The Turing Test07.09.2016, Michael Krosta

Im Test: Mensch oder Maschine?

Schon mit Pneuma: Breath of Life stellten die Entwickler von Bulkhead Interactive ihre Vorliebe für Puzzlespiele aus der Egoperspektive unter Beweis, enttäuschten aber bei uns im Test (Wertung: 55%). Mit The Turing Test wagt das Team als neu formiertes Studio jetzt einen weiteren Anlauf, um die Gehirnzellen auf Trab zu bringen und mit einem redseligen KI-Begleiter in die Sphären eines Portal 2 vorzustoßen – mit Erfolg?

Die freundliche Stimme aus dem Nichts

Der Turing Test ist für Informatiker mit Schwerpunkt KI-Forschung kein Unbekannter: Die von Alan Turing 1950 vorgestellten Aufgaben sollten aufzeigen, ob eine Maschine über ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen verfügen kann. Da verwundert es kaum, dass auch das Spiel die Thematik aufgreift und sich die philosophisch angehauchten Dialoge mit der omnipräsenten KI namens TOM oft darum drehen, wo die Grenzen der Maschinen hinsichtlich kreativer Lösungsansätze sowie menschlicher Denkweisen und Emotionen liegen.

Wo ist die Bodencrew abgelieben? Und warum hat sie die Basis in einen Test verwandelt?
Ich übernehme die Rolle der Astronautin Ava Turing, mit der ich im Prolog das Raumschiff verlasse, um auf dem Saturnmond Europa nach der Bodencrew zu suchen. Diese hat plötzlich den Kontakt abgebrochen und ist seitdem verschollen. Da kann sich TOM bei meiner Ankunft auf der Basis mit seiner freundlichen Stimme und interessanten Ausführungen noch so vertrauensvoll präsentieren: Ein gewisses Misstrauen ist unvermeidlich, denn Filme wie Ex Machina oder die Erfahrungen aus Portal mit einer gewissen KI namens GlaDOS haben Spuren hinterlassen. Zudem stellt sich von Anfang an die Frage, warum die Crew nicht nur verschwunden ist, sondern vorher noch die Basis zu einem gigantischen Testlabor mit 70 Kammern umfunktioniert hat. Antworten liefern die sieben Kapitel in Form von Dialogen, Dokumenten und Audiologs, mit denen der nicht unbedingt originelle, aber dennoch gelungene Storyrahmen präsentiert wird.  

EMT statt Portal-Gun

Das EMT (Energy Manipulation Tool) ist für die Suche nach dem Ausgang ein unverzichtbares Werkzeug.
Das Ziel innerhalb der Testkammern besteht immer darin, den Ausgang zu erreichen. Allerdings ist der Weg dorthin mehr oder weniger kompliziert, denn es müssen u.a. erst die richtigen Türen geöffnet, Plattformen in Stellung gebracht, Lichtbrücken aktiviert, Hebel umgelegt, Objekte an der richtige Stelle platziert oder Kettenreaktionen ausgelöst werden, bei denen durchaus auch das richtige Timing eine Rolle spielt. Also der ganz normale Puzzle-Wahnsinn. Dabei erweist sich das EMT (Energy Manipulation Tool) als unverzichtbares Hightech-Werkzeug: Es verschießt nicht nur kleine Kugeln, um damit z.B. Türschlösser mit Energie zu versorgen, sondern kann bis zu drei dieser Energiebälle auch wieder einsaugen, sofern sie für den Spieler sichtbar sind. Dabei lernt man schnell die verschiedenen Varianten der Energiekugeln kennen, die sich auch farblich voneinander unterscheiden: Während die blauen Exemplare eine konstante Energieversorgung liefern, geben andere nur in bestimmten Intervallen Energiestöße ab oder brennen nach kurzer Zeit aus.

Energiekugeln lassen sich nicht nur verschießen, sondern auch wieder einsammeln.
Es stellt sich später also auch vermehrt die Frage, welche Sorte der Kugeln man in welcher Reihenfolge an welcher Stelle platziert, um den gewünschten (oder erhofften) Effekt zu erzielen. Und dann gibt es noch die typischen Würfel, die einerseits bei einer entsprechenden Platzierung ebenfalls Energie liefern, andererseits aber auch transportiert werden dürfen und mit ihrem Gewicht z.B. Schalter aktivieren können. Zudem eignen sie sich hervorragend dafür, offene Energiestrahlen zu unterbrechen oder als Türstopper einzuspringen. Etwa ab der Mitte des Spiels wird der Spielablauf um zusätzliche Mechaniken erweitert, indem man sich auch in Kameras hacken und sogar die Kontrolle über mobile Roboter übernehmen kann, die ähnliche Funktionen aufweisen wie das EMT. Ab dieser Phase gewinnt die Sichtlinie eine noch größere Bedeutung, da man nur die Kontrolle über Objekte übernehmen kann, die man auch sieht. Das Zurückschalten zur Spielfigur ist dagegen auch ohne Sichtkontakt möglich.

Gut designte Testkammern

Die Testkammern sind nahezu perfekt auf die verfügbaren Spielmechaniken zugeschnitten – Sackgassen muss man hier nicht befürchten. Nur ab und zu nerven pixelgenaue Ausrichtungen, um die Sichtlinie zu bewahren oder vereinzelte Trial&Error-Passagen, wenn etwa ein Cubus nach einem weiten Wurf auf einem Schalter am Boden landen muss. Solche Frustmomente bilden allerdings die Ausnahme.

Da die Kammern allesamt recht übersichtlich ausfallen, halten sich gleichzeitig auch die Aktionsmöglichkeiten in Grenzen. Meist hat man schnell eine Vorstellung davon, was zu tun ist, obwohl es hin und wieder auch die erfreulichen Aha-Momente gibt, wenn man nicht sofort auf die Lösung kommt. Trotzdem ist der Schwierigkeitsgrad eher niedrig angesetzt – vor allem Spieler mit Erfahrung aus Portal oder The Talos Principle dürften relativ schnell durchmarschieren und nur selten richtig gefordert werden. Zumal sich auch der Anspruch bei den eingestreuten Geschicklichkeitspassagen im unteren Bereich bewegt und im Gegensatz zu anderen Puzzle-Vertretern auch keine

Später bekommt man auch die Möglichkeit, die Kontrolle über Roboter und Kameras zu übernehmen.
Gefahren wie tödliche Laserstrahlen, Stürze in die Tiefe oder fiese Fallen drohen. So knobelt man sich recht entspannt durch die Räume, die hin und wieder von kleinen Erkundungsmomenten unterbrochen werden, in denen man keine Rätsel lösen muss.  

Wenig „Weltraum-Flair“

Schade nur, dass man von Europa als fremder Welt so wenig zu sehen bekommt – die Testkammern könnten genauso gut auf jedem anderen Planeten oder irgendwo auf der Erde aufgebaut worden sein. Dabei hätten potenzielle Außenabschnitte nicht nur mehr Abwechslung fürs Auge geboten, sondern vielleicht auch die Tür für Situationen mit Einbeziehung der Schwerkraft oder Sauerstoffmangel geöffnet.

Technisch wäre ebenfalls mehr drin gewesen: Die sterile und für Rätselspiele dieser Art oft typische Präsentation der Testkammern geht zwar in Ordnung, aber die Bildrate hat auf der Xbox One an manchen Stellen zu kämpfen. Zudem stören mitunter lange Ladezeiten zwischen den Räumen den Spielfluss – auch weil dadurch teilweise Dialoge aufgrund der Zwangspausen mittendrin unterbrochen werden. Ebenfalls ärgerlich, dass man den Turing Test nur auf Englisch absolvieren darf. Zwar leisten die Sprecher gute Arbeit, doch nicht einmal deutsche Untertitel werden geboten und auch die wenigen Dokumente wurden leider nicht übersetzt.

Update PC-Version

Mittlerweile konnten wir auch die PC-Version des Puzzlers spielen, die inhaltlich identisch zur Konsolenfassung ist, aber deren technische Kritikpunkte nahezu komplett ausradiert: Man kann nicht nur die native Auflösung jenseits von 1080p nach oben schrauben, sondern auch die Bildrate liegt deutlich höher und die Darstellung wirkt entsprechend flüssiger. Weitere Vorteile verbucht die PC-Version bei den Ladezeiten, denn wo man sich auf der Konsole beim Übergang zwischen den Räumen oft ein wenig gedulden muss, darf man hier innerhalb eines Areals meist direkt und ohne Warten durchmarschieren. Darüber hinaus darf man alternativ zum Controller auch mit Maus und Tastatur die Tests absolvieren.

Fazit

The Turing Test hat mir richtig gut gefallen. Der Rätselanspruch hält sich zwar in Grenzen und dürfte für Knobel-Experten bis auf wenige Ausnahmen keine allzu großen Hürden darstellen. Trotzdem sind die meisten Testkammern ansprechend designt und prima auf die Möglichkeiten der gelungenen Spielmechanik zugeschnitten, auch wenn Kleinigkeiten wie die fummelige Positionierung von Objekten hin und wieder nerven. Aber ich mag die Atmosphäre und die philosophisch angehauchten Dialoge zwischen Ava und der KI, die mich bis zum Ende gut unterhalten haben. Die stärksten Momente bleiben wie immer solche, in denen man erst ideenlos und fast schon verzweifelt Dinge ausprobiert, bis irgendwann der Groschen mit dem Aha-Erlebnis fällt. Diese sind leider etwas zu selten und auch das Fehlen einer Bedrohung macht The Turing Test eher zu einem entspannten Rätselspaziergang durch die Basis auf dem Saturnmond Europa, wobei der interessante Schauplatz kaum zur Geltung kommt. Zusammen mit der ausbaufähigen Technik und fehlenden Lokalisierung ist der Weg zum Award damit zwar versperrt, aber wer eine kleine Beschäftigung für seine grauen Zellen sucht oder erste Knobel-Erfahrungen im Stil von Portal & Co sammeln möchte, bekommt mit The Turing Test ein durchaus unterhaltsames Rätselspiel.

Pro

viele clever designte Rätselräume ohne Sackgassen
interessante Story mit philosophischen Ansätzen
nette Atmosphäre
eingestreute Geschicklichkeits- und Erkundungspassagen
gelungene Spielmechaniken

Kontra

die sich meist recht einfach lösen lassen
mitunter fummelige Positionierung von Objekten nötig
schwankende Anforderungen
keine Bedrohung oder Gefahren
z.T. lange Ladezeiten (Xbox One)
vereinzelte Bildratenprobleme (Xbox One)
keine deutsche Lokalisierung

Wertung

PC

Auf dem PC macht das Knobeln dank besserer Technik einen Tick mehr Spaß.

XboxOne

The Turing Test ist ein unterhaltsamer Knobler mit Portal-Anleihen, der die grauen Zellen aber nur wenig beansprucht und vor allem von seiner Atmosphäre sowie interessanten Dialogen lebt.

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