetzen. Ab und zu kommentiert Michael zwar gesammelte Gegenstände und Möglichkeiten - im Gegensatz zu hauseigenen Daedalic-Titeln gibt es aber zu wenige in die Handlung eingewobene Hinweise. Ab und zu kam es also durchaus vor, dassich eine Weile ratlos durch die Gegend gelaufen bin, was durch die trostlose Stimmung noch deprimierender wirkte als in anderen Spielen. Warum brüllt Michael z.B. nicht einfach durch die Tür oder macht anderweitig Lärm, als er die Hilfe vom in der Hütte sitzenden Hank benötigt. Stattdessen muss ich anderswo umständlich Werkzeuge suchen, Fässer stapeln und das hoch hängende Stromkabel kappen. Erst dann wird "der Jäger" auf mich aufmerksam und kommt heraus. Ich glaube kaum, dass die Musik aus seinen Miniboxen mich derart effektiv übertönen können.

In Punkto Gewaltdarstellungen sind die Entwickler nicht zimperlich: An manchen Schauplätzen kann man den allgegenwärtigen Gestank vermodernder Leichen beinahe riechen.
Auf manchen Bildern habe ich außerdem erst später entdeckt, dass die Kamera am Rand noch ein Stückchen weiter scrollt. Davon abgesehen geht die Bedienung aber gut von der Hand. Das Inventar lässt sich wie bei Daedalic üblich bequem per Mausrad ausfahren, die Hotspots werden per Druck auf die Leertaste angezeigt und Michael fertigt sich Notizen über die wichtigsten Handlungs- und Rätselverläufe an. Auch die cineastische Präsentation wirkt gelungen: Viele Szenen werden in professionell inszenierten Zeichentrick-Sequenzen erzählt, inklusive passender Perspektivwechsel und routinierter deutscher Synchronisation. In der ersten halben Stunde etwa unterhält sich Michael derart viel, dass ich nur zwei Rätsel lösen muss. Sobald sich die Welt öffnet, entwickelt sich aber ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Knobeln und Gesprächen. Dialog-Rätsel gibt es leider nicht: Stattdessen habe ich mich meist einfach durch sämtliche Gesprächs-Optionen geklickt.

Gebrochene Persönlichkeiten

Ein Blick aufs Lager und die nicht weniger idyllische Stadt.
Auf seiner Reise durch die Einöde treffe ich auf viele geschundene Seelen. Darunter befinden sich eine entmutigte Krankenschwester, eine traumatisierte Prostituierte, die sich in eine infantile Fantasiewelt geflüchtet hat oder einen Wissenschaftler, der versucht, dem Phänomen hinter der Katastrophe auf die Spur zu kommen. Letzterer muss unter all den machtversessenen Ordnungskräften natürlich verdeckt arbeiten und schickt auch Michael auf eine Mission. Manche Erlebnisse nehmen natürlich auch Bezug auf das alte Leben des Protagonisten. Besaß er seine Grundsätze bereits vor dem großen Knall oder gibt es Seiten an seiner alten Persönlichkeit, an die er sich lieber nicht erinnern will?      

Fazit

Wenn ihr euch mal wieder richtig schön deprimiert fühlen wollt, ist Dead Synchronicity euer Spiel: Von unmenschlicher Machtausübung im Lager über die katastrophalen Seuchenfolgen bis hin zum tristen Zeichenstil und den düster-surrealen Flashbacks strahlt fast alles am Adventure eine schreckliche Trost- und Hoffnungslosigkeit aus. Für ein spielbares Drama ist das eigentlich eine gute Voraussetzung, zumal die Welt von ungewöhnlichen, meist traumatisierten Persönlichkeiten bevölkert wird, die interessante Fragen aufwerfen. Die Fictiorama-Studios schaffen es aber leider nicht, das Potenzial zu nutzen. Die Geschichte zieht sich einfach nur wie ein zähflüssiger Horrortrip – ohne Hoffnung, dramaturgische Höhepunkte oder Tempowechsel, welche die postapokalyptische Erkundungsreise spannender hätten gestalten können. Auch die Balance der Rätsel liegt nicht immer auf dem von Daedalic gewohnten Niveau: Mitunter sind zu wenige Hinweise in die Dialoge eingewoben. Wer ein Faible für erbarmungslos finstere Spiele hat, bekommt aber trotzdem ein befriedigendes Adventure in einem ungewöhnlich surrealen Endzeit-Szenario.

Pro

unverbrauchtes surreales Endzeit-Szenario
bedrückende Atmosphäre wird gut eingefangen
gelungene deutsche Synchro
interessante Charaktere

Kontra

kaum Abwechslung oder dramaturgische Höhepunkte
einige Rätsel schwer nachvollziehbar
hässlich kantige und detailarme Figuren
minimalistische Animationen

Wertung

PC

Surreales und erbarmungslos finsteres Endzeit-Adventure, das interessante Ansätze mit einer zähen Geschichte und durchwachsenen Rätseln ausbremst.

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