Meisterdieb im Cyberpunk
Wenn eine dunkle Gestalt über polierten Marmor huscht, während die Fugen unter den Stiefeln golden glimmen und in der Ferne bunte Neonlichter flackern, fühlt man sich unweigerlich an Blade Runner oder Deus Ex erinnert. Dazu noch die Hinrichtung eines Ketzers vor gröhlender Meute, Hightechüberwachung sowie ein autoritäres Regime und der Vorhang öffnet sich für eine futuristische Dystopie. Das Artdesign ist überaus stimmungsvoll, die Musik angenehm melancholisch und man dreht die Kamera gerne langsamer, weil überall visuelle Reize locken.
Seven: The Days Long Gone zeigt eine sehr ansehnliche Welt.
Das Artdesign überzeugt: Man taucht ab in eine futuristische Spielwelt mit Cyberpunkflair.
Hinzu kommt das nostalgische Flair klassischer Rollenspiele angesichts der Perspektive: Es ist zwar ein dreidimensionales Abenteuer, das von der Unreal Engine 4 inszeniert wird. Allerdings erlebt man es in einer isometrischen Draufsicht. Und spätestens, wenn man sich den Helden sowie Waffen und Ausrüstung näher anschaut, lässt auch
Shadowrun grüßen. Nur gibt es weder eine Charaktererstellung noch eine Party - man schlüpft in die Fußstapfen eines Meisterdiebs namens Temriel. Man ist nicht alleine unterwegs, denn bei einem Einbruch hat man noch die Stimme von Kumpel Vaetic im Ohr, der einem Tipps gibt.
Er wird übrigens genau so wie Temriel und alle anderen Figuren sehr gut gesprochen. Die englischen Dialoge sind angenehm knackig, laufen auf der linken Bildschirmseite mit gut übersetzten deutschen Untertiteln ab und lassen einem gelegentlich die Wahl. Bis hierher überrascht die Produktionsqualität für einen so kleinen Titel, der großen Vorbildern nacheifert.
Hinsichtlich des Helden sowie der subtilen Fähigkeiten hat man sich z.B. an
Thief orientiert. Man ist also eher ein cleverer Infiltrator als ein starker Krieger. Für etwas Verwirrung sorgte im PR-Vorfeld, dass es Parcours-Elemente geben sollte - also auch noch Tempo und Kraxelei à la
Mirror's Edge? Zwar kann man spurten und springen, sich an Kanten hochziehen und über Dächer huschen, sich fallen lassen und abrollen. All das sieht gut aus, läuft in beschaulichen Grenzen auch rund, aber es entsteht hier kein akrobatischer Flow, wenn es mal zur Sache geht. Im Gegenteil: Gerade auf der Flucht kann sich das Klettern sehr abgehackt anfühlen, wenn sich Temriel plötzlich nicht an einem Hindernis hochzieht und auch manuell trotz Sprung nicht weiterkommt, obwohl er es angesichts der Schulterhöhe eindeutig schaffen müsste - diese kleinen Inkonsequenzen ziehen sich durch das komplette Abenteuer.
Auf den ersten Blick nur Stealth-Action ...
Zunächst spielt sich Seven: The Days Long Gone wie ein klassisches Schleich-Abenteuer. Man soll ein Gebäude infiltrieren und etwas stehlen.
Wenn man die erste Mission spielt, in der man in einen bewachten Komplex einbrechen soll, um das kostbare Cypher stehlen, fühlt sich das Spiel noch an wie Stealth-Action pur - fast wie ein futuristischer Zwilling von
Shadow Tactics: Blades of the Shogun: Man schleicht von Deckung zu Deckung, weicht Scheinwerfern und Wachen aus, muss auf Schrittgeräusche achten, erklimmt Dächer, seilt sich ab und versucht keinen Alarm auszulösen. Dabei kann man auch in einen "Sinnesmodus" schalten, so dass mögliche Deckungen farblich markiert werden und man über ein kleines Fadenkreuz auch Infos zu anvisierten Figuren bekommt; teilweise muss man so auch Geheimtüren finden.
Man kann Kameras per Dart ausschalten, Wachen ablenken und bestehlen, Schlösser aufbohren oder Terminals hacken, so dass sich mehrere Wege zum Ziel ergeben. Wer also lange Finger macht, bekommt direkt den Schlüssel oder die Keycard und muss nicht mit dem Dietrich hantieren, was übrigens ebenso wie das Hacken als aktives Minispiel inszeniert wird. Zwar kann man auch überraschend vielfältig kämpfen, inklusive Konter sowie Kombos, aber dann verwandelt sich das Spiel in eine Art überhektisches Diablo, bei dem man meist den Kürzeren zieht. Hier entsteht also nicht eine Balance wie etwa in
Deus Ex: Mankind Divided, wo man durchaus effektiv die harte Tour durchziehen und konzentriert auf Stärke hin agieren konnte. Das Hauen und Stechen, Schießen und Bomben wird zwar ansehnlich animiert, aber macht nicht wirklich Laune - warum haben die Entwickler bloß so viele Waffen, Rüstungen, dazu diverse Niederschlagsarten gegen schwere Gegner an Wänden etc. eingebaut? Nicht falsch verstehen: Ich mag coole Kämpfe! Aber im Vordergrund sollte ja auch laut Story das unbemerkte akrobatische Infiltrieren stehen. Da hätte ein einfaches Kampfsystem gereicht.