Im Test: 4X-Strategie im alten China
Der Verrat!
„Das kann doch nicht sein Ernst sein?!“ hören mich die Kollegen im Büro fluchen. Gerade noch war ich in diesem Konflikt auf der sicheren Seite, auch wenn das Ausheben meiner Truppenverbände mächtig in die Staatskasse geschlagen hat. Dafür konnte ich mir aber immerhin der Unterstützung meines mächtigen Verbündeten sicher sein, der mir die Flanke decken und meinen Rückraum sichern würde. Dachte ich. Immerhin hatte ja gerade er mich zum Präventivschlag gegen die feindliche Armee ermuntert, die gegen Ende eines langjährigen Friedensvertrages mit einem anderen Nachbarn an meiner Grenze aufmarschiert war.
Und dann das! Verrat! Aufkündigung des Bündnisses! Mit einem traurigen „In diesem Krieg können wir euch leider nicht beistehen“ wird das mächtige Defensivbündnis zu einem reinen Waffenstilstand reduziert. Trotzig ziehe ich leicht angesäuert dennoch in die Schlacht. Doch das Ende der Freundschaft soll noch nicht alles gewesen sein: Während ich Schlacht auf Schlacht verliere und die Siedlungen an meiner Südgrenze in Flammen stehen, erklärt mir der verräterische Bastard ebenfalls den Krieg und verwandelt die Felder, Städte und versprengten Miliztruppen an meiner Westgrenze unter den Sandalen seiner Soldaten zu Staub. Und das als Dank für 80 Runden Waffenbrüderschaft!
Abgezockt und kaltherzig
Ein derart strategisch ausgebufftes Vorgehen ist mir in Civilization oder auch Total War nur äußerst selten begegnet. Die Feinde ziehen geschickt Truppen an wenig befestigten Siedlungen zusammen, um Drohkulissen für Verhandlungen aufzubauen – etwa um brutale Tribute zu erpressen oder mir im Rahmen der Verhandlungen eines weiteren Nichtangriffspaktes gleich eine ganze Stadt gewaltlos abzunehmen, die sonst nur mit Gegenwehr hätte erobert werden können. Zudem ist sich die KI auch ihrer Schwäche bewusst; bin ich einem Kontrahenten militärisch überlegen, sind viele Verhandlungen deutlich einfacher und auch taktische Waffenstillstandsabkommen, etwa nach der gezielten Eroberung einzelner Siedlungen, können geschlossen werden.
Civilization im alten China
Dabei bietet die Rundenstrategie im alten China im Kern kaum mehr als eine Variante der klassischen Civilization-Mechanik. Rundenweise errichte ich auf Hexfeldern Städte, baue diese mit Militäranlagen oder zivilen Gebäuden aus, achte auf Nahrungseinkommen, Bevölkerungswachstum, Zufriedenheit von Bauern und Adligen und versuche mit einem Verhandlungssystem, das nur unwesentlich mehr Möglichkeiten bietet als die der Konkurrenz, einen diplomatischen Vorteil zu erlangen. Jeder der einen Teil der Civ-Reihe gespielt hat, findet sich in kürzester Zeit zurecht, denn sowohl der Stadtausbau als auch der Fortschritt in der Forschung, die in vier Unterbereiche unterteilt ist, funktioniert sehr ähnlich. Unabhängige Städte oder abwechslungsreiche Quests wie bei der Konkurrenz gibt es hier allerdings nicht. Es regiert einzig das 4X-Prinzip aus Erkundung, Kolonisierung, Ausbeutung und totalem Krieg, bei dem der Sieg allerdings auf verschiedene Weisen, darunter auch Kulturpunkte, erreicht werden kann.
Spannend ist das Ausheben von Armeen, die in Stapeln ähnlichen denen der Total-War-Reihe bewegt werden. Dieses kostet nämlich nur Geld und einen Pool von kampfbereiten Rekruten, der über Gebäude wie den Palast oder die Kaserne vergrößert werden kann. Zeit spielt bei der Mobilisierung von Truppen keine Rolle, sodass bei entsprechendem Füllstand der Staatskasse auch in bedrohten Städten schnell sehr große, im Unterhalt unfassbar teure Armeen hochgezogen werden können. Auf diese Weise fordert Oriental Empires weniger die Errichtung eines großen stehenden Heeres, sondern das Vorhalten eines Armee-Potentials, welches im Kriegsfall blitzartig mobilisiert werden kann. Das fordert ein Umdenken von der gewohnten Total-War-Mechanik und sorgt für eine gewisse Unwägbarkeit bei der Einschätzung der militärischen Stärke feindlicher Fraktionen.
Taktische Rundenschlachten
Aufgrund der insgesamt eher schwachen Kulisse sind die Schlachten allerdings bestenfalls auf dem Niveau von Rome: Total War aus dem Jahre 2004. Zudem werden viele der taktischen Anweisungen nur halbherzig berücksichtig und es fehlt an übersichtlichen und detaillierten Rückmeldungen zum Erfolg einzelner Maßnahmen. So bleibt einem häufig nur übrig, den Angriffsbefehl zu erteilen und das Beste zu hoffen, zumal man nicht auf relevante strategische Änderungen auf dem Schlachtfeld reagieren kann – z.B. wenn weitere Truppen des Feindes auftauchen. Hier wäre ein Echtzeit-Kampfsystem im Stile eines Total War deutlich sinnvoller gewesen, denn so werden die guten Kampf-Ansätze schnell zu einer lästigen Pflichtübung.
Fehlende Übersicht
Auch über wichtige Informationen wie die notwendigen Gesamt-Siegpunkte oder die Stärke der Kultur gibt es entweder keine Angaben oder man zeigt sie in winzigen Zahlen am Bildschirmrand, während man bei der Auschlüssung der Unzufriedenheit bestimmter Bevölkerungsgruppen große Anteile hinter kryptischen Begriffen wie „lokale Gegebenheiten“ versteckt, die mir bei der Behebung der Probleme in etwa genauso viel helfen wie ein eingeblendetes „Deal with it“.
Ähnliche Einheiten, gigantisches China
Das ist schade, denn im Kern funktioniert die aufs Wesentliche reduzierte 4X-Spielmechanik so gut wie eh und je. Die gigantische, zum Start hinter Kriegsnebel verborgene China-Karte, auf der die großen Feldzüge stattfinden, ist nicht zufallsgeneriert, sodass man einerseits nach mehreren Partien ein gutes Gefühl für die Verteilung von Ressourcen, Flüssen und Gebirgen bekommt und andererseits mit jeder der 15 Fraktionen einen festen Startpunkt zugewiesen bekommt, der Stärken und Schwächen der verschiedenen Nomadenstämme, Barbaren-Völker und Zivilisationen betont. So haben z.B. die an der Küste startenden Wu einen Vorteil beim Schiffbau, während die in Zentral-China beginnenden Shang einen Vorteil im Eintwicklungsstrang „Macht“ haben.
Fazit
Nur noch diese eine Runde! Oriental Empires hat mich mit seiner auf das Wesentliche des 4X-Kerns reduzierten Spielmechanik voll erwischt. Siedlungen bauen, Gebäude errichten, Handel, Kampf, Forschung – all das funktioniert im alten China genauso wunderbar wie bei der Civilization-Konkurrenz. Dazu kommt eine herrlich abgezockte, eiskalt vorgehende KI, die zwar im Detail auch leichte Fehler begeht, insgesamt aber vor allem auf diplomatischer Seite skrupellos taktiert und den Spieler gerne als verlängerten Arm nutzt. Schade ist, dass gerade die fade inszenierten Schlachten aufgrund des halbgaren Mittelweges der planbaren Automatik schnell zu einem lästigen Wegklick-Faktor werden. Zudem verstecken sich zu viele spielrelevante Statistiken hinter Aufklappmenüs, die pixelgenau angesteuert werden müssen. Dennoch: Dieser 4X-Ausflug in das alte China zwischen Bronzezeit und Kaiserreich macht trotz seiner Fehler richtig Spaß.
Pro
Kontra
Wertung
PC
4X-Underdog im alten China: Vor allem die abgezockte KI macht die Kampagne zu einem spannenden Geheimtipp für Strategen.
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