Punch Club20.01.2016, Mathias Oertel
Punch Club

Im Test: Zwischen Sims und Rocky

Als aufstrebender Kampfsportler hat man es nicht leicht. Man muss trainieren und sich vernünftig ernähren. Soziale Kontakte müssen aufgebaut und gepflegt werden. Der Lebensunterhalt verdient sich auch nicht von alleine. Und das alles, während man auf der Suche nach dem Mörder seines Vaters ist. Willkommen in der Welt von Punch Club (ab 1,95€ bei GP_logo_black_rgb kaufen).

Alles ist irgendwie anders

Nach den ersten Screenshots und selbst nach dem ersten Video hatte ich den Eindruck, dass es sich bei dem Indie-Projekt Punch Club wohl um eine Mischung aus Action-Adventure und Prügler handelt. Die an einschlägige SNES- oder Mega-Drive-Titel wie Double Dragon oder Streets of Rage erinnernde Visualisierung mit ihrem stimmungsvollen sympathischen 16-Bit-Stil stützte meine Vermutung. In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht ausmalen können, dass das kleine russische Team von Lazy Bear Games zwei, drei andere meiner favorisierten Genre in den Mixer stecken und den Knopf drücken würden.

Auch wenn der Eindruck entstehen könnte, ist Punch Club ganz weit von Spielen wie Streets of Rage entfernt.
Denn die erklärten Retro-Freaks sowie Fans einschlägiger Filme aus den 80ern/90ern mit Schwarzenegger, Stallone, Van Damme, Dudikoff und wie sie alle heißen, schmeißen hier Lebenssimulation à la Sims und Taktik-Rollenspiel in einen Topf, lassen dies über mittlerer Flamme garen und garnieren das Gericht mit einem Schuss Wirtschafts-Simulation. Serviert wird der überraschend wohlschmeckende Mix übrigens mit einer Rachestory: Der Vater des Protagonisten, ein Kampfsportmeister, fällt ähnlich der Eltern von Bruce Wayne einem Verbrechen zum Opfer, ringt seinem Sohn aber das Versprechen ab, hart zu trainieren. Der verwaiste Junge wird von dem Polizisten Frank unter seine Fittiche genommen und schwört Rache.

Das Leben ist schwer

Man übernimmt den Helden, dessen Namen vom Spieler festgelegt wird (der Einfachheit halber nennen wir ihn hier "Chuck"), in etwa im jungen Erwachsenenalter, als er in seiner kleinen Bude von einem Anruf geweckt wird: Es ist Frank, der ihn daran erinnert, sich einen Job zu suchen. Doch Chuck hat keine Lust. Er möchte lieber trainieren, um den Wunsch seines Vaters in die Tat umzusetzen. Doch während er mit Liegestützen zwei der drei grundlegenden Eigenschaften Stärke,

Es stehen zahlreiche Entscheidungen an, die Zeit ist ständig ebenso knapp wie das Geld...
Beweglichkeit und Ausdauer aufbaut, macht sich Hunger bemerkbar. Der lässt sich nur durch den Gang zum Kühlschrank, den Besuch der Pizzeria oder Benutzung eines Snack-Automaten bewältigen. Das wiederum kostet Geld, das meist noch knapper ist als der gesunde Menschenverstand des manchmal etwas tumben Helden. Also doch zur Arbeit. Dabei verdient man zwar je nach Job (es stehen z.B. Pizzalieferungen oder als Bauarbeiter zur Verfügung) unterschiedlich viel, doch die Auswirkungen auf die Eigenschaften oder die vier Grundwerte für Gesundheit, Hunger, Spaß und Energie variieren ebenfalls deutlich.

Es dauert nicht lang, bis man nach einem Zwischenfall einen alternden Boxtrainer namens Mick (Rocky lässt grüßen) trifft, der einen in einem Box-Zentrum unterbringt.  Dort findet man nicht nur ausgefeiltere Trainingsmöglichkeiten vor als in der heimischen Garage, sondern hat auch noch Zugriff auf sanktionierte Ranglistenkämpfe. Und damit beginnt ein Zeitmanagement, das ähnlich komplex verzahnt ist wie beim großen Sims, sich aber auf die sportliche Seite und den roten Storyfaden konzentriert, sprich: Man muss sich zwar um Ernährung, Training

Man kann viele Storystränge entdecken, die teils aufeinander aufbauen.
und Lebensunterhalt kümmern, kann aber Körperhygiene links liegen lassen. Das wäre auch zu viel des Guten, denn auch so hat man alle Hände voll zu tun. Denn die Eigenschaften lassen sich nicht nur aufbauen. Nach Ablauf jedes Tages bilden sie sich zurück – wenn es sein muss, auch so weit, dass die erreichte Stufe wieder gesenkt wird. Man kann zwar (und hier kommt ein leichter Rollenspiel-Aspekt ins Spiel) bei den immer teurer werdenden Sonderfähigkeiten auch „Stufengrenzen“ erstehen, unter die die Eigenschaften nicht fallen. Doch angesichts zahlreicher anderer, teils aufeinander aufbauender Kampffähigkeiten wie Uppercut oder späteren Spezialisierungen, wird einem die Entscheidung nicht leicht gemacht.

Komplexer als gedacht

Zudem warten ständig neue Ereignisse und Überraschungen, die allesamt sinnvoll mit den übrigen Mechaniken verknüpft sind. Übermäßiges Training an einem Gerät zeigt irgendwann keine Wirkung mehr, so dass man wechseln muss. Läuft man mit zu viel Geld durch die Gegend, weil man seine Garage mit neuen Trainingsgeräten auszustatten, anstatt den kostenpflichtigen sowie Zeit sparenden Bus zu nehmen, kann es sein, dass man überfallen wird. Daraufhin hat man die Wahl, ob man einen Fluchtversuch unternimmt, das Geld übergibt oder einen Kampf auf sich nimmt. Man lernt Figuren kennen, mit denen man sich anfreunden kann und die neue Aktivitäten öffnen. Doch um die Freundschaft oder gar Romanzen zu pflegen und die Annehmlichkeiten wie z.B. effektiveres Training mit einem Sparringspartner zu genießen, muss man irgendwo anders Zeit und Energie abzwacken. Man kann Überfälle im Lieblingssupermarkt verhindern. Man muss sich in der Kampfliga innerhalb eines bestimmten Zeitraums für das nächste Duell einschreiben, da man sonst Gefahr läuft, in der Rangliste heruntergestuft zu werden.

Man kann auch an illegalen "Ultimate Fights" teilnehmen - mit erhöhtem Verletzungsrisiko.
Später kommen u.a. noch Möglichkeiten für illegale „Ultimate Fights“ hinzu, bei denen man höhere Gewinne einstreichen kann, die aber auch eine größere Verletzungsgefahr bergen. Und mit einem angebrochenen Bein sind alle Trainingsoptionen, bei denen man stehen muss, ineffektiver. Sprich: Es fällt schwerer, sich auf den nächsten regulären Kampf vorzubereiten. Die Möglichkeiten, sich in der eigentlich nicht mal so großen, aber dennoch komplexen Welt von Punch Club zu verlieren, sind enorm. Man muss ständig Kompromisse eingehen und etwas, das man sich vorgenommen hat, für etwas spontan  Aufgetauchtes links liegen lassen. In den knappen Dialogen warten ebenfalls einige Konsequenzen und bei alledem darf man nicht vergessen, dass man langfristig seinen Vater rächen und sein eigenes kleines Trainingszentrum aufbauen möchte. Obwohl alles weitgehend sinnvoll miteinander verbunden ist, stellt sich trotz aller eingestreuter Überraschungen mittelfristig eine gewisse Redundanz ein, die im Zeitmanagement langfristig zudem von Grind begleitet wird. Trotz Entscheidungen oder Ereignissen läuft das Leben von Chuck irgendwann in einer Art Routine-Schleife, über die auch die unzähligen Anspielungen auf Filme oder Serien der 80er/90er Jahre nicht hinweg trösten können.

Der Kampfsport-Manager

Man kann sehr viele Fähigkeiten erlernen und dann im taktischen Kampf einsetzen.
Dafür jedoch sorgen die Kämpfe für Spannung und eine überraschende taktische Tiefe. Die Inszenierung könnte zwar etwas dynamischer sein. Doch was die beiden an ihrer Position verharrenden Kontrahenten dennoch mit einfachen Mitteln an Intensität aufbauen, kann sich sehen lassen. Vor jeder Runde gibt man Chuck aus seinem stetig wachsenden Repertoire an Optionen bis zu einem halben Dutzend Vorgaben mit auf den Weg, die dann von der KI mal gut, mal weniger gut umgesetzt werden. Fokus auf schnelle Jabs kann bei schwerfälligen Gegnern im Zusammenspiel mit Ausweichfokus für Erfolg führen. Oder stellt man fest, dass der Kontrahent nur noch wenig Ausdauer besitzt, stellt man um und packt schwere Tritte in die Auswahlschleife. Mit den später hinzukommenden Spezialisierungen und Perks hat man eine erstaunliche taktische Bandbreite zur Verfügung, um sich auf die jeweiligen Gegner einzustellen, während man auf die eigene Ausdauer und natürlich die Gesundheit achten muss.

Allerdings muss man auch das Vertrauen in die KI haben. Denn Chuck versucht zwar, die taktischen Vorgaben umzusetzen. Doch manchmal entwickelt er auch ein unvorhergesehenes Eigenleben. In einer Runde hält er sich an die Anweisungen, weicht vielen gegnerischen Angriffen aus und platziert selbst clevere Nadelstiche. In einer anderen wird er übermütig und setzt weniger auf Ausweichen bzw. Konter, sondern greift unvermutet mit einer schnellen Kombo an, während er die Deckung fallen lässt. Diese Unberechenbarkeit in den Kämpfen ist Fluch und Segen

Bei vielen Ereignissen hat man Auswahlmöglichkeiten, muss aber in jedem Fall mit den Konsequenzen leben.
zugleich. Zum einen fühlt man sich dadurch manchmal wirklich wie Mickey Goldmill, als er in Rocky 3 mitansehen muss, wie sein Schützling von Clubber Lang nach allen Regeln der Kunst vermöbelt wird. Und man freut sich diebisch, wenn man einen vermeintlich verlorenen Kampf durch die richtigen Taktikjustierungen doch noch herum reißt. Andererseits jedoch wirken die im Hintergrund ablaufenden Rechenspielchen manchmal etwas willkürlich. Doch nachdem ich seit Jahren die Kämpfe von UFC, Bellator und seit jüngerer Zeit auch Invicta verfolge, in denen man sich auch auf nichts bzw. nur wenig  verlassen kann, hat Punch Club diese Unberechenbarkeit gut eingefangen.

Fazit


Auch wenn der Name es vermuten lässt, ist Punch Club kein Prügler. Es ist auch kein Action-Adventure. Das in sympathischem 16-Bit-Design gehaltene und mit forschen Chipsounds unterlegte Spiegel lässt sich am ehesten als eine Mischung aus storybasiertem Sims sowie einem Box-Manager beschreiben. Während man grob dem roten erzählerischen Faden um die Ermordung des Vaters des Protagonisten folgt, muss man sich für Kämpfe in Form bringen, seine Sozialkontakte aufbauen und pflegen, seinen Lebensunterhalt verdienen sowie zahlreichen interessant verzahnten Überraschungen begegnen. Leider sorgt das Zeitmanagement zusammen mit den auf Dauer überschaubaren Möglichkeiten irgendwann einerseits für Grind, andererseits für Redundanz - auch wenn hier und da eine interessante Überraschung eingestreut wird. Hier wäre es besser gewesen, die sich zu schnell zurückbildenden Grundeigenschaften ausgewogener zu gestalten und sich stärker auf die hinsichtlich des Spannungsfaktors noch ausbaufähige Geschichte zu konzentrieren. Die Kämpfe mit ihren rundentaktischen Anweisungen wiederum sind jederzeit spannend, während die zahllosen Anspielungen auf Action-Filme von Rocky über Bloodsport bis Fight Club immer wieder für Aufmerksamkeit und den einen oder anderen Lacher sorgen. Rundum gelungene Unterhaltung für Sims-Fans, die auf der Suche nach dem gewissen Etwas sind.

Pro

sympathisches audiovisuelles Retrodesign im 16-Bit-Stil
haufenweise Anspielungen auf einschlägige Action-Filme
Zeitmanagement à la Sims auf eine Figur reduziert
rundentaktische Kämpfe, in denen man nur Anweisungen geben kann
Dialoge mit Entscheidungen
cooler Chiptune-Soundtrack

Kontra

anfällig für Grind
Grundeigenschaften werden zu schnell schwächer
spartanische Inszenierung der Kämpfe
langfristig redundante Routine-Abläufe

Wertung

PC

Ungewöhnlicher Mix aus Zeitmanagement à la Sims, Box-Manager mit rundenbasierten Kämpfen sowie dialogbasiertem Krimi-Abenteuer. Die Retro-Kulisse sorgt für Extracharme.

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