Pillars of Eternity 2: Deadfire18.05.2018, Jörg Luibl

Im Test: Schatzkiste voller Abenteuer

Vor drei Jahren konnte Pillars of Eternity als Rollenspiel alter Schule begeistern, indem es an die Qualitäten von Klassikern wie Baldur's Gate sowie Planescape Torment anknüpfte und diese um eigene Ideen bereicherte. Auch wenn es bei den Kämpfen hakte: Heraus kam ein wunderbar erzähltes Abenteuer mit tollen Charakteren, interessanter neuer Spielwelt sowie epischem Fantasyflair. Jetzt ist der Nachfolger erhältlich, der von 33.614 Unterstützern mit satten 4,4 Millionen Dollar finanziert wurde. Wie sich Pillars of Eternity 2: Deadfire (ab 8,99€ bei kaufen) auf dem PC präsentiert, verrät der Test.

Es war einmal eine Festung

Kaum richtet man sich als Held häuslich ein und genießt mal für fünf Jahre seine Ruhe, wird einem der Boden unter den Füßen weggerissen. So stark, dass sogar die Welt ins Wanken gerät: Denn tief unter der eigenen Festung regt sich nichts Geringeres als ein Gott namens Eothas. Er erwacht in Gestalt eines steinernen Riesen, zerstört Caed Nua, marschiert davon und hinterlässt mit seinen mächtigen Füßen riesige Krater sowie heilloses Entsetzen. Und der Held? Steht nach dem Zusammenbruch seines Zuhauses an der Schwelle des Todes. Aber als "Wächter" kann er nicht nur die Seelen der Toten sehen und ihre Stimmen hören, sondern hat scheinbar auch göttliche Schutzengel, die ihn im nebulösen Zwischenreich erwarten. Hier beginnt ein Abenteuer, das zunächst in eine klassische Charaktererstellung mündet.

Pillars of Eternity 2 bietet viele Optionen: Ihr könnt euer Spielerlebnis hinsichtlich Anspruch und Visualiserung individuell anpassen.

In einem schönen Rückblick wird man mit den bisherigen Ereignissen vertraut gemacht, die man aber trotz vieler Bezüge und bekannter Personen nicht unbedingt kennen muss. Wer sich allerdings auf die Völker und Mächte dieser Welt einlassen will, bekommt reichlich Gelegenheit im Spiel sowie in zahlreichen Büchern und Lexikonartikeln. Sehr vorbildlich ist die interaktive Stichworterläuterung: Immer wenn man Dialoge oder Texte liest, die diesmal übrigens komplett und weitgehend gut ins Deutsche übersetzt worden sind, werden Schlüsselbegriffe hervorgehoben. Man erhält dann per Mouseover z.B. eine kurze Erklärung zu einem Gott wie Eothas oder über ein Volk wie die Orlaner. So wird der Lesefluss nicht unterbrochen, weil man nicht ständig etwas nachschlagen muss.

Trotzdem gibt es dafür viele Gründe, denn die Fantasywelt von Eora ist prall gefüllt vom göttlichen Pantheon bis hin zu diversen Kriegen, exotischen Gebräuchen, seltsamen Kreaturen und historischen Ereignissen. Man wird von einem vielschichtigen Universum empfangen, das zwar ein entfernter Verwandter von Dungeons & Dragons ist, aber auch zu den kreativeren Neuschöpfungen der modernen Fantasy gehört. Es bereichert klassische Archetypen und Begriffe wie Zwerge, Elfen, Zauberer oder Paldine mit nicht auf Anhieb durchschauten Zusätzen, die für die nötige Neugier und Fremdheit sorgen. Ohne billigen Kitsch oder zu viel Pathos entdeckt man eine ebenso vertraute wie exotische Welt voller politischer, religiöser und philosophischer Konflikte, die auf einer gewachsenen Geschichte beruht.

Auf der Spur eines Gottes

Und die konnte man ja im Vorgänger ein wenig beeinflussen. Man darf übrigens die

Nachdem die eigene Festung zerstört ist, folgt der Held dem Gott Eothas in das Todesfeuer-Archipel. Eine karibisch anmutende Terra incognita mit zig Inseln, die man mit dem Schiff erkunden kann.

Folgen seiner Taten aus Pillars of Eternity aus einem Spielstand übernehmen oder sich für eine von sechs möglichen Startsituationen entscheiden - da kann man u.a. wählen, als "Wächter" eher gerecht oder egoistisch, diplomatisch oder skrupellos agiert zu haben. Entsprechend begegnen einem die Leute später im Spiel anders oder auch gar nicht. Wer z.B. die negativste Ausgangslage "Alles schlecht" aktiviert, hat quasi für Unheil en masse gesorgt und sogar alle Gefährten verloren...man kann also auch als Seuchenvogel beginnen.

Es ist schön, wie flexibel man den Start in dieses Abenteuer gestalten kann. Wie gehabt darf man natürlich auch einen Charakter erstellen, aus zig Klassen von Waldläufer bis Barde wählen. Neu sind die Multiklassen wie etwa Hexer, die z.B. Barbar und Zauberer in sich vereinen und dann in beiden Pfaden entwickelt werden können - über 50 Kombinationen sind möglich! Man kann einen von fünf Schwierigkeitsgraden einstellen (wer den Vorgänger kennt, sollte die vierte Stufe "Schwer" wählen) sowie z.B. visuelle Hilfen abschalten und sogar unterschiedlich angeordnete Schablonen für die Benutzeroberfläche aktivieren. Obsidian Entertainment fährt alles an Service auf, was man so im Laufe einer millionenschweren Kickstarter-Kampagne auffahren kann.

Ein Fantasy-Kolonialreich

Im Zwischenreich wird jedoch schnell klar, dass man alles andere als frei ins Leben zurückkehrt. Die anderen Götter retten einen nicht einfach so aus der verschütteten Festung, sondern sie wollen etwas im Gegenzug. Man soll diesen entflohenen und scheinbar verrückten Gott des Lichts aufspüren, um Antworten zu bekommen: Was will er? Was hat er vor? Einfach absagen ist auch deshalb problematisch, weil Eothas einen Teil der eigenen Seele stibitzt hat. Was hat das wohl für Folgen? Oder war das nur Zufall? Man weiß nur, wo er hin will, weil seine Spur so deutlich zu erkennen ist.

Aber will man etwa einen Gott herausfordern? Ist das nicht etwas zu viel verlangt? Trotzdem bleibt dem Helden nichts anderes übrig, als ihm in das südliche Todesfeuer-Archipel mit all seinen verstreuten sowie größtenteils unkartierten Inseln zu folgen.

Die Texte wurden komplett ins Deutsche übersetzt.

Das ist eine offene maritime Welt voller Geheimnisse, in der es das kostbare leuchtende Adra gibt -  eine stark glühende Variante der bekannten Seelensteine, die auch das Wetter beeinflussen kann und deren riesigen Säulen scheinbar der umherirrende Gott Eothas folgt. Hier gibt es Tempel, Dungeons und delikate machtpolitischer Konflikte, denn das Adra lockt auch viele Eroberer an. Das Archipel ist eine Art frisch entdecktes Kolonialreich inklusive eingeborener Stämme, profitgieriger Handelsgesellschaften, skrupelloser Sklavenjäger sowie Piraten. Und was braucht man da? Ein Schiff!

Gestrandeter Held

Das Schiff kann man bequem mit dem Mauszeiger über das Meer lotsen, wobei man Stürmen und Seeräubern ausweichen sollte, aber nicht etwa auf Wind oder Riffe achten muss - es gibt also keine nautische Herausforderung. Trotzdem läuft es erstmal auf Grund und man strandet in einer kleinen Bucht, wo eine Art Tutorial beginnt. Zu Beginn kann man noch keine Gefährten um sich scharen; bis zu vier darf man später zusätzlich zum Helden anführen. Immerhin ist schon der alte Kumpel

Zu Beginn ist man nur zu zweit mit Edér unterwegs, um erste Aufgaben zu erledigen. Später führt man eine fünfköpfige Gruppe an.

Edér dabei, ein sehr guter Kämpfer, der in den ersten Gefechten nicht nur hilfreich ist, sondern als Anhänger von Eothas eine besondere Beziehung zu dieser Mission entwickelt. Und es gibt eine sehr persönliche Quest, die diesem sympathischen Charakter nochmal Tiefe verleiht.

Zunächst kann man am Strand lediglich weitere Crew für sein Schiff aufgabeln. Ziel ist es, Port Maje am anderen Ende der Insel zu erreichen, um mit der Hilfe des Gouverneurs das eigene Schiff wieder flott zu machen. Die Regie lässt sich viel Zeit, so dass man sich auch als Einsteiger in aller Ruhe mit den Spielmechaniken und Charakteren vertraut machen kann. Schon in diesen ersten Stunden öffnet sich das Abenteuer wie ein guter Roman, angenehm charmant und dabei so abwechslungsreich erzählt, dass die Zeit zwischen den Kämpfen, Entdeckungen, Aufstiegen und Dialogen nur so verfliegt, zumal auch immer wieder kleine Rätsel eingeflochten werden: Kann man diese Steintafel noch irgendwann entziffern? Muss man etwas in diese Mulde der Asugrabungsstätte legen? Wenn man sein Charaktermenü aufruft, sieht man Edér entspannt Pfeife schmauchen - das symbolisiert in etwa die gemütliche Stimmung, die beim Spielen aufkommt.

Offene Welt voller Quests

Ich war erst nach zwölf Stunden in der Hauptstadt Neketaka und fühlte mich noch wie ein Leichtmatrose, denn ich hatte gerade mal ein Zehntel der Seekarte kartiert und gerade mal ein Sechstel der Spielzeit hinter mir! Und diese Metropole ist ein Szenario für sich, mit zig Questreihen, mehreren Stadtvierteln sowie Unterwelt und labyrinthischer Tiefe. Zwischendurch trifft man ja noch auf kleinere Dörfer, Piratenburgen sowie andere Ortschaften - irgendwann weiß man vor lauter möglicher Aufgaben und mysteriöser Inseln gar nicht mehr, was man als Erstes machen soll. Man darf unerforschtes Eiland auch benennen; außerdem zahlt ein Kartograf in Neketaka gutes Geld für klar markierte Küstenlinien. Übrigens lohnt sich auch die Notizfunktion, denn das Tagebuch enthüllt bei den Quests nie alles bis ins Detail, schon gar nicht die genauen Zielpunkte - was ich sehr gut finde. Sprich: Man muss spezielle Apparate und Personen, Beweise und brüchige Stellen in Mauern immer selbst finden.

An Hafensymbolen kann man andocken und das Land dann aus der Vogelperspektive erkunden.

Und immer, wenn man an einer Küste mit Hafensymbol andockt, kann man die dort sichtbaren Symbole in der Landschaft wie Haine, Sümpfe, Wracks oder Ruinen mit dem Gruppensymbol aus der Vogelperspektive erforschen, um vielleicht Lebensmittel, Ausrüstung oder Schätze zu finden. Das ist zwar nach zwanzig Stunden meist dasselbe, zumal man viel zu viel an Wasser etc. findet. Aber manchmal verbirgt sich dort auch ein Hinterhalt oder ein kompletter Dungeon, was dann natürlich in Echtzeit ausgepielt wird - all das befeuert trotz gewisser Routinen die Ungewissheit sowie Neugier.

Machtpolitische Fäden

Diese spielerischen Akzente nimmt man sofort wahr, hinzu kommen die erzählerischen Fäden, die sich etwas langsamer straffen: Neben der apokalyptisch anmutenden Hauptquest, dem Gott Eothas zu folgen, ergeben sich ganz handfeste politische Nebenquests, darunter der verzweifelt anmutende Freiheitskampf der Eingeborenen, der Kampf zwischen Arm und Reich aufgrund eines Kastenwesens, dazu der Wettlauf um nationale und wirtschaftliche

Man erforscht einige stimmungsvolle Höhlen und Dungeons.

Interessen im Archipel - Piraten und Handelsgesellschaften ringen um Macht. Und man fühlt sich als "Wächter" mittendrin, zumal man ja eine gewisse Prominenz besitzt. Der Nachteil: Man wird selbst von Kopfjägern & Co gejagt!

Und falls man nicht selbst komplett skrupellos und brutal spielt, was ja möglich ist, fragt man sich in den politischen Nebenquests unwillkürlich, ab wann man zum Kollaborateur wird? Welche Interessen will man unterstützen? Kaum meint man eine Ungerechtigkeit erlebt zu haben, wird der moralische Kompass wieder durch eine Ausnahme durcheinander gebracht: Einige der ach so edlen Wilden, die man eigentlich vor den raffgierigen Eroberern schützen will, erscheinen plötzlich selbst wie egoistische und herzlose Hinterwäldler. Und kaum meint man, das Richtige zu tun, indem man eine lukrative Adra-Quelle vernichtet, damit der Stamm vor den Handelsgesellschaften sicher ist, beschwert sich der Häuptling über dieses religiösen Affront und erklärt einen auf der Insel zur unerwünschten Persona. Wie man es auch macht...Es zeugt von der Qualität der Autoren, dass sie das vermeintlich Gute und Böse immer wieder verschwimmen lassen und den Spieler damit zum Nachdenken anregen.

Wie ein Abenteuer-Spielbuch

Zudem entfaltet sich recht früh eine große Stärke des Vorgängers: Das Storytelling über vergilbte Textseiten mit schwarzweißen Zeichungen, das an Abenteuer-Spielbücher wie "Der Einsame Wolf" erinnert. Man hat meist die Wahl zwischen Entscheidungen, Aktionen oder Routen und es werden darauf hin Fähigkeitenproben verlangt, wobei man den Charakter dafür auswählen kann: Wer soll sich durch das enge Loch zwängen? Wer soll sich an das Lager heran schleichen? Dabei sieht man die Werte der möglichen Kandidaten immer schön im Vergleich.

Die sechs Attribute sowie passiven und aktiven Fähigkeiten spielen bei den Proben eine große Rolle.

Interessant ist, dass nicht nur der persönliche Wert in Stärke, Athletik, Religion, etc. abgerufen wird, sondern dass manchmal der gesamte Wert des Teams berücksichtigt wird, so dass man eigene Schwächen ausgleichen kann. Hinzu kommt, dass man manchmal Gegenstände wie etwa ein Brecheisen, Wurfseil, Zunder oder Fernrohr braucht, um spezielle Antworten wählen zu können. Nur mit Letzterem erkennt man z.B., ob sich Untote oder Kranke auf einem Schiffsdeck im Nebel tummeln - eine kleines, aber feines Detai.

Mir hat dieses Adventure-Flair schon damals richtig gut gefallen, weil es die Erzählweise sowohl entschleunigt als auch um stimmungsvolle Situationen abseits der Kämpfe bereichert. Aber Obsidian Entertainment hebt diese Abstecher auf ein neues Niveau, was Abwechslung sowie Fülle betrifft. Egal ob man sich in einer Stadt, einem Dungeon, auf dem Schiff oder an Land im Erkundungsmodus befindet - es kann immer eingeblendet werden. Mich hat das noch stärker als im ersten Teil an das edle Flair von Sorcery! erinnert, das auf dem iPad die "Fighting Fantasy" der 80er Jahre auf ausgezeichnete Art wiederbelebte.

Gemütliche Pen&Paper-Stimmung

Immer wieder wird die Story im Stile eines Abenteuer-Spielbuchs fortgeführt - inkl. Fähigkeitenproben und Rätsel.

Ähnlich wie dort entsteht hier auch über die Lektüre sehr viel Atmosphäre. Man gerät mehrere Tage in Stürme, muss dann konkrete Anweisungen zu Versorgung und Takelage geben, hat es mit der abergläubischen Crew zu tun, trifft Wale, Pestschiffe, die immer wieder andere Proben und Entscheidungen verlangen. Zumal nicht nur vermehrt maritime Konflikte an Bord sowie Rätsel integriert wurden, sondern auch Labyrinthsituationen an Land über Texte nachgeahmt werden.

Sprich: Man betritt eine unbekannte Höhle und muss sich z.B. in mehreren Schritten für Abzweigung nach links, rechts oder den Weg geradeaus entscheiden. Hat man vorher den wichtigen Hinweis von einem Schmuggler bekommen, weiß man Bescheid und landet vielleicht nicht in einer Falle oder Sackgasse.

Oder man muss an einem magischen Schloss die richtige Kombination aus Edelsteinen aktivieren, um es zu öffnen. Und wenn die Gruppe auf einer Land- oder Stadtkarte reist, was durch eine rote Linie angezeigt wird, während die Zeit vergeht, kann es immer wieder zu Zwischenfällen kommen, die sich auf den jeweiligen Ort beziehen. Ein guter Pen&Paper-Spielleiter würde seine Kampagne genau so stimmungsvoll und unvorhersehbar führen.

Prächtige Fantasywelt

Jetzt habe ich die Stimmung so gelobt, ohne ein Wort über diese Kulisse zu verlieren - dabei kann man so viel sehen und hören. Man kann eine Welt auf sich wirken lassen, die mit gekonnten Pinselstrichen und Akkorden ein ebenso farbenfrohes wie episches Piratenflair mit einigen historischen Anklängen sowie der Eleganz der Renaissance entstehen lässt. Mal fühlt man sich aufgrund der bärbeißigen Kommentare oder der Gesänge der Matrosen an klassische Seeräuberfilme erinnert, zumal sich viele bauliche und kulturelle Merkmale der Karibik wiederfinden. Es gibt aber auch asiatische Einflüsse. Dann scheint wiederum die Pracht des alten Venedig durch: Dazu trägt auch die Sprache bei, die über vailianische Ausdrücke von "Bazzo" bis "Sientere" an das Italienische erinnert (es gibt auch ein kleines Lexikon), sondern auch die Architektur in den Städten.

Ab und zu kann man in eine verzerrte Wächtersicht schalten, um z.B. die Seele eines Fremden zu erkunden.

Wie im Vorgänger besteht die mit der Unity-Engine inszenierte Welt aus zweidimensionalen vorgerenderten Hintergründen und dreidimensionalen Charakteren, aber sie wirkt intensiver, farbenfroher und lebendiger. Wer malerische Abenteuer dieser Art mag, wird sich beim Scrollen und Zoomen pudelwohl fühlen, denn man kann den ganzen Zauber dieses alten Genres entdecken: Egal ob man in Meereshöhlen bei tanzenden Schatten unterwegs ist, in einer vollgestopften Bibliothek bei flirrendem Staub vor dem Fenster steht oder in einem Palast an einer riesigen Glaskugel voller Fische vorbei schreitet - dieses Pillars of Eternity 2 sieht von der schwankenden Deckenlampe bis zur Kellerfliese unheimlich stimmungsvoll aus. Zumal auch Alltägliches wie der Tagesablauf der Bewohner jetzt sichtbar ist, so dass das Geschehen in den Straßen lebendiger wirkt.

Pirates! lässt grüßen

Hinzu kommen spektakuläre Momente, wenn sich etwa ein Titan aus dem Wüstensand erhebt oder Tentakel aus den Tiefen um sich greifen. Neben der Fülle an Motiven überzeugen vor allem die Licht- und Zaubereffekte, das sehr liebevoll

Es gibt mediterrane, vulkanische, tropische und auch wüstenähnliche Gebiete.

ausgearbeitete Interieur sowie die vielen Animationen, die die Figuren sowohl bei der Erkundung als auch im Kampf lebendiger wirken lassen. Obsidian hat sich gegenüber dem recht ansehnlichen Vorgänger deutlich gesteigert, was Bewegungsabläufe sowie Choreografie in den Gefechten betrifft. Ich habe sehr oft die Ultrazeitlupe aktiviert, um mir multiple Pfeilgeschosse, blitzschnelle Schurkenmanöver oder die Sogwirkung schwarzer Löcher, die taumelnde Feinde immer näher in ihren Schund ziehen, en detail anzusehen. Und man hat sich dermaßen Gedanken gemacht, wie man das maritime Element auch spielerisch unterhaltsam integrieren kann, dass man sich gleich wie in einem Pirates! in XXL fühlt.

Ein Schiff managen

Das Schiff ist kein reines Transportmittel oder bloß ein Gimmick, sondern kann selbst wie ein Charakter gemanagt werden: Es gibt zig Klassen von der Dschunke bis zur Galeone mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, Rumpf und Besatzung - wobei ihr

Man kann auch an und unter Deck gehen.

viele Stunden Schätze anhäufen müsst, um euren Startkahn aufzurüsten oder gar zu tauschen. Eine Galeone kostet mal eben 45000, ein Schwarzholzrumpf sogar 57000 - und selbst bessere Anker, Laternen oder Kabinen sind teuer. Ihr müsst es mit einer spezialisierten Crew und diversen Kanonen sowie Ausrüstung bestücken und die Moral möglichst heben, indem ihr nicht nur Wasser und Reis, sondern auch mal Rum und Obst anbietet. Wer selbst kocht, kann die größten Moralboni erzielen, darunter auch temporäre Verbesserungen diverser Statuswerte.

Es kann auch nicht schaden, die Beute nach einem Kampf unter der Mannschaft zu teilen. Für Reparaturen am Schiff braucht man Werkzeug und für Verletzte einen guten Chirurgen sowie ausreichend Medizin, sonst schleppen sie tagelang ihre Wunden mit. Und wenn die Moral einen zu tiefen Punkt erreicht, kann es zur Meuterei kommen - wobei dabei auch die Zusammenstellung der Crew relevant ist. Und natürlich wollen sie alle regelmäßig bezahlt werden! Trotzdem hört sich das kniffliger an als es ist, denn der Anspruch liegt weit entfernt von etwaigen Survival-Spielen und wenn man irgendwann den Dreh raus hat, kommt man angesichts der Fülle an Beute viel zu komfortabel über die Meere. Das hätte man etwas kniffliger designen können.

Zwischen Enterhaken und Kanonendonner

Trotzdem macht es Spaß: Sehr schön ist, dass man Matrosen, Navigatoren, Kanoniere, Köche und Chirurgen per Drag&Drop ganz einfach an ihre Arbeitsplätze auf dem Schiff zuweisen kann, und dass sie im Laufe der Reise an Erfahrung gewinnen sowie aufsteigen - alternativ kann man in den Tavernen nach Vertsärkung suchen, die vielleicht schon erfahrener ist. Noch schöner ist, dass tatsächlich auch ihr Charakter wie etwa "arglistig", "treu" oder "abergläubisch" zur Geltung kommt. Auf hoher See melden sich eure Seeleute je nach Typ anders zu Wort, wenn ihr z.B. in einen Sturm geratet oder auf ein seltsames Gebilde trefft.

Das Schiff hat diverse ARbeitsplätze, die es zu besetzen gilt.

Und selbst wenn eure Gruppe an Land eine Stadt erkundet, kann es sein, dass ihr auf dem Weg zum Hafen auf ein paar eurer eher zwielichtigen Matrosen trefft, die vielleicht gerade ein krummes Ding drehen wollen. Wie reagiert ihr? Ratet ihr ihnen ab, verlangt ihr einen Anteil oder macht ihr mit? All das kann die Moral heben, senken oder in einem Kampf enden. Es sind diese kleinen Situationen, die dafür sorgen, dass man auch eine Beziehung zu seiner Crew und nicht nur zu den Gefährten aufbaut. Irgendwann kennt man sie mit Namen und will sie nicht so einfach in einem Kampf verheizen. So gewinnt dieses Abenteuer immer wieder eine persönliche Note.

Gefechte an Deck oder per Breitseite

Etwas anspruchsvoller zur Sache geht es dann in den Seeschlachten: Sobald ihr auf ein feindliches Schiff trefft, könnt ihr es entweder sofort entern - dann gibt es allerdings durch den Aufprall zunächst einen höheren Schaden für Rumpf, Segel & Co sowie vielleicht Verletzte. Danach wird dann in den klassischen Kampf zwischen den beiden Crews geschaltet, die sich Deck an Deck gegenüberstehen.

Feuer frei: Die Seeschlachten werden rundenweise mit vielen Manövern inszeniert.

Oder ihr forciert zunächst den Beschuss über See, um es zu versenken, was rundentaktisch über diverse Manöver inszeniert wird: Ihr erkennt eure Position sowie die Distanz zum Gegner, könnt euer Schiff wenden oder beschleunigen und schließlich die Kanonen abfeuern, falls ihr genug Munition habt - wobei es diverse Beschussarten gibt, die wie Kettenkugeln z.B. gezielt die Segel zerfetzen. Beide Kapitäne wählen ihre Manöver abwechselnd, wobei Erfolge oder Fehlschläge per Text kommentiert werden. Hier hat man überraschend viel Auswahl, kann auch defensiv agieren und den Gegner irgendwann mit einer Breitseite überraschen.

Aller Anfang ist unkartiert...

Allerdings hat man zu Beginn mit seiner langsamen Schaluppe und den zwei Kanonen kaum eine Chance gegen erfahrene Piraten. Sehr schön zu beobachten ist, wie diese einem auflauern und dann mit vollen Segeln verfolgen. Da hilft manchmal nur die wiederholte Flucht! Das senkt zwar die Moral, aber man hat weniger Verletzte und muss sich nicht komplett ergeben. Auch die gehisste Fahne spielt übrigens eine Rolle, denn je nach Farbe werdet ihr von anderen Parteien angegriffen oder ignoriert - das ist cool, weil es natürlich gerade zu Beginn sehr hilfreich ist, um z.B. lebendig in einen Piratenhafen zu kommen. Ärgerlich ist allerdings, dass man nach dem Entern eines Schiffes selbiges nicht für sich beanspruchen kann. Man kann also keine fremden Pötte kapern und auf diese umziehen.

Beziehungen pflegen

Neu ist, dass das Verhältnis des Helden zu den Gefährten als auch zu den Fraktionen angezeigt wird. Je nachdem, welche der zehn Gesinnungen wie etwa "stoisch", "rational", "grausam" oder "gütig" man über seine Taten verstärkt, steigt oder sinkt die Zuneigung eines Nichtspieler-Charakters; das kann man zwar numerisch ablesen, aber leider nicht direkt an einer Dokumentation der Entscheidungen. Hinweise auf das, was die Gefährten mögen oder verabscheuen, bekommt man aber  über ihre Kommentare während der Erkundung, über direkte Gespräche mit ihnen sowie ganz konkret beim Klick auf deren Reputationsmenü.

Was mag Edér? Was hasst er?

Dort erfährt man z.B., dass der ehrenwerte Edér vor allem Tierquäler hasst, dass die spöttische Maja die Eingeborenen Huana verachtet und dass die sehr gläubige Priesterin Xoti für Betrüger und Religionsverachter nichts übrig hat. Und man findet so heraus, warum sich der egoistische Zauberer Aloth nicht wirklich mit dem bisherigen Weg identifizieren kann - das kann sich bis hin zu offener Abneigung steigern. Es gibt auch mal wieder diverse hetero- und homosexuelle Techtelmechtel bis hin zur großen Liebe, die man bei entsprechender Dialogwahl sowie Verfolgung persönlicher Quests eingehen kann; teilweise ist vollkommen abstruses Flirten mit fremden Auftraggebern möglich, während die ganze Gruppe daneben steht - ich könnte in einem Abenteuer wie diesem komplett darauf verzichten, obwohl ich zugeben muss, dass zumindest einige witzige Situationen dabei sind. Und es ist ja alles optional.

Lebendige Party-Interaktion

Das neue Reputationsmenü zeigt sowohl private als auch politische Beziehungen an.

Immerhin gibt es auch reichlich Diskussionen und Reibung unterhalb der sexuellen Ebene, denn die Mitglieder der Gruppe werden über ihre Kommentare während der Erkundung viel lebendiger als noch im ersten Teil. Es erinnert fast ein wenig an God of War, wo Atreus beim Rudern auf dem See meist ein Gespräch anfing, wenn während der Erkundungsphasen in Städten plötzlich der Smalltalk einsetzt. Hier werden die Charaktere mit ihren Witzen und Floskeln dann greifbarer. Sie drücken ihre Freude oder ihren Missmut über Entscheidungen aus, ziehen sich gegenseitig auf, erzählen Anekdoten oder fragen nach. Die zynische Maja und der pathetische Wasserbeschwörer Tekahu geraten ebenso aneinander wie der freche anarchistische Piratenzwerg Serafen und die prinzipientreue Paladin-Lady Pallegina.

Die Nichtspieler-Charaktere, wie hier Maja, sind biografisch sehr gut ausgearbeitet.

Es geht also nicht nur um das Kommentieren der eigenen Aktionen, sondern um die Kommunikation untereinander. Es gibt auch situative Gesprächsangebote an den Helden, dargestellt durch ein blinkendes Icon, die sich meist um die persönlichen Quests drehen. Nicht nur die Dialoge sind sehr gut geschrieben und wurden vorbildlich, allerdings nur auf Englisch, eingesprochen: Vor allem die Charaktere, nicht nur bekannte wie der Zauberer Aloth, sind markant konzipiert, weil ihre Persönlichkeiten auf natürliche Art greifbar werden und auch ihre Geheimnisse eine große Rolle spielen - hier wird man des Öfteren überrascht. Und das ist meist so mit den Machtkämpfen verbunden, dass man nahezu beiläufig immer besser verstehen kann, worum es welcher Fraktion eigentlich geht.

Politische Fraktionen unterstützen

Hinzu kommen ja die Beziehungen zu den politischen Fraktionen, die auch in einem Diagramm mit Zahlen visualisiert werden: Es gibt nicht nur fünf große Parteien mit dem Stamm der Huana, der Stadt Neketaka, den Piraten der Príncipi sowie den zwei Handelsgesellschaften, sondern auch kleinere Verbündete wie einzelne religiöse Orden oder Häfen und fast neutrale wie etwa spezielle Kriminelle. Schön ist, wie verflochten und differenziert diese Mächte ausgearbeitet sind, denn auch innerhalb der Hehler, Ureinwohner oder Piraten gibt es meist radikale oder gemäßigte Strömungen, die man unterstützen kann.

Wie verhält man sich zu den politischen Auftraggebern?

Es ist köstlich, wenn man dabei all die Intrigen und Eifersüchteleien aufdeckt. Dabei wird man in den ersten Stunden noch von allen hofiert, bekommt also mehrere Seiten einer Strategie oder Ideologie zu hören und kann sich ein Bild machen. Sobald man erfolgreich Aufträge in eine Richtung absolviert, ergeben sich allerdings erste Konsequenzen: Gefährten verlassen vielleicht die Gruppe, manche Mächte greifen einen direkt an oder ignorieren einen. Und all das spitzt sich immer weiter zu, so dass man sich wie ein Rädchen fühlt, das andere in Gang setzen kann. Man hat das angenehme Gefühl, dass man etwas bewegen kann.

Neue Gefährten und sprechende Waffen

Ihr habt vielleicht gar keine Lust auf die sieben komplett durchbiografierten Begleiter mit ihrem eigenen Schicksal? Dann könnt ihr wie gehabt selbst Söldner in einer Taverne erstellen, bei komplett freier Volks- und Klassenwahl, die genauso wie die NSC bis zu Level 20 aufsteigen können. Das geht übrigens nahezu ohne Grind, also das ständige Abgrasen oder Bekämpfen immer gleicher Areale oder Gegner, weil man für erledigte Aufgaben, clevere Dialogführung sowie Entdeckungen neuer

Tekehu ist ein exzentrischer Sänger, der ab und zu mit Maja aneinander gerät.

Gebiete ebenfalls genug Erfahrungspunkte erntet. Es gibt auch Trainer, die unabhängig vom Aufstieg für 3000 Kupfer bis zu zwei Attribute steigern.

Oder ihr könnt an bestimmten Stellen interessante vorgefertigte Gefährten mit Namen und Klasse anheuern, die nur weniger reden und keine eigene Questreihe anbieten - z.B. die unzufriedene Dienerin eines Magiers oder den arbeitslosen Barbaren in einer Taverne. Festgelegt ist nur, dass lediglich fünf gleichzeitig in eurer aktiven Gruppe dabei sein können und ihr die Zusammensetzung der anderen passiv geparkten Charaktere z.B. in einer Taverne ändern könnt. Dort dürft ihr auch alle gegen eine Gebühr neu entwickeln, falls euch die bisherigen Fähigkeiten und Talente nicht zusagen.

Waffen und Rüstungen können verzaubert werden.

Es kann ja sein, dass man eine der einzigartigen seelengebundenen Waffen findet, die sogar mit einem reden, aber keiner diese zweihändige Mordaxt mit Mund wirklich gut beherrscht. Es gibt nichts Cooleres als diese intelligenten sprechenden Klingen, die ja wie Charaktere aufsteigen können! Dabei werden nicht nur mächtigere Angriffe freigeschaltet, es kann sogar zu kompletten Veränderungen kommen. Nützlich ist die komplette Neuverteilung auch, wenn man niemanden in der Gruppe hat, der sich wirklich auf Diplomatie oder Tiefblick versteht, obwohl das in den Dialogen vielleicht oft zusätzliche Möglichkeiten eröffnet. Es ist verblüffend, wie oft man eine andere rhetorische Auswahl auf Grundlage dieser Fähigkeiten bekommt, darunter auch der Bluff, das Einschüchtern oder gar wissenschaftliche Überzeugen.

Von der Zeitlupe zur Explosion

Das Kampfsystem von Pillars of Eternity hatte zwar einige interessante Ansätze wie etwa die Kampfbindung oder das Flankieren, aber auch einige Probleme, die vieles konterkarierten. Es war nicht nur zu überfrachtet mit letztlich ineffizienten Möglichkeiten, sondern trotz Pause auch nicht gut genug durchschau- und kontrollierbar: Manchmal kam es zu einem Tohuwabohu und Explosionsgetümmel, oftmals zickte auch die schlechte Wegfindung. Zwar gibt es für meinen Geschmack immer noch zu viel Masse, Gebombe und Over-the-top-Magie, denn ich bevorzuge realistischere Kampfsysteme der Low Fantasy à la The Age of Decadence, auch wenn das im Vergleich zu statisch inszeniert wurde. Aber dieser Nachfolger spielt sich weniger hektisch und wesentlich taktischer, so dass es viel mehr Spaß macht, seine Aktionen zu koordinieren und unter seinen Feinden aufzuräumen.

Welche Fähigkeiten sollen beim Aufstieg verbessert werden?

Nicht nur weil die Charaktere jetzt den vorgegebenen Routen und Anweisungen folgen, sogar endlich selbstständig Hindernisse umgehen, sondern weil man deutlich mehr Kontrolle über das Geschehen hat. Zum einen kann man das Tempo jetzt dynamisch von langsam bis auf eine Superzeitlupe reduzieren, so dass man nicht nur die hübsch animierten Bewegungen dabei beobachten, sondern auch noch gemütlicher überlegen kann, was man denn als Nächstes tut. Das ist die ideale Umgebung für alle, die sich situativ entscheiden wollen, ob sie jetzt lieber diesen Arkebusen-, Armbrust- oer Bogenbeschuss, jenen Zauber oder diese Bombe einsetzen. Vor allem da es einige interessante Kombinationen gibt, die für große Schadensboni sorgen, wenn man etwa zuerst flankiert und dann hinterhältig attackiert, oder wenn man zuerst jemanden blendet und dann beschießt. Auch die bekannten Bindungen der Feinde im Vorfeld wirken jetzt viel effizienter - so entsteht etwas mehr Positionstreue und Ruhe, denn man darf sich ja nicht einfach aus einem Duell heraus wegbewegen, weil man dann eine zusätzliche ungedeckte Attacke erdulden muss. Und auch die verbesserte Gegner-KI nutzt diese Bindungen, das Flankieren sowie Feuern aus der Distanz!

Der neue Komfort im Kampf

Jetzt lohnt es sich auch, das Schleichen und die Magie strategischer im Raum einzusetzen: Man kann z.B. nicht nur präventiv Fallen auslegen, indem man sich unentdeckt nach vorne wagt und den Boden präpariert, sondern ganze kreisrunde Bereiche

Auch beim Kampf gegen diesen Titanen lohnt sich die Superzeitlupe.

oder Korridore mit arkanen Fallen bestücken - und in diese dann per Beschuss die Feinde locken. Das ging auch im Vorgänger, aber ist jetzt wesentlich sinnvoller. Denn im Getümmel ist selbst der Einsatz von Magie mit Friendly-Fire-Effekt endlich kein Selbstmord mehr, denn es gibt z.B. bei kreisrunden Feuer- oder Eiseinschlägen jeweils zwei Radien, wobei der äußere für eigene Kämpfer ungefährlich ist. Je intelligenter der Magier, desto breiter sind diese Kreise. Außerdem, und das ist ebenfalls sehr sinnvoll, kann man einmal fixierte Zielkreise noch während des Zauberns woanders hin bewegen, um damit den evtl. weiter gelaufenen Gegner zu verfolgen - sehr komfortabel!

Zwar erreicht man nicht die herrlichen physikalischen Wechselwirkungen oder Kettenreaktionen eines Divinity: Original Sin 2, aber jetzt gibt es auch mal mehr Interaktionen mit explosiven Fässern und man kann schonmal eine ganze Wand wegsprengen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die von mir kritisierte Fülle natürlich auch ihre Vorteile hat - denn das Repertoire an Nahkampf, Fernkampf und vor allem Magie, mit all ihren Beschwörungen und Zauberattacken ist so groß, dass man natürlich viel experimentieren kann. Hinzu kommen ja die Gesänge der Barden, die hier wie in keinem anderen Spiel seit Bard's Tale ihre Renaissance feiern. Neu ist zudem, dass man Helden einmal pro Kampf "ermächtigen" kann, damit sie entweder ihre verbrauchten Fähigkeiten auffüllen oder vorhandene kurzfristig in höherer Kraftstufe einsetzen, so dass auch Kämpfer mit ihrem Hieb viel mehr Schaden anrichten.

Manchmal hilft es auch, zu schleichen.

Dass man jetzt nur noch fünf statt sechs Charaktere befehligt, trägt vielleicht auch ein wenig zur Entschlackung bei, wird aber durch mehrere mögliche Begleit- bzw. Folgetiere wieder ausgeglichen, so dass man auch mal zu siebt kämpft. Man kann Wölfe beschwören oder Vögel einsetzen, die sich ebenfalls sehr gut als Blockierer und Binder von Gegnern eignen. Zum anderen kann man jetzt jedem Helden ganz klare Verhaltensweisen vorgeben: Einsteiger können einfache Varianten wie "aggressiv" oder "defensiv" einstellen , Experten können ganze Befehlsketten inklusive einzelner Manöver wie etwa der Heilung ab einer bestimmten Verwundung etc. wie in einem Editor festlegen. Ihr wollt alles selbst managen? Dann deaktiviert einfach die Gruppen-KI und nach jeder Aktion wartet der Charakter, schlägt nicht mal mehr selbst zu. Obsidian Entertainment kann zwar nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, weil die Gefechte auf demselben pausierbaren Echtzeit-System sowie Zauberrepertoire beruhen, aber diese Kämpfe machen jetzt Laune.

Inkonsequenzen und Schleichfunktionen

Das Kampfsystem hat man also deutlich verbessert, aber es gibt noch einige Inkonsequenzen innerhalb der Spielwelt. Da explodiert z.B. ein Piratenkapitän (nach einer kleinen Bombenplatzierung) an seinem Klavier direkt vor seinen Leuten und ich kann ihn danach einfach so plündern - ohne dass jemand einschreitet, obwohl ich doch gerade erst angekommen bin und nicht zur Bande gehöre. Außerdem entbrennen manche Kämpfe in der Stadt, ohne dass Wachen eingreifen oder Zivilisten fliehen. Und es wirkt seltsam, wenn der Steuermann seinen eigenen Kapitän anschnauzt.

Viele Tuorilas erklären die Spielmechanik - hier die Sichtradien.

Schön ist wiederum, dass man viele Situationen auch subversiv lösen kann, indem man z.B. schleicht und außerhalb der Sichtradien der Wachen bleibt, um von A nach B zu kommen - man muss also nicht alles und jeden töten. Im Gegenteil: Obsidian fördert und belohnt kreative Ansätze. Man kann über den Kleidungswechsel sowie Bluffs sogar die weniger cleveren Aufpasser in Herrenhäusern hinters Licht führen. Wer auf diese Art spielen will, sollte unbedingt die Mechanik beim Aufstieg entwickeln, denn so lassen sich in Kombination mit Dietrichen, aber ohne aktives Minispiel, viele Truhen und Türen leichter öffnen. Überhaupt gestaltet sich die Charakterentwicklung jetzt übersichtlicher.

Zu viel Beute, zu milde Regeln

Zwar gibt es grundsätzlich ein Diebstahlsystem mit Konsequenzen: Immer dann, wenn etwas widerrechtlich stibitzt oder geöffnet werden könnte, wird es per Maske bzw. lila Schloss angezeigt. Und wenn man dann trotzdem zugreift, kommt es meist sofort zum Alarm oder Kampf - sehr schön. Nur kommen diese wichtigen Tabus für meinen Geschmack in einigen Situationen gar nicht zur Geltung, so dass man sich auch recht häufig irgendwo in der Umgebung oder in offenen Häusern ohne Besitzer einfach bedienen kann, obwohl man doch eigentlich ein Fremder ist und vielleicht Leute zusehen. Da hätte man strenger sein müssen, wie auch bei den Verletzungen: Es ist zwar ein schöner Zusatz, dass niedergeschlagene Helden bis zu drei Verwundungen anhäufen können, die sich auch empfindlich mit rot bezifferten Mali auf die Abwehr, Reflexe oder andere Werte auswirken. Aber man muss lediglich irgendwo rasten und Medizin einnehmen, um sie schnell wieder verschwinden zu lassen - da hätte ich mir ein wenig Darkest Dungeon gewünscht, vielleicht sogar permanente Ticks und Psychosen, die durch Kämpfe zum Vorschein kommen.

Die Hauptstadt Neketaka besteht aus mehereren Vierteln sowie großer Unterwelt.

Allgemein kann man zu viel an Beute anhäufen: Nach so mancher Stunde am Stück war das Inventar der Gruppe rappelvoll, weil man nach Kämpfen ja alles auf einen Klick plündert - ohne Traglastgrenze sammeln sich reihenweise Dolche, Schwerter, Umhänge, Bögen, Pistolen, Ringe, Schuhe, Halsbänder, Edelsteine, Tränke, Kräuter, Bücher, Schriftrollen an. Das war schon im ersten Pillars zu viel und ist es auch im zweiten.

Der Vorteil: Man kann nahezu alles irgendwie verarbeiten und verzaubern, so dass aus dem Wust an Zutaten durchaus etwas Sinnvolles entstehen kann. Es lässt sich auch alles gut sortieren und ist farblich so markiert, dass man quasi alles an Waffen und Rüstung, was nicht Blau oder Gelb, also irgendwie besonders ist, sofort verkaufen kann. Und genau so kann man dann an das benötigte Geld für weitere Schiffe, Kanonen, Segel oder auch besonders exklusive Ausrüstung kommen. Immer wieder entdeckt man innerhalb dieser inflationären Fülle auch liebevolle Kleinigkeiten wie etwa die Haustiere - man kann zig Hunde, Katzen, Schweine etc. finden, die dann als aktive Begleiter mitdackeln und permanente Effekte wie schnellere Heilung auslösen können.

Wie geht es weiter?

Es wird drei Erweiterungen von Juli bis November geben. Diese Downloadpakete sollen einzeln für knapp zehn Euro neue Quests zur Vertiefung der Geschichte, zusätzliche Gebiete und weitere Charaktere umfassen. Ein Season Pass, der alle beinhaltet, wird für 25 Euro veröffentlicht. Außerdem wird Pillars of Eternity 2: Deadfire für Konsolen erscheinen , allerdings erst im 4. Quartal 2018. Es soll für PlayStation 4, Xbox One und Switch umgesetzt werden, wobei dafür Red Cerberus verantwortlich zeichnet, während Obsidian lediglich als Publisher fungiert.

Fazit

Ihr seid Rollenspieler alter Schule? Dann werdet ihr versinken. So wie damals mit Minsk. Oder Morte. Für viele, viele Stunden werdet ihr mit euren Gefährten durch dieses Archipel segeln, Dungeons erkunden und Geheimnisse lüften, während die Zeit nur so verfliegt und euer moralischer Kompass wirbelt: Welche Fraktionen soll man unterstützen? Welchen Gefährten vertrauen? Ich konnte mich kaum von der Erkundung dieser stimmungsvollen maritimen Spielwelt und ihrer machtpolitischen Konflikte lösen. Hier trifft "Baldur's Gate" auf "Pirates!" und "Einsamer Wolf" - was für eine schöne Mischung! Ich war angesichts des überlaufenen Piraten-Szenarios zunächst skeptisch. Aber vor diesem Panorama demonstriert Obsidian Entertainment seine ganze Klasse, lässt euch eine Crew managen und wie ein Kapitän entscheiden. Im Vergleich zum Vorgänger ist das Spiel offener, abwechslungsreicher, ansehnlicher und spielmechanisch reifer. Zwar erreicht das Kampfsystem nicht die physikalische Interaktivität eines Divinity: Original Sin 2, aber die Gefechte spielen sich jetzt deutlich strukturierter und taktischer. Außerdem gefallen mir hier andere Tugenden besser als beim experimentierfreudigen Rollenspiel der Larian Studios. Freut euch auf eine lebendige Party-Interaktion, dynamische Beziehungen sowie eine vielschichtige Erzählführung, die nicht nur tolle Dialoge anbietet, sondern über das edle Flair von Abenteuer-Spielbüchern für eine gemütliche, fast schon literarische Atmosphäre sorgt. Schließlich gelingt es der Regie auf hervorragende Art, die persönlichen Biographien mit den politischen Ereignissen zu verknüpfen. So entsteht trotz kleiner Inkonsequenzen und überstrapazierter Beuteflut eine unheimliche Sogkraft. Deshalb kann ich mich nur wiederholen: Ihr werdet versinken.

Pro

hervorragende Regie
interessante Geschichte
riesige maritime Spielwelt
sehr gut ausgearbeitete Charaktere
lebendige Party-Interaktion, sichtbare Beziehungen
dynamisches Verhältnis zu politischen Fraktionen
Charaktererschaffung mit zig Klassen und Völkern
abwechslungsreiche und vielfältige Quests
Schiffe und Crew managen
feindliche Kapitäne reagieren auf Beflaggung
interessante Seegefechte in Rundentaktik
edles Abenteuer-Spielbuch-Flair mit vielen Rätseln
nahezu alle Attribute wirken sich aus
viele rhetorische und subtile Lösungswege
kein überflüssiger Grind
Diebstahlsystem, Schleichwege, Fallen & Co
coole sprechende Waffen, nützliche Begleiter-Tiere
voll vertonte, toll geschriebene Dialoge
zig Klassen, darunter über 50 neue Multiklassen
verbessertes Kampfsystem mit Ultrazeitlupe
Befehlsmanager für gezielte Verhaltensketten
Zauber lassen sich nach dem Wirken anpassen
zig Nah- und Fernkampfmanöver, einige Kombos
Waffen verzaubern, Tränke und Nahrung erstellen
mehrere Schwierigkeitsgrade und Modifikationen
Texte mit interaktiven Schlüsselbegriffen
wunderschöne Kulissen und Landschaften
sehr gute Animationen und Kampfchoreografien
tolle Zauber- und Lichteffekte
stimmungsvolle Musikuntermalung
ausführliches Nachschlagewerk
anpassbare Benutzeroberfläche
gutes manuelles und automatisches Speichersystem

Kontra

zu viel überflüssige Beute
Kampfsystem etwas zu überfachtet
einige situative Inkonsequenzen und fehlende Reaktionen
irgendwann ist Schiffsmanagement zu leicht
man kann keine Schiffe kapern
keine deutsche Sprachausgabe

Wertung

PC

Das ist technisch, erzählerisch und spielerisch eines der besten Rollenspiele alter Schule, eine edle Schatzkiste voller Abenteuer. Ihr werdet versinken.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Für Vorbesteller gab es einen Habicht (Ingame-Tierbegleiter), der auf See Vorteile bringt; zudem St. Droggas Schädel, der auch im Kampf hilft; und die schwarze Flagge.
  • Season Pass, dessen Inhalte keine bzw. nur minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
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