Thimbleweed Park31.03.2017, Michael Krosta

Im Test: Alte Adventure-Liebe rostet nicht

Kult-Designer Ron Gilbert nimmt die Spieler mit auf eine Zeitreise in die Achtziger: Das Kickstarter-Projekt Thimbleweed Park setzt nicht nur auf die grobe Pixel-Optik von damals, sondern dreht auch mechanisch die Zeit zurück und lässt das altbewährte SCUMM-System mit Verbenliste auferstehen, das 1987 in Maniac Mansion seine Premiere feierte. Ob Thimbleweed Park aber auch inhaltlich die Klasse der alten Lucasfilm-Adventures erreicht, verraten wir im Test...

Zurück in die Achtziger

Ein mysteriöser Mord. Eine Leiche. Und zwei Agenten, die ein bisschen an das Mulder-Scully-Gespann aus Akte X erinnern und das grausame Verbrechen im kleinen Städtchen Thimbleweed Park aufklären sollen. Das ist die Ausgangslage im neuen Retro-Adventure von Ron Gilbert und Gary Winnick, die schon gemeinsam bei Lucasfilm Games an kultigen Abenteuern von Maniac Mansion bis The Secret of Monkey Island gearbeitet haben. Die mit Rätseln garnierte Suche nach der Wahrheit spielt sich dabei genauso wie die Klassiker: Dank des SCUMM-Systems (Script Creation Utility for Maniac Mansion) steht einem erneut die bekannte Auswahl aus neun Verben zur Verfügung, die man mit den Piktogramm-Gegenständen im Inventar und / oder Interaktionen mit der Umgebung anwenden sowie kombinieren darf. Dabei funktioniert die Point'n'Click-Steuerung des Cursors sowohl mit Maus als auch mit dem Controller.

Um das Umland zu erforschen, benötigt man eine Karte.
In der deutschen Auflistung stört allerdings die etwas gewöhnungsbedürftige Wortwahl: Statt „Nimm“ heißt es dort „Nehme“, statt „Benutze“ nur „Nutze“ und statt „Betrachte“ findet sich „Schaue“. Das mag nur eine Kleinigkeit sein, aber es fühlt sich beim Blick auf die Verbenliste einfach etwas falsch an – sicher auch deshalb, weil beim Anklicken der Verben wieder die gewohnten, gefühlt richtigen Varianten in der Text-Zeile erscheinen. Warum das so ist, wissen wahrscheinlich nur die Entwickler oder Übersetzer Boris Schneider-Johne, der bereits damals die Adventures von Lucasfilm Games / LucasArts ins Deutsche lokalisiert hat. Abgesehen von ein paar kleinen „Rechtschraibfehlern“ hat er offenbar nichts von seiner Kunst verlernt und fängt meist nicht nur den Wortwitz des englischen Originals überzeugend ein, sondern verpasst den Inhalten auch eine typisch deutsche Note, wenn es sich anbietet. So wird z.B. aus der erwähnten „Tonight Show“ samt ihrem Gastgeber in der deutschen Übersetzung „Wetten Dass“ mit Frank Elstner – herrlich. Nur auf eine deutsche Sprachausgabe muss man leider verzichten. Immerhin verrichten die englischen Sprecher überwiegend einen hervorragenden Job, auch wenn die Tonabmischung in wenigen Momenten patzt und die Sprachausgabe viel zu leise ist. Zudem fällt auf, dass gerade die beiden Agenten oft im Plural von sich reden oder als Duo angesprochen werden, obwohl sie alleine sind.

Pixelhass vs. Pixelliebe

Ron Gilbert kann man neben anderen Lucasfilm-Entwicklern ebenfalls in Thimbleweed Park antreffen.
An der grafischen Präsentation dürften sich die Geister scheiden, auch wenn oder weil sie den bewusst verfolgten Oldschool-Charme mit fetten Pixeln und Kanten voll erfüllt: Ich mag Pixel. Ich mag Retro. Und der gewählte Stil passt sicher zu den späten Achtzigern, obwohl man dort ein solch prächtiges Parallax-Scrolling bei Adventures eher nicht vorgefunden hat. Aber selbst mir sind Kulissen und Figuren doch einen Hauch zu pixelig geraten – vor allem an großen Bildschirmen oder einem Fernseher sieht das alles trotz der liebevollen Gestaltung schon ziemlich fies aus. Nein, es sollte jetzt nicht die Qualität der HD-Remakes von Monkey Island, DOTT & Co haben. Aber die eine oder andere optionale Filterungsoption hätte vielleicht nicht geschadet, um das Pixelbild auf Wunsch zumindest minimal aufzuwerten. Trotzdem muss ich sagen: Lieber so verpixelt als mit einem pseudo-modernen Anstrich das Retro-Flair zu versauen.   

Training für die Lachmuskeln

Selbstverständlich kommt der Humor nicht zu kurz, wie man es von Ron Gilbert kennt und erwartet. Schon wenn man innerhalb der ersten zehn Minuten auf zwei Klempner-Damen in Taubenkostümen trifft, die als „Pigeon Brothers“ firmieren und über seltsame Signale schwadronieren, wird klar: Das hier wird kein übliches Detektiv-Adventure im Stil von Agatha Christie, sondern eher eins der durchgeknallten Art. Und man wird nicht enttäuscht: Obwohl die Suche nach der Wahrheit stellenweise durchaus düstere Züge annimmt, dominieren abgedrehte Situationen, herrlich geschriebene Dialoge und zahlreiche Referenzen an Spiele sowie die Pop-Kultur der Achtziger. Schaut man sich etwa bei der Vorstellung des fiesen Clowns Ransome im Zirkuszelt um, wird man viele bekannte Gesichter von den Edisons über Guybrush Threepwood bis hin zu Grün Tentakel entdecken. Das ist Nostalgie pur, die einen über das gesamte Abenteuer begleitet – sei es in Form von Postern, Entdeckungen (wie einer Kiste voller roter Heringe), Dialogoptionen („Ich verkaufe diese Lederjacken“) oder Schauplätzen. Ganz klar, dass selbst die Kettensäge nicht fehlen darf! Ob es dieses Mal auch Benzin gibt?? Die zahlreichen Seitenhiebe haben es ebenfalls in sich: Nimmt man z.B. eine zerbrochene Ketchup-Flasche vorsichtig auf, merkt die Figur anschließend an, dass man in einem Adventure von Sierra-Online jetzt schon gestorben wäre. Allerdings sei gesagt, dass man auch hier vorzeitig auf einem Game-Over-

Wer braucht schon eine Pepsi, wenn man stattdessen eine nicht warenzeichenverletzende Poopsi trinken kann?
Bildschirm landen kann, doch wird man vor der besagten Aktion immerhin noch freundlich darauf hingewiesen, den Spielstand vorher besser nochmal zu speichern – ein Service, den man sich bei Sierra früher manchmal gewünscht hätte.

Überhaupt lässt Gilbert keine Gelegenheit aus, die Adventure-Konkurrenz von damals durch den Kakao zu ziehen – und sei es nur durch subtile Andeutungen auf dem Schild eines Friseurladens, auf dem es heißt: „Hair Today, Gone Tomorrow“ (King's Quest VI lässt grüßen).  Doch auch sein ehemaliger Arbeitgeber bekommt in Form der fiktiven Videospielfirma MmucasFlem ordentlich sein Fett weg. Darüber hinaus wird hin und wieder die vierte Wand aufgebrochen und die Figuren sprechen den Spieler direkt an. Ohne Witz: Ich habe in letzter Zeit selten so viel gelacht, gekichert und gegackert wie hier! Ich habe mich tatsächlich wieder so gefühlt, als würde ich als Jugendlicher an meinem C-64 sitzen und den grandiosen Knobelspaß im Stil von Maniac Mansion genießen. Hinsichtlich Humor und Story ist Thimbleweed Park für mich das, was ich damals eigentlich bei Broken Age erwartet, von Tim Schafer und Double Fine aber leider nicht so recht bekommen habe.

Clevere Rätsel für Anfänger und Profis

Vorsicht Spoiler: Man kann durch eine bestimmte Aktion tatsächlich vorzeitig sterben.
Dort enttäuschte zumindest in der ersten Episode auch der Rätselanspruch. Das ist hier zum Glück anders: Wie bei The Secret of Monkey Island 2 hat man auch hier die Wahl zwischen einem einfachen und einem schweren Schwierigkeitsgrad. Dabei muss man teilweise schon auf der leichten Stufe seine grauen Zellen in Schwung bringen, doch echte Knobelfreunde kommen erst auf dem höheren Niveau voll auf ihre Kosten. Dort werden die Rätsel nicht nur komplexer, sondern mitunter sogar durch weitere Puzzles und Areale innerhalb der abwechslungsreichen Schauplätze  ergänzt. Ein Beispiel: Während man auf der einfachen Stufe die benötigte Tinte bereits in einem Gefäß finden kann, muss man sie auf der schweren Stufe auch noch auf kreative Art und Weise selbst herstellen. Ich kann nur raten, das Spiel zuerst auf „einfach“ und danach auf „schwer“ durchzuspielen, damit man nicht nur (mindestens) zwei Mal in den Genuss dieser fantastischen Adventure-Erfahrung kommt, sondern auch das unterschiedliche Niveau der Rätsel zu schätzen lernt. Hier hat sich jemand offensichtlich viele Gedanken darüber gemacht hat, sowohl Anfänger als auch altgediente Adventure-Veteranen zu beglücken - selbst ein kleines Tutorial ist dabei.       

Fünf Freunde – mehr oder weniger

Neben dem Agenten-Duo, das neben dem Fall auch noch persönliche Interessen zu verfolgen scheint, gesellen sich noch drei weitere Charaktere hinzu, die man übernehmen kann. Dabei handelt es sich um die junge Spiele-Programmiererin Delores, den ständig fluchenden „Arschloch-Clown“ Ransome und einen...nun...Begleiter der übernatürlichen Sorte. Wie bei Maniac Mansion lässt sich jederzeit zwischen den Figuren umschalten – es sei denn, es handelt sich um spielbare Rückblicke oder ein Wechsel wird aus anderen guten Gründen künstlich, aber durchaus nachvollziehbar verhindert. Dabei verfolgt jeder Charakter seine eigenen Interessen, die im jeweiligen Notizbuch festgehalten werden. Praktisch: Die Aufzeichnungen dienen gleichzeitig als kleine Orientierungshilfe, da die aktuellen Ziele wie bei einer Checkliste dargestellt und abgehakt werden.

Bei Gesprächen hat man wie gewohnt eine Auswahl an Dialogoptionen.
Was man im Gegensatz zu Maniac Mansion oder auch Zak McKracken etwas vermisst, ist eine Art rotes Band, das die Figuren miteinander verbindet. Damals steuerte man noch drei Freunde, die gemeinsam ihre Freundin Sandy aus der verrückten Villa von Dr. Fred befreien wollten. Hier arbeiten dagegen fünf Charaktere zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben und teilweise sogar überhaupt nichts miteinander zu tun haben wollen. Entsprechend gibt es auch kaum Dialoge zwischen den Protagonisten. Wenn man länger darüber nachdenkt fällt es dadurch manchmal sogar schwer nachzuvollziehen, warum diese Truppe überhaupt gemeinsam loszieht und sich gegenseitig hilft. Zum Glück wird man aber schnell wieder von irgendeinem Blödsinn abgelenkt oder konzentriert sich wieder voll auf die Rätsel, die man oft nur im Teamwork lösen kann – sei es durch besondere Fähigkeiten oder den Umstand, dass teilweise nur bestimmte Personen Zugang zu einem Areal bekommen.

Großartige Implementierung von Backer-Belohnungen

Diese alten Atari-Module liegen aber auch überall herum...
Wer eine kleine Auszeit braucht, widmet sich den vielen Inhalten, mit denen die etwas zahlungskräftigeren Unterstützer der Kickstarter-Kampagne zum Spiel beitragen durften, darunter etliche Mini-Bücher mit bekloppten Titeln, die teilweise sogar selbst verfasste Texte enthalten. Cool ist auch das Telefonbuch, das nicht nur mit Nummern von spielrelevanten Personen enthält, sondern auch mit Namen von Unterstützern prall gefüllt ist. Und nicht nur das: Einen großen Teil der Backer-Nummern darf man tatsächlich anrufen und sich anschließend die Nachrichten der Anrufbeantworter anhören, die von den jeweiligen Leuten eingesprochen wurden. Beim Durchblättern trifft man sogar hin und wieder auf prominente Namen wie Noah Falstein (von ihm stammt Indiana Jones and the Fate of Atlantis) oder lauscht einer Sprachnachricht von Smudo von den Fantastischen Vier (kein Scherz!). Auf jeden Fall eine schöne Art der Belohnung und Implementierung, an der nicht nur die Unterstützer, sondern alle Spieler von Thimbleweed Park Spaß haben können.

Knobeln auf der Konsole

Mittlerweile konnten wir auch in die Umsetzung für die Xbox One reinschauen und uns mit dem Controller durch Thimbleweed Park rätseln. Dabei ist die Steuerung zwar nicht ganz so komfortabel wie mit der Maus, aber immer noch gut gelungen und funktioniert präzise. Wer wie ich damals schon Maniac Mansion am C-64 mit dem Joystick gespielt hat, wird sich fast wieder heimisch fühlen, auch wenn das Steuerungskonzept heute mehr Komfort-Möglichkeiten bietet als damals. Genau wie mit dem Nager lassen sich die Figuren auch hier per Doppelklick beschleunigen und für hervorgehobene Verben übernimmt die X-Taste die Funktion der rechten Maustaste für eine direkte Ausführung des Befehls. Schön auch, dass man mit den unteren Schultertasten (Triggern) direkt zwischen den Charakteren hin- und herwechseln darf. Die oberen werden dagegen zum Durchschalten von Hotspots genutzt, mit denen die Suche nach Hinweisen in den Pixelkulissen etwas leichter fallen dürfte. Übrigens steht die Controller-Variante selbstverständlich auch für PC-Spieler als alternative Steuerungsmethode zur Verfügung. Technisch muss man auf der Xbox One im Vergleich zum PC-Vorbild keine Abstriche in Kauf nehmen - hach, wäre das doch nur immer so. Von daher ist Thimbleweed Park auch für Rätselfreunde mit Konsole ein Hit und ein schöner Trip zurück in die Vergangenheit des klassischen Point'n'Click-Adventures!

Fazit

Thimbleweed Park ist einfach nur pure Liebe für alle Freunde des klassischen Adventures! Es ist mit seinen zahlreichen Referenzen zum einen eine gelungene Hommage an die alten Meisterwerke von Lucasfilm Games bzw. LucasArts und die Pop-Kultur der Achtziger – wer hier als alter Abenteuer-Hase nicht genüsslich in den Wellen der Nostalgie badet, der hat kein Herz! Gleichzeitig begeistert es selbst mit Qualitäten, durch die sich die Kult-Spiele von damals ausgezeichnet haben: Ron Gilbert und Gary Winnick setzen mit großartigen Rätseln, unterhaltsamen Dialogen, schrulligen Charakteren, jeder Menge Humor und einer herrlich abgedrehten Geschichte alle Hebel in Bewegung, damit Thimbleweed Park  in einem Atemzug mit Lucasfilm-Klassikern wie Maniac Mansion, Zak McKracken & Co genannt werden kann. Ich würde es jedenfalls tun, selbst wenn mir die Pixel-Optik teilweise etwas zu viel des Retro-Guten ist, die spielbaren Figuren inhaltlich nur sehr oberflächlich miteinander verbunden sind und ich auch im Deutschen lieber die „echte“ klassische Verbenleiste von damals vorgefunden hätte. Trotzdem hat dieses Kickstarter-Projekt nicht nur als Spieler, sondern auch als Unterstützer alle meine Hoffnungen und Erwartungen erfüllt, teilweise sogar übertroffen. Und das macht Thimbleweed Park trotz oder wegen der Retro-Zeitreise ins Jahr 1987 selbst im modernen 2017 zu einem sehr guten Adventure.

Pro

klasse, meist logische Rätsel
unterhaltsame Dialoge (und Dialogoptionen)
charmante Oldschool-Pixeloptik...
spannende Mystery-Story
herrlicher Humor
zig Anspielungen und Seitenhiebe
altbewährte SCUMM-Steuerung
fünf spielbare Figuren
viele bekloppte Situationen
ordentlicher Umfang
abwechslungsreiche Schauplätze
wunderbares Finale
Orientierungshilfe durch Notizbuch
gute Sprecher
überwiegend gelungene Text-Lokalisierung von Doc Bobo
großartige Implementierung von Belohnungen für Kickstarter-Unterstützer
komfortable Schnellreisefunktion (sobald man Kartenteile hat)
zwei Schwierigkeitsgrade (einer mit komplexeren und zusätzlichen Rätseln)
ordentliche Controller-Steuerung

Kontra

gewöhnungsbedürftige deutsche Verbenleiste (Übersetzungskonflikt?)
keine deutsche Sprachausgabe (nur Untertitel)
...aber eine optionale Filterfunktion hätte nicht geschadet
vereinzelte Probleme bei Abmischung (Sprache zu leise)
Soundtrack könnte markanter und abwechslungsreicher sein
Hauptfiguren agieren und sprechen kaum miteinander

Wertung

XboxOne

Mit dem Controller rätselt es sich zwar nicht ganz so komfortabel wie mit der Maus, trotzdem ist Thimbleweed Park auch auf der Xbox One ein großartiges Oldschool-Abenteuer mit Witz und Charme, aber ohne Melone.

PC

Ron Gilbert hat es immer noch drauf: Thimbleweed Park ist ein großartiges, witziges, durchgeknalltes und charmantes Retro-Adventure wie zu den besten Zeiten von Lucasfilm Games!

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