Im Test: Mehr Ballermann als Schwertküste
Kurze Vorfreude auf klassisches D&D
Auf den ersten Blick macht Sword Coast Legends gar nicht so viel falsch: Man erstellt klassisch einen Charakter, indem man aus vielen bekannten Rassen und Berufen sowie Fähigkeiten wählt, die Dungeons & Dragons so zu bieten hat. Zwar wird Kennern hier schon misfallen, dass es z.B. keine Prestigeklassen gibt und viele Zauber fehlen, aber man kann zumindest an der Oberfläche seine bekannten Archetypen erstellen: Ein Zwergen-Schurke mit bärbeißiger Stimme, einem Talent in Schlösser knacken sowie Assassinen-Kampftalenten soll es sein? Oder ein Mondelfen-Waldläufer mit Bogen, der Tierbändiger ist, einen Wolf beschwört sowie seine Feinde mit dem Mal des Jägers markiert? Alles kein Problem. Hat man die Charaktererstellung mit Stimme, Aussehen sowie einem Hintergrund wie „Einsiedler“ oder „Verbrecher“ abgeschlossen, der nochmal Boni oder Mali bringt, geht es los.
Langeweile zwischen Luskan und Niewinter
Das Abenteuer wirkt nach ein paar Stunden so vorhersehbar, so künstlich in den Dialogen und mit seinem Baukastendesign samt vieler Copy&Paste-Objekte so deutlich modular, dass man sich gar nicht mehr auf die Spielwelt und einzelne Situationen einlassen will. Ja, man wird zumindest grundsätzlich neugierig gemacht, was es mit diesem dunklen Schicksal auf sich hat, mit dem der Orden scheinbar verbunden ist: Warum wird man von einem Dämon als seinesgleichen bezeichnet? Warum ist man angeblich ein Spielball von Göttern & Dämonen? Irgendetwas Böses scheint sich da zusammenzubrauen, der Überfall auf die Karawane war wohl kein Zufall und der einzige weise Ratgeber wartet in Gestalt eines Magiers in Luskan.
Wenn man sich auf die Entwicklung seines Charakters konzentriert, wird man als D&D-Purist mit weniger Freiheit und Vielfalt leben müssen, weil man erstens nicht alle Talente und Optionen des Regelwerks ausschöpfen kann und zweitens auch noch in ein Freischaltkorsett hinsichtlich der Fähigkeiten gezwungen wird. Wie in einem Online -Rollenspiel? Genau. Wer sich auf eine authentische Integration des Regelwerks gefreut hat, der wird maßlos enttäuscht.
Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!
Wenn die Regie dann mal auf die Dramatube drückt, indem z.B. Kollegen aus der eigenen Gilde hingerichtet werden, fehlt es einem an Mitgefühl, weil alles viel zu schnell geht und man gar keine Beziehung aufgebaut hat. Selbst nach einem Tod heißt es dann lapidar: „Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!“ Immerhin rettet sich das Drehbuch damit, dass man auch mal über Leben und Tod entscheiden darf – und das hat durchaus Konsequenzen, nicht nur ob man demjenigen z.B. später im Alptraum als Verstorbenen begegnet oder nicht, sondern auch hinsichtlich der möglichen Enden.
Feuer aus allen Rohren
Wenn Sword Coast Legends diese erzählerischen Defizite zumindest in der Kampftaktik auffangen würde – aber das tut es nicht. Zwar kann man drei Schwierigkeitsgrade einstellen und theoretisch im Kampf pausieren, um einzelne Befehle zu geben, aber das ist auf der normalen Stufe schon kaum nötig, weil nahezu alles fast automatisch weggebrutzelt wird, was da kreucht und fleucht, indem man eine Fähigkeit und einen Zauber nach dem anderen durchklickt, bis die Abklingzeit ihn wieder freischaltet. Der Wahrnehmungsradius der Feinde scheint auf zwei Meter beschränkt, so dass man sie schon aus weiter Entfernung markieren und mit Projektilen oder Zaubern eindecken kann. Und wenn man mal bei einer Riesenspinne das Zeitliche segnet? Einfach den Bewusstlosen anklicken und weiter geht’s. Man wird zudem so schnell
Sowohl Pfeile als auch Melfs Säurepfeil, Feuerlanzen oder Eisblitze rauschen natürlich durch massiven Fels, so dass man Höhenvorteile gar nicht nutzen kann. Falls es mal brenzlig wird, pausiert man eben und aktiviert die Zauber und Fähigkeiten in der Leiste, ohne dass man positionstaktisch oder hinsichtlich Mana & Co besonders clever agieren müsste. Jeder Charakter hat zwei Waffensets, die man genauso komfortabel aktivieren kann wie die sonstigen Fähigkeiten. Entsprechend arcadig spritzt das Blut und fliegen die Körper, aber man hat weder Schweiß auf der Stirn noch grübelt man über kombinierte Attacken. Zwar kann man „Gruppentaktiken“ deaktivieren und jeden der bis zu sechs Helden selbst steuern, aber wer sie aktiviert
Auch die allgemeine Steuerung der Gruppe lässt zu wünschen übrig, weil man ständig die Kamera oder Laufwege nachjustieren muss. Und warum muss man, um einzelne Helden an verschiedene Positionen zu bewegen, nicht nur das Gruppenbewegungssymbol, sondern auch die Gruppentaktiken ausschalten? Immerhin gibt es mal Situationen mit Druckplatten, wo das nötig ist. Alles Interaktive wird ansonsten Blau markiert und es kann sich auch lohnen, den Spürsinn für Fallen oder Schlösser zu aktivieren, um diese zu entschärfen bzw. zu öffnen. Nur geht es meist darum, alles schnell zu plündern statt aufmerksam zu erkunden. Selbst in der Karawane, wo Händler um Gold feilschen, liegt es einfach so in Säcken und Kisten rum – ist klar.
Spielleiter-Modus für eigene Abenteuer
Falls ihr euch für Ersteres entscheidet, müsst ihr Handlungsorte, Charaktere, Quests und Feinde wählen. Es gibt übrigens tatsächlich keine Drachen in
Da wundert es einen auch nicht mehr, dass man bei den Quests nur aus den drei Standardaufgaben „Boss“, „Sammeln“ sowie „Feind besiegen“ wählen kann und beim Versuch eigene Aufgaben mit Dialogoptionen zu integrieren keine Werkzeuge findet. Also: Falls ihr schnelle einen „Dungeonlauf“ für bis zu vier Kumpels online anbieten wollt, ist der Spielleiter-Modus durchaus geeignet. Aber wer als Pen&Paper-Rollenspieler etwas mehr Tiefe, Freiheit oder auch nur die komplette Dunegons&Dragons-Fülle sucht, wird hier enttäuscht.
Fazit
Es gab mal eine Zeit, da war die Schwertküste ein Eldorado für Rollenspieler. Egal ob Baldur’s Gate, Neverwinter Nights oder Icewind Dale – ich habe viele vergnügliche Stunden mit dieser Fantasy verbracht. Aber wenn ich Sword Coast Legends spiele, muss ich ständig vor Langeweile gähnen oder genervt abwinken. Obwohl man mit Rassen, Klassen, Fähigkeiten, Zaubern sowie pausierbarem Kampf viele nostalgische Zutaten zur Verfügung hat und die Kulisse sogar ansehnlich ist, will angesichts der peinlichen Dialoge, stereotypen Quests sowie Taktik light einfach kein Spaß aufkommen. Interessante Charaktere, dynamische Beziehungen, Partyinteraktion? Zu weiten Teilen Fehlanzeige. Ich vermisse auch den Zauber und das edle Flair der Vergessenen Reiche. In Zeiten von Pillars of Eternity, Divinity: Original Sin oder auch The Age of Decadence wirkt diese Art von oberflächlichem Rollenspiel mit MMO-Flair einfach nur überflüssig – und wenn ich kooperativ mit einem Kumpel metzeln, leveln und sammeln will, spiel ich lieber Diablo 3. Da hilft auch der Editor nicht, mit dem man zwar recht flott eigene Dungeons und Gebiete ausstaffieren kann, aber angesichts vieler fehlender Kreaturen wie Drachen (!), fehlender Städte (!) sowie nur vorgefertigter Infrastruktur und beschränkter Questmöglichkeiten wird ein D&D-Spielleiter auch hier nur ernüchtert den Kopf schütteln.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Schwache Story, nervige Charaktere, mehr Kloppmist als Taktik und ein Baukasten ohne Drachen und Städte? Nur wer ein wenig kooperativ metzeln will, könnte kurzfristig unterhalten werden.
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