Calendula08.02.2016, Jörg Luibl
Calendula

Im Test: Eine digitale Séance

Calendula? Ist das nicht der lateinische Name der Ringelblume? Die mit den gelben Blüten, die man auch für Sie-liebt-mich-sie-liebt-mich-nicht-Weissagungen verwendete? Wie auch immer: Die spanischen Blooming Buds Studios entführen euch mit dem gleichnamigen Spiel nicht auf eine Wiese oder in ein amoröses, sondern in ein höchst bizarres Abenteuer. Wenn man diese Rätselreise antritt, muss man vor allem mit einem rechnen: Verstörung. Wir verraten im Test, ob sich der Trip für knapp fünf Euro lohnt.

Wer spielt da mit mir?

Spätestens als ich mit dem Mauszeiger diesem Punkt folge, der irgendwo im Menü auf Buchstaben verharrt, fühle ich mich wie in einer Séance beim Tischrücken. Nachdem ich die Buchstaben notiert und zu einem Wort zusammengefügt habe, gebe ich es als Passwort ein - hurra, es klappt! Jetzt kann endlich einen weiteren Spielstand laden. Nur um mich darüber zu freuen, dass ich jetzt in Egosicht durch einen schummrigen Flur spaziere, während ich ein Herz pochen höre, bevor ich wieder im blutroten Hauptmenü lande. Hallo, ergeben diese Szenen irgendwann einen Sinn? Ja.

Moment, soll das so sein? Ja, man muss auch mal das Bild verschieben, um Buchstaben zu finden.
Aber wer das "Finale" erleben will, muss sich etwa anderthalb Stunden durch ein Rätselabenteuer knobeln, das gezielt mit Konventionen bricht - und zwar auf allen Ebenen. Es gibt keinen normalen Einstieg, keine klassische Spielmechanik, keine gewöhnliche Dramaturgie, sondern vom Start weg vor allem eines: verstörende Momente. Wer auf "New Game" klickt, um anzufangen, wird erstmal von einem Error begrüßt. Und zu Beginn fragt man sich noch, ob man tatsächlich etwas in den Optionen ändern muss...

Bruch mit Konventionen

Was zur Hölle sollen diese Spaziergänge? wer ein Passwort findet, um einen Spielstand zu laden, darf immer weiter gehen.
Wieso kann ich überhaupt Spiele laden? Ich hab doch gar keines angefangen und gespeichert? Okay, dann starte ich das, aber jetzt fehlt schon wieder das Passwort! Man bemerkt schnell, dass dieses Spiel mit einem spielt - allerdings wesentlich stärker als anno dazumal etwa Eternal Darkness, eher vergleichbar mit Pony Island. Es gibt einem meist über die Namen der Spielstände wie etwa "babel" oder ein Augensymbol subtile Hinweise auf das, was man machen sollte: "Soon you will understand my words."

Für ihre Rätsel nutzen die Spanier sowohl

Wieso kann ich kein neues Spiel starten? Was für ein Error?
textliche als auch optische und akustische Mittel. Mal muss man seine Steuerung invertieren, das Bild zentrieren und dann bewegen oder auf Buchstaben im Flackerlicht achten. Es gibt ansonsten keinerlei Hilfen und die teilweise genialen, aber eben auch vertrackten Situationen können einen sehr schnell an die Toleranzgrenze führen. Dann wächst der Frust und man fragt sich: Warum soll ich mir diesen digitalen Spuk weiter antun? Da man bis auf die Eingabe seines Namens und Geburtstages keinerlei persönliche Anbindung an das Spiel hat, fällt einem das emotionale Abtauchen schwer - man experimentiert also recht nüchtern.

Man denkt oft daran, einfach aufzugeben...
Trotzdem bleibt man neugierig: Immer wenn man ein weiteres Passwort entschlüsselt und eingibt, winkt ja als Belohnung ein neuer ladbarer Spielstand, der einen wieder für ein paar verstörende Momente durch diese Flure und Hallen wandern lässt. Die Kulisse ist alles andere als ansehnlich, eher alptraumhaft fragmentiert und sie wird bewusst verzerrt, so dass unheimliche Momente entstehen. Mit jedem weiteren Fortschritt verändert sich auch etwas wie von Geisterhand am Hauptmenü, das wie eine Zentrale und gleichzeitig auch Spielplatz für den Weg zur Erkenntnis fungiert. Es liegt also durchaus ein Köder aus, der zum Weitermachen animiert.

Fazit

Calendula spielt sich wie eine digitale Séance. Wer sich auf diesen Rätseltrip einlässt, darf sich auf einige verstörende sowie unheimliche Momente freuen. Ähnlich wie im Klassiker Eternal Darkness fragt man sich gerade zu Beginn, ob das Spiel oder der Rechner defekt ist. Doch die Blooming Buds Studios brechen gezielt mit Konventionen und drehen den Spieß der Dramaturgie so um, dass man ähnlich wie in Pony Island das Gefühl hat, selbst ein Spielball zu sein - und so irrt man wie ein Suchender durch die Menüs. Doch wo Letzteres mit seiner Arcade-Metapher noch einiges an klassischen Spielmechaniken sowie einen Antagonisten anzubieten hatte, der den Ehrgeiz weckte, bleibt Calendula etwas zu stark auf der formalistischen Ebene und wirkt mitunter wie ein steriles Kunstspiel mit recht monotonen Abläufen. Es fehlt eine stärkere emotionale Anbindung, die einen in Sackgassen zum Weitermachen animiert. Trotzdem lohnt es sich, das unheimliche Experiment bis zum Ende mitzumachen, denn die Auflösung sorgt für eine durchaus befriedigende Erkenntnis.

Pro

verstörendes Rätselabenteuer
Bruch mit klassischen Spiel-Konventionen
unheimliche Momente, tolle Aufgaben
subtile Hinweise
befriedigendes Ende

Kontra

keinerlei emotionale Anbindung
recht monotones Hin und Her
nach mehr als einer Stunde ist der Spuk vorbei
bescheidene Kulisse

Wertung

PC

Calendula spielt sich wie eine digitale Séance. Wer sich auf diesen sehr kurzen und recht monotonen Rätseltrip einlässt, darf sich auf einige verstörende sowie unheimliche Momente freuen.

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