Vector 3609.02.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: WipEout auf dem Mars

So müssen sich die ersten Rennfahrer gefühlt haben: Anstatt im Rahmen abgesteckter Regelwerke kontrollierte Wettbewerbe auszutragen, haben sie eine möglichst starke Maschine in ein möglichst leichtes Gehäuse geschraubt und mal getestet, ob man ein solches Geschoss mit handelsüblichen Reifen überhaupt auf der Straße halten kann. Genau diesen Nervkitzel fängt Vector 36 hervorragend ein! Den Frust, nachdem der Schuss ins Blaue mal wieder danebenging, allerdings auch.

Freud und Leid

Ich hatte mich riesig auf dieses Spiel gefreut – und mich selten so über ein Spiel geärgert. Denn wer nicht eine gehörige Portion Geduld mitbringt, den stößt Vector 36 beinahe mutwillig von sich weg. Tatsächlich hatte ich schon während der Early-Access-Phase einen der Flieger zusammengestellt, die auf dem Mars gegen Zeit und Konkurrenten um die Wette schweben; das war ohne Anleitung eine ganz schöne Tortur. Damals fehlte immerhin ein Tutorial, so dass vor allem das Umrüsten der Gleiter reines Glücksspiel war. Wer nicht wusste, wo er welche Teile eigentlich anbringen soll, in welche Richtung man sie drehen und mit welcher Leistung programmieren soll, der konnte stundenlang experimentieren, ohne wirklich schlauer zu werden.

Mit der Veröffentlichung des fertigen Spiels aber… nein, eben nicht! Es gibt noch immer keine gute Einführung in das relativ komplexe Anbringen und Verstellen von Turbinen, Kühlern, Treibstoff usw. Im Shop sieht man nicht einmal,

Auf dem Mars vertreiben sich Adrenalinjunkies in selbstgebauten Gleitern die Zeit.

welche Bauteile man bereits besitzt, welche Funktion sie haben und man erfährt auch nicht, wie sich deren Eigenschaften eigentlich auswirken. Teure Turbinen sind nämlich nicht unbedingt leistungsfähiger als günstigere. Warum man teuren Fusionstreibstoff statt günstigen Plasmas verwenden sollte, obwohl er doppelt so schnell ausgeht, ist zunächst ein Rätsel. Untereinander vergleichen darf man die Teile schon gar nicht.

Man kann zudem nicht simulieren, wie sich der Flieger verhalten wird, sondern muss dafür stets einen Probelauf laden. Wem das nach mühevoller Arbeit klingt, der trifft ins Schwarze. Und wer darauf keine Lust hat, der sollte die Finger von Vector 36 lassen! Denn auch die staubtrockene Präsentation, der neben einer notwendigen Führung auch eine klar strukturierte Kampagne fehlt, macht die Landung in dieser Quasi-Simulation nicht leichter. Wer mit dem Gamepad spielt, bewegt den „Mauszeiger“ außerdem per Analogstick: Eine an Controller angepasste Menüführung gibt es nicht, was vor allem für Nutzer der Virtual-Reality-Version unbequem ist.

Eine Frage der Balance

Ich würde die Schwächen nicht in dieser Form an den Anfang eines Artikels stellen, wenn sie nicht so auffallend wären. Wer nicht leidensfähig ist, dürfte zu Vector 36 keinen Zugang finden – und das ist eigentlich verdammt schade. Denn wer sich einmal reingefunden hat, genießt ein tolles Fluggefühl und atemberaubende Rennen auf einer fiktiven Version unseres Nachbarplaneten. Dort haben Menschen Anlagen installiert, um u.a. Terraforming vorzunehmen, während sie

Vector 36 unterstützt die Virtual-Reality-Headsets von Oculus und HTC sowie das OSVR.

Wie üblich profitiert man dabei von einem starken Mittendringefühl, wobei HUD-Elemente gut erkennbar platziert wurden. Spät auftauchende Details fallen allerdings stärker auf und eine völlig unnötige automatische, wenn auch kurze Kamerafahrt vor jedem Start kann Unwohlsein verursachen.

Dass sämtliche Menüs mit Gamepad umständlich zu bedienen sind, stört zudem das Erlebnis außerhalb der Rennen.

sich die Zeit mit Wettrennen vertreiben.

Dafür benötigen sie ein Chassis, mindestens fünf Turbinen (vier zum Schweben, eine zum Beschleunigen), entsprechende Kühler, einen Stabilisator und mehr. Die Teile werden an freien Flächen der Hülle befestigt, können untereinander vertauscht sowie so weit verschoben werden, wie Platz vorhanden ist. Wichtig sind Feineinstellungen wie das Verstellen mancher Winkel: In Abhängigkeit von der Gewichtsverteilung könnte das Haupttriebwerk etwa dafür sorgen, dass die Maschine den Flieger auf der gewünschten Höhe hält. Experimente machen sich dabei bezahlt: Seit ich einfach mal zwei Kühler montiert habe, kann ich den Nachbrenner ununterbrochen nutzen, ohne dass die Maschinen überhitzen.

Während des Flugs variieren Piloten außerdem die Balance zwischen der für den Schub und den fürs Schweben verantwortlichen Turbinen. So tauschen sie Sicherheit gegen Schnelligkeit. Das kann riskant sein, der Geschwindigkeitsgewinn ist allerdings enorm. Tatsächlich ändere ich auf manchen Kursen immer wieder die Balance, um den Besonderheiten mancher Streckenabschnitte gerecht zu werden. Dieses Eingreifen in die Mechanik unterstützt das griffige und im Sinne der Science-Fiction glaubwürdige Fluggefühl.

Rallye auf Luftkissen

Dafür ist natürlich auch die überzeugende Physik verantwortlich, denn in Vector 36 schwebt man nicht wie in WipEout oder anderen Arcade-Racern. Mit dem Steuern von Straßenfahrzeugen ist es schon gar nicht vergleichbar. Vielmehr dauert es hier eine ganze Weile, bis voller Schub auch Höchstgeschwindigkeit bedeutet. Das wird vor allem beim Fliegen durch Kurven deutlich, wenn der Gleiter aufgrund der Gewichtsverlagerung nach außen kippt, während man ständig in die Kurve beschleunigt.

Besonders in Höhlen oder Schluchten bedarf es Übung, bevor man sie in Anbetracht der verzögerten Reaktionen nicht nur sicher, sondern auch schnell durchquert. Gewinnt man zu viel Höhe, kann man den Schweber außerdem nicht mehr lenken, das sollte man also tunlichst vermeiden – was über plötzlich abfallendem Gelände gar nicht so einfach ist. Damit man weder durch den Verlust des Antriebs noch Kollisionen ins Torkeln gerät, rast man also am besten in niedriger Höhe über den roten Planeten, muss dann aber höllisch aufpassen nicht den Boden zu touchieren.

Geisterflieger

Das gilt nicht nur mit Blick auf die Platzierung, sondern sollte schon des Geldes wegen ein Ansporn sein. Die Reparatur eines zerstörten Fliegers ist nämlich teuer. Zum Glück explodieren die Geschosse aber auch nach heftigen Zusammenstößen selten. Kleine Drohnen schrauben sogar verlorene Teile wieder an, wenn man das Rennen unterbricht (und ein Fehler nicht dafür sorgt, dass die Drohnen mitsamt den abgefallenen Teilen tatenlos neben dem Gleiter versacken). Auf Reparaturplattformen lässt man beschädigte Teile nicht zuletzt reparieren und füllt den Tank auf – in Langstreckenrennen ist das

Leider dauert es viel zu lange, bis man alle Einzelheiten des Zusammenbaus verstanden hat.

oft unerlässlich. Auch gut: Zwischen den Rennen eines Turniers darf man in der Garage schrauben und justieren.

Natürlich sollte man stets darauf bedacht sein, Geld für neue Teile und Gleiter einzuheimsen. Dem Spiel mag eine stringente Karriere fehlen, dafür hat man stets die Wahl aus zahlreichen Wettbewerben und Einzelrennen. Die theoretische Leistung des gewählten Fliegers bestimmt dabei, an welchen Turnieren man teilnehmen darf. Unterschiedliche Setups sind also unerlässlich und dürfen gespeichert werden.

Im Wettstreit mit anderen Spielern geht man schließlich für weltweite Ranglisten an den Start oder schnappt sich die Aufzeichnung des schnellsten Umlaufs eines beliebigen Spielers, um ihn oder sie quasi im direkten Fernduell zu schlagen.

Fazit

Wer sich einmal in die vergleichsweise komplexe Materie hineingedacht hat, genießt in gewisser Weise das Gegenstück zu WipEout oder F-Zero: In krude zusammengeschweißten, immer irgendwie wackeligen Boliden schwebt man über den Mars – wie experimentelle Formel-1-Kisten der Frühzeit im Grenzbereich dessen, was physikalisch möglich ist. Vom Preisgeld kauft man neue Teile, montiert sie an verschiedene Chassis‘ und tunt sie in Feineinstellungen auf Leistung. Über die furztrockene Präsentation kann ich dabei hinwegsehen. Dass viele wichtige Grundlagen nicht erklärt werden und man beim ohnehin unhandlichen Schrauben in der Garage zunächst nie sicher ist, ob ein Fehler am Spiel oder der eigenen mangelnden Erfahrung liegt, stellt allerdings eine gewaltige Hürde dar! Die müssen Einsteiger erst mal meistern und obwohl ich Vector 36 jedem unbedingt ans Herz legen will, sehe ich manche davor aufgeben. Schade, dass das im Kern gute, sonst aber ausgesprochen rudimentäre Spiel noch immer wie ein Early-Access-Gerüst anmutet. Hätten die Entwickler etwas mehr Sorgfalt walten lassen, hätte Vector 36 eine deutlich bessere Wertung verdient.

Pro

überzeugende und anspruchsvolle Schwebephysik
umfangreicher Zusammenbau und Abstimmung der Flieger
freie Auswahl einzelner Rennen und Wettbewerbe
Ändern des Setups zwischen den Läufen eines Turniers
durchdachte Anordnung der HUD-Elemente in VR-Modus

Kontra

Einführung lässt Anfänger rücksichtslos im Stich
Einzelheiten für fortgeschrittenes Setup werden nicht erklärt
staubtrockene Präsentation ohne Kampagne oder Sprachaufnahmen
unhandlich, besonders in VR: Bedienen der Menüs per Controller gleicht Maussteuerung
Musik in Rennen und Menü nicht separat abschaltbar
ausschließlich englische Texte

Wertung

VirtualReality

Das bessere Mittendringefühl wird von einer umständlichen Gamepadsteuerung in den Menüs gestört - insgesamt ist VR hier kein Mehrgewinn.

PC

Spannende Rennen in Fliegern der Marke Eigenbau, in die man sich allerdings mühsam einarbeiten muss.

OculusRift

Das bessere Mittendringefühl wird von einer umständlichen Gamepadsteuerung in den Menüs gestört - insgesamt ist VR hier kein Mehrgewinn.

HTCVive

Das bessere Mittendringefühl wird von einer umständlichen Gamepadsteuerung in den Menüs gestört - insgesamt ist VR hier kein Mehrgewinn.

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