South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe18.10.2017, Mathias Oertel
South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe

Im Test: Darmwinde mit Abnutzungserscheinungen

Mit South Park: Der Stab der Wahrheit gelang den Rollenspiel-Spezialisten von Obisidian ein kleines und vor allem unerwartetes Meisterwerk. Der politisch herrlich inkorrekte Ausflug in den Wohnort von Cartman, Kenny & Co konnte 2014 sogar unseren Award als Rollenspiel des Jahres einheimsen. Jetzt steht mit "Die rektakuläre Zerreißprobe" die Fortsetzung ins Haus - mehr dazu im Test.

Anschluss-Furz

Die rektakuläre Zerreißprobe, eine stark bemühte Lokalisierung des zweideutigen Originaltitels The Fractured But Whole, beginnt dort, wo Der Stab der Wahrheit aufhört. Der Kampf der South-Park-Kids um das merkwürdige Artefakt  in einem Live-Rollenspiel ist in vollem Gang. Und der Spieler ist in der Rolle des namenlosen sowie stummen "Neuen Kinds" wieder mittendrin. Doch Cartman, der im Vorgänger als mächtiger Zauberer agierte, hat plötzlich andere Ideen. Eine Katze wurde vermisst gemeldet und er sieht im Finderlohn die Chance, seinem Superhelden-Franchise "Coon & Friends", für das er bereits haufenweise Film- und Serienpläne ausgearbeitet hat, den nötigen Startschub zu geben. Dumm nur, dass nicht alle seiner Freunde seiner Planung zustimmen. Mit den "Freedom Pals" wird analog zum "Superhelden-Krieg" zwischen Marvel und DC Comics ein zweites Franchise etabliert. Und dass am Ende dieser Auseinandersetzungen kaum ein Stein in South Park auf dem anderen bleibt, ist nahezu unausweichlich.

Das auf ein Bewegungsraster setzende Kampfsystem ist gegenüber der "statischen" Auseinandersetzungen des Vorgängers ein klarer Fortschritt.

Ebenso unausweichlich ist die politische Inkorrektheit, die sich auch in diesem Helden-Rollenspiel dank der Mitarbeit der Serienschöpfer Matt Stone sowie Trey Parker manifestiert. Die beiden leihen nicht nur den meisten Protagonisten ihre Stimme, sondern sind maßgeblich am Drehbuch beteiligt. Das wiederum bedeutet, es wird geflucht, gesoffen, gekifft, sich über Rassendiskriminierung, Ereignisse der Popkultur, Superhelden im Allgemeinen wie Speziellen und vieles mehr lustig gemacht. Sex ist in South Park natürlich ebenfalls kein Tabuthema, was auch in der ständig auf den neuesten Stand gebrachten Hintergrundgeschichte des Helden eine zentrale Rolle spielt. Und wer die Serie kennt, weiß, dass auch nicht mit Fäkalhumor gespart wird, wenn es Sinn ergibt. Dementsprechend muss man auch hier gelegentlich einen starken Magen mitbringen – sowohl was die akustische als auch die visuelle Seite von Darmentleerungen in fester als auch Gasform betrifft. Denn wie schon im Vorgänger sind Fürze das Spezialgebiet des Helden, wobei sie hier massiv ausgebaut werden und nicht nur für Sonderaktionen genutzt werden, die einem helfen, neue Gebiete in der weitgehend offenen Stadt zu erreichen, sondern dank der Mithilfe von Morgan Freeman (!) und seines Taco-Shops (!!) sogar die Zeit manipulieren können.

Kleiner Furz, große Wirkung

Natürlich wird beim typischen Humor auch nicht vor Religion, Sex oder der Kombination von beidem Halt gemacht.

Doch eins nach dem anderen: Bevor man sich mit seinen Darmwinden zum Retter von South Park aufschwingt und einer ganzen Reihe an Verschwörungen auf die Schliche kommt, muss man kleine Brötchen backen. Um am Spiel von Cartman teilnehmen zu können, muss man sich erst einmal auf eine Klasse festlegen, von denen anfangs drei zur Verfügung stehen, später aber noch einige weitere hinzukommen. An bestimmten Stellen im Spiel kann man weitere Klassen auswählen und dann die dadurch gewonnenen Fähigkeiten aus allen zur Verfügung stehenden frei auswählen. Allerdings darf man nur drei Standardfähigkeiten sowie eine Super-Attacke mit ins Gefecht nehmen, so dass man taktisch planen und auch einbeziehen sollte, welche drei anderen Helden man mit in sein Team nimmt, um die zahlreichen Kämpfe siegreich zu gestalten. Diese sind übrigens deutlich taktischer geprägt als im Vorgänger, da es mittlerweile ein Feldraster gibt, auf dem man sich rundenweise bewegt. Zusätzlich verfügen die Fähigkeiten aller Helden sowie die der Gegner über eine bestimmte Reichweite sowie ggf. Bereichsschaden oder Schaden über Zeit und können die Position der Figuren verändern, was für den nächsten Zug wichtig werden könnte. Mit diesem Raster sowie zahlreichen Variationen von Siegbedingungen oder Einflüssen auf dem Schlachtfeld wie explodierenden Fässern oder der Vorgabe, einfach nur entkommen zu müssen, macht man im Vergleich zum weitgehend statischen Kampf des Vorgängers einen Quantensprung.

Call Girl ist eine der interessantesten Helden-Figuren in der rektakulären Zerreißprobe.

Man muss nicht nur die Zugreihenfolge beachten, sondern auch Wechselwirkungen einkalkulieren. Und spätestens, wenn bestimmte Felder nach Ablauf eines Zuges Schaden verursachen, beginnt man zu überlegen, ob es vielleicht mehr Sinn ergibt, mit dieser oder jener Figur einen Zug auszusetzen oder die Gegenstände zu verwenden, die von Lebensmitteln zur Heilung oder Wiederbelebung bis hin zu Smart Bombs reichen – natürlich alle mit South-Park-Flair wie die Allheilung von Moses oder der MG-Angriff von Jimbo und Ned. Die Teamzusammenstellung und damit auch die Wahl der zur Verfügung stehenden Superangriffe bzw. Heil- oder Schutzaktionen spielt eine noch größere Rolle. Und mit insgesamt zwölf zur Verfügung stehenden Superhelden wie Coon (Cartman), Mysterio (Kenny mit einer herrlich an Christian Bales Batman erinnernden Düsterstimme) oder Moskito (Clyde) hat man eine breite Auswahl. Allerdings lässt man trotz des riesigen Fortschritts auch noch viel ungenutztes taktisches Potenzial liegen. Sichtlinien spielen hier keine Rolle und auch auf Höhenunterschiede muss man verzichten. Beides im übrigen Elemente, die in einem anderen Titel von Ubisoft (Mario + Rabbids: Kingdom Battle) dafür sorgten, dass die Gefechte eine zusätzliche spannende Komponente bekamen und deren Fehlen auch nicht von den innerhalb der Fähigkeiten variierenden Möglichkeiten kompensiert werden können, den Schaden durch Reaktionsspiele zu verstärken bzw. abzuschwächen.

Artefakte statt klassischer Ausrüstung

Konnte man im Vorgänger noch ganz klassisch Ausrüstung anlegen, die teilweise die Charakterwerte verstärkte oder gegen bestimmte Effekte schützte, setzt man hier auf so genannte Artefakte. Acht dieser wertvollen und im Rahmen des simplen Crafting-System herstellbaren Gegenstände kann man anlegen. Mit ihnen wird nicht nur die Stärke der für das gesamte Team geltenden „Macht“ definiert, sondern auch Teamboni wie kritischer Schaden oder Bonusgesundheit für die begeleitenden Helden beeinflusst. Zusätzlich steht ein DNA-Slot zur Verfügung, mit dem man die fünf Charakterwerte manipulieren kann. Doch das klingt letztlich spannender und vielfältiger als es ist. Denn so gut die Idee grundsätzlich umgesetzt ist und das System des Vorgängers ablöst, war der konservative Einsatz von Kostümen bzw. Waffen mit Werten unter dem Strich spannender. Denn hier hat man darauf verzichtet, den zig zu findenden oder ebenfalls im Crafting-System zur Verfügung stehenden Heldenklamotten den Charakter unterstützende Werte hinzuzufügen – sie nehmen allesamt nur kosmetische Veränderungen vor. Ich verstehe zwar den ideellen Sinn dahinter, dass man ungeachtet der Hautfarbe oder der Klamotten ein Held sein kann und sowohl seine ethnischen als auch religiösen, geschlechtlichen Einstellungen frei vornehmen und eigentlich jederzeit ändern kann.

Anfangs kann man aus drei Klassen auswählen - später kommen noch einige dazu.

Spielerisch hingegen hat man eine große Chance ausgelassen, die die Entwickler hinsichtlich der ordentlichen Balance vor neue Herausforderungen gestellt hätte. Wie viel cooler wäre es gewesen, wenn die Entscheidungen tatsächlich Auswirkungen nach sich ziehen würden, anstatt nur für einen minimal geänderten Dialog vor einem weiteren Kampf genutzt zu werden? Hier ist es am ehesten zu spüren, dass am Vorgänger, der seinerzeit noch als THQ-Produktion begonnen wurde, bevor er nach der THQ-Demission bei Ubisoft landete, mit Obsidian ein erfahrenes Rollenspiel-Team für die Entwicklung verantwortlich war. Denn auch wenn der Kampf nicht die Tiefe von der rektakulären  Zerreißprobe erreicht, waren die anderen Elemente besser miteinander verzahnt. Zusammen mit dem unnachahmlichen, politisch inkorrekten sowie herrlich anarchistischem Humor konnte sich Der Stab der Wahrheit nicht nur unseren Gold-Award sichern. Hier ist allerdings so, dass sowohl das Crafting-System als auch die Helden-Verbesserung und selbst das Drehbuch nicht kohärent zusammengefügt wurden. Vieles ist diffus oder unwichtig wie die Herstellung minderwertiger Artefakte, die nur dafür da sind, den „Crafting-Level“ aufzuwerten.

Sporadisch witzig

Das Crafting-System bietet viel, ist aber unter dem Strich sehr oberflächlich und einer der großen Schwachpunkte.

Dies ist vor allem hinsichtlich des Drehbuchs schade, das in der ersten Spielhälfte dramaturgisch entweder zu viele Pausen eingelegt, dann wieder hetzt oder den Konflikt der Superheldengruppen nicht zentral genug behandelt, während coole Figuren wie "Call Girl" oder "Tupperware" nicht ausreichend beleuchtet werden. In der zweiten Spielhälfte legt man in dieser Hinsicht zwar deutlich zu und inszeniert spannendere sowie hinsichtlich der Dialoge deutlich witzigere Situationen. Doch da auch die Schauplätze nicht so variantenreich sind wie in Der Stab der Wahrheit, schafft man es nicht, am Vorgänger vorbei zu ziehen.

Das wiederum gelingt mit den Umgebungsrätseln, die in erster Linie mit den Fürzen verbunden sind: Man kann sich z.B. auf Captain Diabetes setzen und ihm die Darmwinde ins Gesicht blasen, um einen Insulinschub zu induzieren, mit dessen Hilfe man schwere Hindernisse aus dem Weg räumen kann. Oder man lässt sich von Professor Chaos einen Hamster in den Hintern schieben, um ihn auf Stromkabel abzufeuern, damit ein Kurzschluss ausgelöst wird, der Schalter und Türen betätigt, die neue Areale freigeben. Lavasteine, Säureflüsse oder höhere Gebiete lassen sich ebenfalls über Furzhilfen und die Mitarbeit von Toolshed oder Human Kite aus dem Weg räumen bzw. überbrücken.

Zwar bietet man weder klassische Sichtlinien noch Höhenunterschiede, dennoch bietet das Kampfsystem mit seinen wechselnden Siegbedingungen oder Umgebungseinflüssen genug Abwechslung.

Allerdings hat man sich trotz des nur selten in Gefahr geratenden Humors daran auch irgendwann satt gesehen – vor allem, da meist nur irgendwelcher Sammelkram in den dahinter liegenden Räumen und Gebieten zu finden ist, der nur Komplettierer wirklich interessieren dürfte. Von Zeit zu Zeit wird es zwar auch nötig, seine Spezialfürze wie den Tag-/Nachtwechsel, Zeitreise oder das Pausieren der Welt einzusetzen, um Hindernisse gefahrlos zu überqueren oder die Story voranzubringen. Doch das passiert leider zu selten. Darüber hinaus nutzt man auch South Park im Allgemeinen zu wenig für witzige Situationen. Man findet zwar immer wieder gute Ideen wie die Kämpfe, die von allen Teilnehmern pausiert werden, während man ein Auto passieren lässt. Und natürlich kann man in den zahlreichen Shops und Gebäuden punktuell interessante Situationen oder Gespräche miterleben. Doch Momente, in denen man wie im Vorgänger wegen einer kleinen, aber sehr effektiv eingesetzten Punch-Line oder Entdeckung lauthals losprustete, findet man hier deutlich seltener.

Fazit

Wenn man South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe mit einer Phrase kennzeichnen möchte, ist es "ungenutztes Potenzial" – vor allem angesichts der Standards, die der bei uns mit Gold ausgezeichnete Vorgänger setzen konnte. Hinsichtlich des taktischen Kampfsystems ziehen die Superhelden um Coon, Mysterio & Co zwar spielend einfach an ihren Fantasy-Vorgängern vorbei, doch im Umfeld lässt man zu viele Chancen ungenutzt, um unter dem Strich die Qualität von Der Stab der Wahrheit zu erreichen. Der Humor bietet in seinen besten Momenten mit all seinen Flüchen, Sex, Fäkalsprache, Furzorgien oder Gewalt all das, was man von Trey Parker und Matt Stone erwartet. Und das 1:1 der Serie entsprechende Artdesign ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Doch es gibt auch überraschend viel inhaltlichen Leerlauf, während sich im letzten erzählerisch Gas gebenden Drittel eine mechanische Redundanz breit macht. Hier hätte evtl. ein besseres Crafting-System Wunder gewirkt. Doch genau an diesem Punkt werden die Schwächen der Beliebigkeit ausstrahlenden Gegenstandsherstellung offenbart. Fans der Serie werden trotzdem auf ihre Kosten kommen. Und unter dem Strich ist der Titel als derzeit "Zweitbestes South-Park-Spiel aller Zeiten" sicherlich etwas, auf das Coon, Call Girl und Toolshed stolz sein können.

Pro

hervorragendes Artdesign, das der Serie absolut gerecht wird
rundenbasiertes, taktisches sowie semiaktives Kampfsystem auf Bewegungsraster
Kämpfe mit ständig neuen Siegbedingungen und Umgebungseinflüssen
begleitendes Team lässt sich aus zwölf Helden zusammenstellen
typischer, politisch inkorrekter Anarcho-Humor
sehr gute deutsche Lokalisierung
englische Sprachversion inklusive
enorme Personalisierungsmöglichkeiten bis hin zu Religion, Ethnizität oder Geschlechtdefinition
passable Umgebungsrätsel

Kontra

schwaches Crafting-System
immer wieder inhaltlicher Leerlauf
Helden-Thema wird vor allem in der Anfangsphase nicht ausgereizt
Kostüme ohne Werte
Kampfsystem ohne Sichtlinien oder Höhenunterschiede
Furzwitz nutzt sich auf Dauer ab

Wertung

PlayStation4

Beim Kampfsystem hat man einen großen Schritt nach vorne gemacht, doch in vielen anderen Bereichen scheitert man mitunter denkbar knapp, um den exzellenten Vorgänger zu überholen.

PC

Beim Kampfsystem hat man einen großen Schritt nach vorne gemacht, doch in vielen anderen Bereichen scheitert man mitunter denkbar knapp, um den exzellenten Vorgänger zu überholen.

XboxOne

Beim Kampfsystem hat man einen großen Schritt nach vorne gemacht, doch in vielen anderen Bereichen scheitert man mitunter denkbar knapp, um den exzellenten Vorgänger zu überholen..

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