Civilization 626.10.2016, Jörg Luibl

Im Test: Globale Strategie anno 2016

Wer hätte das 1991 gedacht? Dass man auch in einem Vierteljahrhundert noch Civilization spielen würde? Selbst sein Schöpfer Sid Meier hätte abgewunken. Die vom gleichnamigen Brettspiel inspirierte Strategie gehört immer noch zu den großen Konstanten dieser Spielewelt. Und gerade weil Rundentaktik seit Jahren so schrecklich lukrativ als Free-to-play-Plastik von Hamburg bis Schanghai verwurstet wird, will man diese Tradition nicht missen. Im Test klären wir, wie sich dieses Civilization 6 (ab 5,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) mit seinen zwanzig Völkern von Brasilien bis zum Kongo präsentiert. Dabei zeigt sich nach dutzenden Stunden, dass das viel diskutierte Artdesign das kleinste Problem ist...

Willkommen in der Steinzeit

Da führe ich meine Sumerer über 300 Runden tapfer aus der Steinzeit ins Atomzeitalter, nur um dann wieder dorthin zurückgebombt zu werden. Nein, nicht von einer Artillerie oder schweren Fliegern, sondern vom dämlichen Verhalten meiner Mitstreiter und den beschränkten außenpolitischen Möglichkeiten. Dieses Civilization 6 frisst zwar meine Zeit wie anno dazumal, weil es natürlich viele klassische Stärken und überraschend viele frische Impulse bietet. Außerdem unterscheiden sich die zwanzig Völker deutlicher, weil sie nicht nur Spezialeinheiten und -gebäude, sondern auch eigene Missionen oder Effekte besitzen, die einen bestimmten Spielstil unterstützen. Aber dieser sechste Teil strapaziert gerade im letzten Spieldrittel meine Geduld. Firaxis hat zwar KI sowie Diplomatie um sinnvolle Facetten ergänzt, aber nicht nachhaltig in den für die Langzeitmotivation entscheidenden Bereichen. Es fehlt eine konsequentere Entwicklung des strategischen Gegnerverhaltens, so dass man immer wieder den Kopf schütteln muss.

Erst handelt sie noch, dann forciert Königin Victoria den selbstmörderischen Brexit: Sie erklärt den Krieg, obwohl sie militärisch hoffnunglos unterlegen ist...

Warum erklären mir die direkt benachbarten, dazu militärisch hoffnungslos unterlegenen Engländer den Krieg, obwohl ich seit hundert Jahren Handel mit ihnen treibe und sie mir gerade eben noch freundlich gesinnt waren? Wieso greifen sie meinen ungeschützten General nicht an, obwohl er meinen Truppen wichtige Kampfboni bringt? Warum lassen sie ihren General weit weg von der Front? Noch dümmer: Sie lassen ihre einzigen starken Truppen auch noch übers Meer zu meiner Küste übersetzen, obwohl doch in der Bucht meine Zerstörer warten, vor denen sie auf dem Landweg nichts befürchten müssten. So würden nur lebensmüde Lemminge den Brexit forcieren!

Diplomatie ohne Tiefgang

...das strategische und diplomatische Verhalten der KI lässt gerade im letzten Spieldrittel zu wünschen übrig.

Nach etwa fünf Runden Krieg bittet Königin Victoria um Frieden - ich lehne ab, besetze London, dazu alle anderen Städte und es gibt einen Widersacher weniger. Dabei wollte ich gar nicht militärisch, sondern kulturell oder wissenschaftlich mit der Reise zum Mars siegen. Aber abgesehen von Handel, Denunziation, Allianzen & Co bietet einem die rudimentäre Diplomatie kaum strategische Langzeitmotivation, um qualitative Bündnisse inkl. Embargo oder Nichtangriffspakt zu schmieden - deshalb kann man weitgehend sein Süppchen kochen, ohne auf die anderen einzugehen. Es ist nicht so, dass man gar nichts verhandeln kann: Man kann z.B. dauerhafte Botschaften, gemeinsame Forschung oder Verteidigung festlegen. Aber oftmals wird einem ohnehin ohne plausiblen Grund der Krieg erklärt, obwohl man vielleicht vor einigen Runden aufgrund derselben Religion noch offene Grenzen sowie Handel etabliert hat und sogar verbündet war.

Ja, Civilization bietet sieben Beziehungsstufen von feindlich bis freundlich, aber ich vermisse mehr Nachvollziehbarkeit und vielleicht einen gemeinsamen Tisch aller Zivilisationen inklusive der aktuellen Beziehungen und Verbindungen in Form von farbigen Linien. Sinnvoll wäre es z.B., wenn man hier alle x Runden eine Art außenpolitische Konferenz hätte, bei der die Beteiligten ihre wichtigsten Anliegen inklusive möglicher Kriegsgefahr verdeutlichen. Zwar gibt es einen lobenswerten Unterpunkt "Diskutieren", aber dort kann ich lediglich fordern, dass z.B. keine Städte oder Missionare in meiner Nähe gebaut bzw. aktiv werden sollen.

Es gibt klare Defizite in der einfachen Kommunikation: Warum kann ich fremde Truppen auf meinem Gebiet nicht anklicken und von ihrem Anführer den sofortigen Rückzug fordern, wie es auch die KI tut? Warum kann das nach drei Runden nicht zu einem verständlichen Kriegsgrund werden? Eigentlich müsste ich schon Annäherungen von vielen Truppen an meiner Grenze diskutieren können. Auch die an sich sehr nützlichen Stadtstaaten lassen sich abgesehen vom automatisierten

Die Russen bauen frühzeitig eine große Armee auf. Ärgerlich: Man kann keinen Truppenabzug an der Grenze verlangen.

Handel nicht diplomatisch einsetzen, um z.B. Druck über Boykotte oder Überfälle auszuüben. Zwar folgen sie mir in den Krieg, wenn ich ihr Suzerän bin, aber wenn ich dann nicht jede Einheit gegen einen Aufpreis selber bewege, sind sie militärisch nicht zu gebrauchen - sie sichern auch die Handelswege zu ihnen nicht konsequent ab.

Civilization will ein "globales" Strategiespiel sein, aber wenn man alleine gegen die KI spielt, erkennt man noch immer zu wenig übergeordnete Pläne, die aus der eigenen Macht resultieren. Sprich: die Zivilisationen verfolgen zwar bestimmte Siegziele, aber diese sowie die Außenpolitik werden nicht spürbar an den aktuellen Status quo angepasst. Sonst hätten die Engländer übrigens Folgendes versuchen müssen: Eine Allianz mit meinem anderen, militärisch starken Nachbarn wie Russland bilden, um die Beute danach aufzuteilen! Sie hatten sogar im Gegensatz zu mir dieselbe Religion. Die Russen lassen mich übrigens England, dann Norwegen und alle anderen kleineren Nationen ohne Eingriff besiegen.

Was bedeutet das für den Schwierigkeitsgrad? Falls ihr die Serie kennt, solltet ihr auf keinen Fall in der zu einfachen vierten Standardstufe "Prinz", sondern mindestens auf "König" oder besser auf der sechsten von acht Stufen starten, damit ihr nicht viel zu früh in der Punktewertung vorne liegt. Das klingt jetzt alles nach...

KI-Hoffnungsschimmer im kleinen Bereich

...einem Verriss. Aber es wird keiner, denn dieses Civilization 6 hat mitunter starke Momente, zeigt zumindest im kleinen Bereich auch Verbesserungen hinsichtlich der KI-Aktionen und bietet frische Impulse. Firaxis hat z.B. das Verhalten der Barbaren verbessert: Sie besitzen Späher, die das Land auskundschaften und sogar clever ausweichen, wenn man sie mit Kriegern verfolgt, bevor sie mit mehr Verstärkung wieder anrücken. Zwar kann man die Barbaren letztlich immer leicht stellen und dann auskontern. Aber gerade die ersten Runden sowie die Antike spielen sich militärisch anspruchsvoller als noch in Civilization 5.

Die Azteken mögen es gar nicht, wenn man Luxusgüter besitzt, die sie nicht haben...

Außerdem reagieren die Anführer spürbar auf die eigene Spielweise: Jeder besitzt eine offene sowie eine geheime Agenda, die seine außenpolitischen Sympathien sowie Abneigungen darstellt. Als mein aztekischer Nachbar Montezuma z.B. erfährt, dass ich Seide besitze, wird er plötzlich aggressiv und schickt wenig später seine Adlerkrieger. Warum? Weil Luxusgüter als Ziel auf seiner Agenda stehen. Er respektiert zwar andere Herrscher, die dieselben wertvollen Waren besitzen, aber wenn man etwas hat, was er nicht hat, dann wird er wütend. Es ist gerade in den ersten Spielen unterhaltsam, dieses Verhalten auszuloten.

Das wirkt sich natürlich auch auf die Diplomatie aus, die jetzt mit mehr Situationen überrascht: Die Russen loben eine große Armee und Kultur, die Norweger überfallen am liebsten Nationen ohne Marine. Oh, die Chinesen mögen es gar nicht, wenn man Weltwunder vor ihnen baut und beschweren sich schonmal! Die Errichtung von Koloss, Hängenden Gärten & Co wird übrigens sehr schön vom Gerüst bis zur Vollendung auf der Karte animiert. Und: Wer nach der chinesischen Warnung mal eben die Pyramiden hochzieht, wird schnell Bekanntschaft mit ihren Truppen machen - das sind dann angenehm konsequente Reaktionen, die allerdings militärisch schlecht ausgespielt werden.

Denunzieren und Spionieren

Es gibt viele informative Kartenansichten über diverse "Linsen". Hier ein Blick auf touristische Zentren, die Besucher anlocken.

Schön ist zumindest, dass man nicht einfach so alles erobern kann: Man gilt als Kriegstreiber und macht sich überall Feinde. Also muss man einen Konflikt z.B. über eine Denunziation etwas vorbereiten, damit man fünf Runden später mit weniger internationaler Empörung zumindest einen Casus belli hat. Apropos Vorbereitung: Schade ist, dass man die Spionage erst so spät einsetzen kann, denn über Agenten und Sabotage hätte man subversive Außenpolitik schon in Antike und Mittelalter anbieten können. So kann man erst recht spät im Industriezeitalter Spione in anderen Städten platzieren, wo sie bei angezeigter Erfolgschance z.B. Informationen abzapfen, Geld abzweigen oder Technologien stehlen. Je länger man inkognito verweilt, desto höher wird auch die Zugriffsstufe vor Ort; als Mitglied einer Allianz kann man übrigens sofort "geheime" Daten abrufen.

Wie gehabt sammeln Einheiten Erfahrung und steigen auf. Dabei hat man meist zwei Pfade zur Verfügung.

Wer diese Spielweise mag, sollte Frankreich wählen. Anführerin Katharina von Medici respektiert lediglich Herrscher, die sich ähnlich auf Intrigen und Spionage konzentrieren wie sie. Mit ihr bekommt man schon in der Antike exklusiv Nachrichten vom weiblichen Geheimdienst über die anderen Spieler: „Eure Hofdame hat etwas Interessantes herausgefunden: China handelt mit Amerika.“ Zwar wiederholen sich diese Kurznachrichten recht oft, außerdem bekommt man einige höchst überflüssige, fast schon eher Spam als Erkenntnisse, wie etwa "wichtige" Informationen über die Ankunft der eigenen (!) Delegation, aber man kann dieses System inklusive Gegenspionage oder z.B. Artefaktdiebstahl nach dem Aufstieg eines erfahrenen Agenten auch sinnvoll einsetzen oder über die Drucktechnik erweitern.

Städtebau für Planer

Für Kenner der Serie dürfte die größte Neuerung die erweiterte Stadtplanung sein. Sie können wie kleine Mikroreiche innerhalb des eigenen Imperiums gemanagt werden, denn sie dürfen bis zu 36 Hexfelder in die Landschaft hinein wachsen, anstatt nur auf einem Feld zu verharren - eine gute Idee, die den Aufbau deutlich anspruchvoller gestaltet und das Gelände als strategischen Faktor aufwertet. Schon bei der ersten Stadt sollte man auch an die ebenfalls dargestellte Wasserversorgung denken, die man sonst in späteren Zeitaltern per Aquädukt & Co verbessern muss; Flüsse und Seen sind natürlich optimal. Man kann sich dann über Fjorde und Meerengen, Hügel und Berge ausbreiten, indem man einzelne Gebäude auslagert. Außerdem kommen Weltwunder auf diese Art endlich besser zur Geltung, weil sie ebenfalls ein Feld ausfüllen. Und hier sollte man genau wissen, womit man seine Bevölkerung erstaunen will, denn der Platz ist nicht nur knapp, sondern muss bestimmte Kriterien erfüllen. Im Laufe des Spiels wird die Liste der ausgegrauten, also nicht mehr möglichen, Wunder immer länger. Wer z.B. Stonehenge errichten will, kann das nur auf einem Boden mit Steinvorkommen, die Pyramiden brauchen eine Wüste.

Der Bau von Weltwundern wird in kleinen Filmchen animiert.

Auf lange Sicht kann man seine Städte auch viel besser spezialisieren, denn hinzu kommen bis zu zwölf thematische Distrikte u.a. für Handel, Militär, Religion oder Forschung wie der „Campus“, die man errichten muss, um dort weitere Spezialgebäude wie die „Bibliothek“ zu platzieren. Das steigert nicht nur das Wachstum in Forschung, Produktion, Handel & Co, auch Spezialeinheiten können nur hier im ausgebildet werden: Es gibt nicht nur militärische wie den Berserker der Norweger, sondern auch kulturelle wie den Archäologen, der tatsächlich auf Ausgrabungen geht und Artefakte der dort lebenden Zivilisationen finden kann - sie geben sogar Boni, wenn man sie sammelt. Überall profitiert man ansonsten von zusätzlichen Einnahmen, wenn man das optimale Gelände für ein Gebäude auswählt: Wer ein Labor im Regenwald baut, bekommt extra Wissenschaft, wer eine Fabrik im Erzgelände errichtet, produziert dort mehr.

Aufgrund der Distrikte sowie der Verbreitung über mehrere Hexfelder muss man den Stadtbau besser planen.

Zwei weitere Änderungen kommen hinzu: Zum einen können Arbeiter nicht mehr endlos Modernisierungen oder Gebäude bauen, sondern verfügen über einige "Ladungen", die man durch Politik oder Wunder steigern kann, und werden nach der letzten Aktion aufgebraucht. Damit einhergehend errichten sie auch keine Straßen mehr - erst später können Pioniere welche anlegen. Straßen werden jetzt automatisch durch aktivierte Handelsrouten sichtbar, sobald sich eine Karawane oder später ein Laster auf den Weg macht. Diese kann man übrigens plündern oder schützen, indem man eine Militäreinheit an den Händler koppelt. Diese Eingriffe entschlacken das Mikromanagement und sorgen für mehr Spielfluss.

Wohnraum und Annehmlichkeiten

Angesichts dieses Fokus auf expansive Städte ist es eine gute Entscheidung, dass sie auch wieder eigene Zufriedenheitswerte entwickeln. In den frühen Zeitaltern kann man sie noch ignorieren, aber sie werden spätestens in der Moderne immer wichtiger: Wer in seinen Städten zu wenig Wohnraum oder Annehmlichkeiten wie Luxuswaren, Theater, Kunst & Co in den Unterhaltungsdistrikten bietet, kann nicht weiter wachsen und riskiert eine Rebellion. Dem kann man mit Gebäuden, Modernisierungen, Politik oder großen Persönlichkeiten entgegen wirken. Allerdings hätte das Spiel hier etwas härter sein können, denn Aufstände sind sehr selten. Schade ist übrigens, dass die eigenen Spione nicht über Propaganda, Sabotage & Co die Unzufriedenheit schüren können.

Der Forschungsbaum wurde geteilt: Es gibt einen wissenschaftlichen sowie einen kulturellen Pfad.

Apropos Zeitalter: Für meinen Geschmack vergehen sie viel zu schnell! Obwohl ich meine Städte und Gebäude nicht einmal auf Wissenschaft fokussiert habe, bin ich vor 1600 in der Moderne und vor 1800 im Atomzeitalter gelandet. Ich vermute, dass dieses Tempo vor allem durch die neuen "Heureka-Momente" nach bestimmten Aktionen forciert wird: Wer ein Naturwunder entdeckt, erforscht die Astrologie schneller; wer andere Zivilisationen trifft, erforscht die Schrift schneller. Selbst der eigene Aufbau wird belohnt: Baue ich eine Galeere, bekomme ich automatisch einen Bonus auf maritime Errungenschaften wie etwa das Segeln. Baue ich eine Weide, steigt mein Wissen über die Reiterei. Diese Boni sind an den blauen Halbkreisen in der betreffenden Forschung zu erkennen und man ist immer wieder geneigt, genau das zu studieren, weil es teilweise nur die Hälfte der Zeit benötigt. Dass ich verwandte Themen über praktische Anwendung schneller erforschen kann ist eine gute Idee, denn so reicht das in Civilization 5 noch übliche Anhäufen von Wissenschaft für den Sieg nicht mehr aus. Aber es greift etwas zu inflationär in die allgemeine Entwicklung der Zivilisation ein.

Politik und Religion

Auch die neuerdings zweigeteilte Forschung sorgt dafür, dass man etwas umdenken muss: Man schaltet nicht mehr alles in einem Technologiebaum frei, sondern in zwei parallelen, wobei wissenschaftliche und kulturelle bzw. politische Errungenschaften getrennt sind. Außerdem ist man in der Innenpolitik mit dem Kartensystem angenehm flexibel: Ab der elften Runde kann man aus den Bereichen Militär (rot), Wirtschaft (gelb), Diplomatie (grün) und Joker (lila) zwei Karten auswählen und für sein Volk aktivieren: Z.B. die „Disziplin“ (rot), die einem fünf Prozent mehr Schaden gegen Barbaren verleiht und dazu „Gottkönig“ (gelb), die einem +1 Glauben sowie +1 Gold in der Hauptstadt bringt.

Je nachdem welche Regierungsform man wählt, kann man eine andere Mischung aus politischen Karten mit diversen Boni einsetzen.

Später hat man je nach Regierungsform deutlich mehr Slots und Auswahl, so dass man sich spezialisieren kann. Wer die Oligarchie wählt, hat eine gute Mischung aus Rot, Gelb, Grün und Lila, während ein Autokrat mit Rot, Rot, Gelb und Lila auf diplomatische Karten verzichten muss. Und die Religion? Ab einem Wert von 16 im Glauben darf man ein erstes Pantheon gründen, das natürlich weitere Boni bietet: Wer dem „Gott des Meeres“ huldigt, gewinnt +1 Produktion. Wer sich darauf konzentriert, kann seinen Glauben später über Missionare und Apostel auch unter den anderen Zivilisationen verbreiten, um den Religionssieg zu erringen - übrigens kommt es dann schonmal zum Blitzgewitter zwischen konkurrierenden Gruppen. Im Idealfall sammelt man Reliquien und zieht damit genauso Pilger aus anderen Ländern an wie man mit Weltwundern & Co die Touristen lockt.

Egal welche Spielweise man bevorzugt, sollte man auf jeden Fall den Handel mit den Stadtstaaten verfolgen: Eine etablierte Route kann neben Gold auch Glauben, Produktion oder Wissenschaft einbringen. Und wer mehr Gesandte schickt, bekommt nicht nur schrittweise weitere Boni, sondern bei der Mehrheit der Diplomaten auch die Oberherrschaft über den Stadtstaat und wird damit sein "Suzerän". Die Vorteile sind immens: Voller Zugriff auf die Geländefelder inklusive aller Waren sowie einen militärischen Vasallen im Kriegsfall, dessen Truppen man gegen einen Aufpreis selbst manövrieren kann.

Verwirrende Benutzeroberfläche

Die Benutzeroberfläche verlangt zu viele Klicks, wenn man z.B. den aktuellen Stand der Luxuswaren erfahren will.

Obwohl Civilization 6 ein vorbildliches Tutorial und optionale Ratgeber in zwei Stufen anbietet, die Einsteigern das Leben erleichtern, kann die Benutzeroberfläche verwirren. Es ist zwar lobenswert, dass man so viele Karten- und Terrainansichten hat, so dass man auch eine 2D-Karte oder diverse Filter von Siedlungsqualität, Religion über Politik bis Tourismus aktivieren kann. Was man aber schmerzlich vermisst: einen größeren Zoom. Gerade wenn man einen kompletten Kontinent erforscht hat, will man nur allzu gerne in die totale Vogelperspektive oder Wolkensicht, aber so weit reicht der Blick von außen leider nicht, so dass man scrollen oder auf der Karte klicken muss.

Man kann seine Bewohner auch manuell auf die gewünschten Plätze verteilen.

Apropos Klicks: Davon muss man einige zu viel machen, um z.B. weit entfernte Einheiten endlich nach Hause zu bringen - obwohl man den Marschbefehl "Gehe zu" aktiviert hat, darf man jede Runde ein neues Ziel angeben, zumal die Wegfindung selbst dann zu wünschen übrig lässt. Man muss auch zu viel klicken, um an wichtige Informationen zu gelangen. Zum einen kann man eigene Einheiten nicht mehr so komfortabel über Pfeile nach links oder rechts durchschalten oder sie sofort alle aufrufen. Man muss innerhalb des Einheitenfensters erst auf den Namen klicken, dann öffnet sich die komplette Liste, dort muss man scrollen, bis man sie gefunden hat. Ähnlich versteckt liegen die Geländeboni sowie Luxuswaren, die man nicht im Stadtfenster, sondern erst über "Berichte ansehen" und dort in der zweiten Spalte als Liste sowie ganz unten in Symbolform erkennt. Schade ist auch, dass die Icons dieser besonderen Rohstoffe oder Luxuswaren auf der Karte immer gleich aussehen - egal ob man sie bereits erntet oder nicht; so übersieht man später mal die eine oder andere Stelle. All das hätte man deutlich bequemer und visuell klarer lösen können.

Vieldiskutiertes Artdesign

Mit der Zeit sammelt man auch Relikte und Reliquien. Archäologen können Artefakte ausgraben, die auch ausgestellt werden.

Hinsichtlich der allgemeinen Visualisierung hat sich Firaxis mit dem bunten, auf den ersten Blick sogar kitschig anmutenden Stil keinen Gefallen getan. Ganz einfach, weil da draußen sehr viel der unsäglichen Free-to-play-Strategie einem ähnlichen Comic-Look frönt. Wollte man sich dieser Zielgruppe anbiedern oder damit auch ganz einfach jüngere Spieler anlocken? Schaut man sich das eher realistisch designte Intro an, wirken die Figuren zunächst wie ein Stilbruch. Außerdem raubt man den toll animierten, zum Teil auch gut (wie bei den Azteken oder Franzosen), manchmal jedoch schrecklich designten Anführern (wie bei den Deutschen oder Norwegern), viel von ihrem Charisma, wenn man sie so puppenhaft mit meist langem Pferdegesicht und dicker Nase darstellt. Natürlich entschärft man das Thema Krieg mit dieser Verniedlichung, zumal es ja auch atomar zur Sache gehen kann. Aber nicht nur angesichts der 25-jährigen Tradition der Reihe würde dem Spiel eine konservativere oder stilistisch gediegenere Oberfläche besser stehen, die einen vielleicht eher in eine Bibliothek mit realistischeren Figuren als in einen Sandkasten mit Spielzeug versetzt.

Aber so dramatisch wie es im Vorfeld diskutiert wurde, ist das Artdesign letztlich nicht. Schon das Hauptmenü in seinem tiefen Blau samt Goldtönen deutet einen anderen Stil an. Dieses Civilization 6 zeigt auch angenehm edle Züge, die ihm als episches historisches Spiel deutlich besser stehen: Gerade in den Bereichen, wo man sich an antiken Vorbildern wie z.B. der Weltkarte des Ptolemäus bedient, um die noch nicht erforschten Gebiete mit Ungetümen & Co zu illustrieren, oder auch in den Momenten, wenn die Karte wieder vergilbt, weil man seinen Scout

Hier hat man sechs Kartenplätze, die man füllen kann: Über die Boni kann man seinen Spielstil weiter stärken.

weiter weg bewegt, schaut man sehr gerne hin. Und spätestens nach ein, zwei Partien hat man sich auch an die farbenfroheren Comicfiguren gewöhnt, zumal sie in den Kämpfen recht ansehnlich animiert werden. Etwas mehr Konsequenz im Stil von Welt und Figuren hätte der Kulisse allerdings gut getan.

Nachschlag im Multiplayer

Wer mit Freunden spielen will, kann das per Hotseat an einem Rechner und im lokalen Netzwerk oder online. Bis zu sechs Spieler können teilnehmen, wobei man zig Optionen vom Tempo über die Siegbedingungen bis zu Barbaren oder gar der Temperatur festlegen kann. Es stehen sechs Kartentypen und -größen zur Verfügung. In der übersichtlichen Lobby könnt ihr direkt Freunde einladen oder bei Bedarf KI in acht Stufen dazuschalten. Unsere Probepartien liefen nach Verkaufsstart einwandfrei.

Besonderheiten der Switch-Fassung

Die Switch-Umsetzung von Civilization 6 beinhaltet nicht nur die neusten Spiel-Updates und -verbesserungen, sondern auch zusätzliche Zivilisations- und Szenariopakete mit Wikingern, Polen, Australien, Persien und Makedonien.

Down Under: Die Switch-Adaption enthält vier zusätzliche Zivilisations- und Szenario-Pakete.
Dadurch können Konsolenspieler mit insgesamt 24 historischen Persönlichkeiten in den Wettlauf um die globale Vorherrschaft starten. Die Erweiterung Rise and Fall ist hingegen nicht enthalten.

Switch-Spieler können der Rundenstrategie sowohl am heimischen Bildschirm als auch unterwegs nachgehen. Bei der mobilen Variante kann man frei zwischen Tasten- und Touch-Steuerung wählen bzw. wechseln ohne sich auf eine der beiden Varianten festlegen zu müssen. Bedienung und Übersicht sind generell gut gelungen, auch wenn einem die Zoom-Funktion ruhig mehr Spielraum geben könnte und manche Schriftgrößen arg klein wirken.

Bei zunehmender Spieldauer verliert auch die Bildrate mitunter an Geschmeidigkeit,

Die Steuerung geht auf Nintendos Konsole gut von der Hand - egal, ob mit Tasten oder Touch.
während das Warten auf die KI oder das Laden von Spielständen viel Geduld benötigt. Ein wirklich bedenkliches Niveau wird allerdings nicht erreicht. Spielstände lassen sich übrigens jederzeit sichern - sowohl auf der Konsole als auch in der Cloud. Automatische Speicherungen können ebenfalls aktiviert werden.

Nachträgliche Änderungen am Schwierigkeitsgrad sind hingegen nicht erlaubt. Wer genug von den in acht Stufen regulierbaren KI-Gegnern hat, kann sich auch mit Kontrahenten aus Fleisch und Blut messen. Allerdings nur in lokalen WLAN-Partien mit bis zu vier Teilnehmern. Online-Wettkämpfe oder ein Abwechseln via Hot-Seat-Modus sind leider nicht möglich. Dabei hätten sich asynchrones Kräftemessen durchaus angeboten.

Fazit

Auch wenn ich im letzten Spieldrittel zu oft den Kopf schütteln muss, weil die KI mal wieder Truppen selbstmörderisch verheizt oder willkürlich Krieg erklärt wird: Civilization 6 ist ein gutes und angenehm umfangreiches Strategiespiel alter Schule. Man erlebt nicht nur Aufbau, Forschung und Kampf, sondern es gibt auch Religion, Spionage sowie Tourismus und sehr nützliche Stadtstaaten - hinzu kommen sympathische Kleinigkeiten wie Archäologen auf Grabungen. Neben dem sinnvoll zweigeteilten Forschungsbaum, der Kartentaktik in der Regierungsbildung sowie frischen Impulsen hinsichtlich der Vorlieben der Anführer, die spürbar jeweils zwei Agenden folgen, ist vor allem der erweiterte Städtebau die große Stärke des Spiels: Man managt kleine Metropolen über zig Hexfelder, die man über Distrikte wunderbar spezialisieren kann! Aber trotz dieser lobenswerten Neuerungen ist Civilization 6 kein großartiges Spiel. Das liegt nicht an Kleinigkeiten wie dem inkonsequenten Artdesign, der suboptimalen Benutzeroberfläche, der zickigen Wegfindung oder den langen Wartezeiten im letzten Drittel. Aber KI und Diplomatie stagnieren nach 25 Jahren Civilization auf einem zu schwachen Niveau, so dass nach dem sehr guten Einstieg in der finalen Phase meist die Ernüchterung folgt, weil die Gegner zu dumm oder nicht nachvollziehbar agieren. Für Anspruch kann man zumindest mit einem höheren Schwierigkeit sorgen. Und weil sich die zwanzig Völker angenehm unterschiedlich spielen, ertappe ich mich immer wieder bei einem neuen Spielstart.

Update zur Switch-Fassung, 27. November 2018:

Firaxis Games und Aspyr Media haben Civilization 6 insgesamt gut auf Nintendos Konsole portiert. Man hat die globale Rundenstrategie sowohl stationär als auch mobil bestens im Griff. Neben den jüngsten Updates und Verbesserungen sind auch Wikinger, Polen, Australien, Persien und Makedonien als zusätzliche Zivilisations- und Szenariopakete an Bord. Die „Rise and Fall“-Erweiterung hingegen nicht. Dafür kann man jede Spielfunktion sowohl über Tasten als auch Touch oder eine Mischung aus beiden Möglichkeiten nutzen - sich vorab für eine Steuerungsart entscheiden, muss man nämlich nicht. Lediglich die Bildrate könnte zum Teil geschmeidiger, die Schrift unterwegs besser lesbar sein. Auch die Lade- und Wartezeiten erfordern vor allem bei fortgeschrittenen Partien einige Geduld. Schade ist auch, dass die Zoom-Reichweite sehr begrenzt und Mehrspielerpartien nur über die lokale Netzwerkfunktion für bis zu vier Teilnehmer möglich sind. Online- oder Hot-Seat-Gerangel scheiden somit leider aus.

Pro

globale Rundenstrategie mit historischem Flair
nur einige edle historische Lichtblicke in...
Erkundung, Aufbau, Forschung & Kampf
Spionage, Religion und Tourismus
Pilger strömen zu Reliquien, Archäologen graben Relikte aus
offenes Spiel, fünf Siegmöglichkeiten
20 Nationen zur Wahl; teils zwei Anführer pro Volk
Nationen mit markanten Unterschieden
neuer getrennter Technologiebaum
neue Boni verzahnen Aktionen mit Forschung
neue Agenda belebt Außenpolitik & Anführer
neue Stadtplanung über mehrere Hexfelder
Wohnraum und Annehmlichkeiten beachten
neue Distrike ermöglichen Spezialisierung
neue Handwerker mit begrenzten Aktionen
Stadtstaaten mit Quests und als Bündnispartner
Barbaren verhalten sich clever, haben Scouts
Weltwunder werden beim Bau hübsch animiert
hübsch animierte Anführer
gute Karten- & Terrainfunktionen
sechs Kartengrößen und -typen
gutes Tutorial, optionale Ratgeber dazuschalten
gut sortiertes Nachschlagewerk mit Suchfunktion
abwechslungsreiche Musikuntermalung
acht Schwerigkeitsgrade
gute deutsche Lokalisierung
Hotseat, lokal oder Online-Multiplayer (PC)
WLAN-Multiplayer (Switch)
zusätzliche Spielinhalte (Switch)

Kontra

sehr schwache militärische Gegner-KI
...einem weitgehend bunten Artdesign
dummes diplomatisches Verhalten der Gegner-KI
teilweise Kriegserklärungen ohne plausiblen Grund
keine komplexen außenpolitischen Verträge möglich
Stadtstaaten ohne Charakter/diplomatische Funktion
suboptimale Benutzeroberfläche verlangt viele Klicks
kein Ansprechen von Missionaren/Feinden im Land
sinnlose Meldungen vom Nachrichtendienst (Spam)
nur begrenzter Zoom, kein totaler Blick auf die Welt
Spione erst sehr spät einsetzbar
extrem schnelles Durchlaufen der Zeitalter
lange Wartezeiten im letzten Spieldrittel
steriles Nachschlagewerk ohne Zeichnungen/Videos
nicht immer optimale Bildrate & Lesbarkeit (Switch)

Wertung

PC

Auch wenn man im letzten Spieldrittel zu oft den Kopf schütteln muss, weil Truppen selbstmörderisch verheizt oder willkürlich Krieg erklärt wird: Civilization 6 ist ein gutes und angenehm umfangreiches Strategiespiel alter Schule.

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Kommentare

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CritsJumper

Ist denn das neue Civ6 vom Umfang her mittlerweile ähnlich stark bzw. allgemein die KI besser geworden oder reichts für Koop eher beim 5er mit Addons zu bleiben?
Ich spiele es eher selten mit KI muss ich zugeben, weil die waren schon immer schlechter und sind mehr so der Lückenfüller für Online-Matches. Wenn dir die KI zu nervig ist, schau einfach nach so einer Gruppe in den großen Civ-Foren mit der du Zeitversetzt über Wochen spielen kannst.

Dann ist auch die KI egal.

vor 4 Jahren