1979 Revolution: Black Friday13.04.2016, Benjamin Schmädig

Im Test: Historischer Polit-Thriller

"Ein besonderer Dank an alle, die an der Entwicklung beteiligt waren und deren Namen anonym bleiben müssen." Diese Widmung sagt viel über das Spiel von Navid Khonsari: ein historischer Polit-Thriller um die Sprengkraft der Islamischen Revolution im Iran Ende der 70er Jahre. Eine interaktive Erzählung im Stil von The Walking Dead und Life is Strange. Eine hervorragend geschriebene Zeitreise jenseits trivialer Schwarzweißmalerei. 1979 Revolution: Black Friday offenbart im Test, welche erzählerische Stärke in Videospielen schlummert!

Historische Zeitreise

1978 rebellierte das iranische Volk. Die Proteste richteten sich gegen den Monarchen Mohammad Reza Pahlavi, der ein Jahr später schließlich abgesetzt wurde. Doch damit war die Geschichte der Revolution längst nicht beendet. Denn der politische und religiöse Revolutionsführer, das spätere Staatsoberhaupt Ruhollah Chomeini, setzte seine Idee einer Islamischen Republik mithilfe von Gewalt um...

Wir schreiben das Jahr 1980. Der etwa 20-jährige Reza Shirazi wird verhaftet und in dem berüchtigten Evin-Gefängnis verhört. Er soll Anschläge gegen Chomeinis System verübt haben – dabei spielte der angehende

1979 Revolution beginnt mit der Verhaftung des Fotografen Reza Shirazi...
Journalist und Fotograf eine wichtige Rolle während der Revolution, mit der Chomeini an die Macht kam. In Rückblenden erzählt 1979 Revolution also Rezas fiktive Geschichte, eingebettet in die wahrheitsgemäße Darstellung des historischen Konflikts.

Besser als Life is Strange

Autor und Regisseur Navid Khonsari stammt selbst aus dem Iran. Seine Familie floh Ende der 70er Jahre nach Kanada, doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Und nachdem er an Max Payne und Grand Theft Auto beteiligt war und mit seinem Studio Ink Stories die Filmszenen zahlreicher Spiele inszenierte, widmet er sich jetzt als federführender Spielemacher der Geschichte seiner Heimat.

Er tut das im Stil der Telltale-Abenteuer; seine Inszenierung ähnelt dem im vergangenen Jahr erschienenen Life is Strange. Besser als die Figuren des Teenager-Dramas reden seine Charaktere dabei nicht nur meist am Fleck, sondern heben Gegenstände auf, berühren sich, kämpfen miteinander oder rempeln sich freundschaftlich an.

Entscheidungen in einer festen Vergangenheit

Richtungsweisend ist gleich die erste lange Szene, in der Reza von einem skrupellosen Wächter verhört wird: Warum der Fotograf die Seiten gewechselt hat, will der "Schlächter von Evin" wissen, dessen Darstellung auf einer realen Person beruht. Rezas Bilder waren wichtig für den Sturz des Schahs, also des einstigen Monarchen, doch was hat ihn zum Gegner der neuen Regierung gemacht? Er kann sich dem Verhör widersetzen, den angebotenen Tee

... der in Rückblenden die Geschichte der Islamischen Revolution erzählt.
ausschlagen, die Akten vom Tisch fegen, Folge leisten oder schweigen. Er kann ein Geständnis selbst dann noch verweigern, wenn sein Peiniger einen Mithäftling bedroht...

Die Geschichte ist natürlich vorgezeichnet, zumal in Erinnerungen erzählt, und spielt nur während vier Verhörszenen in der Jetztzeit des Spiels. In welchen Bahnen die Handlung verzweigt, bestimmen allerdings Rezas Antworten in zahlreichen Unterhaltungen, oft Gewissenskonflikte und Entscheidungen für oder gegen die Standpunkte verschiedener Personen. Mehrmals hat man im Namen des Protagonisten etwa die Wahl, ob er mit Gewalt eingreift, wenn Regierungstruppen auf brutale Weise friedliche Demonstrationen auflösen. Gewalt und die Frage, ob Widerstand überhaupt notwendig ist, sind zentrale Themen. Immer wieder streiten sich die Revolutionäre über das Anwenden oder Unterlassen gewaltsamer Aktionen und Reza kann Stellung beziehen oder seine Stimme enthalten.

Die Schönheit und Schwere des Iran

Hervorragend gelingen Khonsari dabei nicht nur glaubwürdige Dialoge, mühelos umschifft er auch eindimensionale Banalisierungen. Jede Figur spiegelt natürlich einen bestimmten Aspekt des Konflikts wider – aber nie als einfältiger Stichpunktgeber, sondern immer mit plausiblen Gründen und als Person mit einer vielschichtigen Vergangenheit. Ebenso zwangsläufig wie nachvollziehbar gerät Reza in einen Konflikt aus Freundschaft, Familie und Überzeugung.

Ein aufwändiges Bild zeichnet der Spielemacher auch vom wichtigsten Gegenstand seines Werks, dem Iran: Vom Tee als Geste der Begrüßung sowie der Bedeutung sie auszuschlagen über prägende Filme bis hin zu den problematischen Beziehungen mit den USA stellt Khonsari eine Welt vor, die den meisten seiner Spieler zuvor wohl unbekannt war. Wenn Reza gemeinsam mit seinen Mitstreitern betet, gelingt ihm eine ebenso unaufgeregte wie eindringliche Darstellung des Islams als Bestandteil des iranischen Alltags. Und im Detail hebt er natürlich die

Autor und Regisseur Navid Khonsari stellt seine Heimat, den Iran, ausführlich vor.
Besonderheiten der Aufstände vor. Dazu zählen die "Walking Dead", die sich Fotos ermordeter Revolutionäre an die Kleider hefteten, oder heimlich verkaufte Tonbänder, auf denen geistliche und intellektuelle Führer zum Widerstand aufriefen.

Frontal statt interaktiv

Nur das nahtlose Zusammenführen von Erzählung und Wissensvermittlung gelingt dem Regisseur nicht. Denn obwohl weiterführende Informationen in einem Tagebuch abgelegt werden, wo man sie komplett ignorieren könnte, leistet Khonsari in einigen Szenen ermüdenden Frontalunterricht. Wenn Reza außerhalb der Dialoge nämlich einen Schauplatz frei erkunden darf, schiebt man ihn von einem Informationssymbol zum nächsten, um Fakten abzugreifen. Oft muss man dort Fotos z.B. der Menschenaufläufe knipsen, dennoch ist das Wissenswerte nicht in die Geschichte eingebettet, sondern wird über weite Strecken außerhalb der Erzählung wie ein Stapel Ordner aufgetischt.

Dontnod (Life is Strange) verknüpfte Hintergrundwissen mit Rätseln, dem zentralen Manipulieren der Zeit und dem Sammeln optionaler, später mitunter wichtiger Informationen – solche Verbindungen fehlen 1979 Revolution. Und wie

Am Ende des Spiels wird übrigens nicht klar sein, was Reza zu einem gewaltbereiten Terroristen machte, denn obwohl 1979 Revolution ein in sich geschlossenes Kapitel erzählt, ist es als erster Teil einer Serie konzipiert. Auf Steam bestätigten die Entwickler, dass Fortsetzungen möglich sind.
gut hätte es dem Spiel getan, wenn Reza auch ruhige Minuten erleben würde, in denen er sich hinsetzen und ähnlich wie Max in Life is Strange die Ereignisse Revue passieren lassen könnte!

Und auch das ist eine Schwäche seines Spiels: Mitunter wirken die sehr kurzen Kapitel wie Stichpunkte, aus dem Zusammenhang gerissen. Überdeutlich dient jeder Abschnitt einem ganz bestimmten Zweck, selten fließen verschiedene erzählerische Elemente innerhalb einer Szene ineinander. Zu guter Letzt fehlen Übergänge, also ein- und weiterleitende Aufnahmen, Kommentare oder Kamerafahrten. So gut Khonsari im Rahmen des überschaubaren Budgets die Darstellung von Mimik und Gestik gelingt, so starr wirkt seine übergreifende Inszenierung.

Fliegende Pflasterstreifen

Spielerisch nutzt 1979 Revolution zudem die von Telltale und Dontnod etablierten Interaktionsmöglichkeiten, erreicht aber nie das technische Niveau der Vorbilder. So führen Reaktionstests, etwa im Kampf mit einem Polizisten, zwar

Reaktionsspiele sind nicht die Stärke des Polit-Thrillers.
entweder zum Game Over oder dem Weiterkommen, verzweigen während der Szene aber kaum. Das gelegentliche Dauerklicken auf eine markierte Stelle wirkt sogar wie ein Fremdkörper. Richtig ulkig sieht das Versorgen einer offenen Wunde aus, über der anschließend zwei lose Pflasterstreifen schweben.

Dass das Spiel weder Gamepads unterstützt noch das das Ändern der Tastaturbelegung, stört das Erlebnis ebenfalls. Dass die Zeitfenster für alle Entscheidungen ausgesprochen knapp sind, ist sogar ärgerlich, denn so hat man hin und wieder keine Möglichkeit, die Antwortmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Schade auch, dass jede Entscheidung, die vom Programm als wichtige Verzweigung festgehalten wird, sichtbar als solche markiert wird – das und viel zu häufige Einblendungen der Steam-Erfolge verhindern leider die vollständige Immersion in dem spannenden historischen Umfeld.

Fazit

Das eigentliche Spiel ist nicht die Stärke von Navid Khonsari: Die Reaktionsspiele spannender Momente wirken hölzern, die Zeitfenster zum Beantworten wichtiger Fragen sind eine Idee zu kurz und weil Khonsari Film- und Spielszenen meist strikt voneinander trennt, wirkt seine interaktive Inszenierung starr, gelegentlich sogar ermüdend. Trotzdem gelingt ihm ein empfehlenswertes, ein ausgesprochen wichtiges Spiel! Denn noch nie wurde eine fiktive Geschichte so eng und so ernsthaft mit einer historische Epoche verknüpft wie in 1979 Revolution: Black Friday. Wie in einem Film von Oliver Stone setzt Khonsari scheinbar reale Menschen mit dem Werdegang zeitgenössischer Persönlichkeiten in Verbindung, blickt durch ihre Augen auf historische Ereignisse und spinnt einen mitreißenden Polit-Thriller fernab der ausladenden Fantasy von Assassin's Creed & Co. Auf höchstem Niveau schreibt er seinen Figuren glaubwürdige Dialoge auf den Leib, lässt ihre innersten Überzeugungen mit äußeren Zwängen kollidieren und führt die Erzählung in ein packendes Finale – vorläufig zumindest. Denn auf wessen Seite sein Protagonist letztlich steht, ist nach dem Fall der letzten Klappe längst nicht geklärt. Hoffentlich erhält der Autor und Regisseur die Möglichkeit, diese und andere Geschichten weiter zu erzählen!

Pro

packender Polit-Thriller vor historischem Hintergrund und ohne mahnenden Zeigefinger
vielschichtige Charaktere
glaubwürdige Dialoge mit interessanten Möglichkeiten den Verlauf zu beeinflussen
zahlreiche Informationen zu iranischer Kultur und historischen Begebenheiten
gute Inszenierung glaubwürdiger Filmszenen
stimmungsvolle, zurückhaltende Musik

Kontra

bruchstückhafter Erzählung fehlen Übergänge
etwas zu knappes Zeitfenster für Antworten
sperrige Steuerung, technisch schwache Reaktionsspiele
ständige Achievement-Einblendungen
nicht abschaltbare Markierung zentraler Entscheidungen
keine Gamepad-Unterstützung & keine Veränderung der Tastaturbelegung
ausschließlich englische Sprache und Texte

Wertung

PC

Spannender Polit-Thriller vor historischem Hintergrund - mit Schwächen in der interaktiven Erzählung, aber starken Charakteren und wichtigen Einblicken.

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