Sword Coast Legends27.10.2015, Jörg Luibl
Sword Coast Legends

Im Test: Mehr Ballermann als Schwertküste

Digital Extremes und N-Space wollen Rollenspieler an die Schwertküste locken. Ist das nicht die Region in den Vergessenen Reichen, in der u.a. Baldur’s Gate spielte? Richtig. Vor dem Hintergrund von Dungeons & Dragons geht es um klassische Fantasy mit Elfen, Zwergen und viel Magie sowie Gruppentaktik. Neben einer Kampagne ist ein Spielleiter-Modus dabei. Lohnt es sich das vorgefertigte Abenteuer zu bestreiten oder eigene Szenarien zu erstellen? Mehr dazu im Test.

Kurze Vorfreude auf klassisches D&D

Auf den ersten Blick macht Sword Coast Legends gar nicht so viel falsch: Man erstellt klassisch einen Charakter, indem man aus vielen bekannten Rassen und Berufen sowie Fähigkeiten wählt, die Dungeons & Dragons so zu bieten hat. Zwar wird Kennern hier schon misfallen, dass es z.B. keine Prestigeklassen gibt und viele Zauber fehlen, aber man kann zumindest an der Oberfläche seine bekannten Archetypen erstellen: Ein Zwergen-Schurke mit bärbeißiger Stimme, einem Talent in Schlösser knacken sowie Assassinen-Kampftalenten soll es sein? Oder ein Mondelfen-Waldläufer mit Bogen, der Tierbändiger ist, einen Wolf beschwört sowie seine Feinde mit dem Mal des Jägers markiert? Alles kein Problem. Hat man die Charaktererstellung mit Stimme, Aussehen sowie einem Hintergrund wie „Einsiedler“ oder „Verbrecher“ abgeschlossen, der nochmal Boni oder Mali bringt, geht es los.

Zu Beginn könnt ihr einen Charakter aus klassischen D&D-Vorgaben erschaffen.
Das Artdesign wirkt vielleicht nicht besonders edel und erinnert eher an ein solides Online-Rollenspiel, aber es ist farbenfroh und man erkennt Gift auf Klingen oder wehende Umhänge; Änderungen an Waffen oder Ausrüstung werden sofort angezeigt. Die frei dreh- sowie zoombare Kulisse ist zunächst recht ansehnlich, es gibt Wettereinflüsse und Tageszeiten, dazu englische Sprachausgabe mit starken regionalen Akzenten und sauber übersetzte deutsche Texte. Auf der technischen Ebene hat dieses Rollenspiel also mehr zu bieten als z.B. ein Wasteland 2 und deutlich mehr als etwa das spröde The Age of Decadence. Aber als Rollenspieler unterhalten mich die Iron Tower Studios trotz technischer Mankos zwei Klassen besser als dieser Ausflug in die Vergessenen Reiche.

Langeweile zwischen Luskan und Niewinter

Das Abenteuer beginnt mit einer Alptraumsequenz, die auch als Tutorial dient.
Sobald man die ersten Figuren trifft, Gespräche führt, Kämpfe bestreitet und seinen Charakter aufsteigen lässt, vergeht nämlich der Spaß. Die Geschichte um den Orden der „Brennenden Dämmerung“, der eine Karawane auf dem Weg nach Luskan beschützen soll,  fängt nicht nur langweilig in einem Alptraum an, der als Tutorial dient, sondern geht stinklangweilig mit einem Überfall sowie Höhlenkloppmist zwischen Ratten, Banditen und Goblins weiter, bevor man wieder Alpträume durchschreitet und endlich nach Luskan kommt, wo man natürlich nicht sofort in die Stadt darf, sondern erst eine Kanalisation durchpflügen muss. Dass sie auf Monster aus der Umgebung nicht reagieren, selbst wenn die gerade attackieren, ist an dieser Stelle auch schon egal, denn man weiß spätestens hier dass es mehr Diablo als Baldur's Gate gibt.

Das Abenteuer wirkt nach ein paar Stunden so vorhersehbar, so künstlich in den Dialogen und mit seinem Baukastendesign samt vieler Copy&Paste-Objekte so deutlich modular, dass man sich gar nicht mehr auf die Spielwelt und einzelne Situationen einlassen will. Ja, man wird zumindest grundsätzlich neugierig gemacht, was es mit diesem dunklen Schicksal auf sich hat, mit dem der Orden scheinbar verbunden ist: Warum wird man von einem Dämon als seinesgleichen bezeichnet? Warum ist man angeblich ein Spielball von Göttern & Dämonen? Irgendetwas Böses scheint sich da zusammenzubrauen, der Überfall auf die Karawane war wohl kein Zufall und der einzige weise Ratgeber wartet in Gestalt eines Magiers in Luskan.

Als Mitglied der "Brennenden Dämmerung" bewacht amn eine Karawane, die auf dem Weg nach Luskan ist.
Aber während stereotype Figuren mit schlechten Dialogen und Anekdoten aus der Mottenkiste nerven, muss man auch noch mit den uninteressanten Gefährten aus der eigenen Gruppe leben, die einem alles andere als ans Herz wachsen. Sie haben zwar eine einsehbare Kurzbiografie, aber man kann sie nicht mal direkt ansprechen, um mehr zu erfahren. Dass sie sich dank eines „Nachrichtensteines“ quasi auch aus der Feine einmischen, um Entscheidungen zu kommentieren, macht es nicht besser und schon gar nicht authentischer. So entsteht eine ganz seltsame Art der aufgezwungenen Partyinteraktion - und man wünscht sich heimlich Partymobbing als Option.

Wenn man sich auf die Entwicklung seines Charakters konzentriert, wird man als D&D-Purist mit weniger Freiheit und Vielfalt leben müssen, weil man erstens nicht alle Talente und Optionen des Regelwerks ausschöpfen kann und zweitens auch noch in ein Freischaltkorsett hinsichtlich der Fähigkeiten gezwungen wird. Wie in einem Online -Rollenspiel? Genau. Wer sich auf eine authentische Integration des Regelwerks gefreut hat, der wird maßlos enttäuscht.

Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!

Egal ob Waffen, Fähigkeiten oder Zauber: Man hat viel Auswahl.
Und wer Pillars of Eternity gespielt hat, das ja auch ein klassisches Abenteuer mit seltsamen Vorkommnissen inszenierte und ähnliche Motive für die Handlung auslegte, wird sich hier wie in bunter Kitschfantasy vorkommen. Episches Flair? Fehlanzeige. Auch wenn mit Dan Tudge der Director von Dragon Age: Origins verantwortlich zeichnet und es mehrere Enden gibt, bemerkt man von der erzählerischen Klasse des Bioware-Rollenspiels aus dem Jahr 2009 wenig bis gar nichts – von beeinflussbaren Freundschaften mal ganz abgesehen vermisst man interessante Charaktere, die mehr als Levelroboter sind.

Wenn die Regie dann mal auf die Dramatube drückt, indem z.B. Kollegen aus der eigenen Gilde hingerichtet werden, fehlt es einem an Mitgefühl, weil alles viel zu schnell geht und man gar keine Beziehung aufgebaut hat. Selbst nach einem Tod heißt es dann lapidar: „Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!“ Immerhin rettet sich das Drehbuch damit, dass man auch mal über Leben und Tod entscheiden darf – und das hat durchaus Konsequenzen, nicht nur ob man demjenigen z.B. später im Alptraum als Verstorbenen begegnet oder nicht, sondern auch hinsichtlich der möglichen Enden.

Feuer aus allen Rohren

Wenn Sword Coast Legends diese erzählerischen Defizite zumindest in der Kampftaktik auffangen würde – aber das tut es nicht. Zwar kann man drei Schwierigkeitsgrade einstellen und theoretisch im Kampf pausieren, um einzelne Befehle zu geben, aber das ist auf der normalen Stufe schon kaum nötig, weil nahezu alles fast automatisch weggebrutzelt wird, was da kreucht und fleucht, indem man eine Fähigkeit und einen Zauber nach dem anderen durchklickt, bis die Abklingzeit ihn wieder freischaltet. Der Wahrnehmungsradius der Feinde scheint auf zwei Meter beschränkt, so dass man sie schon aus weiter Entfernung markieren und mit Projektilen oder Zaubern eindecken kann. Und wenn man mal bei einer Riesenspinne das Zeitliche segnet? Einfach den Bewusstlosen anklicken und weiter geht’s. Man wird zudem so schnell

In den Höhlen kämpft man gegen Ratten, Goblins und Spinnen - besonders knifflig ist das nicht.
mit Tränken, Schriftrollen & Co zugemüllt, dass man kaum mit Defiziten haushalten muss. Es macht auch spätestens dann keinen Spaß mehr, im Rucksack zu wühlen, wenn selbst Gegenstände wie der „Niewinter Zeitmesser“ schnöde Beutel statt gezeichnete Objekte sind.

Sowohl Pfeile als auch Melfs Säurepfeil, Feuerlanzen oder Eisblitze rauschen natürlich durch massiven Fels, so dass man Höhenvorteile gar nicht nutzen kann. Falls es mal brenzlig wird, pausiert man eben und aktiviert die Zauber und Fähigkeiten in der Leiste, ohne dass man positionstaktisch oder hinsichtlich Mana & Co besonders clever agieren müsste. Jeder Charakter hat zwei Waffensets, die man genauso komfortabel aktivieren kann wie die sonstigen Fähigkeiten. Entsprechend arcadig spritzt das Blut und fliegen die Körper, aber man hat weder Schweiß auf der Stirn noch grübelt man über kombinierte Attacken. Zwar kann man „Gruppentaktiken“ deaktivieren und jeden der bis zu sechs Helden selbst steuern, aber wer sie aktiviert

Man kann vieles aus der Distanz erledigen: Magie und Projektile sind sehr nützlich, zumal sie fast nie von Fels & Co blockiert werden.
darf für diese gar keine eigenen Befehlsketten erstellen wie man das noch aus Neverwinter Nights kennt – also etwas wie „Nimm-bei-weniger-als-10-HP-einen-Heiltrank“ oder „Greife-Feinde-erst-aus-der-Distanz-an-und-ab-weniger-als-10-Hp-nutze-deinen-Nahkampf“. So ist man darauf angewiesen, dass da jeder automatisch das Richtige wählt, was natürlich nicht immer der Fall ist.

Auch die allgemeine Steuerung der Gruppe lässt zu wünschen übrig, weil man ständig die Kamera oder Laufwege nachjustieren muss. Und warum muss man, um einzelne Helden an verschiedene Positionen zu bewegen, nicht nur das Gruppenbewegungssymbol, sondern auch die Gruppentaktiken ausschalten? Immerhin gibt es mal Situationen mit Druckplatten, wo das nötig ist. Alles Interaktive wird ansonsten Blau markiert und es kann sich auch lohnen, den Spürsinn für Fallen oder Schlösser zu aktivieren, um diese zu entschärfen bzw. zu öffnen. Nur geht es meist darum, alles schnell zu plündern statt aufmerksam zu erkunden. Selbst in der Karawane, wo Händler um Gold feilschen, liegt es einfach so in Säcken und Kisten rum – ist klar.

Spielleiter-Modus für eigene Abenteuer

Im Spielleiter-Modus kann man eigene Dungeons und Gebiete erstellen - aber man hat zu wenig Optionen.
Falls euch die Lust an dieser vorgefertigten Kampagne vergeht, könnt ihr theoretisch selbst Hand anlegen und zum Dungeon Master avancieren. Aber praktisch macht auch das keinen Spaß, weil man zu wenig Möglichkeiten hat und nicht mal eigene korridore anlegen kann. Ältere Semester werden sich an Neverwinter Nights erinnern: Auch BioWare ermöglichte schon 2002 das freiere Erstellen komplexer Abenteuer über das Aurora Toolset. In Sword Coast Legends könnt ihr entweder halb vorgefertigte Module für eine eigene Kampagne zusammenklicken oder Kumpels durch zufallsgenerierte Dungeons hetzen, damit sie kooperativ metzeln und fette Beute machen können. In einer knappen halben Stunde könnt ihr "eigene" Szenarios anlegen. Hört sich gut an, ist aber eine Farce.

Falls ihr euch für Ersteres entscheidet, müsst ihr Handlungsorte, Charaktere, Quests und Feinde wählen. Es gibt übrigens tatsächlich keine Drachen in

Drachen? Gibt es nicht im Kreaturen-Baukasten.
diesem Dungeons&Dragons-Baukasten. Klingt komisch? Ist aber so. Und das Skurrile hört da noch nicht auf: Wenn ihr euch für eine Region wie „Dungeon“ oder „Gebiet“ entschieden habt, könnt ihr dort ggf. das Wetter von Regen bis Schnee sowie die Uhrzeit einstellen und zig kleine Objekte platzieren, die thematisch z.B. nach Banditenhöhlen, Duergar-Festungen bis hin zu Minen oder Kanalisation geordnet sind und von der Kiste bis zur Laterne zig Dekorationen anbieten. Aber ihr könnt tatsächlich weder selbst die Infrastruktur, also Wege, Abzweigungen und Räume, in einem Dungeon entwerfen noch eine Stadt bauen – mein selbst gezeichnetes Labyrinth kann ich nicht mal anlegen und der Baukasten hört vor den Toren auf? Das ist armselig!

Da wundert es einen auch nicht mehr, dass man bei den Quests nur aus den drei Standardaufgaben „Boss“, „Sammeln“ sowie „Feind besiegen“ wählen kann und beim Versuch eigene Aufgaben mit Dialogoptionen zu integrieren keine Werkzeuge findet. Also: Falls ihr schnelle einen „Dungeonlauf“ für bis zu vier Kumpels online anbieten wollt, ist der Spielleiter-Modus durchaus geeignet. Aber wer als Pen&Paper-Rollenspieler etwas mehr Tiefe, Freiheit oder auch nur die komplette Dunegons&Dragons-Fülle sucht, wird hier enttäuscht.

Fazit

Es gab mal eine Zeit, da war die Schwertküste ein Eldorado für Rollenspieler. Egal ob Baldur’s Gate, Neverwinter Nights oder Icewind Dale – ich habe viele vergnügliche Stunden mit dieser Fantasy verbracht. Aber wenn ich Sword Coast Legends spiele, muss ich ständig vor Langeweile gähnen oder genervt abwinken. Obwohl man mit Rassen, Klassen, Fähigkeiten, Zaubern sowie pausierbarem Kampf viele nostalgische Zutaten zur Verfügung hat und die Kulisse sogar ansehnlich ist, will angesichts der peinlichen Dialoge, stereotypen Quests sowie Taktik light einfach kein Spaß aufkommen. Interessante Charaktere, dynamische Beziehungen, Partyinteraktion? Zu weiten Teilen Fehlanzeige. Ich vermisse auch den Zauber und das edle Flair der Vergessenen Reiche. In Zeiten von Pillars of Eternity, Divinity: Original Sin oder auch The Age of Decadence wirkt diese Art von oberflächlichem Rollenspiel mit MMO-Flair einfach nur überflüssig – und wenn ich kooperativ mit einem Kumpel metzeln, leveln und sammeln will, spiel ich lieber Diablo 3. Da hilft auch der Editor nicht, mit dem man zwar recht flott eigene Dungeons und Gebiete ausstaffieren kann, aber angesichts vieler fehlender Kreaturen wie Drachen (!), fehlender Städte (!) sowie nur vorgefertigter Infrastruktur und beschränkter Questmöglichkeiten wird ein D&D-Spielleiter auch hier nur ernüchtert den Kopf schütteln.

Pro

ansehnliche Kulissen
originale Orte & Charaktere der Vergessen Welten
Kampagne mit Entscheidungen über Leben & Tod
bis zu vier Leute kooperativ
gute deutsche Textübersetzungen
eigene Abenteuer schnell zusammenklicken
mehrere Enden
drei Schwierigkeitsgrade

Kontra

D&D-Regelwerk nur oberflächlich berücksichtigt
schwache bis peinliche Dialoge
uninteressante bis nervige Charaktere
viele gewöhnliche Quests
nur eine Auswahl an D&D-Rassen & Klassen
Talente in Charakterentwicklung nicht frei
langweilige stereotype Geschichte
zu wenig Taktik im Kampf nötig
Zauber und Projektile durch Hindernisse
viel Baukasten-Charakter mit Copy&Paste
etwas fummelige Positions
& Kamerasteuerung
keine individuellen Aktionsketten erstellen
nicht mit Gefährten sprechen; keine Beziehung
einfach überall Gold sammeln, Kisten plündern
armseliger Spielleiter-Modus (keine Drachen, Städte etc.)
keine eigene Dungeon-Struktur designen
keine deutsche Sprachausgabe
nur ein Spielstand verfügbar

Wertung

PC

Schwache Story, nervige Charaktere, mehr Kloppmist als Taktik und ein Baukasten ohne Drachen und Städte? Nur wer ein wenig kooperativ metzeln will, könnte kurzfristig unterhalten werden.

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