Im Test: Mit Grips und Schraubenschlüssel
Ein-Mann-Entwickler Joakim Sandberg (Noitu Love) hat eine etwas andere Dystopie erschaffen: Auf den ersten Blick wirkt der offen gehaltene Plattformer Iconoclasts (
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Shantae oder
Wonder Boy, doch unter der Oberfläche brodelt ein gesellschaftlicher Konflikt mit einer gnadenlosen Sekte.
Manche Situationen eskalieren schneller als erwartet. Eben noch führten zwei Konzerngurus eine angeregte philosophische Diskussion vorm idyllischen Sonnenuntergang, Sekunden später tritt einer den anderen von der Klippe. In der Welt von Iconoclasts herrscht ein rauer Umgangston. Die 17 Jahre junge Heldin Robin wirkt zwar wie die Unschuld vom Lande und hoppelt putzig animiert durch die bunten Pixel-Kulissen - davon abgesehen liegt aber eine bedrückende Stimmung über der Gesellschaft, die unter Ressourcenknappheit und dem Würgegriff einer fanatischen Sekte leidet. Hier dreht sich nicht alles ums Öl, sondern um den wichtigen Kraftstoff Elfenbein – und um die Doktrin, dass es nur geweihten Mechanikern erlaubt ist, mit der heiligen Technik zu arbeiten.
"Royal" bringt Robin unabsichtlich in die Höhle des Löwen.
Wer wie Robin ohne offiziellen Segen der großen „Mutter“ den Schraubenschlüssel ergreift, begeht also eine Todsünde, die nicht selten die rituelle Vernichtung der halben Verwandschaft nach sich zieht. Auch die elektrotechnisch begabte Robin hat bereits ihren Vater verloren. Ihr bleibt also gar keine andere Wahl, als sich mit illegalen Mechaniker-Jobs über Wasser zu halten – auch wenn sie immer mal wieder erwischt wird und ihre Kunden infolgedessen in ihrem Haus eingeäschert werden. Das einfache Volk lebt schließlich in den unterprivilegierten Gebieten der durchnummerierten Orte und bekommt die Nachteile des Kastensystems mit voller Gewalt zu spüren. Glücklicherweise trifft Robin auf ihrer Plattformreise auch auf Widerständler im Untergrund, welche den Konzern mit größeren Mitteln und mehr Professionalität bekämpfen.
Spielerisch orientiert man sich an Vorbildern wie Metroid und Castlevania – auch Anleihen an die Wonderboy-Reihe sind spürbar. Robin hüpft, kriecht und taucht durch kompakte Areale mit vielen kleinen Geheimkammern, die beim Aufrufen der Karte aber trotzdem recht übersichtlich bleiben. Nebenbei teilt sie mit dem fetten Schraubenschlüssel und einer zielsuchenden Kanone aus, stampft dünne stachelige Kaktuswesen von oben in den Grund oder wirft aufdringlichen Raubfischen eine „Rollbombe“ in den Mund.
Schalter, Bomben, bewegliche Plattformen: Die Rätsel erinnern ein wenig an Titel wie Mighty Switch Force von WayForward. Früher arbeitete Sandberg übrigens auch für das Studio.
Die explosive Kugel gehört zu den praktischen Utensilien im Spiel und wurde schön in die motivierenden Rätsel eingebaut. Ein gut gezielter Wurf in einen schmalen Tunnel und schon kullert die explosive Rohrpost zu einem Schalter, der eine fahrende Plattform in Gang setzt. Jetzt ist ein schneller Sprung nötig, dann ein zeitlich passender zweiter Bombenwurf, eine kleine Krabbeltour durch ein bewegliches Tor usw. Immer wieder werden Puzzles und Hüpfpassagen sinnvoll miteinander verflochten. Meist wandert man innerhalb kleiner Höhlen- Wüsten- oder Stadt-Areale umher und startet ein paar Experimente, bis die nächste Eingebung kommt. Hier fühlte ich mich seltener verloren als z.B. in den offener angelegten Shantae-Titeln oder in
Axiom Verge.
Das Arsenal ist nicht allzu ideen- oder umfangreich, aber nützlich: Die Waffen z.B. bringen jeweils eine aufladbare Zweitfunktion wie eine kleine Rakete oder einen kraftvollen Powerschuss mit sich. Mit Ressourcen aus Geheimräumen lassen sich Optimierungen für Statuswerte hinzufügen, mit denen man z.B. länger taucht oder schneller läuft. Eine kleine Ergänzung, die zwar keinen allzu großen Einfluss auf den Spielablauf nimmt, dadurch aber auch keine Crafting-Verächter nervt. Eine wichtige Rolle spielt natürlich der überdimensionierte Schraubenschlüssel, der Türen öffnet, sich als kleine Schwung-Liane benutzen lässt oder sogar feindliche Projektile abwehrt. Letzteres wird vor allem in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit großen Roboter-Bossen nützlich. Der Kampf gegen sie gestaltet sich glücklicherweise ein wenig knackiger als gegen die etwas zu einfachen Standard-Gegner. Hat man erst einmal ihren wunden Punkt entdeckt, sind aber auch sie relativ schnell Geschichte – zumindest im „normalen“ Story-Modus.
Lust auf eine Abkühlung?
Zum Start des Spiels darf man alternativ auch einen knackigeren Schwierigkeitsgrad auswählen. Nebenbei versucht man sich an einem lustigen kleinen Reaktionstest mit explosiven Kisten oder erledigt diverse weniger spannende Nebenquests wie Briefbotengänge. Beim Aufrufen der Karte weist ein nützlicher kurzer Denkanstoß auf die nächste Aufgabe hin. Zu einem eindimensionalen Gut-Böse-Schema verkommt die Geschichte glücklicherweise nicht: Fast alle Figuren denken auf Robins Weg laut darüber nach, inwieweit sie der Sicherheit oder dem sozialen Frieden zuliebe kollaborieren oder sich kleine Sünden wie eine dringend benötigte, illegale Reparatur leisten sollen.
Auch in der Führungsebene einer unterirdischen Widerstandsbasis oder des sektenartigen Konzerns „One Concern“ gibt es immer wieder Konfliktpotenzial. Mal ist eine depressive Mutter sauer, weil ein Widerständler einfach Fremde wie mich in die Basis lässt – später läuft der esoterisch schwafelnde „Royal“ nach einem Streit kurzerhand über und schließt sich mir an. Immer wieder hat man auf diese Weise einen Mitreisenden „im Gepäck“, der einem aushilft und z.B. an Toren Zugang verschafft.
Roboboss voraus!
Die bizarre Gesellschaftsordnung verleiht der Welt deutlich mehr Tiefe als im leichtfüßig-albernen Shantae oder ähnlichen offenen Plattformern. Leider übertreibt Joakim Sandberg es mit der Zahl und Länge der Dialoge. Man muss sich ohnehin schon gut konzentrieren, um den Sinn in all den bizarren, teils esoterischen Gleichnissen zu erkennen. Weniger wäre hier also klar mehr gewesen, zumal die Gespräche klassisch in kleine Textkästchen tickern. Die etwas hölzerne deutsche Übersetzung macht den Lesemarathon noch anstrengender. Macht euch schon einmal darauf gefasst, nur gut die Hälfte der rund 15 Spielstunden mit Rätseln und Action zu verbringen - und die andere mit dem Lesen von Dialogen. Hier werden wieder die typischen Vor- und Nachteile eines Ein-Mann-Projekts deutlich: Einerseits konnte während der sieben Jahre Entwicklungszeit niemand von oben Einfluss auf das erfrischend bizarre Konzept der Spielwelt nehmen.
"Chrom" nimmt nicht nur einen Bosskampf erstaunlich gelassen.
Andererseits hat offenbar auch niemand Sandberg darauf hingewiesen, dass die schiere Menge an Text in diesem Kontext ermüdend wirkt. Grafisch ist das Abenteuer dagegen meist erfrischend umgesetzt, obwohl die Animationen nicht die Detailverliebtheit und Vielfalt größerer Projekte wie
Rayman Legends,
Guacamelee oder
Ori and the Blind Forest erreichen. Technisch gibt sich das Spiel auf allen Plattformen keine Blöße – und auch inhaltlich konnten wir keine Unterschiede zwischen den Versionen für PC, PlayStation 4 und PS Vita feststellen. Für Sonys Systeme gibt es löblicherweise Cross-buy, so dass Käufer einer Fassung die andere hinzubekommen. Auf Cross-Save für einen gemeinsamen Spielstand wurde aber leider verzichtet.
Fazit
Glückwunsch an Joakim Sandberg! Es hat sich gelohnt, rund sieben Jahre seines Lebens in die wundersame Welt von Iconoclasts zu investieren. Die eigenartigen Gesetzmäßigkeiten und philosophischen Gespräche haben mich immer wieder in Erstaunen versetzt und auch die auf überschaubare Areale beschränkten Puzzles sind richtig motivierend. Wer gerne inmitten kullernder Bomben, beweglicher Gerüste und versteckter Geheimräume experimentiert, kommt hier auf seine Kosten – zumal es hier weniger verwirrend wird als in vielen Konkurrenztiteln nach dem „Metroidvania“-Schema. Für einen Dämpfer sorgt die schiere Masse an esoterischen Dialogen, die in kleine Textboxen tickern und das Abenteuer ein wenig ausbremsen. Zudem hätten die Kämpfe ruhig etwas kniffliger ausfallen können. Davon abgesehen aber ein faszinierender Trip in eine bizarre, unverbraucht wirkende Fantasiewelt!
Pro
add_circle_outline clevere Rätsel innerhalb überschaubarer Areale
add_circle_outline philosophische Gespräche mit überraschenden Machtdemonstrationen
add_circle_outline bizarre, fanatisch-religiöse Welt
add_circle_outline abwechslungsreiche Kulissen in fremdartigem Design
Kontra
remove_circle_outline Kämpfe mitunter zu leicht
remove_circle_outline übertrieben viele und lange Dialoge bremsen den Spielfluss
remove_circle_outline etwas hölzerne deutsche Übersetzung
Wertung
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