Oriental Empires25.11.2017, Eike Cramer
Oriental Empires

Im Test: 4X-Strategie im alten China

Mit Oriental Empires (ab 5,14€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) wollen die Entwickler von Shining Pixel vor dem unverbrauchte Szenario des alten China die 4X-Mechanik von Civilization mit dem militärtaktischen Ansatz der Total-War-Reihe verbinden. Wie gut das Zusammenspiel funktioniert, klärt der Test.

Der Verrat!

 

„Das kann doch nicht sein Ernst sein?!“ hören mich die Kollegen im Büro fluchen. Gerade noch war ich in diesem Konflikt auf der sicheren Seite, auch wenn das Ausheben meiner Truppenverbände mächtig in die Staatskasse geschlagen hat. Dafür konnte ich mir aber immerhin der Unterstützung meines mächtigen Verbündeten sicher sein, der mir die Flanke decken und meinen Rückraum sichern würde. Dachte ich. Immerhin hatte ja gerade er mich zum Präventivschlag gegen die feindliche Armee ermuntert, die gegen Ende eines langjährigen Friedensvertrages mit einem anderen Nachbarn an meiner Grenze aufmarschiert war.

Und dann das! Verrat! Aufkündigung des Bündnisses! Mit einem traurigen „In diesem Krieg können wir euch leider nicht beistehen“ wird das mächtige Defensivbündnis zu einem reinen Waffenstilstand reduziert. Trotzig ziehe ich leicht angesäuert dennoch in die Schlacht. Doch das Ende der Freundschaft soll noch nicht alles gewesen sein: Während ich Schlacht auf Schlacht verliere und die Siedlungen an meiner Südgrenze in Flammen stehen, erklärt mir der verräterische Bastard ebenfalls den Krieg und verwandelt die Felder, Städte und versprengten Miliztruppen an meiner Westgrenze unter den Sandalen seiner Soldaten zu Staub. Und das als Dank für 80 Runden Waffenbrüderschaft!

Abgezockt und kaltherzig

 

Ungünstige Ausgangslage: Startet man mit den Shu, ist man von Feinden umzingelt.
Tatsächlich zeigt sich die künstliche Feindintelligenz von Oriental Empires schon auf dem normalen Schwierigkeitsgrad in vielen Situationen eiskalt und extrem abgezockt. So versuchten mich in einem anderen Spiel zwei Kontrahenten, mit denen ich jeweils ausgezeichnete Beziehungen pflegte, immer wieder in einen Krieg mit der anderen Seite zu verwickeln, da sich beide Fraktionen als etwa gleichstarke Kontrahenten gegenüberstanden. Allerdings weigerten sie sich beharrlich, ein Bündnis mit mir einzugehen – denn dann hätten sie ebenfalls teure Armeen ausheben und gegen den Feind schicken müssen, was allerdings anscheinend nicht in ihrem Sinne war. Stattdessen versuchten sie mich als verlängerten Arm zu nutzen, um die unliebsame Konkurrenz gleich auf zweifache Weise kleinzuhalten.

Ein derart strategisch ausgebufftes Vorgehen ist mir in Civilization oder auch Total War nur äußerst selten begegnet. Die Feinde ziehen geschickt Truppen an wenig befestigten Siedlungen zusammen, um Drohkulissen für Verhandlungen aufzubauen – etwa um brutale Tribute zu erpressen oder mir im Rahmen der Verhandlungen eines weiteren Nichtangriffspaktes gleich eine ganze Stadt gewaltlos abzunehmen, die sonst nur mit Gegenwehr hätte erobert werden können. Zudem ist sich die KI auch ihrer Schwäche bewusst; bin ich einem Kontrahenten militärisch überlegen, sind viele Verhandlungen deutlich einfacher und auch taktische Waffenstillstandsabkommen, etwa nach der gezielten Eroberung einzelner Siedlungen, können geschlossen werden.

Eher zweckmäßig als schön: Die Kulisse ist nicht ganz zeitgemäß.
Auch bei Oriental Empires ist die KI nicht über alle Zweifel erhaben, lässt sich zum Teil auf merkwürdige Abkommen ein oder verpasst es, eine militärische Übermacht ohne Skrupel bis zum bitteren Ende zu nutzen. Dennoch macht die Abgezocktheit der Computergegner richtig Spaß – und regt im besten 4X-Sinne unglaublich auf.

Civilization im alten China

 

Dabei bietet die Rundenstrategie im alten China im Kern kaum mehr als eine Variante der klassischen Civilization-Mechanik. Rundenweise errichte ich auf Hexfeldern Städte, baue diese mit Militäranlagen oder zivilen Gebäuden aus, achte auf Nahrungseinkommen, Bevölkerungswachstum, Zufriedenheit von Bauern und Adligen und versuche mit einem Verhandlungssystem, das nur unwesentlich mehr Möglichkeiten bietet als die der Konkurrenz, einen diplomatischen Vorteil zu erlangen. Jeder der einen Teil der Civ-Reihe gespielt hat, findet sich in kürzester Zeit zurecht, denn sowohl der Stadtausbau als auch der Fortschritt in der Forschung, die in vier Unterbereiche unterteilt ist, funktioniert sehr ähnlich. Unabhängige Städte oder  abwechslungsreiche Quests wie bei der Konkurrenz gibt es hier allerdings nicht. Es regiert einzig das 4X-Prinzip aus Erkundung, Kolonisierung, Ausbeutung und totalem Krieg, bei dem der Sieg allerdings auf verschiedene Weisen, darunter auch Kulturpunkte, erreicht werden kann.

Spannend ist das Ausheben von Armeen, die in Stapeln ähnlichen denen der Total-War-Reihe bewegt werden. Dieses kostet nämlich nur Geld und einen Pool von kampfbereiten Rekruten, der über Gebäude wie den Palast oder die Kaserne vergrößert werden kann. Zeit spielt bei der Mobilisierung von Truppen keine Rolle, sodass bei entsprechendem Füllstand der Staatskasse auch in bedrohten Städten schnell sehr große, im Unterhalt unfassbar teure Armeen hochgezogen werden können. Auf diese Weise fordert Oriental Empires weniger die Errichtung eines großen stehenden Heeres, sondern das Vorhalten eines Armee-Potentials, welches im Kriegsfall blitzartig mobilisiert werden kann. Das fordert ein Umdenken von der gewohnten Total-War-Mechanik und sorgt für eine gewisse Unwägbarkeit bei der Einschätzung der militärischen Stärke feindlicher Fraktionen.

Taktische Rundenschlachten

 

Sieht aus wie Total War vor zehn Jahren, spielt sich aber leider nicht so: Die Mechanik der Gefechte ist eher halbgar umgesetzt.
Auch die Kämpfe weichen deutlich von der Vorlage ab – hier kombinieren die Entwickler von Shining Pixels nämlich die Rundenmechanik von Civilization mit der epischen Heeresgröße von  Total War. Die Schlachten laufen zudem zwar automatisch ab, können aber mittels rudimentärer taktischer Vorgaben wie das Bilden von Schlachtreihen und Flankierungsmanövern im Vorfeld beeinflusst werden. Zudem beschränken sich die Scharmützel nicht nur auf ein einzelnes Hexfeld, sondern können auch mehrere Stapel sowie die weitere Umgebungen von Siedlungen einschließen.

Aufgrund der insgesamt eher schwachen Kulisse sind die Schlachten allerdings bestenfalls auf dem Niveau von Rome: Total War aus dem Jahre 2004. Zudem werden viele der taktischen Anweisungen nur halbherzig berücksichtig und es fehlt an übersichtlichen und detaillierten Rückmeldungen zum Erfolg einzelner Maßnahmen. So bleibt einem häufig nur übrig, den Angriffsbefehl zu erteilen und das Beste zu hoffen, zumal man nicht auf relevante strategische Änderungen auf dem Schlachtfeld reagieren kann – z.B. wenn weitere Truppen des Feindes auftauchen. Hier wäre ein Echtzeit-Kampfsystem im Stile eines Total War deutlich sinnvoller gewesen, denn so werden die guten Kampf-Ansätze schnell zu einer lästigen Pflichtübung.

Fehlende Übersicht

 

Ganz weit rausgezoomt: Diese Ansicht sieht man bei Oriental Empires am häufigsten.
Generell schweigt sich Oriental Empires zu sehr über wichtige Statistiken des Spielablaufs und des eigenen Imperiums aus oder versteckt sie hinter Mouseover-Einblendungen, die pixelgenau angesteuert werden müssen. So kann ich z.B. nur sehen wie wertvoll eine Handelsroute genau ist, wenn ich mit der Maus darüber verweile – wieso kann ich mir das nicht in einem Untermenü der jeweiligen Stadt differenziert und präzise aufschlüsseln lassen? Auch fehlt es an einer visuellen Rückmeldung, welche Städte und Zielhäfen mit einer Handelsroute verbunden werden, wenn ich einen Hafen an der Küste errichte. Hätte man da nicht einfach einen grafischen Hinweis einbauen können?

Auch über wichtige Informationen wie die notwendigen Gesamt-Siegpunkte oder die Stärke der Kultur gibt es entweder keine Angaben oder man zeigt sie in winzigen Zahlen am Bildschirmrand, während man bei der Auschlüssung der Unzufriedenheit bestimmter Bevölkerungsgruppen große Anteile hinter kryptischen Begriffen wie „lokale Gegebenheiten“ versteckt, die mir bei der Behebung der Probleme in etwa genauso viel helfen wie ein eingeblendetes „Deal with it“.

Ähnliche Einheiten, gigantisches China

 

Das ist schade, denn  im Kern funktioniert die aufs Wesentliche reduzierte 4X-Spielmechanik so gut wie eh und je. Die gigantische, zum Start hinter Kriegsnebel verborgene China-Karte, auf der die großen Feldzüge stattfinden, ist nicht zufallsgeneriert, sodass man einerseits nach mehreren Partien ein gutes Gefühl für die Verteilung von Ressourcen, Flüssen und Gebirgen bekommt und andererseits mit jeder der 15 Fraktionen einen festen Startpunkt zugewiesen bekommt, der Stärken und Schwächen der verschiedenen Nomadenstämme, Barbaren-Völker und Zivilisationen betont. So haben z.B. die an der Küste startenden Wu einen Vorteil  beim Schiffbau, während die in Zentral-China beginnenden Shang einen Vorteil im Eintwicklungsstrang „Macht“ haben.

Aufgeräumt: Der Forschungsbaum bietet Errungenschaften in vier Kategorien, aufgeteilt auf drei Zeitabschnitte.
Zwar sind die Einheiten der Fraktionen weitestgehend ähnlich, tatsächlich bietet das auf den ersten Blick eingeschränkt wirkende Szenario, das die chinesische Kultur von der Bronzezeit (ca. 1500 v. Chr.) bis zur flächendeckenden Verbreitung des Schießpulvers (ca. 1500 n. Chr.) abbildet, erstaunlich viel Abwechslung. Wem die China-Karte nicht reicht, der kann im Modus „Eigenes Spiel“ zudem auf weitere Kartenvariationen zugreifen, darunter Inselkontinente oder zentrale Seen. Zudem sind alle Varianten auch im Multiplayer spielbar.  

Fazit

Nur noch diese eine Runde! Oriental Empires hat mich mit seiner auf das Wesentliche des 4X-Kerns reduzierten Spielmechanik voll erwischt. Siedlungen bauen, Gebäude errichten, Handel, Kampf, Forschung – all das funktioniert im alten China genauso wunderbar wie bei der Civilization-Konkurrenz. Dazu kommt eine herrlich abgezockte, eiskalt vorgehende KI, die zwar im Detail auch leichte Fehler begeht, insgesamt aber vor allem auf diplomatischer Seite skrupellos taktiert und den Spieler gerne als verlängerten Arm nutzt. Schade ist, dass gerade die fade inszenierten Schlachten aufgrund des halbgaren Mittelweges der planbaren Automatik schnell zu einem lästigen Wegklick-Faktor werden. Zudem verstecken sich zu viele spielrelevante Statistiken hinter Aufklappmenüs, die pixelgenau angesteuert werden müssen. Dennoch: Dieser 4X-Ausflug in das alte China zwischen Bronzezeit und Kaiserreich macht trotz seiner Fehler richtig Spaß.

Pro

unverbrauchtes Szenario
15 Fraktionen
gigantische, nicht zufallsgenerierte Kampagnenkarte
abgezockte, eiskalte KI
Gute 4X-Mechanik

Kontra

unausgegorenes Kampfsystem
gnadenlos veraltete Kulisse
nerviger Soundtrack
sehr ähnliche Einheiten der Fraktionen
unübersichtliche Statistiken

Wertung

PC

4X-Underdog im alten China: Vor allem die abgezockte KI macht die Kampagne zu einem spannenden Geheimtipp für Strategen.

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