Iconoclasts02.02.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Mit Grips und Schraubenschlüssel

Ein-Mann-Entwickler Joakim Sandberg (Noitu Love) hat eine etwas andere Dystopie erschaffen: Auf den ersten Blick wirkt der offen gehaltene Plattformer Iconoclasts (ab 19,99€ bei kaufen) wie eine farbenfrohe Hommage an Serien wie Shantae oder Wonder Boy, doch unter der Oberfläche brodelt ein gesellschaftlicher Konflikt mit einer gnadenlosen Sekte.

Guten Flug!

Manche Situationen eskalieren schneller als erwartet. Eben noch führten zwei Konzerngurus eine angeregte philosophische Diskussion vorm idyllischen Sonnenuntergang, Sekunden später tritt einer den anderen von der Klippe. In der Welt von Iconoclasts herrscht ein rauer Umgangston. Die 17 Jahre junge Heldin Robin wirkt zwar wie die Unschuld vom Lande und hoppelt putzig animiert durch die bunten Pixel-Kulissen - davon abgesehen liegt aber eine bedrückende Stimmung über der Gesellschaft, die unter Ressourcenknappheit und dem Würgegriff einer fanatischen Sekte leidet. Hier dreht sich nicht alles ums Öl, sondern um den wichtigen Kraftstoff Elfenbein – und um die Doktrin, dass es nur geweihten Mechanikern erlaubt ist, mit der heiligen Technik zu arbeiten.

"Royal" bringt Robin unabsichtlich in die Höhle des Löwen.
Wer wie Robin ohne offiziellen Segen der großen „Mutter“ den Schraubenschlüssel ergreift, begeht also eine Todsünde, die nicht selten die rituelle Vernichtung der halben Verwandschaft nach sich zieht. Auch die elektrotechnisch begabte Robin hat bereits ihren Vater verloren. Ihr bleibt also gar keine andere Wahl, als sich mit illegalen Mechaniker-Jobs über Wasser zu halten – auch wenn sie immer mal wieder erwischt wird und ihre Kunden infolgedessen in ihrem Haus eingeäschert werden. Das einfache Volk lebt schließlich in den unterprivilegierten Gebieten der durchnummerierten Orte und bekommt die Nachteile des Kastensystems mit voller Gewalt zu spüren. Glücklicherweise trifft Robin auf ihrer Plattformreise auch auf Widerständler im Untergrund, welche den Konzern mit größeren Mitteln und mehr Professionalität bekämpfen.

Explosives Fischfutter

Spielerisch orientiert man sich an Vorbildern wie Metroid und Castlevania – auch Anleihen an die Wonderboy-Reihe sind spürbar. Robin hüpft, kriecht und taucht durch kompakte Areale mit vielen kleinen Geheimkammern, die beim Aufrufen der Karte aber trotzdem recht übersichtlich bleiben. Nebenbei teilt sie mit dem fetten Schraubenschlüssel und einer zielsuchenden Kanone aus, stampft dünne stachelige Kaktuswesen von oben in den Grund oder wirft aufdringlichen Raubfischen eine „Rollbombe“ in den Mund.

Schalter, Bomben, bewegliche Plattformen: Die Rätsel erinnern ein wenig an Titel wie Mighty Switch Force von WayForward. Früher arbeitete Sandberg übrigens auch für das Studio.
Die explosive Kugel gehört zu den praktischen Utensilien im Spiel und wurde schön in die motivierenden Rätsel eingebaut. Ein gut gezielter Wurf in einen schmalen Tunnel und schon kullert die explosive Rohrpost zu einem Schalter, der eine fahrende Plattform in Gang setzt. Jetzt ist ein schneller Sprung nötig, dann ein zeitlich passender zweiter Bombenwurf, eine kleine Krabbeltour durch ein bewegliches Tor usw. Immer wieder werden Puzzles und Hüpfpassagen sinnvoll miteinander verflochten. Meist wandert man innerhalb kleiner Höhlen- Wüsten- oder Stadt-Areale umher und startet ein paar Experimente, bis die nächste Eingebung kommt. Hier fühlte ich mich seltener verloren als z.B. in den offener angelegten Shantae-Titeln oder in Axiom Verge.

Dezentes Crafting

Das Arsenal ist nicht allzu ideen- oder umfangreich, aber nützlich: Die Waffen z.B. bringen jeweils eine aufladbare Zweitfunktion wie eine kleine Rakete oder einen kraftvollen Powerschuss mit sich. Mit Ressourcen aus Geheimräumen lassen sich Optimierungen für Statuswerte hinzufügen, mit denen man z.B. länger taucht oder schneller läuft. Eine kleine Ergänzung, die zwar keinen allzu großen Einfluss auf den Spielablauf nimmt, dadurch aber auch keine Crafting-Verächter nervt. Eine wichtige Rolle spielt natürlich der überdimensionierte Schraubenschlüssel, der Türen öffnet, sich als kleine Schwung-Liane benutzen lässt oder sogar feindliche Projektile abwehrt. Letzteres wird vor allem in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit großen Roboter-Bossen nützlich. Der Kampf gegen sie gestaltet sich glücklicherweise ein wenig knackiger als gegen die etwas zu einfachen Standard-Gegner. Hat man erst einmal ihren wunden Punkt entdeckt, sind aber auch sie relativ schnell Geschichte – zumindest im „normalen“ Story-Modus.

Lust auf eine Abkühlung?
Zum Start des Spiels darf man alternativ auch einen knackigeren Schwierigkeitsgrad auswählen. Nebenbei versucht man sich an einem lustigen kleinen Reaktionstest mit explosiven Kisten oder erledigt diverse weniger spannende Nebenquests wie Briefbotengänge. Beim Aufrufen der Karte weist ein nützlicher kurzer Denkanstoß auf die nächste Aufgabe hin. Zu einem eindimensionalen Gut-Böse-Schema verkommt die Geschichte glücklicherweise nicht:  Fast alle Figuren denken auf Robins Weg laut darüber nach, inwieweit sie der Sicherheit oder dem sozialen Frieden zuliebe kollaborieren oder sich kleine Sünden wie eine dringend benötigte, illegale Reparatur leisten sollen.

Faszinierende Welt

Auch in der Führungsebene einer unterirdischen Widerstandsbasis oder des sektenartigen Konzerns „One Concern“ gibt es immer wieder Konfliktpotenzial. Mal ist eine depressive Mutter sauer, weil ein Widerständler einfach Fremde wie mich in die Basis lässt – später läuft der esoterisch schwafelnde „Royal“ nach einem Streit kurzerhand über und schließt sich mir an. Immer wieder hat man auf diese Weise einen Mitreisenden „im Gepäck“, der einem aushilft und z.B. an Toren Zugang verschafft.

Roboboss voraus!
Die bizarre Gesellschaftsordnung verleiht der Welt deutlich mehr Tiefe als im leichtfüßig-albernen Shantae oder ähnlichen offenen Plattformern. Leider übertreibt Joakim Sandberg es mit der Zahl und Länge der Dialoge. Man muss sich ohnehin schon gut konzentrieren, um den Sinn in all den bizarren, teils esoterischen Gleichnissen  zu erkennen. Weniger wäre hier also klar mehr gewesen, zumal die Gespräche klassisch in kleine Textkästchen tickern. Die etwas hölzerne deutsche Übersetzung macht den Lesemarathon noch anstrengender. Macht euch schon einmal darauf gefasst, nur gut die Hälfte der rund 15 Spielstunden mit Rätseln und Action zu verbringen  - und die andere mit dem Lesen von Dialogen. Hier werden wieder die typischen Vor- und Nachteile eines Ein-Mann-Projekts deutlich: Einerseits konnte während der sieben Jahre Entwicklungszeit niemand von oben Einfluss auf das erfrischend bizarre Konzept der Spielwelt nehmen.

Zu viel Geschwafel

"Chrom" nimmt nicht nur einen Bosskampf erstaunlich gelassen.
Andererseits hat offenbar auch niemand Sandberg darauf hingewiesen, dass die schiere Menge an Text in diesem Kontext ermüdend wirkt. Grafisch ist das Abenteuer dagegen meist erfrischend umgesetzt, obwohl die Animationen nicht die Detailverliebtheit und Vielfalt größerer Projekte wie Rayman Legends, Guacamelee oder Ori and the Blind Forest erreichen. Technisch gibt sich das Spiel auf allen Plattformen keine Blöße – und auch inhaltlich konnten wir keine Unterschiede zwischen den Versionen für PC, PlayStation 4 und PS Vita feststellen. Für Sonys Systeme gibt es löblicherweise Cross-buy, so dass Käufer einer Fassung die andere hinzubekommen. Auf Cross-Save für einen gemeinsamen Spielstand wurde aber leider verzichtet.

Fazit

Glückwunsch an Joakim Sandberg! Es hat sich gelohnt, rund sieben Jahre seines Lebens in die wundersame Welt von Iconoclasts zu investieren. Die eigenartigen Gesetzmäßigkeiten und philosophischen Gespräche haben mich immer wieder in Erstaunen versetzt und auch die auf überschaubare Areale beschränkten Puzzles sind richtig motivierend. Wer gerne inmitten kullernder Bomben, beweglicher Gerüste und versteckter Geheimräume experimentiert, kommt hier auf seine Kosten – zumal es hier weniger verwirrend wird als in vielen Konkurrenztiteln nach dem „Metroidvania“-Schema. Für einen Dämpfer sorgt die schiere Masse an esoterischen Dialogen, die in kleine Textboxen tickern und das Abenteuer ein wenig ausbremsen. Zudem hätten die Kämpfe ruhig etwas kniffliger ausfallen können. Davon abgesehen aber ein faszinierender Trip in eine bizarre, unverbraucht wirkende Fantasiewelt!

Pro

clevere Rätsel innerhalb überschaubarer Areale
philosophische Gespräche mit überraschenden Machtdemonstrationen
bizarre, fanatisch-religiöse Welt
abwechslungsreiche Kulissen in fremdartigem Design

Kontra

Kämpfe mitunter zu leicht
übertrieben viele und lange Dialoge bremsen den Spielfluss
etwas hölzerne deutsche Übersetzung

Wertung

PC

Gelungener Mix aus Rätseln und klassischer Hüpf-Action in einer angenehm bizarren Welt.

PS_Vita

Gelungener Mix aus Rätseln und klassischer Hüpf-Action in einer angenehm bizarren Welt.

PlayStation4

Gelungener Mix aus Rätseln und klassischer Hüpf-Action in einer angenehm bizarren Welt.

Echtgeldtransaktionen

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Kommentare

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Jay Karraway

Ich habe mir das Spiel auch irgendwann mal im Angebot gesichert, da ich kurz zuvor in einem Test eine 9/10 gesehen habe, aber bisher noch nicht angespielt. Werde ich dann aber wohl bald mal tuen.
Ich hab's Anfang diesen Jahres gespielt und war absolut begeistert. Die Geschichte beginnt charmant aber scheinbar eindimensional. Nach wenigen Stunden entwickeln die Charaktere dann eine ungeahnte Tiefe. Besonders Chrome ist mir in Erinnerung geblieben; ich musste an ihn denken als ich von den Ausschreitungen in Stuttgart und der Selbstwahrnehmung einiger Teilnehmer gelesen habe.

Die Musik ist auch super: https://konjak.bandcamp.com/releases
Youth March ist so verlockend in seiner Aggressivität, dass ich meine wütenderen Tage ganz kurz vermisse.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Ernesto Heidenreich

So, durch.

Ich finde ja dadurch das es ein Ein-Mann-Projekt ist, kann man es am ehesten mit Cave Story vergleichen und dann ist es Geschmackssache ob man eher den Fokus auf Action-Plattforming oder Puzzle legt. Iconoclasts ist letzteres.

Das Spiel ist nicht super crisp was das Gameplay angeht, aber das puzzlen ist toll. Als Beispiel sind fast alle Bosse auch Action-Rätsel, was sie meiner Meinung nach nicht nur einzigartig macht, sondern immer abwechslungsreich. Nicht unbedingt dann immer so das man super im Flow ist, eben nicht super crisp, aber es ist sehr befriedigend einen Boss zu killen.

Grafik, Sound sind über alles erhaben, das sieht richtig richtig gut aus. Story erstaunliche Düsternis und Tiefgang hinter der fröhlichen Fassade, auch wenn der Humor ebenfalls überzeugt. Nur das offenbar ein paar Dialogoptionen Auswirkungen haben....ich empfehle hier einfach in einen der Steamthreads zu gehen und sich die entsprechenden Fragen abzuspeichern/auszudrucken. Sind ca. 10 Stück und selber kommt man nicht drauf, weil es nicht die einzigen Optionen sind. Es ist cooler wenn man hier "richtig" antwortet.

Ich hoffe und bin gespannt ob dieser Mensch noch was macht. Pixels Output war ja nach Cave Story eher solala (bzw. wenig bis Kero Blaster, welches ich nicht mag).
Na das klingt doch sehr gut, danke für deine Eindrücke.
Ich habe mir das Spiel auch irgendwann mal im Angebot gesichert, da ich kurz zuvor in einem Test eine 9/10 gesehen habe, aber bisher noch nicht angespielt. Werde ich dann aber wohl bald mal tuen.

vor 4 Jahren
Bussiebaer

Sollt man sich echt gerade schießen beim GoG-Sale.
Danke für Hinweis, done :-)

vor 4 Jahren