Der verborgene Kontinent31.12.2003, Jörg Luibl
Der verborgene Kontinent

Im Test:

Ihr mögt die abenteuerlichen Geschichten von Jules Verne? Wollt einen Vulkan von innen sehen? Und dabei knackige Rätsel lösen? Dann könnte "Der verborgene Kontinent (ab 1,68€ bei kaufen)" einen Abstecher wert sein. Das Adventure von Frogwares lockt mit klassischem Point&Click in mysteriöse Welten. Ob uns der Ausflug begeistert hat, verrät der Test!

Notlandung auf Island

Die junge Reporterin Ariane muss auf einem unwirtlichen Felsen Islands notlanden - der Hubschrauber ist zerstört, der Pilot unauffindbar. Nur ein schmaler Spalt im Fels scheint aus der Sackgasse zu führen. Doch als sich Ariane durch den Stein zwängt, gelangt sie nicht in die Freiheit, sondern entdeckt eine bisher unbekannte Welt in den Tiefen eines Vulkans.

Die burschikose Ariane ist zwar ansatzweise gut animiert, wenn es um`s Relaxen geht, aber die Gesichtszüge bleiben immer gleich, sie blinzelt nie und scheint zwanghaft etwas in der Ferne zu beobachten...

Leider fühlt man sich in den ersten Spielminuten trotz des geheimnisvollen Potenzials wie nach einem Sprung ins kalte Storywasser: Es fehlt ein packendes Intro, die Protagonistin bleibt eine kühle Unbekannte, und kann weder ihre Ängste,

ihre Überraschung oder ihr Staunen glaubwürdig vermitteln. So scheitert die Identifikation mit der Hauptfigur, die als animierter Rätselbot auf Knobelsuche geht.

Jules Verne lässt grüßen

Immerhin findet man unter den hauchdünnen Konturen der kaum fühlbaren Dramatik ein interessantes Gerüst aus fiktionaler Spekulation: Grabsteine offenbaren, dass längst totgeglaubte Wissenschaftler hier noch Jahrzehnte gelebt haben. Und als Ariane die Nachfahren der ersten Kolonisten trifft und Saurier durch die Lüfte gleiten, kann sie ihren Augen kaum trauen.__NEWCOL__Zusammen mit den Hinweisen und E-Mails aus Arianes Notebook sowie eingestreuter Zwischensequenzen in durchschnittlicher Renderqualität gewinnt die Story immer mehr an Verne`scher Kontur. Leider fehlt dem Spiel die innere Glaubwürdigkeit der epischen Romanvorlage. Der französische Vater des Science-Fiction konnte sein Publikum mit "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" fesseln, Frogwares kann das nicht.

Steriles Mysterium

Wenn Pilze wie riesige Tannen in den Himmel schießen, malerische Strände mit kristallklarem Wasser locken und riesige Maschinen in Höhlen brummen, sollte man eigentlich in angenehme Entdeckerstimmung kommen. Vor allem, wenn die exotische Welt noch von exzentrischen Menschen, imposanten Dinosauriern und Riesen bevölkert wird. Aber die Ausflüge in die mysteriöse Wildnis entfachen eher sterile Postkarten- als packende Abenteuerstimmung. Woran liegt das?

Ja, es gibt karibische Strände mit kristallklarem Wasser. Trotzdem kann die malerische Kulisse nicht wirklich faszinieren - keine Partikeleffekte, keine Spuren im Sand, keine Wolkenritte, keine Käfer. Es fehlt einfach an Leben.

Obwohl die Hintergrundgrafiken teilweise recht plastisch und sogar malerisch wirken, fehlt es an allen Ecken und Enden an Bewegung. Der Himmel bleibt statisch, die riesigen Farne und Bäume verharren wie eingefroren, es krabbelt, fliegt und flattert nichts - nur einige Flaggen zittern im Wind. Und wenn man über eine riesige Holzhängebrücke läuft, die weder schwankt noch knarrt, ist Schwindelgefühl Fehlanzeige. Auch die wenigen Animationen der Figuren können nur auf den ersten Blick überzeugen; selbst Hauptfigur Ariane enttäuscht trotz dynamischer Gestik mit sehr hölzernen Drehungen.

Zwar kann das akustische Ambiente mit Vogelgezwitscher, plätscherndem Wasser und pfeifenden Winden etwas Stimmung erzeugen. Aber vor allem die Schrittgeräusche enttäuschen mit ewig gleichen Samples - egal ob Sand, Stein oder Holzuntergrund. Und die Melodien sind zwar lieblich, aber auch zu dezent, als dass sie die Sterilität aufbrechen könnten. Die deutschen Sprecher und Texte sind gut, ohne besonders markant zu sein.

So skurril die Bewohner der Parallelwelt auch wirken, so gekünstelt präsentieren sich auch manche Dialoge. Ariane stellt sich für eine Reporterin zudem sehr dümmlich an.  Da fällt die Identifikation sehr schwer...

Knobel-Eldorado mit Tücken

Es gibt viele, abwechslungsreiche und teilweise angenehm knackige Rätsel: Egal ob einfaches Komnbinieren und Präparieren von Gegenständen, Symbolanordnungen, Legepuzzles, Zahlenspiele, Fotoexperimente, chemische und mathematische Knobeleien, simples Anwenden wie Licht im Dunkeln, Feuer zum Härten oder physikalische Spielchen mit Strom oder Reibung - die Welt unter dem Vulkan ist ein kleines Eldorado für alle Kopfnussfreunde. Echte Point&Click-Fans werden also durchaus auf ihre Kosten kommen.

Ein echtes Highlight sind die Rätsel trotzdem nicht: Oft muss man penibel auf das altbekannte Mausabtasten des Bildschrims zurückgreifen, um keine Gegenstände zu übersehen - sie leuchten weder beim Näherkommen auf wie in Baphomets Fluch noch benutzt Ariane ihre Augen, um euch auf Entdecktes aufmerksam zu machen. Vergesst ihr  etwas, könnt ihr euch zudem auf sehr lange Laufwege gefasst machen, denn manche der vielen obskuren Dinge werden erst sehr spät benötigt. __NEWCOL__

Interaktivität? Fehlanzeige.

Zum nervigen Bildschirm-Jogging gesellt sich noch ein weiterer Stolperstein, der den Spielspaß dämpft: die fehlende Interaktivität. Warum lassen sich die Gegenstände

nicht näher betrachten? Gerade das Drehen und Zoomen der kleinen Schätze hätte den Entdeckerdrang zusätzlich angeregt. Nicht umsonst ist die Lupenfunktion für viele Genre-Fans das Salz in der Adventure-Suppe.

Immerhin können sowohl die Innenarchitektur als auch  die Vielfalt der Rätsel überzeugen.  Es geht physikalisch, mathematisch und  kombinatorisch zur Sache.

Und warum gibt es nicht wenigstens eine erläuternde  Beschreibung zu all den Knochen, Muscheln, Seilen und Pilzen, die sich im Inventar tummeln? Dass die Protagonistin all die gefundenen Dinge nicht akustisch kommentiert ist die eine Sache.

Was trieben die Nachfahren der ersten Kolonisten bloß im Inneren des Vulkans? Warum gibt es hier Maschinen und Saurier? Fragen über Fragen, die mit der Zeit beantwortet werden.

Aber dass es noch nicht mal ein, zwei Sätze zu Form und Beschaffenheit gibt, ist unverständlich und raubt der Welt nicht nur eine Menge Charme, sondern lässt manche Rätsel unverschämt obskur wirken: Denn wenn man an einer Pforte Symbolsteine anhand eines Verses anordnen muss, aber die abgebildeten Zeichnungen teilweise zwei- und dreideutig zu verstehen sind, kommt Frust auf. Anstatt schön logisch vorzugehen, ist dann auf einmal stumpfes Ausprobieren angesagt.

Fazit

Schade: So faszinierend der Storyansatz auch ist, so öde wurden die interessanten Ideen umgesetzt. Reporterin Ariane joggt durch ebenso malerische wie leblose Gegenden, die aufgrund der akuten Bewegungsarmut eher steriles Postkarten- als packendes Abenteuer-Flair entfachen. Das Team von Frogware verschenkt durch den eiskalten Einstieg, die steifen Dialoge und die wenig glaubwürdigen Charaktere sehr schnell das dramaturgische Potenzial, das in diesem interessanten Jules Verne-Szenario schlummerte. Im Vergleich zu Genre-Highlights wie Runaway, Uru oder Baphomets Fluch fehlt einfach die erzählerische Seele. Immerhin werden Adventure-Fans in der urzeitlichen Parallelwelt spielerisch einigermaßen auf ihre Kosten kommen: Sehr viele, sehr abwechslunsgreiche und einige knackige Rätsel dürften den klassischen Point&Click-Hungrigen sättigen, der nach mathematischen, symbolischen und physikalischen Kopfnüssen giert - es gibt viel zu finden und zu kombinieren. Aber auch hier sorgt vor allem das Fehlen von Erläuterungen zu Gegenständen für unnötige Frustmomente und Irritationen, die manche logische Knobelei zur stumpfen Raterei mutieren lassen. Insgesamt leider nicht mehr als ein netter Ausflug in die mysteriöse Durchschnittlichkeit.

Pro

interessante Story
skurrile Orte & Personen
ansehnliche Hintergrundgrafiken
abwechslunsgreiche & knackige Rätsel

Kontra

sterile Atmosphäre
sehr öder Einstieg
viele lange Laufwege
recht steife Gespräche
viel zu statische Grafik
Protagonistin bleibt blass
schwache Figuren & Dialoge
keine Erläuterungen zu Items
typisches "Bildschirmabsuchen"

Wertung

PC

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Kommentare

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