Jotun07.10.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Mit der Axt durch die Vorhölle

Entwickler-Neuling ThunderLotus Games will die nordische Mythologie zum Leben erwecken: Das per Kickstarter ermöglichte Jotun erinnert auf den ersten Blick an Amiga-Oldies wie Heimdall, präsentiert sich aber viel actionlastiger: Um in Valhalla einkehren zu dürfen, muss die Kriegerin Thora sich mit ihrer Axt durch Horden von Monstern schnetzeln.

Unehrenhaft gefallen

Da sie ruhmlos im Kampf gefallen ist, landet Thora im nordischen Fegefeuer – dem so genannten Ginnungagap. Dort muss sie den Göttern mit einer Reihe von Prüfungen beweisen, dass sie doch würdig ist, Valhalla zu betreten. Ab und zu sinniert Thora über ihre Jugend, ihren Werdegang und andere Erlebnisse aus der Vergangenheit - davon abgesehen bleibt die Geschichte aber leider recht minimalistisch. Auf meiner Reise durch Wälder, Eiswüsten und über Lava erfahre ich aber immerhin eine ganze Menge über norwegische Worte, die mir schon anderswo im Alltag begegnet sind. Nachdem ich am Wikinger-Firmament einige Sternbilder zum Leuchten gebracht habe, erscheint z.B. der Eichhörnchen-Bote Ratatöskr. Danach begegne ich einer gigantischen Thor-Statue, die mir eine magische Attacke mit dem riesigen Mjölnir-Hammer verleiht. In der Quelle unter dem Weltenbaum Yggdrasil lauert der Kopf des enthaupteten Mimir, dessen aufgerissenes Auge mich auf Schritt und Tritt verfolgt. Obwohl er reichlich unheimlich aussieht, gehört auch er zu meinen Freunden: Sein Brunnen dient als Speicherpunkt und füllt meine Lebensenergie auf.

Es ist Erntezeit: Standard-Gegner wie Zwerge lassen sich leicht austricksen.
Bevor ich das heilende Wasser erreiche, muss ich aber erst einmal im richtigen Rhythmus über glühende Lavarisse sprinten. Das Ziel eines Areals ist meist eine magische Rune, der beschwerliche Weg dorthin führt aber über zahlreiche kleine Inseln und Fjorde. Wer nicht in der halboffenen Welt herumirren möchte, sollte ab und zu einen Blick auf die Karte werfen, die allerdings nicht den aktuellen Standort anzeigt. Mal stoße ich mich auf Flößen übers Wasser, anderswo funktioniere ich mit der Axt ein paar Bäume zur Brücke um. Oder ich provoziere einen Steinriesen dazu, mich mit Felsbrocken zu bewerfen, damit sie sich in der brodelnden Lava zu einer rettenden Brücke formieren. Solche in die Umgebung eingebundenen Wegfindungs-Puzzles lassen sich aber oft schnell durchschauen und sind daher nur mäßig unterhaltsam. Die größte Herausforderung besteht meist darin, sich nicht zu verlaufen oder unbedacht in eine Falle zu tappen.

Schwankendes Art-Design

Das surreale Design der Vorhölle macht die Erkundungstrips mitunter aber doch interessant. Trotzdem hätten sich die Zeichner ruhig etwas mehr Mühe geben können. Knorrig verwachsene Wesen wie Mimir oder einige Bosse sehen durchaus ansehnlich aus, ihre Umgebung wirkt aber zu karg und repetitiv. Vor allem perspektivische Fehler lassen die Kulisse oft dilettantisch erscheinen: Liegt die Brücke nun hinter oder vor dem Hügel? Solche Fragen lassen sich nicht immer auf Anhieb beantworten.

Dieser Endboss setzt den Spieler mit seinem Schild ordentlich unter Druck.
Als stattliche Wikingerin muss sich Thora natürlich auch mit der Axt durch zahlreiche Monster pflügen. Passend zur langsamen Lauf- und Schlaggeschwindigkeit gestalten sich die Gefechte aber eher behäbig. An versteckten Orten kann ich zwar einige Attacken dazulernen und meine Energieleiste aufpäppeln – trotzdem bleiben die Kämpfe meist zu simpel. Die massenhaft durch die Goldmine wuselnden Zwerge z.B. greifen nur im Rudel an und lassen sich dann leicht austricksen. Meist locke ich sie einfach auf eine Treppe oder in einen schmalen Durchgang und schon kann ich sie gemütlich „abernten“.  An den trägen Steinriesen dagegen laufe ich oft einfach im Slalom vorbei. Deutlich mehr Spaß machen die knackigen Bosskämpfe, die besser choreographiert und ausbalanciert wurden. Eine Baumgigantin z.B. hält mich effektiv mit aus dem Boden sprießenden Wurzelfallen und Gasattacken auf Abstand, so dass ich nur mit Geduld an ihren Bauch gelange, um dort eine Blume mit der Axt zu malträtieren.

Attack on Titan

Oft führt der Weg über schädliche Lava- und Gas-Fallen.
Auch bei der riesigen Schildkriegerin muss ich die Zähne zusammenbeißen: Nur wenn ich schon zu Beginn geschickt den Mjölnir-Hammer schwinge und oft die Ausweichrolle einsetze, habe ich eine Chance. Die eigentlich schwachen Zwerge werden hier ebenfalls besser eingesetzt. Am besten lockt man sie in eine Ecke der Arena, damit die wütende Gigantin sie versehentlich mit ihrem Schildwurf niedermäht. Zwischendurch werden die kampf- und rätsellastigen Abschnitte immer wieder von ruhigen Passagen unterbrochen, in denen der Spieler sich ein wenig erholen und die Seele baumeln lassen kann. Einen zugefrorenen See z.B. muss ich einfach nur überqueren, während unter der Eisdecke allerlei kleine und große Fische herumtollen – eine schöne Abwechslung!

Fazit

Jotun hinterlässt bei mir einen halbgaren Eindruck. Die surreale Vorhölle und die eingestreuten Mythen machen Lust auf mehr, doch die Geschichte konzentriert sich zu selten auf die Heldin. Auch spielerisch bietet der Mix aus Axtkampf und Umgebungsrätseln zu wenig Fleisch. Die simpel gestrickten Gefechte gegen Steinriesen, Zwerghorden und anderen Wesen aus der nordischen Vorhölle fühlen sich eher wie eine lästige Notwendigkeit an. Die Wegfindungsrätsel konnten mich ebenfalls nur manchmal motivieren. Deutlich spannender wird es in den knackigen Bosskämpfen, in denen man Geduld beweisen, Taktiken ausknobeln und gelernte Kräfte einsetzen muss, während man unaufhörlich von einem Giganten und seinen Helfern unter Druck gesetzt wird. Wer sich von der oft dominierenden Monotonie nicht aus der Ruhe bringen lässt, kann die Reise wagen: Der Ausflug nach Ginnungagap verströmt schließlich eine ganz eigene mystische Atmosphäre.

Pro

faszinierend surreale Vorhöllen-Einöde
angenehm knackige, gut choreographierte Bosskämpfe
stimmungsvoll ruhiger bis pompöser Soundtrack
schön eingebundene Kurzgeschichten norwegischer Mythologie

Kontra

monotone und zu leichte Kämpfe gegen Massen kleiner Krieger
Rätsel erfordern oft fades Abklappern von Gebieten
Zeichnungen wirken mitunter amateurhaft und perspektivisch falsch
minimalistische Geschichte über gescheiterte Wikingerin

Wertung

PC

Die surreale Welt besitzt Potenzial, doch Kämpfe und Rätsel bleiben oft zu simpel und monoton.

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