Im Test: Retro-Rollenspiel ohne Gewaltzwang
Verhängnisvolle Neugier
Obwohl es heißt, dass noch nie jemand vom Mount Ebott zurückgekehrt sei, macht sich ein unerschrockenes Kind daran, den geheimnisvollen Berg zu erklimmen. Oben angekommen, stürzt es jedoch durch ein Missgeschick in einen tiefen Krater. Als es wieder zu sich kommt, schlüpft man in dessen Pixelhaut und findet sich inmitten alter Ruinen wieder, in denen Monster leben, die vor langer Zeit von den Menschen dorthin verbannt wurden. Unter den Fittichen einer fürsorglichen Monsteroma, die einem sogar per Handy mit Rat und Tat zur Seite steht, lernt man sich in der unterirdischen Welt voller Rätsel und Gefahren Schritt für Schritt zurechtzufinden.
Man wird angewiesen, aufmerksam zu sein, mit Worten statt mit Fäusten zu kämpfen, Geduld zu üben und Gefahren aus dem Weg zu gehen. Ob man ihren Instruktionen folgt oder nicht, ist einem selbst überlassen. So kann man Kämpfe tatsächlich mit Gewalt oder Gesprächen bestreiten, unterlegene Gegner abmurksen oder Gnade walten lassen.
Auseinandersetzungen nach Maß
Das Anlegen von Waffen und Kleidungsstücken schlägt sich ebenfalls auf Angriffs- und Verteidigungswerte nieder. Völlig vermeiden lassen sich Auseinandersetzungen aber nicht. Neben speziellen Boss- und Ereigniskämpfen kommt es in erträglichen Abständen auch immer wieder zu traditionellen Zufallskämpfen. Das Kampfsystem ist prinzipiell rundenbasiert, hält aber jede Menge gegnerspezifischer Reaktionstests in Echtzeit parat, bei denen man in der Regel thematisch passenden Objekten ausweichen muss - von Jump'n'Run bis Bullet Hell.
Eigene Angriffe sind ebenfalls mit kleinen, waffenspezifischen Geschicklichkeitseinlagen verknüpft, durch die man den ausgeteilten Schaden erhöhen kann. Die Unterschiede sind hier jedoch weit geringer als in der Defensive, wo immer wieder andere Mechanismen zum Einsatz kommen. So individuell wie die Abwehrmanöver, sind auch die je nach Gegner zur Verfügung stehenden Aktionen abseits roher Gewalt und Itemeinsätze. Mal versucht man mit Worten, mal mit Gefühlsäußerungen, mal mit Taten die Anerkennung des Gegners zu gewinnen, während man ein andermal einfach Geduld üben oder im richtigen Moment abhauen muss.
Eine Welt voller Überraschungen
Es kann aber auch sein, dass ein Kontrahent plötzlich die Lust am Kämpfen verliert, einen Telefonanruf entgegen nehmen muss, aus Höflichkeit eine Niederlage vortäuscht oder vergisst wie sein Spezialangriff doch gleich noch mal funktioniert. Die Kämpfe in Undertale stecken jedenfalls wie das ganze Spiel voller Humor, Charme und Überraschungen. Man trifft sympathisch schräge Charaktere, führt herzerweichend alberne Dialoge und erlebt die skurrilsten Situationen. Man wird gejagt, gefürchtet, bewundert und zu fast jedem Objekt im Spiel kann man eine liebevolle Beschreibung aufrufen.
Da viele Monster ein Faible für Rätsel haben, werden auch die grauen Zellen regelmäßig auf die Probe gestellt. Auch wenn es sich in erster Linie um Schalter- und Schiebrätsel klassischer Prägung handelt, sind diese meist liebevoll in die Umgebung eingebunden.
Zweischneidiger Minimalismus
Die Handhabung fällt denkbar einfach: Neben den Richtungstasten gibt es eine Aktions-, eine Menü- und eine Abbruchtaste. Mit einem Controller kann man die sogar frei zuteilen. Mit der Tastatur leider nicht, was in so fern schade ist, da die Steuerung aufs englische Tastenlayout ausgelegt ist, wo Z, X und C anders als hierzulande direkt nebeneinander liegen und entsprechend komfortabler zu betätigen sind. Als Spielsprache gibt es ausschließlich Englisch und auch sonst bis auf eine Vollbildumschaltung keinerlei Spieloptionen.
Das Inventar ist ebenfalls strikt begrenzt. Da Händler keine Waren zurückkaufen und man nichts wegwerfen kann, darf man hier und da wenigstens magische Lagerkisten nutzen. Die grafische Inszenierung im pixeligen 8-Bit-Stil wird von einem ungemein stimmungsvollen Soundtrack mit nostalgischen Chiptune-Anleihen begleitet, der auch separat erhältlich ist. Der Umfang des an japanische Rollenspielklassiker angelehnten Unter-Tage-Trips hält sich zwar in Grenzen, kostet auch mal Nerven, aber der Wiederspielwert ist sehr hoch. Es gibt viele Situationen, die man auf unterschiedliche Weisen angehen kann, viele Entscheidungen die schwer fallen, viele Dinge, die man erst auf den zweiten Blick realisiert. Mehr sollte man nicht verraten...
Fazit
In Undertale steckt so viel Witz, Liebe und Phantasie, dass man sich seinem Charme nur schwer entziehen kann. Der pixelige 8-Bit-Look mag nicht jedermanns Sache, Zufallskämpfe von vielen verpönt, der Ausflug in die unterirdische Monsterwelt zu schnell vorbei sein, aber was Toby Fox hier für knapp zehn Euro anbietet, sollte sich kein englischkundiger Rollenspielliebhaber entgehen lassen. Von den sympathisch schrägen Charakteren über die herzerweichend albernen Dialoge bis hin zu all den skurrilen Situationen und Konflikten, könnten sich so viele große Titel eine dicke Scheibe abschneiden. Man wird immer wieder überrascht, zum Lachen und zum Nachdenken gebracht. Man experimentiert, sinniert oder lehnt sich einfach zurück, um dem ungemein stimmungsvollen Soundtrack zu lauschen. Nicht nur für Pazifisten und Fans klassischer Japan-Rollenspiele der 80er und 90er ein empfehlenswerter Kreativ-Cocktail, der mehr als nur einmal mundet.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Herrlich kreatives Retro-Rollenspiel voller Witz, Charme und Überraschungen.
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